Hallo Biblebelt,
leider war mir diese Diskussion nicht früher aufgefallen, und ich weiß nun nicht, ob Du noch Interesse hast, an einer weiteren Bearbeitung Deiner wie ich finde hochinteressanten Ausgangsfrage. Es kann daher auch sein, dass Du das, was sich in diesem Thread weiterhin abspielen mag, gar nicht mehr verfolgst, und ich Dich daher gar nicht mehr erreiche.
Aber Deine Ausgangsfrage, sowie auch Dein wirklich herzerfrischender Schreibstil haben mein Interesse geweckt. Beeindruckt hat mich auch Deine Beharrlichkeit, mit der Du über die vielen Wochen und Monate am Ball geblieben bist und nicht locker gelassen, sondern Deine Ausgangsfrage immer neu ins Spiel gebracht und darauf hingewiesen hast, dass sie ja im Grunde doch notorisch unbeantwortet blieb.
Ich vermute mal – nur eine Vermutung, die auch grottenfalsch sein kann -, dass Dir zuletzt dann doch die Puste ausgegangen ist; denn: es wurde, angestoßen durch Deine spannende Ausgangsfrage zwar sehr viel theologischer Grips ausgetauscht, aber: deine Frage blieb im Grund bis zuletzt ungelöst, und man hat sich, scheint mir, immer wieder mit Begeisterung auf thematische Nebenschauplätze begeben (vielleicht ja einfach, um nicht eingestehen zu müssen, dass man außer Stande war, die mit einer sympathischen Geradheit gestellte und ja vollkommen berechtigte Frage Deiner Frau befriedigend zu beantworten). Ich vermute mal – wieder nur eine Vermutung -, dass Deine Frau dieser Diskussion letztlich nicht mehr entnommen hat, als dass Christen diese wichtige Frage, auf die sie den Finger legte, wahrhaftig nicht befriedigend zu beantworten vermögen und daher lieber wortreich über sie hinweggehen und von ihr ablenken.
Meine eigenen Überlegungen zu dieser Frage möchte ich so kurz als möglich und so ausführlich wie nötig hier anschließen. Ich erwarte nicht, dass man meine Gedanken hier mit Begeisterung aufnimmt, da sie „ketzerisch“ sind, insofern sie nämlich von der katholischen Dogmatik entschieden abweichen, von dieser Dogmatik, deren Inhalte ja bekanntermaßen von Luther und dem von ihm ausgelösten Protestantismus bei allem Sich-Absetzen gegen den Katholizismus doch in weiten Teilen übernommen worden ist.
Ich meine folgendes:
Könnte es denn nicht auch sein, dass all diese hoch komplizierten Erklärungsversuche, die in diesem Thread hier unter erheblichen Opfern an Klarheit und Direktheit des Denkens und mit so viel „schriftgelehrtem“ Eifer unternommen wurden, im Kern nichts weiter sind, als ein – nicht wertend, sondern rein beschreibend gemeint - recht künstliches und an echte Krampfhaftigkeit grenzendes Sich-Winden um ein bestimmtes theologisches Tabu herum?
Ich frage mich, ob es nicht auch einmal gelingen könnte, die fraglichen Bibel-Textstellen ganz frei von allen theologischen und dogmatischen Vorurteilen und Zwängen zu lesen, bereit, sich vom Wort selbst und eben nicht mehr von theologischen Vorschriften ansprechen zu lassen?
Wer dazu bereit ist und wem es gelingt, die Brille der, wie ich behaupten möchte, letztlich ja menschengemachten Dogmatik und Theologie abzusetzen, und den Text der Bibel selbst einmal ohne vorgefertigte theologische Vorurteile zu lesen, dem mag es gelingen, folgende Gedanken nachzuvollziehen:
Wenn ich die fraglichen Stellen im NT in solch offener Weise lese, dann muss ich zumindest einräumen, dass im biblischen Text selbst von einer jungfräulichen Zeugung und Geburt Jesu kein Sterbenswörtchen steht! - Ich höre freilich jetzt schon das mehr als heftige Rauschen all der Flügel der zahllosen Vögel, die sich nun, aufgeschreckt durch diese These, bereits eilig erhoben haben und nicht zögern werden, mit sehr geläufigen und allzu bekannten Argumenten, die alle samt in der kirchlichen Dogmatik, aber meines Erachtens kaum im bloßen biblischen Text selbst wurzeln, über meine Aussage herzufallen wie das Federvieh aus dem nämlichen Hitchcock-Thriller. Denn das ist das Problem vieler religiöser Menschen, deren Glaube zu allererst in einer Treue zu bestimmten dogmatischen Lehrvorgaben besteht und die hoffen, durch ein besinnungsloses Nachsprechen von Aussagen, die andere für sie vorgefertigt haben, sich die Mühe eigenen Suchens nach der Wahrheit ersparen zu können: sie prüfen und überlegen im Grunde überhaupt nicht, sondern sie wissen immer schon im Vorhinein – vermeintlich - ganz genau Bescheid! Ich wage allerdings zu hoffen, dass nicht alle in diesem Forum von dieser Art sind. Denn entschieden frage ich mich: warum und wozu hat Jesus den Satz geprägt „Suchet so werdet ihr finden!“, warum hat er nicht etwa gesagt „Wer mich gefunden hat, der muss ein für allemal nicht mehr suchen“? - das hat er ja NICHT gesagt!
Also: LANGSAM – erst schauen, erst lesen, erst denken, mit OFFENEM Herzen und gewissenhaft denken, sich Zeit lassen und dann reden bzw. schreiben!
Was ich behaupte und zu bedenken gebe ist dies:
Die neutestamentarischen Formulierungen, auf die die kirchliche Dogmatik ihre Lehre von der jungfräulichen Zeugung und Geburt Jesu aufgepfropft hat, sind für sich und ohne dogmatisches Vorurteil gelesen mitnichten so klar und eindeutig, wie uns dies von der katholischen Kirche seit weit über tausend Jahren suggeriert wurde.
Sehen wir doch einmal nüchtern und klar: im Text selbst steht nicht etwa „jungfräulich durch den Heiligen Geist gezeugt“ oder „ohne Josephs Zutun durch den Heiligen Geist gezeugt“. Sondern da steht schlicht, dass Maria „schwanger war von dem Heiligen Geist“. Was aber sagt das nun? Natürlich!!: es sagt, dass Maria von ihrem Joseph nicht berührt worden war und dass Joseph keineswegs irgendeinen Anteil daran hatte, dass es zu dieser Schwangerschaft kam. Warum besagt diese Formulierung genau das und nichts anderes? Weil es ja da steht! Weil es ja da steht? Steht es wirklich da? Ich sage: nein, es steht nicht da – wir müssen nur genau hinschauen!
In Wirklichkeit lässt diese biblische Formulierung sehr vieles offen. Aber die dogmatische Lehre hat diesen Freiraum, den der biblische Wortlaut hier lässt, sehr schnell dogmatisch gefüllt und hat verkündet: wer es anders versteht, als wir es sagen, der versteht es falsch und er muss auf den – Scheiterhaufen!
Irgendwann dann freilich hat das Gros der Menschen diese Scheiterhaufenpraxis nicht mehr geduldet, es kam Luther, es kam die Reformation, es kam die Aufklärung, es kam die Sekularisation, es kam die Demokratisierung der meisten europäischen Nationen, und die Kirche wurde – ganz gegen ihren Willen! - der Macht beraubt, „Ketzer“ auf dem Scheiterhaufen zum Schweigen bringen zu dürfen. Die dogmatische Lehre dieser Kirche aber hat sich keineswegs gewandelt - was auch nie zu erwarten war, da sie ja ihre eigene Unfehlbarkeit behauptet.
Aber dennoch, es bleibt dabei: von einer jungfräulichen Geburt Jesu ist im biblischen Text keine Rede, lediglich von einer Zeugung durch den Heiligen Geist (Mt 1, 18; Lk 1, 35), die ich ja keineswegs leugnen will, weil sie unabweisbar biblische Lehre ist, die aber an sich keineswegs schon dasselbe ist, wie eine jungfräuliche Empfängnis und Geburt! Wie komme ich zu dieser These? Folgendermaßen:
Man bedenke allein, an wie vielen Stellen im NT die Rede ist von einem Wirken des Heiligen Geistes, ohne das damit gleich auch schon ein Wirken gemeint wäre, dass durch den Geist Gottes allein und vollkommen unabhängig von Menschen geschähe! An vielen Stellen im NT ist ganz klar die Rede davon, dass der Heilige Geist etwas wirkt, während aber dieses Wirken dadurch sich vollzieht, dass der Geist Gottes durch bestimmte Menschen wirkt, redet, handelt etc. Und woher nun, frage ich mich und Euch, nahmen diejenigen Menschen, die das Dogma von der jungfräulichen Geburt Jesu formulierten, eigentlich die Gewissheit, dass mit dieser Schwangerschaft Mariens, die laut Text „durch den Heiligen Geist“ gewirkt wurde, nicht genau so wie in den vielen anderen Fällen des Wirkens des Heiligen Geistes in der Bibel, durch Menschen vollzogen geschah, also in der Weise geschah, dass der Geist Gottes einen Menschen oder auch verschiedene Menschen erfüllte und sie zu einem bestimmten Tun inspirierte, veranlasste, bewegte? Was ich im Klartext meine, ist natürlich dieses:
Der biblische Wortlaut an sich, also unabhängig von aller Interpretation und Deutung durch Menschen und kirchliche Instanzen, schließt es mitnichten aus, die betreffenden Bibelstellen in dem Sinne aufzufassen, dass es zu der Schwangerschaft durch den Heiligen Geist so kam, dass der Geist Gottes, der ja allemal der Geist der Liebe ist, Maria und Joseph zu einem gottgewollten Zeugungsakt bewegte. (Gottgewollte Zeugungsakte kommen in der Bibel an vielen Stellen vor!)
Welche Einwände auf diese Überlegungen nun folgen, ist vorhersehbar. Man wird sagen: im Text werde klar gesagt, dass Maria nichts von einem Mann gewusst habe. Aber auch diese Auffassung beruht auf einem Wortlaut, der wiederum mitnichten eindeutig und klar das besagt, was er laut dogmatischer Lehre besagen muss.
Denn: Bei Matthäus ist überhaupt keine Rede davon, dass Maria nichts von einem Manne gewusst habe. Vielmehr heißt es dort: „Als Maria, seine Mutter, dem Joseph vertraut war, fand sich's, ehe er sie heimholte, …“ (Mt 1, 18 ) Also Maria und Joseph waren einander vertraut (was wohl so viel heißt, wie „verlobt“), aber die Schwangerschaft setzte ein, ehe sie offiziell verheiratet waren – freilich ein „Skandal“.
Und: beim zweiten Evangelisten der von der Zeugung und Geburt Jesu berichtet, bei Lukas, steht allerdings der nämliche Satz, „Wie soll das zugehen, da ich von keinem Manne weiß?“ (Lk 1, 34), mit dem Maria auf die Verheißungen des Engels reagiert. Was nun besagt dieser Satz? Er besagt jedenfalls nicht, dass es in Marias Leben zu diesem Zeitpunkt noch keinen Mann gab; denn weiter oben heißt es ja, genau wie bei Matthäus auch, dass Maria „vertraut war einem Manne mit Namen Joseph …“ (Mt 1, 27). Aber dieser Satz Mariens besagt natürlich ganz eindeutig, dass Maria, als der Engel ihr die Schwangerschaft verhieß, noch niemals geschlechtlichen Umgang mit einem Mann gehabt hatte. Das passt zu der Aussage des Lukas-Textes, dass Maria eine Jungfrau war.
Was diese Aussage jedoch an sich keineswegs besagt – auch wenn man ihr das zweifellos unterschieben kann, wenn man das will - ist, dass Maria in dem Zeitraum zwischen der Schwangerschaftsverheißung durch den Engel und dem Einsetzen der Schwangerschaft mit Gewissheit keinen Sexualverkehr mit Joseph gehabt haben könne. (Wieder rauschen die Flügel der „Vogelscharen“ – aber bleiben wir doch ruhig, nüchtern und denken langsam und klar, Schritt für Schritt!)
Der Engel sagt voraus: „Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten …“ (Lk 1, 35) Diese Aussage, deren Sinngehalt eigentlich nicht anders, denn als „dunkel“ bezeichnet werden kann, wird jedoch durch die dogmatische Lehre so behandelt, als sei er absolut eindeutig und sonnenklar, was er aber, wie jeder zugeben muss, der die Stelle einmal wirklich unvoreingenommen liest, überhaupt nicht ist. Und so erhebt sich für mich die Frage: könnte diese Aussage denn nicht auch ebenso gut etwa dieses besagen:
der Heilige Geist, die Kraft des Höchsten, die über Dich kommen wird, wir Deinen kleinen menschlichen Willen überflügeln und Dich bereit machen, von deinem Dir vertrauten Manne Joseph in aller Heiligkeit und in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes ein Kind zu empfangen? Wer hier der Ansicht ist – und das wird innerhalb der Gruppe der Nutzer dieses Forums vermutlich die überwiegende Mehrzahl sein –, dass eine solche Auffassung vom biblischen Wortlaut her absolut unmöglich sei, der soll mir das sachlich erklären und beweisen, sonst werde ich es nicht glauben.
Und nun bitte ich darum, folgendes dringend zu beachten: Ich möchte nicht eine neue und andere Dogmatik errichten, dafür besteht überhaupt kein Grund. Ich möchte lediglich darauf aufmerksam machen, dass der Text selbst viel weniger „eindeutig“ ist, als uns dies seit weit über tausend Jahren (einst, wie bereits angedeutet, auch mit Feuer und Schwert!) durch die kirchlich-dogmatische Lehre glaubhaft gemacht werden soll, und dass dieser Text, ohne jede Verbiegung oder Vergewaltigung seines gegebenen Wortlautes mit Fug und Recht in durchaus sinnvoller Weise auch anders aufgefasst werden kann!
Denn auch die lukanische Feststellung der Jüngfräulichkeit Mariens schließt die oben ausgeführte Interpretation nüchtern betrachtet mitnichten aus, weil der Text selbst an keiner Stelle behauptet, dass Maria auch nach dem Einsetzen der Schwangerschaft noch eine Jungfrau gewesen sei. Die Aussage über die Jungfräulichkeit Mariens bei Lukas bedeutet an sich, und solange wir nicht mehr in sie hineininterpretieren, als sie schlicht genommen tatsächlich aussagt, lediglich, dass Maria Jungfrau war zu dem Zeitpunkt, an dem sie vom Engel der Verheißung der Geburt Jesu angesprochen wird. Freilich heißt es: „… eine Jungfrau wird schwanger sein …“ (Mt 1, 23). Das aber ist an sich keineswegs etwas Außergewöhnliches! Denn es kann immer sein, dass eine Jungfrau (jedes Mädchen, jede Frau ist bis zu ihrem ersten Sexualkontakt Jungfrau) nach ihrer ersten geschlechtlichen Vereinigung mit einem Mann schwanger ist! Das heißt dann ja noch nicht, dass sie auch nach dem Einsetzen der Schwangerschaft noch Jungfrau geblieben ist, es heißt lediglich: sie war Jungfrau bis zu dem Moment, in dem sie geschwängert wurde: eine Jungfrau ist schwanger geworden - und hat damit selbstverständlich aufgehört Jungfrau zu sein.
Dass Letzteres vom Text nicht ausdrücklich gesagt wird, muss uns ja nicht im Geringsten verwundern oder uns etwa zu phantastischen Spekulationen herausfordern, denn es ist an sich so selbstverständlich, dass es viel eher zu erwarten ist, dass darauf gar nicht ausdrücklich eingegangen wird, als dass zu erwarten wäre, dass es speziell und ausdrücklich erwähnt werden müsse. Die Tatsache, dass eine Jungfrau, die schwanger geworden ist, nach dem Einsetzen ihrer Schwangerschaft keine Jungfrau mehr ist, war ja auch in den Zeiten, in denen die Bibel verfasst wurde, derart selbstverständlich, dass das Nicht-extra-Erwähntwerden dieser Tatsache durchaus niemanden verwundern muss. Unter einen Erklärungsdruck geraten wir also im Hinblick auf die biblische Nichterwähnung des Nicht-mehr-Jungfrauseins Mariens nach dem Einsetzen der Schwangerschaft nicht etwa, wenn wir von einem solchen Nicht-mehr-Jungfrausein Mariens selbstverständlich ausgehen, sondern unter Erklärungsdruck steht statt dessen in diesem Punkt allemal die Dogmatik, die hier behauptet, den Text ganz einfach „so zu nehmen wie er ist“, während sie doch bei Licht besehen eine Menge in ihn hineingeheimnist!
Jedenfalls, lieber Biblebet, wäre von einer solchen Auffassung des biblischen Wortlautes her elegant erklärt, weshalb es durchaus als legitim gelten muss, den Juden vorzuhalten, dass sie den verheißenen Messias nicht akzeptiert haben, obwohl er alle Kriterien der alttestamentarischen Messias-Verheißungen erfüllte, incl. also auch die Verheißung, dass er aus dem Geschlechte Davids herkommen werde. Und damit hätten wir auch endlich einen zwanglosen Einklang mit dem Pauluswort von der fleischlichen Abstammung Christi vom Geschlechte Davids und könnten außerdem auch den den Evangelien vorangestellten Stammbaum Jesu ganz entspannt und ohne theologische Verrenkungen und letztlich doch immer fragwürdig bleibende Erklärungsfinten lesen.
Das einzige Problem, vor dem wir dann stehen, besteht natürlich darin, dass wir mit einer solchen Auffassung in einen eklatanten Widerspruch zur althergebrachten Dogmatik des Katholizismus geraten, einer Dogmatik, die ja, wie bereits erwähnt, in diesem und in anderen Punkten durch den Protestantismus erstaunlicherweise völlig unkritisch übernommen wurde. In einen Konflikt mit der Heiligen Schrift aber aber gerieten wir durch die Übernahme der oben ausgeführten Auffassung von der Zeugung und Geburt Jesu, wie gezeigt, überhaupt nicht!
Gottes Segen,
friedi1