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Die Geschäfte der Gott AG


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Rolf

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Das Marketing des Vatikan:





Die Geschäfte der Gott AG





Die katholische Kirche steckt tief in der Krise: Die Menschen treten zu Tausenden aus, Missbrauchsfälle haben das Ansehen ramponiert, Steuer- und Spendeneinnahmen sinken. Nun wollen die Geistlichen mit sakralen Mega-Events den Glauben stärken und Geld in die Kasse spülen – zum Beispiel mit der Grabtuch-Show in Turin.

TURIN/KÖLN. Sie werden drei Minuten haben, mehr nicht. Für diese drei Minuten sind Steve und Julia Grant extra aus Santa Barbara in Kalifornien gekommen, zehn Flugstunden, mehr als tausend Dollar haben sie bezahlt. Ein Mann mit kahlem Kopf und Bart, eine etwas mollige Frau mit blondem Kurzhaarschnitt. Noch steckt das Paar aber in einer Hunderte Meter langen Menschenraupe, die langsam durch die Turiner Innenstadt kriecht. Ältere Damen in Sonntagsgarderobe, Schüler, Nonnen, Touristen. Säuselnde Kirchenmusik begleitet ihren Weg zum Dom. Die Fans wollen eingestimmt sein auf den Höhepunkt der sakralen Show. Vordrängler weisen sie zischend zurecht.

Nach drei Stunden haben es Steve und Julia Grant geschafft. Sie klemmen noch immer in einem Pulk von Menschen, nun aber im schummrigen Dom. Nur ein Samtvorhang leuchtet, königlich rot, und da prangt es: das Turiner Grabtuch, eine 4,36 Meter lange und 1,10 Meter breite, blasse Stoffbahn, geschützt von zentimeterdickem Sicherheitsglas. Katholiken verehren es als das Tuch, in dem der Leichnam Jesu nach der Kreuzigung eingehüllt und begraben wurde. Vor fast 2000 Jahren.

Ob das stimmt, weiß niemand.

Trotzdem ist das Turiner Grabtuch eine der berühmtesten Reliquien des Christentums. Es gehört zum Betriebskapital eines Weltkonzerns namens katholische Kirche, es wird immer wichtiger. Denn die Kirche steckt in einer tiefen Krise: Der Absturz der Weltwirtschaft hat die Kirchensteuer-Einnahmen gedrückt, vor allem aber leidet das Image. Es gibt Missbrauchsskandale, viel Kritik an der Amtsführung des aktuellen Papstes, Kirchenaustritte.

Das Grabtuch ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Gott AG mit Sitz in Rom versucht, das lädierte Ansehen aufzupolieren und dabei möglichst viel Geld zu verdienen. Die Kirche setzt alle Hoffnung in ihre eventtauglichen Reliquien. Die Misere macht aus Talarträgern Manager, die sich ein Beispiel an Verkaufsgenies wie Madonna oder dem Weltfußballverband Fifa & Co. nehmen. Der Glaube an Gott, der früher von Generation zu Generation vererbt wurde, wird nun zeitgemäß beworben.

Das Grabtuch wird in diesen Wochen erstmals seit dem Heiligen Jahr 2000 ausgestellt. Einen regelmäßigen Turnus gibt es nicht. Wann es zu sehen ist, entscheidet der Papst. Das hat er. Der Zeitpunkt ist denkbar günstig. Ein paar positive Meldungen kann seine Kirche gut gebrauchen.


In den sechs Wochen, in denen das Tuch zu bestaunen ist, kommen zwei Millionen Besucher nach Turin, bis zu 50000 jeden Tag. Ohne das Mega-Event hat die Stadt im ganzen Jahr knapp drei Millionen Gäste. Am gestrigen Sonntag ist der CEO der Gott AG aus Rom angereist. Papst Benedikt besucht Turin.

Das Papamobil kutschiert ihn durch die Menge. 25 000 Gläubige jubeln, als ihr Oberhaupt über die Piazza San Carlo fährt und dem Dom entgegensteuert, in dem das Grabtuch aufgespannt ist. Schließlich nimmt er auf einem güldenen Stuhl Platz und zelebriert die Heilige Messe. Es ist der Höhepunkt der Grabtuch-Schau.

Und eine verkaufsfördernde Maßnahme der starken Marke mit dem Kreuz.

Im Dom drängen die Ordner, sie geben Kommandos, die drei Minuten für Steve und Julia Grants Gruppe sind um, draußen warten noch Tausende Pilger. Die Grants treten auf den Vorplatz des Doms, zurück ins gleißende Tageslicht. „Das Grabtuch erinnert uns an den schrecklichen Tod, den der Sohn Gottes erlitten hat“, sagt Steve ehrfürchtig. Seine Frau nickt. Sie werden ihren Besuch im Souvenirladen an der Piazza Castello abrunden.

Das Angebot reicht vom Rosenkranz mit Grabtuch-Anhänger für ein paar Euro bis zum Kissen mit Grabtuch-Stickerei für 135 Euro. Die Grants kaufen eine Miniversion des Grabtuchs: 100 mal 30 Zentimeter, zwei Grabtuch-Postkarten, zwei Holzkreuze. Sie zahlen 14,60 Euro.

Wer wissen will, was die Kirche daran verdient und wie viel Umsatz sie insgesamt macht, muss versuchen, Monsignore Giuseppe Ghiberti zum Sprechen zu bringen.

Der Geistliche mit schlohweißem Haar und stahlblauen Augen ist im „Organisationskomitee für die Zurschaustellung des Grabtuchs“. Er ist der Topmanager der Jesus-Show. Glaube, Begegnungen mit dem Papst, Probleme mit den Protestanten. Über all diese Dinge redet Ghiberti sehr ausführlich.

Den Fragen zum Geld aber weicht er aus.

Eine sehr aufschlussreiche Antwort gibt Monsignore dann aber doch. Die Frage, ob das Grabtuch ein Original oder eine Fälschung ist, sei einerlei, sagt er: „Ich vergleiche das gerne mit einem Einbahnstraßenschild. Ob das nun aus Gold oder Pappe ist: Das Signal ist das gleiche.“

Das Signal ist: Ist doch schön, wenn sich selbst aus Pappe Gold machen lässt.

Zumal, wenn das kaum eigene Anstrengung kostet. Fünf Millionen Euro beträgt das Budget von Ghibertis Organisationskomitee. Zwei Millionen Euro geben die beiden Sparkassenstiftungen der Stadt, eine Million die Region Piemont, eine Million die Stadt Turin, 750000 Euro kommen von der Provinz. Die Kirche selbst steuert gerade mal 250000 Euro bei. Sie hat 54 Sponsoren bei der Hand, die kostenlos nützliche Dinge stellen. Der Sportartikelhersteller Kappa rüstet die Ordner mit fast 5000 Regenjacken aus. Fiat stellt Autos für wichtige Gäste und Organisatoren, Telecom Italia hat das Medienzentrum ausgestattet. Alles zusammen spart die Kirche eine weitere Million Euro.

Das Vorbild Olympia

Mitarbeiter braucht Monsignore Ghiberti auch fast keine zu bezahlen. Turin ist bekannt für sein Heer an Freiwilligen, 4500 Bürger helfen bei der Organisation. Das hat sich die Gott AG beim Olympischen Komitee abgeschaut. Das verdient an seinen Sportevents Milliarden und bezahlt den Helfern keinen Cent.

Noch im Johannes-Evangelium wirft Jesus die Verkäufer, die Opfervieh feilbieten, aus dem Heiligtum. So genau nehmen es seine Nachfahren heute nicht mehr. Was früher eine Kirchenveranstaltung war, ist heute ein groß vermarktetes Event. Das gilt für die Inszenierung des Turiner Grabtuchs wie für die kommenden Pilgerreisen im „Heiligen Jahr“, die Wallfahrten, die Bistumsfeste und der Weltjugendtag, der alle drei Jahre Millionen Menschen aus aller Welt anzieht.

„Wenn die Kirche eins kann, dann tolle Events machen, von der Trauung bis zum Weltjugendtag“, sagt Steffen Hillebrecht. Der Professor für Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Würzburg hat lange als Berater bei einer Kommunikationsagentur der katholischen Kirche gearbeitet.

Anfang der 90er-Jahre experimentierte die Kirche mit Werbekampagnen. Heraus kamen Slogans wie: „Wir sind nicht nur sonntags da.“ Mitglieder hat ihr das nicht gebracht, nun versucht sie es mit Großveranstaltungen. „Die Kirche muss aufpassen. Bei drei, vier Weltjugendtagen pro Jahr wird die Marke überdehnt“, sagt Hillebrecht.

Denn über kurz oder lang, da geht es der Gott AG wie jedem Unternehmen, kann auch das tollste Marketing über eins nicht hinwegtäuschen: das schwierige Kerngeschäft. Es ist in Gefahr.

Da versteht Norbert Feldhoff keinen Spaß. Feldhoff, weißes Hemd, dunkler Pullover, schwarzer Anzug, ist der oberste Manager des Kölner Doms. Der Herr über die gotische Kathedrale, das meistbesuchte Bauwerk Deutschlands. Sein Büro liegt gegenüber dem Domportal, es riecht nach kaltem Rauch. An der Wand hängen vier handsignierte Drucke von Andy Warhols Pop-Art-Blick auf den Dom. Als Dompropst verantwortet Feldhoff den Erhalt des Doms und verwaltet das Domvermögen.

Im Gegensatz zu seinem Kollegen Ghiberti in Turin redet Feldhoff offen übers Geldverdienen. Markenstrategie: freier Eintritt in den Dom; Fotos sind erlaubt, dürfen aber nicht vermarktet werden.

Wer gegen Feldhoffs Regeln verstößt, muss büßen. Kürzlich hat er eine Souvenir-Verkäuferin wegen Urheberrechtsverletzung verklagt. Sie hatte Tassen verkauft, mit Skizzen vom Dom, die denen eines früheren Dombaumeisters sehr ähnelten. Sie musste mehrere Tausend Euro zahlen. „Ich wollte der Dame nicht schaden“, sagt Feldhoff. „Aber ich tue alles, um die Rechte des Doms zu schützen.“

Tag für Tag strömen mehr als 16000 Menschen durch dessen Flügeltüren. Im Laden hinter dem Eingang zum Südturm, einem von dreien, in denen Feldhoff Souvenirs verkaufen lässt, gibt es „Domliqueur“, 32-prozentig, zu 18 Euro die Flasche. Dom-Daumenkinos für 2,50 Euro – besonders beliebt bei Polen und Russen. Es gibt das Weihrauchsortiment „Heilig König“ für drei Euro, das Bischofs-Quartett für 4,90 Euro. Überall ist das Dom-Siegel drauf, es soll garantieren, dass die Erlöse nur an das Domkapitel fließen.

Was ihr wichtigstes Bauwerk in Deutschland der Kirche an Wert bringt, lässt sich nicht sagen. Und auch das gesamte Vermögen der katholischen Kirche in Deutschland ist nur schwer zu schätzen, weil es sich um eine Vielzahl wirtschaftlich selbstständiger Organisationen und Träger handelt.

Der Politologe Carsten Frerk hat es versucht. Er taxiert das Gesamtvermögen – Grundbesitz, Immobilien, Geldanlagen, Beteiligungen – auf 270 Mrd. Euro. Das Buch, 435 Seiten Bilanzexegese, ist 2002 nach dreijähriger Recherche erschienen. Es ist bis heute einmalig. Die Kirche hat es heftig kritisiert. Zu dem, was Frerk in seinem Wälzer auflistet, kommt ein Asset von höchstem Wert: mehr als 25 Millionen Katholiken in Deutschland, 1,2 Milliarden weltweit, gute Kunden. „Die Kirche deckt die komplette Wertschöpfungskette ab. Sie ist in allen Branchen tätig, außer im Bordell- und Bestattungsgewerbe“, sagt Frerk.

Sie verdient an der Verlagsgruppe Weltbild, die 14 Bistümern und der Soldatenseelsorge Berlin gehört. Die nennt keine Verkaufszahlen, aber generell läuft das Geschäft mit Büchern, CDs, DVDs, Elektronik, Haushalts- und Spielwaren; im Geschäftsjahr 2007/08 setzte Weltbild 1,94 Mrd. Euro um.

Sie verdient am Tourismus. Das Bayerische Pilgerbüro, 1925 als gemeinnütziger Verein von sieben bayerischen Bistümern gegründet, versteht sich mit bis zu 40000 Kunden im Jahr als „Marktführer“. Den eigenen Fuhrpark, 30 Zugwaggons, vermietet Geschäftsführer Bernhard Meyer auch für Partys oder an die Deutsche Bahn. Auf die Frage nach dem Gewinn schweigt der sonst redselige Meyer.

Frerk schätzt den Umsatz mit kirchlichen Pilger- und Gruppenreisen in Deutschland auf rund eine Milliarde Euro jährlich.

Meyers Kassenschlager sind Fahrten zum Wallfahrtsort Lourdes in Frankreich, die machen ein Drittel aller Buchungen aus. Die fünftägige Flugreise nach Turin für 765 Euro ist seit Wochen ausgebucht. Außerdem sehr beliebt: die Wanderfahrt auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela für 1250 Euro. Denn 2010 ist ein „Heiliges Compostelanisches Jahr“.

Ein solches Heiliges Jahr rief erstmals Papst Bonifatius VIII. anno 1300 aus. Um von Sünden befreit zu werden, sollten die Menschen alle 100 Jahre zu zentralen Orten der Christenheit pilgern. Es gibt nur wenige Mittel, Menschenmassen so zu mobilisieren, sie zum Devotionalienkauf anzuregen. Deswegen wurden die Abstände zwischen den Heiligen Jahren kürzer – erst alle 50, dann 33 und nun alle 25 Jahre. Sehr pfiffig sei das, findet Fachmann Frerk. „Immer wenn der Vatikan Geld braucht, gibt es ein Heiliges Jahr.“

Ein Weltereignis kann die Kirche aber nur bieten, wenn ihr Superstar auftritt: der Papst. Auch wenn das Image des aktuellen Amtsinhaber lädiert ist – die Marke Papst zieht. Im Mai feiert Benedikt eine große Heilige Messe in Lissabon, im September reist er nach Glasgow, im November nach Santiago de Compostela. Und in zwei Jahren soll er nach Trier kommen. Wenn der Heilige Rock, in den ein Stück des Gewandes von Jesus eingenäht sein soll, im Dom ausgestellt wird.

Auch das dortige Bistum erhofft sich ein profitables Event von Rang.
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