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Spiritualität in der Psychosomatik?


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Rolf

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Spiritualität in der Psychosomatik?



Konzepte und Konflikte zwischen Psychotherapie und Seelsorge. Eine Einführung in das Tagungsthema von Dr. Sebastian Murken. Wie kommen wir dazu, eine solche Frage zu thematisieren? Was sind Hintergrund und die Geschichte zur Entwicklung dieser Tagung? Der Hintergrund dieser Tagung ist das eigene klinische Ringen um dieses Thema. Es ist unbestreitbar, dass Religiosität und Spiritualität für viele unserer Patienten aber auch Mitarbeiter einen wichtigen Lebensbereich darstellt. Gleichzeitig fällt auf, dass mit der zunehmenden Privatisierung des Religiösen kaum noch darüber gesprochen wird. Was der Einzelne glaubt, ist seine Privatsache, die im öffentlichen Raum, der durch Rationalität und Effizienz geprägt ist, nichts zu suchen hat. So standen zu Beginn unserer Auseinandersetzung mit diesem Thema vor ca. 8 Jahren viele Fragen im Raum, auf die wir keine Antwort wussten. Etwa: · Wo stehen die Patienten mit ihrer Religiosität? · Wie können oder wollen Psychotherapeuten mit Religiosität als Thema umgehen? · Welchen Stellenwert hat die Seelsorge im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung und psychosomatischen Rehabilitation? · Wie kann man Konzepte entwickeln, die Religiosität und Spiritualität der Patienten mit berücksichtigen?

Auf all diese Fragen hatten wir zunächst keine rechten Antworten. Ein Ausgangspunkt zur weiteren Entwicklung unserer eigenen Konzeption war zunächst der Versuch festzustellen, wo die Patienten stehen. Dies geschah im Rahmen einer empirischen Befragung unter allen in der Klinik aufgenommenen Patienten. Damit bekamen wir ein Bild davon, ob und in welcher Weise Glaube und Spiritualität für die Patienten wichtig sind. Das Ergebnis war überraschend. Bei einer unausgelesenen Stichprobe der Klinik, die überwiegend von der BfA und LVA beschickt wird, stimmten der Aussage "Gott gibt Kraft" ca. 32% völlig oder ziemlich zu. 43% stimmten dieser Aussage teilweise oder ein wenig zu, während sie ca. 25% verneinten. Auch in anderen Fragen zeigte sich, dass für ca. ein Drittel aller Patienten Religiosität wichtig und alltagsrelevant ist. Ein weiteres Drittel erlebt sich selbst als religiös ohne dies als sehr wichtig anzusehen, und ein drittes Drittel erachtet Religion und Spiritualität als wenig relevant. Auf dem Hintergrund dieser Befunde ist es um so mehr verwunderlich, dass Religion und Religiosität so wenig in klinischen Behandlungen, Psychotherapie und psychotherapeutischer Konzeption berücksichtigt wird. Wir müssen uns fragen, was es für Gründe gibt, dass dieses Thema vernachlässigt wird, ja ihm sogar mit Widerstand und Scheu begegnet wird. Aus meiner Sicht gibt es fünf Gründe, welche die Auseinandersetzung mit Spiritualität in der psychotherapeutischen Behandlung schwer machen:

1. Die Frage der Initiative

Die klinische Erfahrung und die Umfrage unter Kollegen zeigt, dass Patienten von sich aus nur äußerst selten ihre individuellen Glaubensvorstellungen, Gottesbeziehungen und ihre Spiritualität ansprechen. In der Regel weiß der Therapeut bestenfalls die nominelle Konfession eines Patienten. Was macht es den Patienten so schwer, ihre Glaubensvorstellungen und Spiritualität anzusprechen? Es ist die Unsicherheit, wie das Gegenüber, der Therapeut oder die Therapeutin, damit umgehen wird. Kann er das, was er hört, ernst nehmen? Ist er selbst ein religiöser oder spiritueller Mensch? Versteht er oder sie es als Teil der Erkrankung und des Problems?

Geht es ihn überhaupt etwas an? All diese Fragen mögen die Patientinnen und Patienten beschäftigen und dazu führen, dass dieser Bereich nicht thematisiert wird. Möglicherweise ist die Hemmung darüber zu sprechen jedoch noch weitergehend und in Konsens mit der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung. Es besteht ein Vorverständnis, dass Glauben etwas so Privates und Innerliches ist, dass es tatsächlich niemanden etwas angeht. Auch in unserer sonstigen Gesellschaft wird über Glauben und Spiritualität wenig gesprochen und es kommt sogar vor, dass selbst Ehepartner voneinander nicht wissen, ob sie beten oder was sie eigentlich glauben. Die Hemmung, Spiritualität und Glauben zum Thema zu machen liegt jedoch nicht nur auf Seiten der Patienten, sondern auch auf Seiten der Psychotherapeuten.

Oft unklar in ihrer eigenen Glaubensvorstellung und Weltanschauung, fällt es ihnen schwer, diesen Bereich dezidiert zum Thema zu machen und in die Therapie einzubeziehen. Möglicherweise halten sie diesen Bereich auch für gar nicht relevant. Es gibt empirische Befunde, die darauf hinweisen, dass Akademiker in unserer Gesellschaft die am wenigsten religiöse Gesellschaftsgruppe sind. In anderen Ländern gibt es Untersuchungen, die zudem zeigen, dass innerhalb der Akademiker die Psychologen diejenige Berufsgruppe bilden, die noch mal weniger religiös und gläubig ist. So könnte es sein, dass im Sinne des von sich auf andere Schließens, Psychotherapeuten oft gar nicht auf die Idee kommen, dass dieser Bereich wichtig sein könnte. Wenn weder Patienten noch Therapeuten den Bereich der Spiritualität aktiv zum Thema machen, bleibt er ausgespart.

Es ist deshalb wichtig, dass, auch von therapeutischer Seite die Initiative ergriffen wird, diesen Bereich zu thematisieren. Dies kann z.B. durch eine fokussierte Exploration in der Anamnese zu diesem Bereich geschehen.

2. Fragen der Zuständigkeit

Sind Psychotherapeuten für Sinn- und Glaubensfragen zuständig? Ist dies nicht Aufgabe der Seelsorge? So oder ähnlich mag sich manches therapeutische Team oder manche/r Therapeut/Therapeutin fragen. Es herrscht eine gewisse Unsicherheit darüber, wer für was zuständig ist, ob Psychotherapeuten Religion thematisieren dürfen oder damit dem Seelsorger, falls es ihn gibt, ins Handwerk pfuschen. Diese Unsicherheit spiegelt sich auch in einer sehr unsicheren Zusammenarbeit wieder. Aus meiner Beobachtung heraus ist die Zusammenarbeit zwischen therapeutischem Personal und Seelsorgern/Priestern in einer Institution oft wenig geklärt und reflektiert. Es herrscht ein gewisses Konkurrenzverhältnis, systematischer Austausch ist äußerst selten. Es besteht ein enormer Nachholbedarf, die Integration der Seelsorge im klinischen Alltag systematisch zu institutionalisieren.

3. Fragen des Menschenbildes

Einen weiteren Faktor, der zur Unsicherheit in der Thematisierung des Themas Spiritualität führt, möchte ich mit "Fragen des Menschenbildes" bezeichnen. In dem Moment, wo ich die Spiritualität und Religiosität eines Patienten zum Thema mache, konfrontiere ich mich mit seinem Welt- und Menschenbild, mit seiner umfassenden und tiefsten Weltanschauung, die von der meinen sehr verschieden sein kann. Viele Fragen in diesem Zusammenhang haben auch Therapeuten oft nicht für sich geklärt. Etwa die Frage "Was ist das Ziel der Psychotherapie über die Symptom- und Leidreduktion hinaus?", "Welches Menschenbild hat die Psychologie/Psychotherapie?", "In welchem Verhältnis stehen gesellschaftliche, allgemein anerkannte Werte und religiöse Werte?", "Gibt es hier Konflikte?". All diese Fragen können deutlich und explizit werden, wenn ich mich als Therapeut darauf einlasse, um mich mit dem evtl. ganz unterschiedlichen Menschenbild des Patienten zu konfrontieren.
Dies führt zum nächsten Bereich.

4. Fragen des Umgangs mit dem Thema Spiritualität

Es kann zu einer großen Verunsicherung führen, wenn mich meine Patientin oder Patient mit einem Glaubenssystem und daraus abgeleiteten Wertvorstellungen konfrontiert, die den meinen völlig widersprechen. Wie kann ich damit umgehen, wenn der Glaube meiner Patientin/meines Patienten besagt, dass der Untergang der Welt (Harmageddon) in nächster Zeit zu erwarten ist (Zeugen Jehovas)? Wie kann ich damit umgehen, wenn der Glaube meiner Patientin/meines Patienten die gottgewollte Unterordnung der Frau unter den Mann in der Ehe bedeutet, mein eigenes Weltbild jedoch ganz anders ist? Diese Fragen des Umgangs, die Frage was kann ich als Psychotherapeut tun, wenn ich mit bestimmten Inhalten konfrontiert werde, sind oft wenig reflektiert und kommen in Ausbildungen kaum vor.

5. Die Fragen der Ausbildung Religiosität und Spiritualität als Gegenstand von Psychotherapie und psychischen Erkrankungen kommen in herkömmlichen psychotherapeutischen Ausbildungen in der Regel nicht vor.

Es ist nicht falsch zu sagen, dass die Standardausbildung zum Psychotherapeuten von einem säkularen Menschenbild ausgeht. Dies, trotz aller entgegengesetzter empirischer Befunde, die die Bedeutung der Religiosität belegen. In den USA gibt es derzeit eine etwas gegenläufige Bewegung und seit einigen Jahren ist es z.B. in der Ausbildung zum Psychiater zwingend, einmal einen Kurs zur Bedeutung von Religiosität und Spiritualität mitgemacht zu haben. Eigene Erfahrungen in Ausbildungsgängen zum psychologischen Psychotherapeuten haben mir immer wieder gezeigt, dass von Seiten der Auszubildenden, nach anfänglicher Skepsis, ein ausgesprochenes Interesse und eine Offenheit für dieses Thema bestehen.

Während ich mit diesen 5 Punkten die Schwierigkeit im Umgang mit diesem Thema charakterisiere, und mich auf die durchschnittliche psychosomatische Klinik oder psychotherapeutische Behandlung beziehe, gibt es natürlich auch auf diesem Gebiet Ausnahmen. So gibt es eine Reihe von kleinen, aber feinen Institutionen, die sich seit Jahren genau mit diesem Thema, der Bedeutung der Spiritualität im Rahmen eines ganzheitlichen Menschenbildes, beschäftigen. Von diesen Institutionen und den dort arbeitenden Menschen wollen und wollten wir lernen.

Dies ist der Hintergrund dieser Tagung. Es ist uns gelungen, 6 Vertreter sehr unterschiedlicher Institutionen einzuladen und sie zu bitten, uns ihr Konzept mit dem sie praktisch arbeiten, hier vorzustellen. Ich habe alle Referenten gleichermaßen gebeten, in ihrem Vortrag und ihrer Darstellung zu folgenden Fragen eine Antwort zu finden, die uns helfen sohllen, die Institutionen und ihr Konzept besser kennen zu lernen:

Leitfragen zur Klinikvorstellung • Kurze Info zur Klinik (Ort, Größe, Träger) • Welches ist das Leitbild/Menschenbild, welches das Verhältnis zur Spiritualität bestimmt? • Was gibt es für Angebote in bezug auf "Sinnfragen", "Religion, Spiritualität"? • Welche Mitarbeiter/Berufsgruppen sind "zuständig" für die Spiritualität? • Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Psychotherapeuten und Seelsorgern, falls vorhanden? • Welche Rolle spielen die so genannten nonverbalen Verfahren? • Welche Erwartungen/Angebote gibt es in Bezug auf die Spiritualität/Religiosität an die Mitarbeiter? • Welche Patienten kommen zu Ihnen, wie erleben diese das Angebot? • In den unter dem Punkt "Klinikkonzepte" folgenden Beiträgen, finden Sie Antworten auf diese Fragen aus der Sicht der Vertreter der unterschiedlichen Institutionen.

Ich danke allen Teilnehmern und Referenten, die nach Bad Kreuznach gekommen sind und zu der gelungenen Tagung beigetragen haben.
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