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Die Dringlichkeit des Predigens


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Rolf

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Die Dringlichkeit des Predigens





Ein führender US-Theologe prangert die Verschiebung der Prioritäten an. Vermehrt würden therapeutische Ratschläge statt Gottes Wort verkündigt. Ein Kommentar.


R. Albert Mohler

«Wie aber sollen sie hören ohne einen Prediger?»

Römer 10,14

Kommen schwere Zeiten für die Predigt? In Amerika ist eine offene Debatte über den Charakter und die Wichtigkeit des Predigens in Kirche und Gemeinde im Gang. Dabei geht es um nichts weniger als die Integrität der christlichen Anbetung und Verkündigung. Wie konnte das geschehen? In der neutestamentlichen Gemeinde steht die Predigt im Zentrum. Man sollte deshalb meinen, dass dem Predigen der biblischen Botschaft unbestritten die Priorität gehört. So wie es John A. Broadus – einer der Gründer des Theologischen Seminars der Southern Baptists – beschrieb: «Das Predigen ist charakteristisch für die Christenheit. Keine andere Religion hat es sich zur Regel gemacht, sich so häufig in Gruppen zu versammeln, um religiöser Zurüstung und Ermahnung zuzuhören, wie das im christlichen Gottesdienst geschieht.»

Doch zahlreiche einflussreiche Stimmen innerhalb der Evangelikalen munkeln, das Zeitalter der Auslegungspredigt sei vorbei. An ihrer Stelle halten etliche zeitgenössische Prediger nun Botschaften, die mit dem Ziel geschrieben wurden, säkulare oder oberflächliche Kirchgänger zu erreichen. In ihren Botschaften vermeiden sie biblische Texte bewusst. Damit weichen sie der möglichen, offenbar peinlichen Konfrontation mit der biblischen Wahrheit aus.

Eine subtile Verlagerung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann, war zum Ausgang des Jahrhunderts zu einem Keil angewachsen. Die feine Verlagerung vom auslegenden Predigen zu mehr themen- und menschenzentrierten Entwürfen wurde zu einer Debatte über den Stellenwert der Heiligen Schrift beim Predigen und über die Natur des Predigens generell.

Zwei bekannte Aussagen über das Predigen illustrieren diese wachsende Diskrepanz. Beim Nachdenken über die Dringlichkeit und Wichtigkeit des Predigens bemerkte der puritanische Pastor und Schriftsteller Richard Baxter (1615–1691): «Ich predige, wie wenn ich nie sicher wäre, ein weiteres Mal predigen zu können. Ich predige als sterbender Mensch zu sterbenden Menschen.»

Eindringlich und mit einem starken Empfinden für die Ernsthaftigkeit des Evangeliums, verstand Baxter, dass das Predigen im besten Sinn des Wortes eine Angelegenheit von Leben und Tod ist. Wenn der Prediger Gottes Wort proklamiert, liegt Ewigkeit in der Luft.

Konträr zu Baxters Aussage stehen die Worte von Harry Emerson Fosdick (1878–1969), dem vielleicht berühmtesten (oder berüchtigtsten) Prediger in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts. Fosdick, Pfarrer in der Riverside Kirche in New York City, meinte: «Predigen ist persönliche Beratung auf Gruppenebene.»

Diese beiden Grundhaltungen in Bezug auf das Predigen zeichnen auch die Konturen der laufenden Debatte. Bei Baxter bilden die Verheissungen Gottes und der Horror der Hölle des Predigers verzehrende Last. Bei Fosdick ist der Prediger ein freundlicher Ratgeber, der hilfreiche Tipps und Ermutigung offeriert.

Die aktuelle Debatte über das Predigen dreht sich in der Regel um Ziel und Form der Predigt. Soll der Prediger einen biblischen Text Vers um Vers auslegen? Oder soll er auf die «erspürten Bedürfnisse» und die ihm bekannten Sorgen der Hörer abzielen? Tatsächlich bevorzugen viele Evangelikale heute die zweite Variante. Angetrieben von Anhängern des «bedürfnisbasierten Predigens» haben viele Evangelikale den Text aufgegeben, ohne zu merken, dass sie das getan haben. Solche Prediger mögen vielleicht im Verlaufe der Predigt zum Bibeltext kommen, aber es ist nicht der Text, der die Richtung vorgibt oder die Gestalt der Predigt formt.

Das Fokussieren auf sogenannte «wahrgenommene Bedürfnisse» und die Erlaubnis, dass diese Bedürfnisse den Inhalt der Predigt vorgeben, führt zu einem Verlust der biblischen Autorität und des biblischen Inhalts in der Predigt. Doch dieses Muster scheint zunehmend die Norm zu werden auf vielen evangelikalen Rednerpulten. Fosdick würde sich darüber freuen.

Frühere Evangelisten erkannten Fosdick’s Vorgehensweise als Zurückweisung des biblischen Predigens. Als liberaler Theologe vertrat Fosdick die Ablehnung der göttlichen Inspiration, der Irrtumslosigkeit und Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift – und lehnte auch andere zentrale Lehren des christlichen Glaubens ab. Verliebt in Trends aus der psychologischen Theorie wurde Fosdick zum liberalen Glücks-Therapeuten auf der Kanzel des Protestantismus. Das Ziel seines Predigens war gut zusammengefasst im Titel eines seiner Bücher: «Über das tatsächliche Personsein» (On Being a Real Person).

Es ist erschreckend, dass diese Überzeugung inzwischen auf vielen evangelikalen Kanzeln offenkundig ist. Der Kanzelraum wurde zu einem Therapiecenter und die Kirchenbänke wurden zur Couch des Therapeuten. Psychologische und praktische Nöte haben die theologische Exegese abgelöst und der Prediger richtet seine Predigt auf die Bedürfnisse der Gemeinde aus.

Das Problematische dabei ist aber dies, dass der Sünder selbst gar nicht weiss, was sein dringendstes Bedürfnis ist. Er ist blind für sein Bedürfnis nach Erlösung und Wieder­herstellung durch Gott und konzentriert sich auf durchaus reale, doch zeitliche Bedürfnisse, wie persönliche Erfüllung, finanzielle Sicherheit, familiären Frieden und das Vorwärtskommen auf der Karriereleiter. Zu viele Predigten geben sich damit zufrieden, die genannten Bedürfnisse zu beantworten, und verfehlen damit die Verkündigung des Wortes der Wahrheit.

Zweifellos, nur wenige Prediger, die dem populären Trend folgen, haben die Absicht, sich von der Bibel zu lösen. Aber unter dem Deckmantel, moderne säkulare Frauen und Männer dort abzuholen, «wo sie sind», wird die Predigt zum Erfolgsseminar umgeformt. Wohl mögen einige Textstellen zur Mixtur hinzugefügt werden, aber in einer ausschliesslich bibelzentrierten Predigt muss der Text ihren Inhalt und Verlauf vorgeben und nicht lediglich als spirituelle Fussnote zitiert werden.

Charles Spurgeon war mit demselben Muster konfrontiert, das auch heute die Kanzeln erschüttert. Einige der modischen und gut besuchten Kirchen Londons waren damals Vorstufen des modernen bedürfnisbasierten Predigens. Spurgeon, der es trotz seines Festhaltens an der Auslegungspredigt schaffte, einige Zuhörer zu versammeln, bekannte, dass «der wahre Botschafter Christi spürt, dass er selbst vor Gott steht und es stellvertretend, an seiner Stelle und als Diener Gottes, mit Seelen zu tun hat. Er steht auf einem ernsten Platz – einem Ort, an dem Unglaube gegenüber den Menschen Unmenschlichkeit ist und gegenüber Gott Verrat».

Spurgeon und Baxter verstanden das gefährliche Mandat, das ein Prediger innehat. Deshalb wurden sie zur Bibel hin getrieben, als einzige Quelle der Autorität und Botschaft. Sie verliessen die Kanzel zitternd, mit ernster Sorge für die Seelen ihrer Zuhörer und waren sich ihrer Verantwortung gegenüber Gott sehr bewusst, allein sein Wort und nur sein Wort zu verkündigen. Ihre Predigten wurden gewichtig durch Kraft, Fosdicks Predigten durch Popularität.

Die Diskussion ums Predigen schüttelt Konfessionen, Denominationen und die evangelikale Bewegung. Doch eines bleibt fest: Die Wiederentdeckung und Erneuerung der Gemeinde in dieser Generation wird nur dann kommen, wenn von Kanzel zu Kanzel die Verkündiger predigen, als wären sie nie sicher, ob sie das letzte Mal predigten, nämlich als sterbende Menschen zu sterbenden Menschen.

© www.albertmohler.com, Übersetzung: Rolf Höneisen

Der Autor ist Professor für Neues Testament und Direktor des Baptist Theologial Seminary in Louisville, Kentucky.
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