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Muhammad – Mensch und Gott?


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Rolf

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DIE NEUE ORDNUNG



begründet von Laurentius Siemer OP
und Eberhard Welty OP
Nr. 3/2008 Juni 62. Jahrgang




Hans-Peter Raddatz




Muhammad – Mensch und Gott?





Neue Ergebnisse der Islamforschung






1. Der Verkünder im Doppelpack




In diesem Frühjahr hat der deutsche Orientalist Tilman Nagel* ein doppelbändiges
Opus Magnum vorgelegt (Verlag Oldenbourg, München), das neue Maßstäbe
für das Verständnis des Islamgründers und dessen politischer Religion setzen
dürfte. Kurz zuvor war die Übersetzung der Biographie des niederländischen
Islamwissenschaftlers Hans Jansen erschienen (C.H. Beck, München), die man
als Kontrastprogramm zu Nagels Werk sehen kann. Denn während letzterer über
nahezu 1500 Seiten eine Fülle bislang kaum genutzter Quellen auswertet und ein
sehr konkretes Muhammad-Bild entwirft, folgt Jansen eher den alten Mustern
jenes Forschungstyps, dessen Vertreter mehr oder minder voneinander abschreiben.
Dabei bevorzugt der Autor deutlich jene Theorien, die den Islamgründer
und seine Zeit in einen anonymen Grauschleier ziehen.

Insofern verspricht Jansens Untertitel – „was wir wirklich über ihn (Muhammad)
wissen“ – weit mehr als seine Ergebnisse halten, während Nagels „Leben und
Legende“ des Islamverkünders bzw. „Ursprung und Erscheinungsformen des
Muhammadglaubens“ einen Erklärungsrahmen ausbreiten, der die gesamte Geschichte
des Islam umfaßt. In der heutigen Orientalistik, die quellenorientierte
Analysen als „essentialistisch“ ablehnt und auf dem Weg zur Auftragswissenschaft
mit begrenzten Sichtfeldern ist, wird diese Darstellung nicht nur für lange
Zeit ihresgleichen suchen. Sie wird ebenso einen Anstoß des Ärgernisses bilden,
solange man nicht in der Lage ist oder sich aus diversen Gründen scheut, die von
den muslimischen Autoren angebotene, authentische Selbstdarstellung zu respektieren.
Jansen bevorzugt die Ausschnittbetrachtung, die konkrete Rückschlüsse auch
dort meidet, wo er – wie beim islamischen Wunderglauben – plausible Aussagen
anbietet. Da er zudem allen Ernstes die Urbiographie des Ibn Ishaq (gest. 767)
für die einzige Quelle über das Leben Muhammads hält, kann man sein Buch
schon ab Seite 19 eher der Belletristik zuordnen. Der Verdacht, daß man auf eine
brauchbare Beurteilung der zahlreichen Ungereimtheiten in der Entstehung der
Religion und der Rolle ihres Verkünders vergeblich hofft, wird rasch durch Leerformeln
bestätigt, wie sie in der Orientalistik das derzeit dominante Stilmittel
bilden. Demnach könnte sich etwas so oder so zugetragen haben, läßt aber auch
Alternativen zu, die „anderen Sichtweisen“ Raum geben. Worum es sich im
Einzelnen handelt, und welche Aspekte beizuziehen wären, enthält Jansen seinen
Lesern vor. Ebenso regelmäßig wie unschlüssig verweist er auf anonyme „west201
liche Forscher“, die den jeweiligen Sachverhalt akzeptieren oder ablehnen, ohne
auf etwaige Argumente näher einzugehen.

Insofern bleibt Jansen in den Grenzen des medialen Mainstream, der den Islam
mit Begriffen wie „Islamophobie“ vor unliebsamen Analysen, die man zumeist
„Polemik“ nennt, zu schützen sucht. Dazu dient dem Autor vor allem das Mittel
der Anonymität, das er sowohl auf die Methode als auch den Inhalt anwendet. So
bevorzugt er Lesarten, die das Entstehen des Islam in einen verallgemeinerten
Rahmen der Geschichte bzw. literarischen Beschreibung stellen. Dazu gehört die
Schule um John Wansbrough und Patricia Crone, die in den 1970er Jahren Furore
machte, indem sie Koran und Tradition als unvereinbare Spruchsammlungen
interpretierte, die aus zeitlich versetzten, religionspolitischen Abläufen entstanden
und Muhammad mehr als Schemen denn als historische Gestalt erscheinen
ließen.

Für gleichermaßen konstruktiv hält Jansen die Ergebnisse des Saarbrücker Kreises
um den Linguisten Luxenberg und den Religionswissenschaftler Ohlig, die –
jeweils auf ihre Weise – der These des Weltethikers Hans Küng die Grundlage
gaben, der zufolge der Islam eine christliche Sekte sein soll. Von Nagel süffisant
kritisiert, hält es Ohlig für einen wissenschaftlichen Vorteil, des Arabischen
nicht mächtig zu sein, weil aus seiner Sicht die Lektüre der Quellen eher Befangenheit
erzeuge, der ultimativen Erkenntnis des Islam also im Wege stehe. So
kann der Begriff des „Muhammad“ auf die arabische Bedeutung des „Gepriesenen“
generalisiert, die historische Gestalt auf eine abstrakte Hülle reduziert und
die Konflikthaftigkeit der konkreten Diskussion vermieden werden.

Jansens Zwischenfazit bleibt somit mehr als vage: „Solange die gebotenen Lösungen
nicht mehr als hypothetisch sind, hat jeder natürlich das vollste Recht,
weiterhin zu glauben, was er sowieso schon geglaubt hat. Und selbst eine Lösung,
die jede Autorität der Wissenschaft hinter sich hat, muß nicht unbedingt
den Seelenfrieden des Gläubigen stören. Es gibt wissenschaftliche und religiöse
Wahrheiten und beide stimmen manchmal nicht überein.“ Wenn die Humanisten
der Renaissance und Aufklärung dieser Devise gefolgt wären, stünde Europa
noch heute unter klerikaler Kuratel, ganz zu schweigen vom Islam, dessen kollektiver
„Seelenfrieden“ eine nennenswerte Wissenschaft gar nicht erst zugelassen
hat.

Nicht nur wegen dieses Allgemeinplatzes, der für den Westler so banal wie für
den Muslim inakzeptabel ist, sondern auch aufgrund seiner kultivierten Urteilsschwäche,
muß der Autor die Frage, wer Muhammad eigentlich war, nach eigener
Einschätzung davon abhängen lassen, „welcher Erzähler gerade das Wort
hat“. Also schließt er sich selbst diesen Erzählern an, womit sein Buch, weil
flüssig geschrieben, mehr Unterhaltungs- als Informationswert erlangt. Dennoch
läßt Jansen zu solide Kenntnisse sichtbar werden, als daß man ihm unterstellen
würde, unter weniger Mut erfordernden Publizierungsbedingungen keine informativere
Analyse abliefern zu können.

Bei Tilman Nagel trifft man auf ganz andere Randbedingungen. Da er über profunde
Kenntnis der Quellen verfügt, die er detailliert auswertet und vergleicht,

kommt er zu einem weitaus konkreteren Muhammadbild – dies nicht nur in Bezug
auf die Gründerzeit selbst, sondern den gesamten islamischen Geistesgang.
Im Hauptband und damit in den ersten zwei Dritteln des Gesamtwerks über „Leben
und Legende“ des Verkünders und den muslimischen Glauben an ihn stellt
er die verwickelten Abläufe des frühen Islam dar, die vor allem eines deutlich
machen: die dynamische Wechselwirkung Muhammads mit seiner Umgebung,
deren Reaktionen ihm in graduellem Fortgang „offenbarten“, wie die von Allah
– nach Nagel von seinem „Alter ego“ – empfangenen Eingebungen in den geistigen
bzw. sozialen Rahmen seiner Zeit paßten oder ihm angepaßt werden mußten.

Im Folgeband bzw. im letzten Drittel, das er „Allahs Liebling“ betitelt, gelingt es
Nagel, dem wohl besten deutschen Kenner der arabischen Literatur, anhand
ausgewählter Islamautoren zu zeigen, daß die Jahrhunderte seit etwa 1200 keine
Zeit der Stagnation gewesen sind. Im Gegenteil: Unaufhaltsam verklärte sich die
Gestalt des Verkünders über den alles übertreffenden Propheten bis hin zur mystisch-
gnostisch anmutenden Lichtgestalt, deren Strahlkraft sogar Allah verblassen
läßt.

Es ist dieser tiefe Glaube an die Heilswirksamkeit des Verkünders, der sich zwar
als einfachen Menschen bezeichnete, aber zum gottgleichen Übermenschen
hochstilisiert wurde und es den heutigen Muslimen kaum ermöglicht, die eigene
Existenz aus dieser Deutungsklammer zu lösen und damit auch die Definition
gegen den Nichtislam in Frage zu stellen. Der Koran als überzeitliches Wunderzeichen
Allahs und Muhammads Tradition als dessen ebenso überzeitliche Ergänzung
bilden die unübersteigbare Wahrheit, die alles andere zur Lüge werden
läßt. Jede Kritik oder gar Zuwiderhandlung bedeutet Unrecht und rechtfertigt
gewaltsame Korrekturen.

2. Der Djihad aus dem Mythos

Da Allah – im Gegensatz zum Gott der Juden und Christen – die gesamte Welt
und damit das Denken und Verhalten der Menschen unentwegt neu schöpft, wäre
es Widerstand, wenn nicht tyrannische Hybris, sich dieser Schöpfung zu entziehen,
geschweige denn alternative Denkwege zu beschreiten. Aus dem Hanifentum,
dem altarabischen Eingottglauben, entstand dieses Machtmittel des absoluten
Monotheismus, das die Basis islamischer Herrschaft bildet. Muhammad ließ
es eine Gefolgschaft zuwachsen, die mit Raubzügen und Zwangsverträgen die
Kultverwaltung Mekkas an sich brachte, den Übertritt zum Islam im Diesseits
belohnte und die Basis für den Eroberungszug gegen die halbe damalige Welt
schuf.

Der Djihad drückt sich nicht nur im physischen Kampf aus, sondern beginnt
bereits mit der Erfüllung der täglichen Riten, dort wo sich die Loyalität der
Gläubigen praktisch bestätigt. Während der Koran keine klare Auskunft darüber
gibt, was „Islam“ und „Djihad“ eigentlich genau sein sollen, läßt der „Hadith“,
die islamische Tradition, die auf den Verkünder zurückgeht, keinen Zweifel
daran, daß beide Begriffsinhalte in den Riten wurzeln. Je lückenloser sie erfüllt
werden, desto überzeugender beweisen die Muslime, daß sie dem Hauptgebot

Allahs folgen, keinen Gedanken auf eine eigene Heilsverantwortung zu verschwenden.

Mit anderen Worten: Die Riten ersetzen ethisches Handeln und den
„Dialog“ mit dem Anderen.

In Bezug auf die damals bekannte Welt fußt der Koran auf den „zwei Meeren“,
den Grenzen des Alexanderreichs zwischen Spanien im Westen und Indien im
Osten, welche die Eroberungen dann tatsächlich ausgelotet haben. Alexander
selbst erscheint als der „Zwiegehörnte“ (arab.: dhu’l-qarnayn), der legendäre
Eroberer, über dessen immenses Charisma in jüdischer, iranischer, jemenitischer
und syrischer Variante berichtet wird. Auf seinem epochalen Zug kommt er
durch Mekka, wo Abraham und Ismael die Kaaba bauen, und zieht mal nach
Westen, mal nach Osten weiter, wo er zwischen Kaukasus und Himalaya alle
diejenigen töten läßt, die nicht dem Ruf zum Islam folgen. Da diese Vorstellungen
– wie fast alles im Islam – auch heute noch gelten bzw. im Rahmen des
innerislamischen Fundamentalismus Auftrieb erlangen, könnte man den Moscheebau
in Europa, der zunehmend von den Institutionen der „Ungläubigen“
finanziert wird, als vorläufig lebensrettende Maßnahme werten.

In Vermischung von Raum und Zeit wird jeder von Alexander errichtete Tempel
zur Moschee sowie die Kaaba zum kosmischen Zentrum und Alphapunkt der
islamischen Expansion. In der jemenitischen Fassung ist zwar keine Rede von
den Erbauern des islamischen Heiligtums, dafür jedoch von Moses, der Alexander
in Jerusalem davon in Kenntnis setzt, daß es Allah war, der ihm die Macht
auf Erden gegeben und alle Wege geöffnet habe. In Ermangelung eines arabischen
Originals übernimmt Alexander die Rolle des Mythenhelden, der zwei
Fliegen mit einer Klappe schlägt: Zum einen zeichnet er den kosmischen Eroberungszug
des Islam vor, der alle sieben Meere befahren, alle Mächtigen der Erde
unterwerfen und ganze Völker von einem Land ins andere umsiedeln wird, zum
anderen islamisiert er den allahwidrigen Geist der hellenischen Antike.

Wie in allen Kulturen ließen sich auch in der Entstehung des Islam nicht alle von
den hochfliegenden Visionen des Gründers beeindrucken. Neben Einzelpersonen
waren es vor allem die Beduinen, die in den Niederungen der Praxis die Rolle
des unbequemen Bremsklotzes spielten. Sie paktierten nicht nur mit dem Stamm
der Ghatafan, der sich als Muhammads härtester Gegner entpuppte, sondern
nutzten ihre streifende Lebensweise, sich generell dem Zugriff des eigentümlichen
Emporkömmlings zu entziehen.

Hinzu kam ihr Festhalten am altarabischen Fremdenschutz, der es Muhammad
erschwerte, unliebsame Individuen – wie vor allem die kritischen Dichter – beseitigen
zu lassen. Nicht zuletzt zahlte sich auch die beduinische Improvisierkunst
aus, ohne die ein Überleben in der kargen Wüste kaum möglich war. Ausgestattet
mit einem effizienten Netz von Wassersuchern, die man auch als Spione
verwenden konnte, raubten sie bevorzugt die neumuslimischen Karawanen aus,
weil sie besonders reiche Beute versprachen. Zur Rede gestellt, gerieten sie nicht
wie viele andere in Panik, sondern zitierten schlicht die erste Sure – der unfehlbare
Beweis, den Raub nicht begangen haben zu können!

Indem er die wichtigen Gestalten der formativen Zeit selbst sprechen und agieren
läßt, fügt Nagel unzählige Aussagen und Ereignisse zusammen, aus denen sich
Schritt für Schritt ein Szenarium ergibt, das man wohl als das bislang wahrscheinlichste
Bild der frühislamischen Wirklichkeit bezeichnen kann. Wir erfahren,
wie Muhammad lernt, sich die Naivität seiner Umgebung und mit wachsendem
Einfluß auch die Verunsicherung der herrschenden Klasse zunutze zu machen,
wie er die altarabischen Bräuche je nach Bedarf und Möglichkeit abschafft,
umformt oder unverändert läßt, um sein Image als „heidnischer Prophet“ des
Eingottglaubens zu pflegen, der sich als Kontrastprogramm zur korrupten Elite
der polytheistischen Kultverwaltung herausbildete.

Bei dem methodischen Verfahren des Autors, dessen quellentechnische Sorgfalt
die heutige Orientalistik längst als „polemischen Essentialismus“ zu den Akten
gelegt hat, bleibt manches Vorurteil auf der Strecke. Vor allem zwei Kernlegenden
lassen Federn: diejenige von der Solidarität des Verkünders mit den Armen
und Schwachen und diejenige von seiner oft gelobten Toleranz gegenüber den
Frauen. Beide konnten nur auf dem Papier, nicht aber in der Wirklichkeit Muhammads
und damit des gesamten Islam überleben. Immerhin wurden sie vom
Endzweck der Kultgestaltung nach den neuen Riten bestimmt, einer überragenden
Zielsetzung, welche die islamischen Zentralbegriffe – Djihad (Kampf), Hidjra
(Auswanderung), Fitna (Abweichung), Fitra (Seinsverständnis), Dhimma
(Vertragsverhältnis zu Juden und Christen) – in verändertem Licht erscheinen
läßt.

So wie sich Muhammad zur gottähnlichen Gestalt wandelte, so übertrug sich
auch seine Aversion gegen die diversen Feinde des Islam auf deren historische
Nachfolger. Neben den anderen Religionen und Kulturen als äußeren Widersachern
sind es vor allem die inneren Abweichler, die als „Heuchler“ und „Aufrührer“
sowie in Gestalt ungehorsamer Frauen auch als „Abgesandte Satans“ in die
Texte des Koran und der Tradition eingingen. Hier mag die Abhängigkeit von
der ersten Frau Khadidja eine Rolle gespielt haben, die nicht als demütige Ehefrau
auftrat, sondern als Angehörige der altarabischen Stammesgesellschaft, die
bereits zwei Ehemänner gehabt hatte und auch deren Nachfolger Muhammad das
übliche, d.h. von der Frau bzw. deren Sippe bemessene Wohn- und Bettrecht
einräumte.

Viel tiefer traf offenbar die Demütigung durch Abu Djahl, den mekkanischen
Hauptfeind, der ihn als „hoch aufgestiegenen Viehhirten“ bezeichnete und zur
Belustigung seiner Sippe mit Steinen bewerfen sowie in die Fruchtblase eines
Kamelfötus hüllen ließ. Daß er in einem der ersten Kämpfe ruhmlos umkam,
noch dazu durch die Hand eines minderwertigen Sklaven, paßt in die Tradition,
die sich sowohl progressiv von negativen Aspekten reinigt, als auch Selbstnutz
zur eigenen Erhöhung betreibt.

Dazu dient nicht nur der Name – die Wurzel Djahl liegt auch dem Begriff der
„Djahiliyya“, der vorislamischen Unwissenheit zugrunde – sondern auch die
Legende vom Mordkomplott, das Abu Djahl gegen diesen verlachten und offenbar
eher ungefährlichen Sonderling geschmiedet haben und so das Ausweichen
ins alternative Medina mitverursacht haben soll. Dagegen befand sich Muham205
mad längst in einem Werdeprozeß, den man heute mit „Learning by Doing“
bezeichnen würde. Je besser er den Eingottglauben der Umgebung vermitteln
und seinen Einfluß vermehren konnte, desto deutlicher wandelte sich der „heidnische
Prophet“ zum Machtfaktor, der sogar die herrschende Klasse der Quraysh
zu verunsichern begann.

Die Hidjra, den Wechsel von Mekka nach Medina im Jahre 622 und Anfang der
islamischen Zeitrechnung, will Nagel daher nicht als Auswanderung oder gar
Flucht gewertet wissen, sondern als ein retardierendes Moment auf dem Weg zur
Macht, als eine pragmatische Maßnahme, welche die Planung einer islamischen
Umwidmung des Kaabakultes nicht aufhob, sondern aufschob. Nicht nur an
diesem Aspekt, sondern an zahlreichen anderen Passagen der bislang ungeklärten
Entstehungsgeschichte des frühen Islam macht der Autor deutlich, wie lohnend
seine Methode der detaillierten Quellenauswertung ist.

Ein ums andere Mal läßt sie nicht nur die nachträglich konstruierten Teile der
Tradition, sondern auch den real existierenden Muhammad hervortreten und
bildet den entscheidenden Unterschied zum Verfahren der Jansen-Biographie,
die solche Konstruktionen zwar ebenfalls andeutet, sich aber aus Mangel an
Quellenkenntnis sowie in Referenz gegenüber dem proislamischen Meinungsdiktat
in den Notbehelf des „anything goes“ flüchtet. Varianten des „So könnte es
gewesen sein, wenngleich man auch Sichtweisen finden kann, die dagegen sprechen“,
kommen hier inflationär vor, während man derlei Formulierungen bei
Nagel vergeblich sucht, ohne mit plausiblen Sachdiskussionen bedient zu werden.
Neben der Hidjra werden die Deutungszentren des Islam nun wesentlich klarer
begreifbar: der Djihad, der äußere Kampf auf dem Weg Allahs, die Fitna, das
Heuchlertum in Gestalt innerer Abweichler, die Fitra, die einzig gerechtfertigte
Daseinsform in der Wahrheit des Islam, sind in dessen Frühgeschichte verwurzelte
Existenzgrundlagen, die sich untrennbar im Erscheinungsbild des Verkünders
und seiner Glaubensstiftung verankern. Wer auch nur den geringsten Zweifel
an dieser wahrsten aller Wahrheiten hegt, geschweige denn ihr kritisch begegnet,
kann nicht nur, sondern muß den gläubigen Muslimen als Feind erscheinen.

3. Die Tugend der gestörten Psyche

Wiederholt demonstriert der Verkünder weniger Solidarität, sondern eher elitäres
Bewußtsein, indem er von der Bedrängnis seiner Anhänger keine Kenntnis
nimmt. „Haltet durch“ ruft er im Vorbeigehen den Gefolgsleuten zu, die von
aggressiven Mekkanern unter Druck gesetzt werden. Auch die in der Legende
„hochgeschätzten“ Frauen relativieren sich zu Instrumenten der Stammespolitik
bzw. zu simplen Sexobjekten: „Ich stehe über jeder Sittlichkeit“ umreißt Muhammad
seine moralisch unabhängige Position, aus der er die Ehe vom altarabisch
geraubten in den neumuslimisch gekauften Geschlechtsverkehr umwandelt
und implizit auch die Beschneidung der Frauen zuläßt. Letztere wurde durch die
pauschale Vereinnahmung des „ersten Muslim“ Abraham ermöglicht, der die
Hauptfrau Sarah beauftragt haben soll, die spätere Konkubine Hagar, Mutter
Ismaels, zu beschneiden.

Wie stark Muhammad von der Verbindung zwischen Kult und Sexualität geprägt
war, zeigt seine geradezu euphorische Zustimmung zum Koitus während der
Wallfahrt, gegen den schon frühe puristische Frömmler mit ihrem Bild der „tropfenden
Penisse von Mekka“ zu opponieren wagten. Des Verkünders souveräne
Richtlinienkompetenz war zwar von Allah erteilt, mußte allerdings die erwähnten
Stufen der tastenden Wechselwirkung mit der skeptischen Umgebung durchlaufen.
Am Ursprung der Sendung hatten traumatische Geisteszustände, auditive
Erfahrungen von Stimmen und andere Merkmale wie Lichtvisionen gestanden,
die man gemeinhin unter dem Begriff der Schizophrenie subsumiert.

Zu deren Symptomen gehört vor allem auch eine Welt-„Bewältigung“, die zwischen
paranoider Wahrnehmung, automatenhaften Befehlsmustern, Mangel an
Abstraktion und autistischer Isolation oszilliert (Herder-Lexikon der Psychologie,
Band 3) – alles Merkmale, die interessanterweise viele westliche Vertreter
des heutigen „Islamdialogs“ mit dem Islamverkünder teilen. Während wir es hier
mit einem Trend des kollektiven Narzißmus zu tun haben (vgl. Raddatz, Allah
und die Juden), erwies sich dagegen Muhammads individuelles Krankheitsbild
als eine Art Segen, ohne den seine Sendung kaum hätte gelingen können.

Denn aus der Not des „normalen“ Kranken wird hier die Tugend des zu Höherem
berufenen Schizophrenen. Was die Umgebung Muhammads als „Besessenheit“
sah, war eine der wichtigen Voraussetzungen, die schon so mancher Religionsgründer
gebraucht hat, um die jeweiligen Gesichte – im Falle Muhammads
die “Wunderzeichen Allahs“ – überhaupt hervorbringen zu können. Und was
man sonst als krankhafte Anomalie bezeichnen würde – Verfolgungswahn, Geltungsdrang,
Aggression etc. – gerät dem Religionsgründer und seinen Anhängern
zur Rechtfertigung der Existenz.

Wenn sich Muhammad von lauter Feinden umgeben sah, die ihm nach der Ehre
oder angeblich gar nach dem Leben trachteten, so lag das natürlich daran, daß
die Menschen seiner Zeit unfähig waren, die Vorzüge der ihm „eingegebenen“
neuen Religion zu erkennen. Was Muhammad damals recht war, ist den Muslimen
bis heute billig, nämlich die Uneinsichtigen als „Lügner“ zu entlarven, die
„provozierend“ darauf beharren, sich ein eigenes Urteil zu bilden, statt sich ohne
Frage nach dem Warum zu unterwerfen.

Insofern gibt es von Anbeginn des Islam keine „Sünde“, weil jeder Muslim allein
durch die bedingungslose Unterwerfung gerechtfertigt ist und alles Böse auf den
Nichtislam projizieren kann. Dabei gehört es zu den wenigen Schwächen des
Nagel-Werks, den Kontext zwischen individueller Psyche und kollektiver Religionspolitik,
obwohl er selbst alle „Zutaten“ liefert, nicht genügend deutlich
darzustellen, ebenso wie ihm ein ähnliches Versäumnis in Bezug auf den gnostischen
Anteil im islamischen Gottesbegriff unterläuft, auf den wir noch zurückkommen.
In einer auf den psychischen Alphapunkt der Muhammad-„Prophetie“ komprimierten
Weltsicht ist es logisch, sich gegen alles Nichtislamische, d.h. die Zeit
der vorislamischen „Unwissenheit“ (arab.: al-djahiliyya) und die anderen Religionen,
radikal abzugrenzen. Alles Wissen, das sich nicht aus den Grundlagen des
Koran und der nach Muhammads Tod entstehenden Tradition herleitet, ist
„Schmutz“, gegen den sich der Gläubige sorgfältig immunisieren, im Zweifel
auch mit Gewalt wehren muß.

Dies gilt spezifisch für die Juden und Christen, die man „Schriftverfälscher“
nennt, um ihre heiligen Bücher als Konkurrenz des Korans auszuschalten. Die
Christen sind als besonders unzulässige „Beigeseller“ zu unterwerfen, weil ihr
Gottmensch Jesus die Schöpfungsmacht Allahs behinderte und sich als „letzter
Prophet vor Muhammad“ zum „Knecht Allahs“ wandeln mußte. Zudem blieb
auch die Frage der medinensischen Rabbiner nicht unbeantwortet, die da gelautet
hatte: „Was ist der Geist, auf den sich Muhammad beruft?“ Daß es der Geist der
Vertreibung und Vernichtung der Juden Medinas war, ist der jüdischen Tradition,
wie Jansen übrigens fälschlicherweise annimmt, nicht völlig entgangen.

Vor dem Hintergrund der europäischen Unterdrückung spielt dieser Geist zwar
nur eine Randrolle, die man gleichwohl subtil andeutet: „Wir sind Männer des
Schwertes“ heißt es dort, „und wenn wir es ziehen, vernichten wir unsere Feinde“,
eine Devise, die wie man ebenso erfährt, „von den Arabern eifrig aufgegriffen
wurde und ... eine starke Wirkung auf Muhammad ausübte“ (The Jews I, 182
– Jewish Publication Society of America). Nicht zuletzt war es Maimonides, der
die Muslime als epochale Unterdrücker anprangerte. Der große jüdische Philosoph,
der als einer der frühen Impulsgeber für die europäische Aufklärung gilt,
konnte keine Vorteile aus der heute gepriesenen Toleranz Andalusiens ziehen
und entfloh den muslimischen Unterdrückern mit Worten, die in die Geschichte
eingegangen sind: „Kein Volk hat Israel jemals mehr Leid zugefügt. Keines hat
es ihm je gleichgetan, uns zu erniedrigen und zu demütigen. Keines hat es je
vermocht, uns zu demütigen, wie sie es getan haben.“

Die Wertung der „starken Wirkung auf Muhammad“ wird um so plausibler, als
die Juden die geistige Unterlegenheit der Neumuslime in Medina ausnutzten,
indem sie sie den Berichten zufolge skrupellos betrogen und dies auch gar nicht
abstritten, sondern mit der Begründung rechtfertigten, daß sie, die Muslime,
„kein göttliches Gesetz“ hätten. Dieses so einfache wie effiziente Verfahren
beeindruckte Muhammad so sehr, daß er es in den Koran übernahm und dessen
offenbar göttliche Eigenschaft in diesem Punkt den Juden verdankt! Denn um die
Betrugsbasis zu sichern, figuriert Allah dort als „bester Ränkeschmied“, der zur
Nachahmung empfohlen und unter dem Begriff der „Taqiyya“ zur integralen
Täuschungstechnik der Muslime wurde – erst in der Schia und später auch in der
Sunna.

4. Die Macht der Moschee

Nagels wesentliche Leistung besteht neben der Verarbeitung enormer Textmengen
in einer bemerkenswerten Darstellungskraft, die aus einer ungeheuren Fülle
historischer Personen und Ereignisse weite Strecken des frühen Islam, die bislang
eher in ungeklärtem Dunkel lagen, nun ins Licht plausibel nachvollziehba208
rer Geschichte hebt. Dabei macht er deutlich, daß er im Gegensatz zu Hans Jansen
an einer anonymisierenden Interpretation im Stile Wansbrough/Crone wenig
Gefallen findet.

Ganz im Gegenteil: Im Zuge ihres Entstehens erwies sich die Tradition nicht als
inkompatibel mit dem Koran, sondern als dessen kompatible Ergänzung, welche
die Sicht der Gläubigen auf das Buch Allahs historisch veränderte. Jansen hat
diesen Kontext nicht wirklich verstanden, wenn er vermutet, daß der Koran mit
Hilfe der Tradition interpretiert wird, „obwohl dieselbe Tradition aus dem Bedürfnis
nach einer Erklärung entstanden ist, die vom Schwierigkeitsgrad des
Korantextes verursacht wurde.“

Dabei war es auch schon vor den beiden Biographien von Nagel und Jansen gar
nicht so schwierig gewesen, als Hauptbezug islamischen Denkens den Machterhalt
durch die Orientierung am Gesetz Allahs und seinem Gesandten auszumachen.
Während Nagel nun allerdings eine weitere Fülle unabweisbarer Belege
dafür liefert und klare Erläuterungen gibt, übt sich Jansen in einer zwar nicht
unoriginellen, letztlich jedoch unproduktiven Wortakrobatik.

„Es sind keine Geschichten“, so sucht er die gewaltbesetzten Denk- und Handlungsanweisungen
in Koran und Tradition zu dämpfen, „an denen sich heutige
Muslime ein Beispiel nehmen sollten. Für einen ökumenischen, multikulturellen
Dialog sind sie ungeeignet. Sollten sie sich nicht wirklich so zugetragen haben,
sondern aus dem Wunsch entstanden sein, eine Anzahl schwer verständlicher
Koranverse zu erläutern, ändert das wenig, solange suggeriert wird, daß es sich
um nachahmenswerte Taten handelt.“ Daß sich die Muslime nicht nur „ein Beispiel“
genommen, sondern „diese Geschichten“ zur Grundlage ihrer Geschichte
gemacht haben, erscheint aus dieser Sicht nicht erwähnenswert, weil sonst die
Erklärung mitgeliefert werden müßte, warum auch im heutigen Islam die Gewalt
immer noch das legitime Stilmittel sowohl im öffentlichen als auch privaten
Bereich ist.

Es ist zwar nicht auszuschließen, daß die Komplexität des Textes zuweilen Probleme
bereitete, doch ist der koranbedingte Klärungsbedarf eher durch Situationen
der politsozialen Praxis erzeugt worden, wie es auch schon der Verkünder selbst
vorexerziert hatte. So wie ihm sein alter ego Allah die nötigen Korrekturen bzw.
Erläuterungen herabsandte, als in Bezug auf die Juden und die Frauen kritische
Situationen entstanden, so beeinflußte die an den Eroberungen wachsende Tradition
die Interpretation des Koran. Die Geschichte bestätigt mehr als hinreichend,
daß sich die Machthaber der Muslime nichts „suggerieren“, sondern von den
Rechtsgelehrten bestätigen ließen, daß Krieg gegen Andersgläubige und Gewalt
gegen Frauen nur Allah und Muhammad gemäße Maßnahmen und damit Handlungsoptionen
bilden, die nicht nur nachahmenswert, sondern nachahmenspflichtig
sind.

Allmählich entstand jene übergeschichtliche Dynamik, die man in der Totalitarismusforschung
„charismatische Konkurrenz“ nennt, der Wettbewerb um die
Teilhabe an der Macht, die durch Unterwerfung unter ein Gottesbild, ein Heilsprinzip
oder auch das Ziel einer „Bewegung“ entsteht. Leute, die zuerst nach209
denken, bevor sie handeln, sind für eine solche Konkurrenz unbrauchbar und
erscheinen auch aus Muhammads Perspektive als die obligaten „Heuchler“, auf
die im Diesseits Haß und Verachtung der Gläubigen und im Jenseits die Höllenqualen
warten.

Kein Wunder, daß Allah die Besonnenen tadelt und die Eiferer belohnt, die die
raison d’être des Islam vorleben, nämlich auf erstes Anfordern den Djihad aufzugreifen.
Ihr Einsatz gilt als „Darlehen an Allah“, das gewaltige Zinsen tragen
kann. Kurioserweise wird deren paradiesischer Teil im profanen Westen oft
überbewertet, während es eher der materielle Vorteil ist, der den Muslim zum
Einsatz gegen den Nichtislam anspornt. Denn da die Welt von Allah stetig neu
geschöpft wird, ist sie auch – mitsamt den Ungläubigen – sein Besitz, den er
unter den Gläubigen nach Belieben aufteilen kann. So ist das Eroberte nur zurückgeholt,
weil alles Vermögen der Welt a priori Allah gehört. Ebenso ist jeder
Angriff auf nichtislamisches Gebiet keine Aggression, sondern ein Akt der Verteidigung
gegen die Ungläubigen, die sich Allahs Vermögen widerrechtlich
angeeignet haben.

Derart eingeengt auf ein einziges Deutungsmodell, kommt alternatives Nachdenken
über die eigene Existenz, das man auch Selbstbewußtsein oder Gewissen
nennt, nicht zustande. So wie sich Muhammad seiner Widersacher in den Stämmen
und unter den Dichtern durch Auftragsmord entledigte, so erklärt sein Vorbild
die ausgeprägte Emotionalität, mit der die Mehrheit der heutigen Muslime
auf die Historisierung und Ironisierung ihrer Religion – Beispiel Karikaturenstreit
– reagieren. Nach wie vor beginnt der Djihad für sie mit der Erfüllung der
Riten, deren lebenslanger Vollzug eine Annahme durch Allah zwar nicht garantiert,
doch wenn sie mit lauterer, d.h. islamfördernder Absicht durchgeführt wurden,
zumindest in Aussicht stellt.

Wie erwähnt, steht der physische Kult für ethisches Handeln, wobei die Qualität
des islamischen Seins mit dem Grad ansteigt, in dem das Leben, Denken und
Handeln mit den Vorschriften der Scharia, des islamischen Gesetzes, übereinstimmen.
Die Teilnahme am Freitagsgebet bildet die absolute Mindestanforderung
und beinhaltet nicht zufällig die besondere Rückerinnerung an Muhammad
und die Einstimmung auf die politische Linie. Die Moschee erfüllt somit zwei
Hauptaufgaben: Die Einübung der Glaubenspflichten und der Gegenethik sowie
die Vorbereitung auf den Djihad.

5. Schriftverfälschung und Gottverfälschung

Der Sieg der Byzantiner über die persischen Sassaniden im Jahre 627 hatte einst
die Position der Juden geschwächt und den Christen nur vorübergehende Schonung
verschafft. Sie gerieten, nachdem die Juden unschädlich gemacht waren,
bereits ab etwa 630 – also noch zu Lebzeiten Muhammads – ins Fadenkreuz der
Neumuslime, die im Begriff waren, die Macht in Mekka zu übernehmen. Dabei
konnten sie die unterschiedlichen Lehren und Zielsetzungen komfortabel für sich
arbeiten lassen. Denn die Christen, die – zumindest theoretisch – nicht der irdischen
Herrschaft, sondern einem nichtweltlichen Reich verpflichtet waren, gerie210
ten in einen systematischen Nachteil gegenüber dem erstarkenden Islam, der
alles Diesseitige nach Allahs Wille ordnet.

Dem Verkünder zufolge handelt es sich bei dieser Religion um eine „törichte
Spielart des Unglaubens“, um schlichte Dummheit, deren Anhänger die wirkliche
Welt nicht verstünden und daher auch keine Existenzberechtigung hätten.
Obwohl es nun den Islam gebe, plapperten sie, die „Imame des Unglaubens“,
immer noch dessen Lehren nach, verfehlten damit die Wahrheit und schaufelten
ihr eigenes Grab, das Allah für sie geplant habe. Hier entstanden die Grundlagen
der „Dhimma“, des Vertragsverhältnisses zu den jüdisch-christlichen „Schriftverfälschern“
nebst ersten Durchführungsverordnungen. Das oberste Gebot lautet
dabei, Verträge mit den Christen zu brechen, weil sie selbst das oberste Gebot,
an den einen Gott zu glauben, gebrochen hatten, indem sie ihrem Gott den Menschen
Jesus „beigesellten“.

Eben weil sie als Verfälscher der Schrift auch die Wahrheit des Islam mißachteten,
könnten sie keinen Anspruch auf Rechtssicherheit erheben. Allah wolle sie
nicht nur „entehren“, sondern auch schlicht töten lassen, weil an ihren Plätzen
„kein Gebetsruf zu hören und kein Gebetsplatz zu sehen“ sei. Erneut ist an den
Moscheebau in Europa zu erinnern, der diesem Mangel Abhilfe schafft und
zugleich die koranische Wirkmacht verdeutlicht, deren metaphysische Qualität
vom säkularen Sensorium des westlichen Pluralismus kaum verstanden wird.
Eben dieses überzeitliche Qualitätsdefizit aufzuzeigen, das für den „Dialog“ der
kommenden Jahrzehnte entscheidend sein wird, gehört zu den wesentlichen
Verdiensten, die Nagels Werk über das, was man von einer bloßen Biographie
erwartet, weit hinausheben. In großer Plausibilität, die er über einen Geschichtszeitraum
von über einem Jahrtausend gleichbleibend durchhält, bestätigt der
Autor nicht nur bekannte historische Folgen in neuem Licht, sondern beschreibt
auch eine bislang unbekannte Dimension der Heilswirksamkeit, die fatale Konsequenzen
für die zeitgenössische Auseinandersetzung mit dem Islam hat.

„Wir ließen das Eisen herab“ läßt Muhammads alter ego im Koran niederlegen,
eine Aussage, die sich in der Tradition fortsetzt. Wie sich dort und in der historischen
Ausbreitung folgerichtig bestätigt, ist Muhammad „mit dem Schwert gesandt
worden“; das Gute liegt im Schwert und kommt mit dem Schwert, so daß
letztlich das Paradies „unter dem blitzenden Schwert“ ist. Mit der übergeschichtlichen
Erhöhung wird der Verkünder des Islam zum quasi-mythischen Kriegsherrn,
der davor warnt, „nicht an diejenigen zu erinnern, die als Beigeseller getötet
wurden“ (3/1), also die Christen. In der Praxis eignet sich diese spezifische
Anweisung eher zur Löschung der Erinnerung daran, daß Muhammads alter ego
den Islam durch die Selbstdefinition gegen die jüdisch-christlichen „Schriftverfälscher“
aus der Taufe hob und seine Anhänger oft genug gegen die Dhimma
verstießen, jene koranische Vereinbarung, die den älteren Religionen gegen
Bezahlung den „Schutz des Islam“ verspricht.

Diese Gedächtnislöschung hat Folgen, die Nagel teilweise anspricht. Die erwähnte
Verklärung Muhammads zog nicht nur eine gottgleiche Erhöhung, sondern
eine Entrückung von ungeahnter Art nach sich, welche die Gottheiten aller
Zeiten übertraf und schließlich auch Allah dazu zwang, diesen begabten Gesandten
nun selbst als seinen Meister anzubeten. Er, der die Welt fortwährend
schöpft, kann dies nur durch den Zentralpunkt des Kosmos, den „Gipfel des
Absoluten“ wirken, durch den allgegenwärtigen Vegetationspunkt namens Muhammad,
durch den sich Allahs Werk laufend ausbreitet und ihn erst als jenen
Schöpfer erkennbar macht, vor dem sich die Gläubigen niederwerfen. Erst durch
den Verkünder gelangt alles Sein vom Verborgenen ins Offenkundige. „Ohne
Mohammed“, so resümiert der Autor kühl, „wäre Allah nicht Allah.“

In der überzeitlichen Rangfolge Muhammad-Allah-Mensch wird deutlich, daß
die Löschung der christlichen Schriftverfälschung nicht nur deren Ersatz, sondern
zugleich auch ihre Verstärkung durch die islamische Gottverfälschung ermöglichte.
Denn was sich im Christentum als göttlich offenbart, ist der Geist
Jesu, der vom Buchstaben der Schrift befreit, während das Göttliche im Islam
sich im Menschen Muhammad offenbart, ohne den sich Allahs Wort nicht geltend
macht. Mit anderen Worten: Der Islam verwirft das Christentum als „Beigesellung“,
um sich eben diese in der Geschichte in stetig ansteigernder Intensität
selbst anzueignen.

Ebenso verstärkt sich hier das zentrale Dilemma des zeitgenössischen „Dialogs“.
Denn einerseits verlangen seine Vertreter den Abbau von „Islamophobie“ und
den reziproken Aufbau von „Respekt“, während andererseits die beeindruckende
Phalanx der Islamautoritäten, die Nagel für das Phänomen der Gottverfälschung
aufreiht, wahre Orgien des abgelehnten „Essentialismus“ feiert. Als so willige
wie unwissende Vollstrecker des Islam können sich die Dialogisten nun allerdings
die Philippika gegen wissenschaftliche Unredlichkeit hinter die Ohren
schreiben, die Nagel der Muhammad-Eloge des ägyptischen Historikers Al-
Maqrizi (gest. 1442) entnimmt:

„Wer dieses (Maqrizis) Kompendium studiere, der werde großen Nutzen davon
haben, sich freilich auch den Angriffen mißgünstiger Kollegen ausgesetzt sehen.
Denn er werde die Früchte seiner Plackerei den Kritteleien intellektueller Faulpelze
ausliefern und erdulden müssen, daß sich von Ressentiments befallene
Schwätzer mit ihren aus der Luft gegriffenen Deuteleien als die Münzsachverständigen
der einzigen im Islam gültigen Währung aufspielen … Das ist eben die
Gefahr, in der das Übergeschichtliche steht. Es löst sich von den Quellen ab und
verflüchtigt sich zu einem scheinhaften Ideengebilde, das zu kennen jeder behauptet,
der sich darauf beruft, und indem er sich darauf beruft, darf er sicher
sein, daß man ihm den genauen Nachweis der Zugehörigkeit seiner Aussage zu
jenem Komplex des Überlieferten erlassen wird. Gegen derartige Roßtäuscherei
schreibt Al-Maqrizi an“ (Allahs Liebling, 218).

Wenngleich hier islamisch motiviertes Wissen gemeint ist, so gilt das Kriterium
der Sorgfalt in Bezug auf objektiv erreichbare Information für jede Art von Wissenschaft,
die unsere aktuellen Dialogisten als „Polemik“ meiden. Sieben Jahrhunderte
leicht überspringend, kopieren sie Maqrizis Kollegen und betätigen sich
als eben diese Roßtäuscher und intellektuellen Faulpelze, die sich heute jedoch
nicht mit von Ressentiments befallenem Geschwätz begnügen, sondern zu voll
ausgewachsener Diffamierung und Denunziation vorrücken.

6. Gottmensch Muhammad

Damit leisten sie allerdings auch jenem „scheinhaften Ideengebilde“ Vorschub,
das jedwedes Wissen erübrigt und somit der Phantasie – und der Macht – die
Zügel schießen läßt. Detailliert beschreibt Nagel, wie große Denker des Islam zu
Stationen der Muhammad-Verklärung werden. Sie führen die Erinnerung an den
Verkünder in kosmische Sphären, wo er sich in eine Lichtgestalt verwandelt, aus
der schließlich die Schöpfung hervorgeht und Allah von sich abhängig macht:
„Du bist der Gesandte Allahs, das gewaltigste Geschöpf, zu jeglicher Schöpfung
bist du mit der Wahrheit gesandt. Um dich kreist die Schöpfung, denn du bist
ihre Achse …“ schwelgt Al-Qastallani (gest. 1517), islamweit bekannter Kommentator
der Bukhari-Tradition, in einer umfangreichen Eloge.

Schon drei Jahrhunderte zuvor war es Ibn al-Arabi (gest. 1240), einem der größten
Mystiker, aber auch Systematiker, die der Islam je hervorgebracht hat, in
unnachahmlichem Pragmatismus gelungen, die Grenzenlosigkeit gnostischer
Überhöhung mit den Grenzen des irdischen Lebens und vor allem des orthodoxen
Denkens zu verbinden. Denn die Euphorie Al-Qastallanis hatte Vorgänger
wie vor allem den Andalusier Iyad al-Yahsubi (gest. 1149). Er schrieb ein Buch
über die „Eigenschaften des Gesandten“, das nicht nur für die Heilswürde der
Muhammad-Frömmigkeit, sondern auch für die Todeswürde der Muhammad-
Kritik Maßstäbe setzte.

Als begnadeter Mystik-Theoretiker fiel Ibn al-Arabi freilich nicht unter jene
Rubrik, die das Sufitum mit geistiger Beschränktheit identifiziert, gestützt auf
den Rechtsgelehrten Ash-Shafi’i (gest. 820), der vor dem Sufitum warnte, weil
wer es am Beginn des Tages praktiziere, „spätestens am Mittag verblödet“ sei. Er
befand sich in guter Gesellschaft, denn schon der Verkünder hatte die Asketen zu
„Verfälschern des Glaubens“ erklärt und somit in die Nähe der Juden und speziell
der „dummen“ Christen gerückt.

Was Ibn al-Arabi schließlich interessant macht, ist die Neubewertung des ab
dem 13. Jahrhundert gnostisch verklärten Muhammad, der sogar Allah übersteigt
und zum weltschaffenden Demiurgen relativiert. Nach einem nicht belegten, aber
um so öfter zitierten Spruch des Verkünders war dieser „schon Prophet, als Adam
noch zwischen Wasser und Lehm war“. Obwohl Allah – „Ich bin die Zeit“ –
als Schöpfer der Welt und Herr der Geschichte seine Schöpfung in jeder Sekunde
neu durchdringt, so scheint ihm doch zugleich der eigene Gesandte zu entgleiten.
Indem der schon vollkommen war, als Allah noch am Unvollkommenen schuf
und diese Schaffenslücke auch im Koran nicht vorkommen kann, weil sie durch
menschengemachte Interpretation entstand, läßt sich jede irdische Notwendigkeit
durch den „Vollkommenen Menschen“ Muhammad legitimieren. Um sicher zu
gehen, schützt Ibn al-Arabi dieses Passepartout erst gegen jeden Zweifel, bevor
er es nutzt, denn „nicht ein Jota des Koran sei verändert, und wenn der Satan
etwas … einschmuggelte, habe Allah unverzüglich widerrufen“.

In Bezug auf Muhammads Entrückung widerruft Allah allerdings nicht, sondern
schweigt zu dem, was man ihm über die Jahrhunderte zur Begründung diverser
Erfordernisse unterschoben hat. Das Muster dazu, das Ibn al-Arabi im Rahmen
eines siebensphärigen Gnosis-Kosmos Stufe für Stufe entwickelt, regelt mit
Fitra, Fitna, Djihad und Dhimma wiederum jene zentralen Bereiche, die uns
bereits begegnet sind. Als fünfte Stufe enthält es den „Himmel der Frauen“, der
verständlicherweise mindestens ebenso große Bedeutung erlangt hat.

Natürlich kommt die Zuneigung zum schönen Geschlecht eigentlich von Allah,
doch da Muhammad bereits im Weltstatus zwischen Wasser und Lehm in jeder
Hinsicht vollkommen war, ist er die primäre Quelle der Erkenntnis dessen, was
unter der Liebe zwischen Frau und Mann zu verstehen ist. Da er über der Sittlichkeit
steht und die Enthaltsamkeit als Glaubensverfälschung sieht, entschied
sich Muhammad für den Geschlechtsverkehr als oberstes Gebot des Gottesdienstes,
das noch dem Ritenvollzug vorgeht. Folgerichtig heißt es, daß eine Frau, die
lieber beten als koitieren will, zur Sünderin wird, also vom Islam abfällt.

So ist denn auch das spirituelle „Geheimnis“, das andere Religionen in der
menschlichen Existenz und ihrem Verhältnis zu Gott suchen, dank Ibn al-Arabi
im Islam leicht zu finden. Es besteht im „verborgenen Band“, das sich auf mysteriöse
Weise beim Koitus zwischen Penis und Vagina aufbaut: „Der Geschlechtsakt
symbolisiert das göttliche Schaffen – oder sollte man sagen: ahmt es nach?
Und so liegt in der starken Ermunterung zu diesem Tun eine besondere Auszeichnung
für Muhammad und die Muslime“.

Ähnlich klar, wie Nagel diesen im Zeitalter der Migration wichtigen Aspekt und
viele andere Gesichtspunkte kommentiert, hätte man sich eigentlich auch die
oben erwähnten Konsequenzen in Bezug auf das Verhältnis Muhammad – Allah
gewünscht. Letzterer, der im Gegensatz zum Juden- und Christengott die Welt
ständig neu schafft und in Gestalt der Zeit das Bewußtsein besetzt, gehört unabweisbar
zum gnostischen Gottesbereich. Da die Zeit nur im menschlichen Denken
existiert und als Phänomen des Werdens und Vergehens erscheint, ist sie als
der klassische „unbewegte Beweger“ zu verstehen, als Form des aristotelischen
Gottesbegriffs.

Nach all dem, was Nagel nun an neuem Material über Muhammad und den
Glauben an ihn vorgelegt hat, wäre es allerdings übereilt, den Zeitgott Allah
direkt mit dem Konzept des unbewegten Bewegers zu verbinden. Denn die Gnosis
braucht den „Demiurgen“, jenen rastlosen Weltarchitekten, der den eigentlichen
Gott, das kosmisch entrückte Gute, von der Theodizee befreit, von der
Frage, warum ein guter Gott auch Böses zuläßt. Je weiter sich Muhammad verklärte,
desto klarer besetzte er diese abstrakte Position, ein Vorgang, der in der
Logik der islamischen Konstruktion liegt.

Gerade weil Muhammad den neuen Glauben gegen vorhandene Konzepte wie
Juden- und Christentum sowie auch gegen die Frauen als geistige Wesen definierte,
entstand das oben umrissene, manichäisch gespaltene Weltbild. Solange
nur das Modell islamischer Existenz gelten soll, sind alle anderen Konzepte und
ihre Geltungsgebiete langfristig hinfällig. Insofern er die nichtislamische Welt
letztlich zerstören muß, ist der Islam die bislang wichtigste Variante der Gnosis.
Sie entstand etwa zeitgleich mit dem Christentum als dessen erster Gegenpol,
sucht ihr Heil in der Überwindung der „bösen, schmutzigen Welt“ und strebt
letztlich die Rückkehr zum kosmischen Gott des Guten an.

Diese Richtung hat sich in allen Religionen als eine Art universelles Ketzertum
bemerkbar gemacht, den Islam allerdings, wie nun durch Tilman Nagels Werk
erkennbar wird, mit der veränderten Konstellation zwischen Allah und Muhammad
doppelt „gnostisiert“: Ein demiurgischer Allah erschafft zwar den Unglauben,
aber nur zu dem Zweck, dessen Potentiale auszunutzen und die Welt
schließlich von ihm zu befreien. Dabei rückt der der Mensch Muhammad allmählich
in die Leerstelle des kosmischen Gottes ein – das perfekte Angebot
einer Diesseitsreligion, das offenbar auch im „modernen“ Westen auf wachsendes
Interesse stößt.

In Muhammad inkarniert sich nicht nur ein Übermensch, sondern ein Übergott,
der alles in den Schatten stellt, was menschliche Hirne überhaupt je zu fassen
jemals in der Lage waren. Dies zumindest ansatzweise im Gedächtnis zu behalten,
scheinen sich viele derjenigen, die heute den „Dialog mit dem Islam“ betreiben,
zur Aufgabe zu machen. So kann sich zum einen das Töten der Christen im
Orient kommentarlos fortsetzen, zum anderen aber auch die Fetischisierung der
islamischen Religion durch die westlichen Führer verstärken, die fortlaufenden
„Respekt“ verlangen, wobei sie noch lernen müssen, daß er zuerst und vor allem
Muhammad gebührt.

Ob dies im Interesse der Muslime ist, bleibt dahingestellt. Fest steht, daß ihre
große Mehrheit an dieser Heilsgewißheit festhält, obwohl die moderne Welt nur
sehr bedingt mit dem kosmischen Bezug, der im 7. Jahrhundert begann, zu tun
hat. Um so wichtiger wird die Frage, warum die westlichen Eliten, deren Herrschaftsbasis
ganz ohne den Kulturheros Muhammad zustande gekommen ist, nun
ihrerseits behaupten, daß Europa ohne den Islam kaum hätte entstehen können.
Wie immer auch die Antwort ausfallen mag – ohne offene Diskussion kann sie
an einer Rückorientierung in die Vormoderne nicht vorbeiführen, es sei denn, der
Wandel des Weltbilds, auch Globalisierung genannt, erzwingt eine solche Entwicklung.
Aufgeklärte Muslime, die im Westen keine Stimme haben, votieren
vehement dagegen. Sie sehen die Westeliten als Taschenspieler, die mit den
Islameliten gemeinsame Sache machen.

Nicht nur sie stehen damit in diametralem Widerspruch zu Hans Jansen, der sich
seine eigene Realität baut. Außer dem Faible für bombastische Klischees ist es
seine geradezu infantile Sicht der Eliten, die offenbar zu keiner Zeit der Geschichte
irgendeine nennenswerte Rolle gespielt haben: „Jede Religion ist im
Prinzip das, was ihre Anhänger daraus machen, und nicht das, was ihre Oberhäupter
in Büchern, Fatwas oder Enzykliken vorschreiben, und selbst nicht das,
was der Religionsstifter vorgelebt hat.“

Nagel hat für diejenigen, die die Geschichte ernst nehmen, ungleich mehr zu
bieten. Hier besteht das Vorbild Muhammads in der Fähigkeit, geeignete Bedingungen
hergestellt zu haben, die in einer bestimmten historischen Situation einen
gewissen Fortschritt, nämlich den der spätantiken Gesellschaft Arabiens, fördern
konnten. Dafür daß sich dieses Charisma bis in die Moderne fortsetzte, sorgten
die Renaissance der Scharia und die frappierende Gottverfälschung durch die
Verklärung Muhammads, die nun jedoch zu Trümpfen in einer sich säkularisierenden
Welt werden könnten.

Wer allerdings glaubt, die vormodernen Ursprünge vergessen oder als Passepartout
für alle Zeiten und Regionen verwenden zu können, geht auf eine Stufe der
Humanität zurück, auf der der historische Muhammad und die barbarische Gesellschaft
des spätantiken Europa fußten.

Wie die wenigen kritischen Philosophen der islamischen Gegenwart – stets in
Gefahr für Leib und Leben – betonen, ist die real existierende Zivilisation des
Islam den Beweis schuldig geblieben, einer wie immer gearteten Ethik gerecht
zu werden – weder der des Koran, noch der des kosmischen Muhammad, ganz zu
schweigen von der des „ungläubigen“ Westens. Die gnostische Gottverfälschung
ist somit nichts anderes als die Umlenkung der kollektiven Spiritualität, die sich
im verklärten Muhammad tragisch konzentriert, weil ihr die psychische Sublimierung
im individuellen Geist des einzelnen Muslims versagt bleibt. Da es sich
um einen langfristigen Prozeß handelt, haben die Muslime auch längst seinen
Begriff dafür – tadjarrud, zu deutsch: Beseitigung des Ich.

Anmerkung

*Tilman Nagel, Jahrgang 1942, promovierte 1967 und habilitierte sich 1971 im
Fach Orientalistik an der Universität Bonn. Nach zehn Jahren am Seminar für
Orientalische Sprachen, ebenfalls in Bonn, folgte er 1981 dem Ruf auf den Lehrstuhl
für Arabistik an der Universität Göttingen, den er 26 Jahre bis zur Emeritierung
im Herbst 2007 innehatte. Während seiner gesamten Laufbahn nahm er
verschiedenste Ämter im In- und Ausland wahr, u.a. langjährige Mitgliedschaften
im Vorstand der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft und der Union
Europénne des Arabisants et Islamisants.

Dr. Hans-Peter Raddatz, Orientalist, Volkswirt und Systemanalytiker, ist Ko-
Autor der „Encyclopaedia of Islam“ und Autor zahlreicher Bücher über den
Islam.


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