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Training in der Bahnhofsmission für Führungskräfte


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Rolf

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Training in der Bahnhofsmission





Durch die Arbeit mit Bedürftigen sollen Führungskräfte das wiederfinden, was oftmals verloren geht: den Blick für die Realität.


Von FOCUS-Online-Autor Christoph Berger

Marcus Schaerer half in der Hamburger Bahnhofsmission mitEnde des letzten Jahres haben sich bei Marcus Schaerer innerhalb einer Woche so manche Ansichten gravierend verändert. Damals half der Leiter eines Verkaufsteams bei Shell in einer Hamburger Bahnhofsmission mit. Diese Erfahrung hat ihn innerlich wachgerüttelt und gewisse Dinge, vor allem auch Menschen, sieht er seitdem mit anderen Augen.

Schaerer weiß jetzt, dass es keine leichte Sache ist, einen Hartz-IV-Antrag auszufüllen, geschweige denn den Laufzettel abzuarbeiten, der Bedürftigen wenigstens ein Minimum an staatlichem Zuschuss sichern soll. „Die erste große Hürde ist bereits Punkt zwei, die Abmeldebestätigung der Wohnung. Ich selbst hätte keine“, erzählt er von den alltäglichen Problemen der Menschen, die er kennengelernt hat. „Bahnhöfe sind der Schmelztiegel unserer Gesellschaft. In die Mission kommt jeder rein: vom Obdachlosen, dem es schlecht geht, bis hin zum Geschäftsmann, der sich sein Jackett aufgerissen hat“, berichtet Schaerer. Er hat mit einem Bus Menschen ohne Dach über dem Kopf in der Stadt eingesammelt, die Macher der Hamburger Obdachlosenzeitung kennengelernt und an der Essensausgabe für Bedürftige gestanden.

Distanz zu Menschen verlieren

Dabei trug der Manager immer die blaue Kutte der Missionsmitarbeiter. Für eine Woche hat er die Welt eines Vorgesetzten verlassen. Schaerer verlor in diesen Tagen die Distanz zu den Problemen anderer Menschen, er kam ihrem Leben nahe, sowohl physisch als auch psychisch. Er habe es nicht gemacht, um zu zeigen, wie sozial und engagiert er ist, sondern ganz alleine für sich, wie er sagt.

Die Bahnhofsmission war nicht der einzige Ort, der für Schaerer zur Auswahl stand. Genauso hätte er den Strafvollzug, die Arbeit mit Drogensüchtigen oder mit jugendlichen Problemkindern als Persönlichkeitstraining wählen können. Denn sein Arbeitgeber bietet Führungskräften die Arbeit an sozialen Brennpunkten als eine Möglichkeit der Weiterbildung an.



Kompetenzen, die kein Studium vermitteln kann

Wie viele andere namhafte Unternehmen arbeitet auch der Energieriese dazu mit „Seitenwechsel“ zusammen, einem in der Schweiz entstandenen Programm, das von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft getragen wird. „Es geht nicht darum, dass sich Führungskräfte ehrenamtlich engagieren und ihr Know-how einbringen, sondern dass sie sich auf einen schwierigen Themenbereich einlassen, mit dem sie ansonsten nicht viel zu tun haben“, erklärt die Leiterin des Programms, Doris Tito.

Sterbende im Hospiz begleiten

Christian Klatt arbeitete eine Woche in einem Hamburger HospizAuch Christian Klatt nahm diese Möglichkeit war. Die Führungskraft bei der HypoVereinsbank in Hamburg arbeitete für eine Woche im Hospiz Leuchtfeuer mitten in St. Pauli. Er wollte vor allem wissen, wie man in dieser schweren Lebenslage einen Kontakt zu den Bewohnern aufbauen kann. „Schon alleine die Vorstellung daran nahm mich mit. Das war sehr emotional“, erzählt er im Rückblick. Doch je näher der Termin für seine Woche rückte, desto mehr freute er sich auch.

Als es losging, wechselte Klatt nicht nur für eine Woche seinen Arbeitsplatz, sondern auch einige Gewohnheiten. Anstatt Anzug trug er Jeans und Hemd, statt mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, wählte er die S-Bahn und den Fußweg über den Kiez: „So bekam ich schon auf dem Weg Eindrücke, die ich ansonsten nicht hatte.“ Im Hospiz selbst ging es sofort los, es wurde nicht lange vorgestellt und erklärt: Das Frühstück musste erst einmal vorbereitet werden. „Menschen bleiben vier Wochen hier, dann sterben sie“

Ansonsten widmete sich der Manager vor allem den unheilbar kranken Bewohnern, die im Hospiz ihre letzten Lebenstage verbringen. „Im Durchschnitt bleiben die Menschen vier Wochen hier, dann sterben sie“, so Klatt. Einmal sah er selbst, wie eine Kerze in der Eingangshalle entzündet und eine Seite im Kondolenzbuch eingerichtete wurde, um eines Verstorbenen zu gedenken.

Mit den Bewohnern kamen auch sehr persönliche Gespräche zustande, die sich nicht nur um den Tod drehten. Insgesamt war die Atmosphäre familiär, von Hierarchien wenig zu spüren. Klatt erfuhr, dass es sehr leicht ist, den Menschen näherzukommen: „Man muss sich nur öffnen und selbst auf die Leute zugehen.“

Neuer Umgang mit Mitarbeitern

Wenn das Geld nicht mehr für das Nötigste reicht„Seitenwechsel“ ist nicht das einzige Programm, das derartige Trainings organisiert. Das Sozialreferat München etwa bietet „switch – die andere Seite“ für Unternehmen aus dem Münchner Raum an. Auch hier wechseln Manager für eine Woche die Perspektive.

„Die Führungskräfte geraten in Situationen, in denen sie keine Ahnung von den Abläufen haben, und erfahren, wie es ihnen in derartigen Momenten ergeht“, erzählt Sabine Berner von „switch“. Bisher hielten alle Teilnehmer die Woche durch – ebenso bei „Seitenwechsel“. Dies liegt auch zum großen Teil an der Betreuung sowie der und Vor- und Nachbereitung bei den Programmen. In Treffen werden die Teilnehmer intensiv auf das, was sie erwartet, vorbereitet.

1900 Euro für eine Woche Training

Umsonst sie die Trainings nicht. Bei „Seitenwechsel“ kostet die Woche 1900 Euro pro Person, bei „switch“ 1430 Euro. Ein nicht unerheblicher Teil, etwa ein Drittel, geht dabei allerdings an die jeweilige Institution, die der Teilnehmer für seine Woche wählt. Betrachtet man die Kosten gängiger Fortbildungen, so ist dieser Betrag wohl als gering anzusehen. Möglicherweise aber nachhaltiger investiert.

Christian Klatt hat nach eigener Meinung seit dem Programm einiges an seinem Verhalten geändert: „Nachdem ich mit schwersten Krankheiten und dem Tod intensiv in Berührung gekommen bin, sind manche Arbeitsthemen einfach nicht mehr so wichtig für mich wie früher. Die neue Einstellung hat sich auch auf meinen Umgang mit Mitarbeitern ausgewirkt. Ich widme mich ihnen noch mehr als Person.“

Was hat das Programm gebracht?

Marcus Schaerer hatte schon an vielen kostspieligen Führungsseminaren teilgenommen, in Deutschland und im Ausland. „Wenn man montags nach einer solchen Schulung wieder im Büro sitzt, dann weiß man, ob es was gebracht hat.“ Dies war durchaus nicht immer der Fall. Als er aber nach der einen Woche in der Hamburger Bahnhofsmission wieder in dem gewohnten Abteilungsleiter-Meeting saß, war er regelrecht verärgert: „Ich hatte das Gefühl, alle seien schlecht gelaunt.“ Dabei gab es dafür doch überhaupt keinen Grund. Während er sein bisheriges Leben in Höhen und Tiefen einteilte, spricht er jetzt nur noch von Schwankungen: „Und die sind alle im grünen Bereich.“


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