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Gottlose Tiere


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Rolf

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Gottlose Tiere





Von Jan Free

Skandal im Kinderzimmer: Ein Bilderbuch soll wegen antisemitischer Inhalte auf den Index.


Doch die Aufregung ist übertrieben.




Das Buch ist schmal, der Plot ist simpel, die Aufregung beträchtlich. Ein Ferkel und ein Igel suchen nach Gott und landen auf dem Schreibtisch der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Denn sie erleben auf ihrer Reise so manches, was nach Meinung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Bildung einer "eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit" in Kindern behindert. Obendrein weise das Buch "antisemitische Tendenzen" auf. Die Autoren kontern: Der Antisemitismusvorwurf sei nur ein "Vorwand", um jede kindgerechte Kritik an Kirche und Religion zu tabuisieren. Droht nun das post-säkulare und laizistische Zeitalter? Oder bestätigt sich die Nachkriegsthese, dass die Gottlosen die schlimmsten Antisemiten sind?

Es geht nicht um eine publizistische Marginalie. Das im Oktober 2007 erschienene Buch Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel von Helge Nyncke und Michael Schmidt-Salomon erreichte im Dezember den ersten Platz der Amazon-Bestsellerliste für Kinder- und Jugendbücher und steht dank der zusätzlichen Indizierungspublicity abermals dort. Der Texter Schmidt-Salomon ist zudem kein Unbekannter. Der 40-Jährige sitzt der religionskritischen Giordano Bruno Stiftung vor, vertrat bereits mehrfach in Fernseh-Gesprächsrunden sein Manifest für einen evolutionären Humanismus und gilt als wichtiger Akteur des organisierten Atheismus im deutschsprachigen Raum.

Es wäre auch nicht das erste Mal, dass eines seiner Werke auf dem Index landet: Sein Musical Das Maria-Syndrom wurde 1994 vom Ordnungsamt Trier wegen Gotteslästerung verboten. In diesem Stück tritt Gott in Gestalt einer Klobrille auf.

Die Geschichte des Buchs ist simpel: Ein Ferkel und ein Igel leben zufrieden auf dem Land, bis sie von einem über Nacht angebrachten Plakat auf die Existenz eines Gottes aufmerksam gemacht werden. Da sie Gott nicht kennen, suchen sie jeweils eine Kirche, eine Moschee und eine Synagoge auf. Die dort gegebenen Antworten können die neugierigen Tiere nicht überzeugen, und so treten sie ihren Heimweg mit der Gewissheit an, dass sie auf Gott gut verzichten können und dass Religion eine absurde bis gefährliche Angelegenheit ist.

Sonderlich aufregend oder jugendgefährdend ist das nicht: Man sucht nach Gott und findet ihn nicht, weil die Kirchen mit ihren Dogmen und Ritualen dazwischen stehen. Das war schon der Plot vieler protestantischer Erweckungs- und Bekehrungsgeschichten der Frühen Neuzeit. Dumm nur, dass Michael Schmidt-Salomons kruder Humanismus auf der letzten Doppelseite zu viel Eindeutigkeit herstellt: Menschen seien eigentlich "nackte Affen", und Affen hätten keinen Gott, Menschen also auch nicht – sie würden nur organisiert Gespenster sehen. Und zwei Seiten vorher proklamiert das tierische Heldenpaar, dass, wer an Gott glaubt, beschränkt und verrückt sein muss.

Da bricht der Kampfschriftcharakter des Buchs deutlich zutage. Schon nach wenigen Seiten zeigt sich, dass der Leser nicht ausgewogen über die Vor- und Nachteile der behandelten Religionen unterrichtet werden soll. Auf den letzten Seiten ist dann jeder Zweifel ausgeräumt: Hier geht es um Vermittlung eines atheistischen Weltbilds durch eine religionsfeindliche Polemik. Es ist immer unangenehm, wenn Kinderbücher Anschauungen propagieren, aber: Schadet das bereits dem Kindeswohl? Oder glaubt man im Bundesministerium für Jugend ernsthaft, dass ohne kirchlich organisierten Gottesglauben aus Kindern keine guten Bürger, braven Steuerzahler oder liebevollen Eltern werden können?

Schwerer wiegt der Antisemitismusvorwurf. Auf der Verlagshomepage antwortet Schmidt-Salomon: Er könne kein Antisemit sein, weil er regelmäßig als "Judensau" beschimpft werde. Dieser Zusammenhang ist freilich Unsinn. Doch das macht sein Bilderbuch noch nicht zu einem antisemitischen.

Der Illustrator Nyncke benutzt zweifelsohne antijudaistische Stereotype: Der Rabbi ist hager, orthodox gewandet, erst bleich, dann zornesrot, mit schlackernden Schläfenlocken. Allzu freundlich schaut er auch nicht. Auf drei der vier Abbildungen hebt er belehrend seinen Zeigefinger, mit bösartigem oder wütendem Gesichtsausdruck.

Aber der Bischof kommt nicht besser weg. Er ist fett, rosig, hat wülstige Lippen und wirkt gewiss nicht sympathisch. Er tobt allerdings nur auf zwei von vier Darstellungen. Am meisten ist der Mufti vom Zorn entstellt. Vor lauter Hass auf die Ungläubigen rutscht das linke Auge in die Höhe und springt fast aus dem Kopf. Hinter dem rasenden Mufti lauert der islamistische Mob, die Fäuste geballt.

Selbstverständlich lindert es die antijudaistischen Elemente nicht, dass auch antiklerikale und antiislamische Stereotype verwendet werden. Doch Antijudaismus ist nicht Antisemitismus. Über diese feine, aber bestehende Differenz findet sich im Indizierungsantrag kein Wort. Dafür wird vermerkt, dass das Buch suggeriere, "die jüdische Glaubensgemeinschaft" wolle "andere Religionsgemeinschaften vernichten".

Dieser Eindruck entstünde, da in einer "Prügel-Szene" der Rabbi eine entwickelte Tora-Rolle dem Bischof über dessen Mund halte und ihn damit zu ersticken versuche. Es ist gemeinhin bekannt, dass Menschen mit einem Blatt Papier über dem Gesicht nicht ersticken. Auch ein Bischof kann notfalls durch die Nase atmen. Selbst wenn er gerade damit beschäftigt ist, einem Mufti mit der Bibel den Schädel einzuschlagen. Woraus im Übrigen dem Christentum keine Vernichtungswünsche unterstellt werden.

Ob nun das Judentum etwas schlechter wegkommt als Katholizismus und Islam, ist nicht ausschlaggebend. Nach der Lektüre des Buchs wird kein Kind auf die Idee kommen, dass Juden schlimmere Menschen sind als Christen oder Muslime. Die Moral des Buchs ist, dass Gläubige verrückt sind – Juden ebenso wie Christen und Muslime. Und weil sie allesamt schnell reizbar sind, sollte man sich von ihnen fernhalten und lieber mit Papierfliegern spielen. Ob das geeigneter Stoff für ein Kinderbuch ist, sei dahingestellt. Eine antisemitische Hetzschrift ergibt er jedenfalls nicht, sondern lediglich eine humorlose Polemik mit ansprechenden Illustrationen und schlichtem ideologischen Hintergrund.

Schmidt-Salomon zeigt sich als selbstgerechter und eindimensionaler Religionshasser. Seine Heilserwartung ist die rückstandslos entzauberte Welt, die vollendete Moderne. Die Gegner des Fortschritts sind die Religionen, wobei ihm das Judentum genauso im Weg ist wie alle anderen Religionen. Und nun benutzt er auch Kinderbücher, um seine naive und völlig dialektikfreie Version von Aufklärung zu propagieren. Das ist nicht zu begrüßen. Doch eine Indizierung wäre überzogen.




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