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Flucht ins Kloster


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Rolf

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Flucht ins Kloster





Kranke leiden zu Jahresbeginn oft besonders - nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Viele träumen davon, einfach abzuhauen. Joachim Mohr hat sich mit seinem kranken Herzen in eine Benediktiner-Abtei zurückgezogen - und keine Erleuchtung gefunden.

Die Tage zu Anfang des Jahres haben eine besondere Stimmung: Dreikönigstag, irgendwie wirkt Weihnachten noch immer nach, viele Menschen haben sich in der Familie getroffen, Millionen sind in die Kirchen gepilgert, obwohl sie an keinen Gott glauben. Zur Feier des neuen Jahres haben die Leute Raketen in den Himmel geschossen, Blei gegossen und ein Gläschen Sekt getrunken. Jeder hat Bilanz gezogen, seine Vorsätze für die Zukunft gefasst.

An den ersten Tagen des neuen Jahres arbeiten viele noch nicht oder haben nach einem Urlaub gerade erst wieder angefangen. Draußen ist es kalt, nur wenige Stunden hell.

Die Gemütslage in den ersten Tagen nach dem Jahreswechsel ist weicher, gefühliger und damit anfälliger als sonst. Viele Kranke quälen sich besonders mit ihren Leiden: das eigene Schicksal, die ganze Welt - wie furchtbar, wie sinnlos, zum ... ! Der Wahnsinn des alltäglichen Kampfes gegen das eigene Leiden - in diesen Tagen scheint er potenziert.

Mich und mein operiertes Herzen mit seinen schrecklichen Rhythmusstörungen kann in solchen Zeiten eine bleierne Müdigkeit erfassen. Eine Müdigkeit, die jede Regung und alle Zeit anzuhalten scheint. Dann kommt der Wunsch, alles hinter sich zu lassen. Wenn es schon kein Leben ohne meine böse Krankheit gibt, dann wenigstens fort, an einem Ort sein, wo niemand etwas von einem will, seine völlige Ruhe haben. Raus! Einfach weg!

Ein Mythen umrankter Fluchtpunkt ist für viele Menschen ein Kloster - nicht erst sein Umberto Ecos Abtei-Thriller "Der Name der Rose", millionenfach verkauft und mit Hollywood-Stars verfilmt. In Zeiten von Krisen suchen viele Verzweifelte in monasterischen Refugien Heilung für ihre verwundeten Körper und Seelen - oder gar religiöse Erleuchtung. Sie klopfen an die Pforten, nicht um Nonne oder Mönch zu werden, sondern um abzutauchen, zu sich zu finden, Kraft zu schöpfen. Sage und schreibe eine Viertelmillion Gäste zählten die rund 300 katholischen Klöster in deutschen Landen allein im vergangenen Jahr.

Willkommen im Kloster!

Und so habe auch ich mich einmal aufgemacht, von Hamburg in Richtung Süden in die Benediktiner-Abtei Beuron. Das stille Dorf liegt irgendwo im Schwarzwald zwischen Sigmaringen und Tuttlingen, in einem von schroff aufragenden Kalkfelsen umrandeten Talkessel, an einer Biegung der noch jungen Donau.

Kommen ins Kloster kann jeder, gleich welcher Konfession, gleich welchen Glaubens. Auch der, der nicht glaubt. "Bei uns melden sich Schüler und Studenten, Beamte und Selbständige, Wanderer und Obdachlose", sagt der Gästepater zur Begrüßung. Es gibt nur eine Anforderung: sich einigermaßen anzupassen.

Die Ordensbrüder in Beuron leben exakt nach den vor 1500 Jahren vom Heiligen Benedikt, dem Urvater aller abendländischen Mönche, aufgestellten Regeln - exakt! Und damit muss der Eindringling von außen erst einmal zurechtkommen: Der Tag ist durch mindestens sechs feste Gebets- und Gottesdienstzeiten eingeteilt, um 5 Uhr geht es mit der so genannten Morgenhore los, um 19.45 Uhr klingt der Tag mit der Komplet aus. Drei bis dreieinhalb Stunden täglich verbringen die Mönche gemeinsam beim Gebet, der Messe oder dem Gesang - 365 Tage im Jahr. "Das Wichtigste an unserem Leben ist das Lob Gottes", verkündet der Prior, der Stellvertreter des Abtes, ganz selbstverständlich.

Ablenkung? Fehlanzeige!

Ablenkung gibt es in den monumentalen Räumen und Hallen kaum. Die Mehrzahl der Mönche ist wenig gesprächig. Die Zellen sind mit Bett, Tisch, Stuhl und Schrank einfachst eingerichtet. Eigene Toilette, eigenes Bad? Fehlanzeige. Zu essen gibt es Hausmannskost, getrunken wird Apfelsaft oder Wasser. Am Sonntag gibt es Bier, für jeden genau eine Flasche.

Das Wort Kloster leitet sich vom lateinischen "claustrum" ab, was - logisch - so viel bedeutet wie "das, was abgeschlossen ist". Obwohl ich nur wenige Tage da war, hatte ich schnell das Gefühl, als vergehe die Zeit hinter den Mauern langsamer als draußen. In dieser Welt mit ihren stets gleichen Ritualen verlieren die Reize des hektischen Alltags schnell ihre Bedeutung. Ob man es will oder nicht, man wird auf sich zurückgeworfen.

Nur - einen anderen oder gar tieferen Sinn des Lebens habe zumindest ich im Kloster nicht finden können. Die Ruhe, der man nicht entfliehen kann, hat mit gut getan, grundlegend verändert hat sie mich nicht. Ich bin ich geblieben, meine nervende Herzkrankheit genau die gleiche nervende Herzkrankheit.

Überleben mit meinem maladen Herzen, das muss ich im Alltag, draußen, jeden Tag aufs Neue. Entfliehen kann ich leider weder meiner Krankheit noch einem möglichen Tod, da helfen keine noch so dicken Klostermauern.

Also, mein Herz, packen wir's an - heute, morgen und an jedem Tag des neuen Jahres - draußen im Leben!

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