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Gott ist gefährlich


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Rolf

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Gott ist gefährlich





Von Ulrich Beck

So human Religion auch scheinen mag: Sie birgt stets einen totalitären Kern. Fünf Thesen des Soziologen und Buchautors

Ulrich Beck


Weihnachten täuscht. Die ansonsten gespenstisch entleerten christlichen Kirchen in Westeuropa füllen sich mit Drei-Tage-Christen. Das sind solche Gelegenheitsgläubige, die an den hohen Feiertagen Weihnachten, Ostern und möglicherweise sogar noch Pfingsten die religiöse Wiederverzauberung des Alltags als Kirchentheaterdienstleistung konsumieren. Aber ist Weihnachten nicht das Fest der Liebe? Auch das täuscht. Religion könnte eine Erfindung des Teufels sein: Man predigt mit der einen Zunge Nächstenliebe und mit der anderen Zunge Hass und Todfeindschaft. Aller Humanität der Religion wohnt eine totalitäre Versuchung inne. Dazu fünf Thesen.

Erste These: Religion setzt ein Merkmal absolut – glauben. Alle anderen sozialen Unterschiede und Gegensätze sind daran gemessen unerheblich. Das Neue Testament sagt: »Vor Gott sind alle gleich.« Diese Gleichheit, diese Aufhebung der Grenzen, die Menschen, Gruppen, Gesellschaften, Kulturen trennen, ist die Gesellschaftsgrundlage der (christlichen) Religionen. Die Folge allerdings ist: Mit derselben Absolutheit, mit der Unterscheidungen des Sozialen und Politischen aufgehoben werden, wird eine neue Fundamentalunterscheidung und Hierarchie in die Welt gesetzt – die zwischen Gläubigen und Ungläubigen. Wobei den Ungläubigen (ebenfalls gemäß der Logik dieses Duals) der Status des Menschen überhaupt abgesprochen wird. Religionen können Brücken zwischen den Menschen bauen, wo Hierarchien und Grenzen existieren; zugleich reißen sie neue, religionsbestimmte Abgründe zwischen den Menschen auf, wo keine waren. Der humanitäre Universalismus der Glaubenden beruht auf der Identifikation mit Gott und auf der Dämonisierung der Opponenten Gottes, die, wie Paulus und Luther es ausdrückten, »Diener des Satans« sind. Das Samenkorn religiös motivierter Gewalt liegt im Universalismus der Gleichheit der Glaubenden begründet, die den Anders- oder Ungläubigen entzieht, was sie dem Glaubenden verheißt: Mitmenschenwürde, Gleichheit in einer Welt von Fremden. Das ist die Sorge, die um sich greift: dass als Kehrseite des Versagens der Säkularisierung ein neues Zeitalter der Verfinsterung droht. Die Gesundheitsminister warnen: Religion tötet. Religion darf an Jugendliche unter 18 Jahren nicht weitergegeben werden.

Die Dämonisierung des religiösen Anderen lässt sich auch an dem sogenannten Mischehenkrieg, der zwischen katholischen und evangelischen Christen im langen 19. und auch noch im 20. Jahrhundert tobte und tobt, eindrücklich veranschaulichen. Dieser Konfessionsfundamentalismus, der in den »Ungläubigen« gerade nicht den anderen Christen sehen und anerkennen will, stößt mehr und mehr, gerade bei den aktiven Gläubigen, auf entschiedene Ablehnung. Hier hat sich, wie der Soziologe Hans Joas berichtet, eine Umkehrung der Beweislast hinsichtlich der ökumenischen Zusammenarbeit vollzogen: »Begründungspflichtig wird immer mehr, wenn diese unterbleibt, nicht, wenn sie stattfindet.«

Zweite These: Allein die Frage: »Was ist Religion?« weist eine eurozentristische Schlagseite auf. Denn Religion wird als Substantiv gefasst, wodurch ein klar abgrenzbarer sozialer Satz von Symbolen und Praktiken unterstellt wird, die ein Entweder-oder konstituieren, man kann sie nur entweder glauben oder nicht glauben, und man kann, wenn man Mitglied einer Glaubensgemeinschaft ist, nicht zugleich einer anderen zugehören. Es ist in diesem Sinne sinnvoll und nötig, eine Unterscheidung zwischen »Religion« und »religiös«, zwischen Religion als Substantiv und als Adjektiv einzuführen. Das Substantiv »Religion« ordnet das religiöse Feld nach der Logik des Entweder-oder. Das Adjektiv »religiös« dagegen ordnet es nach der Logik des Sowohl- als-auch. Religiös sein beruht nicht auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Organisation; es definiert vielmehr eine bestimmte Einstellung zu den existenziellen Fragen, die die Stellung und das Selbstverständnis des Menschen in der Welt betreffen. Damit stellt sich die Frage: Gilt die Janusköpfigkeit zwischen Nächstenliebe und Todfeindschaft primär für »Religion«, aber vielleicht nicht für »religiös«? Kann das gewaltträchtige, monotheistische Entweder-oder relativiert, unterlaufen, entschärft werden durch eine synkretistische Toleranz des Sowohl-als-auch?
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