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Gotteskrieger mit E-Gitarre


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Rolf

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REPUBLIKANER-ÜBERRASCHUNG HUCKABEE




Gotteskrieger mit E-Gitarre




Aus Coral Gables berichtet Marc Pitzke

Mike Huckabee ist der neue Star unter den republikanischen Präsidentschaftsbewerbern. Mit Charme und flotten Bibelsprüchen erobert der religiöse Radikale die Herzen der Evangelikalen - und macht seinen Konkurrenten schwer zu schaffen.

Coral Gables - Nach jeder Wahlkampf-Debatte laden die Kandidaten traditionell in den "Spin Room". Dort mühen sich ihre Surrogaten - Lokalpolitiker, Pressesprecher, Prominente - die Journalisten mit allerlei Süßholzraspelei davon zu überzeugen, dass es diesmal natürlich nur einen Sieger gegeben habe. Es ist ein durchsichtiges, doch unvermeidliches Spiel.

Bei der Latino-Debatte der Republikaner, neulich in Miamis Vorort Coral Gables, gab es ein "Spin Tent" - ein Zelt, in dem einem trotz Ventilatoren die Florida-Schwüle schnell unter den Hemdkragen kroch. Die Kandidaten-Teams harrten schlapp unter ihren Pappschildern: "Romney", "Giuliani", "McCain". Das Interesse der Reporter hielt sich sichtlich in Grenzen.

Doch dann betrat Mike Huckabee das Zelt - außer dem ewigen Vier-Prozentler Ron Paul der einzige Kandidat, der sich persönlich zur Presse bemühte. Sofort ging ein Energiestoß durch die müde Meute, und Huckabee sah sich von Kamerateams umringt, die ihn natürlich als erstes zu seiner Haltung in der Einwanderungsdebatte bedrängten - Reizthema Nummer eins für die Latinos in Florida.

Huckabee enttäuschte nicht. Er servierte ihnen einen seiner Lieblingssprüche: "Wenn du in nur zwei Wochen eine American-Express-Karte kriegst, sollte es nicht sieben Jahre bis zu einer Arbeitserlaubnis dauern." Erleichtert gluckste die Journaille: endlich ein knackiger O-Ton!

651.301 Dollar auf dem Konto

Dabei hatten ihn die Blogger lange verlacht: "Mike who?", hieß es. Der Mann mit dem gesichtslosen Gesicht, ein Ex-Gouverneur von Arkansas, war bisher eher durch seine Rock'n-Roll-Band "Capitol Offense" bekannt, die im August bei der ersten "Straw Poll"-Stichwahl in Iowa die Menge unterhielt. Dort übrigens belegte er samt E-Gitarre einen überraschenden zweiten Platz hinter Mitt Romney - ein frühes Omen.

Heute redet auf einmal jeder von ihm. In Iowa, wo in zwei Wochen die Vorwahlsaison beginnt, ist er mit Romney mindestens gleichgezogen, wenn nicht an ihm vorbeigesprescht. Dito in manchen landesweiten Umfragen, wo er mitunter auch John McCain (mehr...) und Rudy Giuliani abgehängt hat - und Fred Thompson sowieso.

Das ist vor allem deshalb beachtlich, da Huckabee - mit 52 Jahren der jüngste der Republikaner-Kandidaten - über keine so gut geschmierte Wahlkampf-Maschinerie verfügt wie Romney oder Giuliani (mehr...). Genauer: Er verfügt über gar keine Wahlkampf-Maschinerie.

Er hat weder einen Finanzchef noch einen Redenschreiber. Seine "nationale Einsatzdirektorin" ist Tochter Sarah, 25. Er fliegt Linie (Economy). Zuletzt hatte er genau 651.301 Dollar auf dem Konto, während Giulianis Kasse mit 16,7 Millionen Dollar überquillt. Über seine Iowa-Zentrale in Des Moines lästerte die "New York Times": "etwa so groß wie ein Barbershop, aber nicht so voll."

Glaube, Familie, Freiheit

Und doch sind viele Republikaner plötzlich von ihm begeistert. Meist Christlich-Konservative: Sie mögen seine Bibelzitate, seine moralische Härte, kaschiert von netter Umgänglichkeit, sein Geschick, sich als Alternative zum sonstigen Kandidatenfeld zu präsentieren. Denn da hat sich, anders als bei den Demokraten, bis heute kein Favorit herauskristallisiert, der die Basis-Evangeliken wirklich begeistern könnte. Ergo Huckabee.

Also richten sich die Blicke plötzlich auf den ordinierten Baptistenprediger aus dem Ort Hope in Arkansas, aus dem auch Bill Clinton stammt. Vor allem auch die Blicke der US-Medien, die ihre bisherigen Aufreger-Themen Romney (Sind Mormonen Christen?) und Giuliani (Wie viele Skandale darf man haben?) längst ausgereizt haben. Die neue Storyline ist reizvoller: Noch ein Hoffnungsträger aus Hope?

"Huckabee gewinnt den heiligen Krieg", staunte die "Washington Post" über den Christen-Kampf in Iowa. "Huckabee rauscht zu Höhen empor, die vor einem Monat noch undenkbar waren", jubelte das "Wall Street Journal" und zitierte einen Huckabee-Fan: "Wir beten für Dich. Nun liegt es in Gottes Hand."

Gottes Hand hat ihn überhaupt erst so weit gebracht, in seinen Augen jedenfalls. "Faith, Family, Freedom" lautet sein Wahlkampfslogan: Glaube, Familie, Freiheit. Alte Plattitüden, möchte man glauben - doch er meint es ernst: "Ich hoffe", sagte er einmal, "dass wir diese Nation für Christus zurückerobern."

"Eine Generation entfernt vom Plumpsklo"

Krasse Überzeugungen für einen Politiker - selbst in diesen religiös schwer durchwirkten Zeiten - und Huckabee gibt sich denn nach außen hin auch lieber populistisch-schlagfertig: Was Jesus von der Todesstrafe gehalten hätte, wurde er in einer Debatte gefragt. Seine Antwort, ein Lacherfolg: "Jesus war viel zu klug, für ein politisches Amt zu kandidieren."

Doch hinter dem Charme steckt wohl eher ein radikaler Gotteskrieger ohne Gnade. Nicht nur ist Huckabee der einzige Kandidat, der eigenhändig Todesurteile unterzeichnet hat - 16 insgesamt, per Giftspritze, einer inzwischen höchst umstrittenen Methode. Auch hat er nie einen Hehl daraus gemacht, was er von der Trennung von Staat und Kirche hält: "Diese Trennung ist absolut unmöglich."

Huckabee nimmt die Bibel beim Wort - aber von Außenpolitik hat er wenig Ahnung

Huckabee nimmt die Bibel beim Wort, lehnt den Darwinismus ab und liest morgens auf dem Trimm-Dich-Band im Alten Testament, am liebsten die Sprüche Salomons. Politik, Wahlkampf und folglich auch Präsidentschaft sieht er als missionarischen Kreuzzug: "Durch meine Position als Gouverneur und jetzt als Präsidentschaftskandidat habe ich weitaus mehr Gelegenheit gehabt, meinen Glauben zu verbreiten", brüstete er sich im "New York Times Magazine", das ihm eine Cover-Story widmete.

Solche religiöse Unbedingtheit findet sich bekanntlich oft bei jenen, die beklagenswerten Umständen entkommen und darob "Gott finden". Huckabees Vater war Feuerwehrmann und Automechaniker, seine Mutter Sekretärin, "eine Generation entfernt vom Plumpsklo", wie er oft sagt. Einmal unabhängig, schrieb er sich schnell an der Ouachita Baptist University ein, wurde dann Pastor und Baptistenführer.

Football-Tickets und Jesus-Skulpturen

Seine Politik-Karriere verdankte er ausgerechnet einem, der kaum weiter entfernt auf dem politisch-moralischen Spektrum liegen könnte: Bill Clinton, mit dem er in Hope kurz sogar denselben Kindergarten besucht hatte.

Als Clinton 1992 vom Gouverneur zum Präsidenten aufstieg, wurde sein bisheriger Vize Jim Guy Tucker automatisch Gouverneur. Huckabee wurde zum neuen Vizegouverneur gewählt - mit einem Prozentpunkt Mehrheit. Als Tucker 1996 im Rahmen des Clinton'schen Whitewater-Skandals zu vier Jahren Hausarrest verurteilt wurde und das Amt niederlegte, rückte Huckabee zum Gouverneur auf.


Wie damals hofft Huckabee auch heute, dass sich die Konkurrenz zerfleischt und er als einziger übrig bleibt. "Demolition Derby" oder "Nascar-Strategie" nennt er das: Es gewinnt, wer seinen Rennwagen zuletzt zu Schrott fährt.

Doch wie bei jedem Hype deutet sich auch hier bereits das zweite Kapitel an - der Absturz. Schon zielen die Rivalen auf Huckabees politische Achillesfersen aus seiner Gouverneurszeit: die Steuererhöhungen, die Finanzhilfen für illegale Einwanderer. das stille Horten von Geschenken (Football-Tickets, Jesus-Skulpturen), der auf sein Betreiben hin freigelassene Vergewaltiger Wayne DuMont, der daraufhin mordete.

Das schwebende Kreuz

Auch sein flottes Mundwerk macht ihm immer mehr zu schaffen. So bezeichnete er seinen dramatischem Gewichtsverlust per Hungerkur (50 Kilo) als "sechs Wochen im Konzentrationslager", setzte Homosexualität mit Nekrophilie gleich und verhöhnte Romneys Religion mit den Worten: "Glauben Mormonen nicht, dass Jesus und der Teufel Brüder sind?"

Überdies fällt langsam auf, dass Huckabee zwar Erfahrung mit den Untiefen des Arkansas Rivers hat, den er in ganzer Länge befuhr, aber äußerst unbedarft durch die Klippen der Außenpolitik dümpelt. Vom jüngsten US-Geheimdienstbericht zu Irans Atomprogramm, der Anfang Dezember weltweit Schlagzeilen machte, hatte er auch tags darauf noch nichts gehört.

Kein Wunder, dass in seinem jüngsten TV-Spot kein Wort über Politik fällt. Stattdessen wünscht Huckabee, untermalt von Zither-Klängen ("Stille Nacht"), "glorreiche Weihnachtstage" - natürlich ganz ohne Wahl-Agenda: "Was wirklich zählt, ist das Fest der Geburt Christi."

Ein unscharfes Wandregal im Hintergrund schwebt dabei wie ein Kreuz durchs Bild. Reiner Zufall, beteuert Huckabee.





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