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Gaukelei mit Illusionen


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Rolf

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Gaukelei mit Illusionen




Von Hans Halter

Wellness ist eine gigantische Industrie, rund 70 Milliarden Euro geben die Deutschen pro Jahr fürs Wohlfühlen aus. Doch die meisten Anbieter betreiben reine Geldschneiderei - die Behandlungen sind teurer Schnickschnack ohne gesundheitlichen Nutzen.

Der berühmte "Wasserpfarrer" Sebastian Kneipp hat einst 50 Jahre über Wellness gegrübelt. Dann war ihm klar: "Was das Wasser nicht heilt, das ist nicht heilbar."

Wenn der Allgäuer Gottesmann, gestorben 1897, jetzt vom Himmel auf die Erde schaut - das wollen wir doch schwer hoffen! -, was muss der fromme Monsignore da sehen: statt der Kneipp-Kurbäder "Wellness-Oasen", bevölkert von Meditationslehrern und Reinkarnationstherapeuten, Ganzkörpermasseurinnen, ayurvedischen Öltöpflern, esoterischen Lichtheilern und Damen, die Duftlampen schwenken, wo einst nur Weihrauch zugelassen war.

Kneipps einstiges Reich haben weithin die glitzernden Heimstätten von "Medical Wellness" erobert, Tempel des genussvoll gesunden Lebens. Und in ihrem Schatten gedeiht der Wellnepp, die Gaukelei mit skurrilen Illusionen.

An das kalte Wasser kann man noch glauben. Erst Wellnepp stellt den Gläubigen auf die Märtyrerprobe. Wie mag es an dem Busen kribbeln, wenn die israelische Physiotherapeutin Ada Barak im heißen Talmey al-Azar sechs Korn- und Königsnattern dort anlegt, für 300 Schekel (etwa 55 Euro) und nur zum Zweck, verspannte Muskeln und steife Gelenke zu lockern?

Und was mag der gestresste Manager fühlen, wenn er neben einem ausgewachsenen Lama durch die Engadiner Alpen wandert? Bergauf, bergab, im einschläfernden Schunkelschritt. Aufsitzen darf der Kurgast im malerischen Bergort Lavin nicht, das mag ein Lama nicht leiden, dann kann es spucken. Aber zahlen darf die Führungskraft in Schweizer Fränkli und nicht zu knapp. Dafür gibt das lästige Burn-out-Syndrom des Flachländers hastenichtgesehen Fersengeld.

Wenn er stattdessen mit seiner goldenen Kreditkarte in die sündhaft teure "Tschuggen Bergoase" nach Arosa im Kanton Graubünden gereist wäre, um dort Heilung zu suchen, wäre ihm ebenfalls geholfen worden. Dort macht man in einer farbig oszillierenden Traumwelt, 5000 Quadratmeter Wellness-Landschaft in einem Felsmassiv, dem Burn-out-Syndrom natürlich auch Beine. Man verwendet angemessenerweise dazu im "Tschuggen" Diamant- und Rubinextrakte, neben anderen Wellness-Preziosen, versteht sich.

Auch beim Discounter Aldi gibt es Wellness - durchaus ohne Nepp, was den Preis betrifft - zu kaufen, zum Beispiel im "Öschberghof" bei Donaueschingen im Schwarzwald. Ayurveda, Meersalzpackung in der Schwebelage, Aqua-Fitness inklusive Schnee-Iglu, danach das warme Wasserbett. Und wenn man Glück hat, beginnt ein älterer Herr, geschätzte 87 Jahre, einen kleinen Plausch. Das ist Karl Albrecht, einer der beiden Aldi-Brüder, 18,5 Milliarden Euro schwer, der reichste Mann Deutschlands. Ihm gehört der Laden, und er wohnt praktischerweise nebenan in einem kleinen Bungalow.

Ob Herr Aldi die Wellness, die er verkauft, auch selbst lebt? Wer weiß das schon. Die geheimnisvollen Aldi-Brüder geben ja keine Interviews.

Auf den Boden gesicherter Erkenntnisse begibt sich erst wieder, wer Wellnepp von drei Seiten ausleuchtet: Es hilft nur, wenn es mit einer längeren Reise kombiniert wird, denn Reisen ist die populärste Form des Glücks; es muss richtig was kosten, weil es das Geld ist, das Mut macht; und schließlich: Wer nicht an Wunder glaubt, der sollte lieber zu Hause bleiben und seinem Kassenarzt vertrauen.

Das tun aber immer weniger. Für Wellness geben die Deutschen rund 70 Milliarden Euro pro Jahr aus; die Ärzte und Zahnärzte erhalten dagegen für ihre Leistungen von den Krankenkassen jährlich nur 33 Milliarden Euro.

Denn der Doktor an der Ecke mag sich noch so mühen - wie soll er Wunder herbeizaubern? Ein Mirakel, so erwartet es der Ratsuchende, muss den gewöhnlichen Lauf der Dinge durchkreuzen, ja aufheben, und das geht nur, wenn geheimnisvolle Mächte im Spiel sind. Doch von einer deutschen Sprechstundenhilfe geht keine Magie aus, eher schon von einem Wellness-Tempel, den Musik, Lichteffekte, Moxa-Räucherstäbchen und die Schoki-Gurkenmaske auf transzendentales Niveau heben. Gott lässt genesen, der Guru holt die Spesen.

Von Vorteil ist allemal, wenn der Kunde nur ein klein wenig krank ist, psychisch verstimmt, von seinen Pipapolon-Tabletten enttäuscht, also nicht auf der Suche nach Heilung, sondern Illusionen, eigentlich: nach Erlösung. Richtig krank - krebsleidend, amputiert, blind - darf man nicht sein. Und misstrauisch auch nicht. Dann hilft der Öltropfen auf die Stirn nichts, auch machen Rosenblätter der Arthrose keine Flügel und Algenschlick nicht den Falten. Nur der Glaube versetzt Berge.

Wer mit seinem Stoffwechsel unzufrieden ist und fest überzeugt, dass der Tod im Darm sitzt, der muss als erstes Gebot bekennen: Ich will entschlacken. Zwar gibt es strenggenommen im menschlichen Leib keine Schlacken, denn der Mensch ist ja kein Ofen. Andererseits werden Magen und Darm niemals aufhören zu grummeln, wenn man auf die Entschlackung pfeift. Gewöhnlich läuft das auf Fasten oder Schmalkost hinaus. Welchem moppligen Kurgast soll das schon schaden? Heiter und leicht wird er von dannen schweben und ganz bestimmt im nächsten Jahr wiederkommen.

Mehr neurotisches Potential wird bei den Klienten vorausgesetzt, die sich auf die molekulare Ebene begeben. Wer überzeugt ist, dass seinen Billionen Zellen die Vitamine fehlen oder Mineralstoffe, der bedarf des ideologischen Know-hows: Schuld ist "die Umwelt", etwa in Gestalt gedüngter Pflanzen, oder der "Elektrosmog". Kann auch sein, dass die körpereigenen Energieströme durch Mobbing gestört, durch Stress vor einem Kurzschluss stehen oder mangels liebevoller Pflege versiegt sind.

Jeder Helfer hat da seine eigene Theorie. Mit der Sauna allein und dem Heimtrainer ist es jedenfalls nicht getan. Die Tester des renommierten "Relax Guide", die unangemeldet die bunte Welt der Wellness-Oasen durchstreifen, sind zu einem vernichtenden Urteil gelangt. Von 2000 überprüften Tempeln des gesunden Lebens boten nur zehn Prozent wirkliche Qualität, in den anderen, bilanzierte die "Süddeutsche Zeitung", "blüht der Blödsinn".

Zum Firlefanz zählen unter anderem die "ägyptische Isis-Massage", die Körperpackung mit Mousse au Chocolat und der "Wellness-Wald" im Schwarzwald. In ihm hat man die Wahl zwischen dem "Platz des Mitgefühls" und dem der "Weitsicht und des Willens". Dort schaut dem Suchenden nur der Herrgott über die Schulter.

Wer Glück hat, dem greift vorher wenigstens seine Krankenkasse unter die Arme. Rechtzeitig beantragt und begründet, stützen viele Solidargemeinschaften den Trip mit bis zu 300 Euro. Die Begründung muss indes allen bürokratischen Formalien entsprechen. Wer schreibt: "Immer, wenn ich richtig gegessen habe, fehlt mir danach der Appetit", hat wenig Chancen auf eine Entschlackungstherapie. Die Einlassung: "Wenn ich nachts wach werde, ist mir ganz schwarz vor Augen", trägt keinen Zuschuss für eine Reise ins helle Licht des Himalaya.

Im Wohlfühl-Business kommt es eben vor allem auf die richtige Wahl der Worte an. Sie müssen Hoffnung suggerieren, das Ungewöhnliche, den Duft ferner Länder, den schönen Traum von Ruhe und Gleichmut.

"Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist zu schwer für uns", hat Sigmund Freud, der Entdecker des Unbewussten, in jedermanns Seele geraunt, "es bringt uns zu viel Schmerzen, Enttäuschungen, unlösbare Aufgaben. Um es zu ertragen, können wir Linderungsmittel nicht entbehren." Und zwar dreierlei: Rauschstoffe, mächtige Ablenkungen und Ersatzbefriedigungen. Das Wort Wellness war zu Freuds Zeiten noch nicht erfunden.
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