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Gott bewahre


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Christen und Muslime





Gott bewahre




Diffuses Bedrohungsgefühl, falsche Loyalitätserwartung, säkulare Überheblichkeit: Was noch fehlt, ist der Neid. Kirchen in Deutschland müssen, mangels Nachfrage, schließen, Moscheen sprießen allerorten aus dem Boden. Religion als Thema ist präsenter denn je.

Von Malte Lehming

BERLIN - Allem Gerede über eine Renaissance der Religionen zum Trotz, bleibt Deutschland säkular. Radikale Atheisten, wie sie in den USA in Mode sind, finden hier kaum Interesse. Deren Thesen provozieren nicht, weil das, wogegen sie sich richten, nicht existiert. Gibt es einen einzigen bekannten deutschen Kreationisten? Nein. Und doch, gewissermaßen über den Umweg eines diffusen Bedrohungsgefühls, ist Religion als Thema präsenter denn je. Auch die christlichen Kirchen profitieren davon, allerdings nur zu einem geringen Teil aus eigener Kraft. Eine andere Weltreligion entfacht die Diskussion – der Islam.

Symbolhaft für die Auseinandersetzung sind Kopftuch- und Moscheebaustreit. Aber im Kern geht es darum: Sind wir bereit, den Islam als Religion gleichberechtigt neben anderen Religionen und dem Säkularismus zu akzeptieren? Oder leiten wir aus der Behauptung, der Islam sei eine aggressive, gefährliche, intolerante und frauenverachtende Lehre, den Schluss ab, daher dürften Muslime nicht dieselben Freiheiten und Rechte genießen wie andere Gläubige? Viele Gegner der Moscheebauten teilen, zumindest implizit, die zweite Position. Sie tarnen ihre Abneigung gegen den Islam in den Vorwurf, er sei mehr als eine Religion, er sei eine Art expansionistische Weltanschauung, die im Widerspruch zu den westlichen Werten stehe. Zum Bedrohungsgefühl gesellt sich der Loyalitätstest.

Doch zum Wesen der meisten Religionen zählt, sich nicht im Spirituellen zu erschöpfen. Ein deutscher Protestant, der etwa den Klimawandel bezweifelt, begeht eine Sünde. Der Vatikan hat unlängst zehn Vorschriften veröffentlicht, wie sich ein guter Katholik im Straßenverkehr zu verhalten hat. Von der Geburt bis zum Tod, vom Geschlechtlichen bis zum Essen: Fast alles wird geregelt. Überdies erstreckt sich die grundrechtlich geschützte Religionsfreiheit auch auf einen Glauben, der Inhalte aufweist, die nicht verfassungskonform sind. An die Gesetze eines Landes muss sich jeder Bürger halten. Andernfalls wird er bestraft. Die Werte einer Gemeinschaft indes muss nicht jeder teilen, solange er die Rechtsgüter anderer nicht gefährdet. Das Gegenteil zu verlangen, wäre Gesinnungstyrannei.

Hinzu kommt eine Überheblichkeit, die freilich Muslime in Deutschland kaum härter trifft als gläubige Christen oder Juden. Obwohl er weltweit gesehen die Ausnahme ist, empfindet sich der Säkularist in Deutschland als Normalfall. Säkularität ist für ihn gleichbedeutend mit Moderne. Im Umkehrschluss betrachtet er den religiösen Menschen als rückwärtsgewandt, unaufgeklärt, irrational und latent fundamentalistisch. Ein entspanntes und respektvolles Verhältnis zu Gläubigen fällt vielen Nichtgläubigen schwer.

Diffuses Bedrohungsgefühl, falsche Loyalitätserwartung, säkulare Überheblichkeit: Was noch fehlt, ist der Neid. Kirchen in Deutschland müssen, mangels Nachfrage, schließen, Moscheen sprießen allerorten aus dem Boden. Was haben die, was wir nicht haben, fragen sich verunsicherte Christen und propagieren die stärkere Hinwendung zur eigenen Tradition. Und Säkularisten sehen die Normalität ihrer nichtgläubigen Existenz in Frage gestellt. Plötzlich empfinden einige von ihnen eine innere Leere, die, weil unverstanden, leicht in Wut gegen jene umschlägt, die sie ausgelöst haben. So wird, ganz platt gesagt, aus einem Teufelskreis eine Hass-Spirale.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 14.10.2007)
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