Zum Inhalt wechseln

Welcome to Irrglaube und Wahrheit
Register now to gain access to all of our features. Once registered and logged in, you will be able to create topics, post replies to existing threads, give reputation to your fellow members, get your own private messenger, post status updates, manage your profile and so much more. If you already have an account, login here - otherwise create an account for free today!
Foto

Die Verständnis-Falle


  • Bitte melde dich an um zu Antworten
Keine Antworten in diesem Thema

#1
Rolf

Rolf

    Administrator

  • Administrator

  • PIPPIPPIP
  • 34224 Beiträge
  • Land: Country Flag

Please Login HERE or Register HERE to see this link!







Die Verständnis-Falle





erstellt am 22.09.2007


Von Josef Joffe

TerrorDie westliche Welt täuscht sich: Der Terrorismus ist nicht die Waffe der Schwachen. Sofort nach dem Massaker von Beslan hat Bundeskanzler Schröder dem russischen Freund Tröstliches signalisiert. Zum einen wolle er »in dieser Situation keine Ratschläge geben«, zum anderen dürfe man mit »Terroristen, die Kindern in den Rücken schießen«, nicht reden. Das ist richtig, aber wie lange wird diese Parole gelten?

Westliche Reaktionen auf solche Gräuel folgen stets dem gleichen Muster. Erst machen sich Schrecken, Mitgefühl und Verdammung breit, dann folgt ein klassisches Erklärungsmuster (»kaukasischer Teufelskreis«), das auf leisen Füßen zur Schuldverschiebung führt. Haben die Russen in Tschetschenien nicht schrecklich gewütet, seit 150 Jahren den Kaukasus unterjocht? Solche richtigen Fragen vereinen sich unbewusst zur falschen Frage: Sind nicht auch die Opfer der Gewalt schuld an ihrem Schicksal? Hätten sich die Spanier nicht am Irak-Krieg beteiligt, wäre ihnen der 11. März (mit 200 Toten) erspart geblieben. Ohne den Global-Kapitalismus made in USA würden dessen gläserne Symbole – die Twin Towers – noch stehen. Und ohne Scharonismus keine zerfetzten Busse in Beerscheva. Terrorismus sei der Aufschrei der Gequälten, die »Waffe der Schwachen«, die sich sonst kein Gehör verschaffen könnten.

Das ist die Theorie von den »Wurzeln des Terrors«, die, scheinbar überzeugend, moralisch und politisch zu kurz greift. Beginnen wir mit der Moral: Was haben nordossetische Kinder mit dem Unrecht zu tun, das Tschetschenen erleiden? Warum müssen sie für die russischen Feuerwalzen in Grosnyj büßen? Was gibt den »Schwachen« (die bestens bewaffnet sind) das Recht, die wirklich Schwachen, die Kinder, zu ermorden? Die Wehrlosen und Unschuldigen abzuschlachten ist in jeder Kultur das gemeinste aller Verbrechen. Im eigenen Land würde niemand, auch kein Muslim, das präsumtive Unglück der Massenmörder als Erklärung akzeptieren. Wer sich auf diesen glitschigen Hang begibt, rutscht unweigerlich ab in die Unmoral, wo nur das eigene Elend zählt und folglich alles erlaubt ist.

Die Mittel des islamistischen Terrors – der schiere Schrecken, der sich fast nie gegen Staatsvertreter und Soldaten richtet – vergiften auch das hehrste Ziel; das ist der Anfang aller moralischen Bewertung. Doch werfen auch die Ziele Fragen auf, deren Rechtfertigung wir so oft als gegeben hinnehmen. Wer darf eigentlich die Waffe gegen die Staatsmacht erheben? Die Tschetschenen dürfen es, die Basken nicht? Die Palästinenser haben Recht, die Kurden nicht? Aber fragen wir lieber, ob denn die Ziele des islamistischen Terrors überhaupt verhandlungsfähig sind.

Nehmen wir einen scheinbar klaren Fall: das Massaker von Madrid, das die Spanier aus der Irak-Koalition herausbrechen sollte. In seinem New Yorker- Artikel The Terror Web hat Lawrence Wright Nachdenkenswertes recherchiert. Die Planung für den Atocha-Anschlag vom 11. März begann zwei Jahre vor »9/11«, als spanische Soldaten im Irak nicht einmal ein Hirngespinst waren. Es kommt noch schlimmer: Zwei Wochen nach dem 11. März wurden zwölf Kilo Plastiksprengstoff am Gleis des Superschnellzugs AVE entdeckt– mit falsch angeschlossenem Zünddraht. Warum 1200 Menschen den Tod wünschen, wenn Madrid den Abzug schon beschlossen hatte? Weil es nicht um Appeasement, sondern um »El Andaluz« ging, das 800 Jahre lang in islamischer Hand war – das heute die Reformbewegung im Maghreb nach Kräften zu befördern und eine Brücke zwischen Orient und Okzident zu schlagen versucht.

Dazu passt auch eine Terrordrohung gegen Amerika, den ein Al-Qaida-Ableger der Londoner Zeitung Al-Kuds al-Arabi zuschickte. Die Gruppe, die den Madrid-Anschlag für sich reklamierte, sei »ganz scharf darauf, dass Bush die Wahlen nicht verliert«. Dessen »Idiotie und religiöser Fanatismus« seien so nützlich, weil sie die gesamte islamische Welt gegen den Westen aufbrächten. Wer handelt und redet wie bin Laden und Genossen, will nicht Verständigung oder Besänftigung, sondern den »clash of civilizations«. Diesem Muster folgt auch der palästinensische Terror. Scharon will Gaza freigeben? Also werden zwei Busse im bisher friedlichen Beerscheva pulverisiert, um Israels Ultras gegen den Premier aufzuhetzen. So war’s auch bei den Terrorwellen, die Netanjahu und Scharon an die Macht gebombt haben.

Anders als der »klassische« Terror – etwa der Eta heute oder der frühen IRA von 1916 – haben sich die Dschihadisten von rationalen Zielen wie politischer Unabhängigkeit längst gelöst. Wenn sie nicht vom Weltenbrand, vom Endsieg gegen die Ungläubigen träumen, verfolgen sie Ziele, die nicht verhandelbar sind: Russen raus aus dem ganzen Nordkaukasus, Juden raus aus Israel, Amerikaner raus aus Nahost! Und keine Gnade für »Brückenstaaten« wie Spanien und Türkei. Den totalen Zielen folgen die totalen Mittel. Eta und IRA haben (fast) immer Ort und Zeit ihrer Anschläge bekannt gegeben; vorbei sind nun die Zeiten, da der britische Premier Asquith der IRA bescheinigte, sie kämpfe »mit großer Menschlichkeit und nicht mit Gräueltaten«. Sollte der neue Terror je Atom- oder Biowaffen in die Hand bekommen, wird er sie in seiner grenzenlosen Selbstgerechtigkeit auch einsetzen.

Fast nie ist der neue Terrorist bloß ein Freiheitskämpfer, in dem der Staatsmann schlummert. Staaten, die im Terror entstehen, pflegen sich nicht in freundliche Mitglieder der Weltgemeinschaft zu verwandeln – siehe Lenins Sowjetunion, Algerien (ein Gewaltstaat noch heute), das Simbabwe des Robert Mugabe. Denn: Wer Terror gegen andere benutzt, wird ihn auch gegen die Seinen nicht lassen. Das Gegenbeispiel ist Indien, eine Demokratie, die Unabhängigkeit eben nicht mit allen Mitteln erkämpft hat.

Was daraus folgt? Wir haben es mit einem gnadenlosen Gegner zu tun, der Lichtjahre entfernt ist vom klassischen Freiheitskämpfer. Seine Feinde sind nicht bloß Regierungen, die ihm verweigern, was er für sein heiliges Recht hält, sondern Unschuldige in der ganzen Welt und die Verständigungswilligen im eigenen Lager. Er will uns in das Jahrhundert des Dreißigjährigen Kriegs zurückbomben, wo jedermann – Bauer, Bürger, Soldat – Mordobjekt war. Oder in das zwanzigste, wo die Totalitären zu vernichten suchten, wer sich ihnen nicht unterwarf. Dies zu konstatieren ist kein Freibrief für die Putins und Scharons (nebst asiatischen, arabischen und afrikanischen Kollegen), die letztlich ihren eigenen Völkern schaden, indem sie anderen die legitimen Rechte verweigern.

Doch vergessen wir nicht, dass es nicht mehr nur um Gaza oder Grosnyj geht, sondern um Nairobi, Aden, New York, Washington, Dscherba, Karatschi, Riad, Jakarta, Istanbul, Madrid, Kirkuk, Beslan. Demnächst London, gar Berlin? Die Internationale des Terrors, dieser nihilistische NGO-Verbund, kann nur durch die Internationale der Staaten besiegt werden - mit all den quälenden moralischen Dilemmas, die der Abwehrkampf aufwirft. Dürfen die Demokraten mit Potentaten wie Putin gemeinsame Sache machen? Die Wahl fällt nicht schwer, wenn sich die Wahl auf "bin Laden oder Putin?" zuspitzt. Unser Tun müssen wir dabei schärfster moralischer Prüfung unterwerfen. Doch machen wir uns nichts vor: Der unversöhnliche Hass des Terrors gilt nicht dem Tun, sondern dem schieren Sein des Westens.

Quelle: Die Zeit
  • 0