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Das Alte Testament als Rahmenbedingung für die Verkündigung


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Rolf

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Das Alte Testament als Rahmenbedingung für die Verkündigung des Evangeliums





Dr. Klaus W. Müller



Dr. Klaus W. Müller ist Vorsitzender des AfeM und Fachbereichsleiter für Missionswissenschaft und Evangelistik an der Freien Theologischen Akademie in Gießen. Bis August 1998 war er 17 Jahre Leiter des Forschungszentrums und Dozent am Seminar für missionarische Fortbildung sowie an der Freien Hochschule für Mission bzw. am deutschen Zweig der Columbia International University in Korntal. Bis 1981 war er 11 Jahre Missionar der Liebenzeller Mission auf den Chuuk-Inseln, Mikronesien.2

Ich wage den Versuch, zwei Aspekte in einem Thema anzusprechen: Die geschichtliche Entwicklung zweier Theologien während der vergangenen 50 Jahre im Zusammenhang mit der Bedeutung des Alten Testaments für die Evangelisation.

Die Magier und der Hofbeamte: Die ersten neutestamentlichen Auslandskontakte

Den Magiern vom Morgenland (Mt 2) wurde von den Schriftgelehrten aus dem Alten Testament der Weg zum Geburtsort des neugeborenen Judenkönigs gewiesen (Micha 5,1). Offensichtlich war das eine bekannte Erkenntnis, die durch gläubige Erwartung wach gehalten wurde. Allerdings führte der Rückweg der Magier - nach den eigenen Glaubenserfahrungen - nicht mehr zum politischen König, sondern auf einem anderen Weg zurück in ihr Land. Gott hat nach ihrer Begegnung mit Jesus zu ihnen gesprochen. Der neidische Herodes wäre jetzt nur ein Hindernis in der neuen Beziehung gewesen. Ohne den alttestamentlichen Hinweis hätten sie nicht zu Jesus Christus gefunden - trotz Naturereignisse.

Der Hofbeamte der Königin der Äthiopier (Apg 8,26-40) las die Schriftrolle des Propheten Jesaja - und konnte den Sinn nicht erkennen. Philippus erklärte ihm bei Kapitel 53,7-8 die Zusammenhänge mit dem Hinweis auf Jesus Christus. Als Ergebnis wollte sich der Hofbeamte spontan taufen lassen. Philippus knüpfte seine Einwilligung an das Kriterium, ob der Täufling von ganzem Herzen glaube, daß Jesus Christus Gottes Sohn sei (V.37).3 Nach der Bestätigung zögerte Philippus nicht, die Taufe zu vollziehen. War das allgemeine Praxis des Philippus oder nur eine "Nottaufe" vor der Grenzüberschreitung des Beamten ins Ausland? Da dieser Vers nicht in den ältesten Handschriften steht, ist zumindest anzunehmen, daß schon die früheste Kirche dieses Bekenntnis zur Vorbedingung für die Taufe erhoben hatte. Jedenfalls hatte der Täufling - wenn auch eine nur sehr begrenzte, aber doch die wichtigste Erkenntnis des Evangeliums - auf alttestamentlicher Basis.

Praxis der evangelikalen Verkündigung: Der Kern des Evangeliums

Die Theologie bestimmt die Strategie, das ist in der Missionsgeschichte deutlich erkennbar. Die Schwerpunkte der Theologie bilden die Hauptziele der Strategie. Die Strategie beschreibt das "Was" des Zieles, die Methode das "Wie". Je einfacher und prägnanter die Definition dessen, was man glaubt, um so geradliniger und kompromißloser ist die praktische Umsetzung.

In der evangelikalen Theologie stehen das Kreuz und die Auferstehung im Zentrum des Evangeliums. "Das Evangelium wurde nicht verkündigt, ehe Jesu stellvertretender Tod am Kreuz und seine siegreiche Auferstehung von den Toten ausgerufen wurde."4 Jesus Christus bestätigte das selbst: "Also ist's geschrieben (Hos 6,2), daß Christus mußte leiden und auferstehen von den Toten; und daß gepredigt werden muß in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern." (Lk 24,46f)

Paulus formulierte dieses Evangelium in Römer 1,1-6 und in 1.Kor 15,1-4: "Christus ist gestorben nach der Schrift und begraben; er ist auferstanden am dritten Tage nach der Schrift." In allen drei Zusammenfassungen wird der Kern des Evangeliums in Bezug zum Alten Testament gebracht.

Im Geschehen am Kreuz wird Jesus Christus zum Heiland, zum Retter der Menschen. Durch Auferstehung und Himmelfahrt zeigt er sich als der Herr, dem "alle Macht gegeben ist, im Himmel und auf Erden" (Mt 28,18). Christus als der Gesalbte, der Gesandte, der Messias ist der Gottessohn, der als Mensch mit dem Namen Jesus geboren wurde.5 Die Person des Gottessohns ist deshalb nur mit dem Doppelnamen vollständig und korrekt bezeichnet.

Diese Zentralität und Konzentration des Evangeliums auf die Person Jesu Christi führte bei den Evangelikalen zu einem anderen, eher unbeabsichtigten Schwerpunkt: Der Sohn wird in der Dreieinigkeit stärker betont. Man spricht von Jesus. Die Person des Vaters steht in der evangelisch-lutherischen Prägung im Vordergrund, während seit der Trennung von den pfingstlich-charismatischen Gruppen der Heilige Geist scheinbar mehr diesen überlassen blieb.6 Besonders in mehr pietistisch orientierten Gruppen ist Jesus als Heiland der Mittelpunkt der Theologie. Die Bezeichnung Christus mit der Funktion als der Gesalbte, der Sohn Gottes, bleibt eher im Hintergrund.

Das Evangelium ohne alttestamentlichen Rahmen: Gefahr des Synkretismus

Nach der oben genannten These resultiert eine solche Theologie in einer eindeutigen, vielleicht sogar einseitigen Praxis.7 Wenn evangelisiert wird, dann geht es den Evangelikalen, vor allem den Pietisten um den Kern, um das Wichtigste: Jesus. Man springt mit beiden Beinen mitten in das Zentrum hinein. Man beginnt damit, alles dreht sich darum. Deshalb sprechen auch Missionare dieser theologischen Prägung mit Angehörigen anderer Religionen ohne Umwege am liebsten über Jesus, ihren Heiland. Vorschnell wird das Evangelium von seinem Kern her gepredigt, anstatt behutsam von außen zu beginnen und beim Kern anzukommen.

Das spiegelt sich auch darin, daß in der Missionsarbeit fast generell zuerst das Neue Testament übersetzt wurde; vom Alten Testament vielleicht erst lange Zeit später noch einige Teile aus den Geschichtsbüchern.8

Die Sünde - und die Angst vor den Folgen - ist in dieser Theologie die Anknüpfung für das Evangelium; sie wird im Bewußtsein der Menschen vorausgesetzt.9 Das war in den 50er und 60er Jahren in Deutschland noch eine reelle Gegebenheit, seither jedoch nicht mehr. (Heute ist der Begriff "Sünde" bei uns höchstens noch im Straßenverkehr, im Zusammenhang mit Übergewicht und in Bezug zur Umwelt zu gebrauchen.) Evangelikale Missionare übertrugen ihr Verständnis auf andere Kulturen. Wenn dort trotz intensiver Verkündigung keine Sündenerkenntnis entstand, erklärte man sich das mit Verstocktheit, hartem Boden oder okkulten Zusammenhängen. Die eigene Theologie wurde nicht hinterfragt.

Die Sündenerkenntnis wird nicht 'eindrücklicher', wenn wir 'auf der Sünde herumhämmern'; das Evangelium ist das Ziel, nicht der Ausgangspunkt der missionarischen Verkündigung. "Ein richtiges und tiefes Sündenbewußtsein entsteht nicht daraus, daß wir auf der Sünde herumhämmern, sondern ergibt sich aus einem rechten Gottesbegriff. Die Betonung in der Evangelisation liegt deshalb nicht in erster Linie auf den Sünden der Menschen, sondern auf ihrer Gottesvorstellung."10

Religionen und Weltanschauungen erschweren es den Menschen, das Evangelium mit seinen so völlig anderen Aspekten zu verstehen und daran zu glauben. Wenn sie es hören, interpretieren sie die neutestamentlichen Prinzipien durch ihren Verständnisraster hindurch und sortieren sie in ihr bestehendes System ein.

Wo der Verständnisrahmen fehlt, kann kein Bild entstehen. Im Gegenteil: Das Evangelium ohne biblische Einordnung kann zum Synkretismus führen; durch falsche Verkündigung können Menschen verstockt oder immunisiert werden gegen das Evangelium. Durch Gottes Gnade wird das bestimmt auch manches Mal verhindert, doch die Hoffnung darauf darf keine Ausrede dafür sein, sich nicht mit der Denkstruktur der Menschen befassen zu wollen. Sonst werden evangelikale Missionare selbst Verursacher von religiösem Synkretismus.

Ich bin einer von diesen Missionaren. Mit solcher theologischen Prägung arbeitete ich in einem Gebiet, in dem 100 Jahre vorher die ersten Missionare das Neue Testament übersetzt hatten. Dann allerdings wurden diese Menschen ca. 50 Jahre lang nur besuchsweise evangelisiert, bis ab 1929 wieder ein Missionar "stationiert" war. Noch zehn Jahre später hatte der (nächste) Missionar11 enorme Schwierigkeiten mit dem inzwischen eingefahrenen Synkretismus in den Gemeinden. Ich war einer der Nachfolger in den 70er Jahren und arbeitete anschließend in einer Pioniersituation. Als ich später die gesamte Missionsarbeit analysierte,12 fiel mir zweierlei auf: Starke synkretistische Züge in der Theologie der einheimischen Kirche, gegen die wir Missionare anscheinend vergeblich anpredigten. Andererseits stellte ich bei einzelnen, treuen Christen ein 'gesundes' biblisches Verständnis fest; sie erinnerten sich noch an Predigten des Missionars Kärcher - der schon viele Jahre zurück in der Heimat war - mit ausnahmslos alttestamentlichen Texten oder Zusammenhängen. Langsam erkannte ich die Hintergründe.

Praxis der Verkündigung bei Christian Keyßer und Georg Vicedom: Langer "Anlauf", sichere "Landung"

Missionar Christian Keyßer hatte eine lange Vorbereitungsphase: Als junger Lehrer13 für Missionarskinder konnte er sich viel Zeit nehmen, um die umliegenden Dörfer zu besuchen. Die einheimischen Männer nahmen ihn vorbehaltlos mit zur Jagd, lehrten ihn ihre Sprache und führten ihn nach und nach auch in die Geheimnisse ihrer Religion ein. Daneben begleitete er Missionare auf ihren Evangelisationsreisen in den Busch von Neuguinea. Schon bald merkte er, daß Missionsmethode und Kultur nicht zusammenpaßten. Als Keyßer dann selbst Missionar geworden war, hatte er Wesentliches gelernt. Bei der Jahreskonferenz der Missionare im Jahr 1915 wurde seine Missionsstrategie von Inspektor Steck zum Vorbild für die gesamte Mission erhoben.

Als Lehrer prägte Keyßer später etwa 30 Missionare, darunter Georg F. Vicedom, bei dem diese Erkenntnisse voll zum Tragen kamen. Das Evangelium wurde in langem Anlauf vermittelt: Nach einem gründlichen Sprach- und Kulturstudium beschrieb er durch alttestamentliche Geschichten und Zusammenhänge den biblischen Gott; er begann mit dem allmächtigen Schöpfer der Welt und der Menschen. Dann stellte er Gottes Beziehung zu seinen Geschöpfen als Vater und Richter dar mit dem Aspekt der Ewigkeit, also über das Leben hinaus. Das Verhalten der Menschen und deren Antwort auf Gottes Gedanken wurden damit verglichen. Die Schüler erzählten die biblischen Geschichten weiter, der Sinn wurde durch anschauliche Vorführungen verdeutlicht. Bei den Papua entstand dadurch eine Ahnung über die Bedeutung von "Sünde" im biblischen Sinne, der Unterschied zu ihrer kulturellen Vorstellung wurde klar.14 In diesem "Bild" erkannten sich die Menschen vor ihrem Schöpfer, dem himmlischen Vater. Das weckte ein Bedürfnis nach Erlösung, denn die Folge der Sünde auch unter ihnen selbst war inzwischen deutlich geworden. Das Evangelium von Jesus Christus als Sohn Gottes gab eine in das Gesamtbild passende Erklärung. - Nach zwei Jahren Verkündigung brach eine Erweckung aus, die erst durch den Ausbruch des zweiten Weltkrieges erstickt wurde.15

Das Evangelium wurde sicher "gelandet", verstanden und akzeptiert, gewollt und integriert. - Aber es hatte seine Zeit gebraucht. In einer anderen Situation mag das länger dauern, aber diese Reihenfolge ist richtig. Die lutherische Theologie der Neuendettelsauer Missionare behielt die Dreieinigkeit zusammen und beachtete die biblische Botschaft in der Reihenfolge, wie sie - sicher nicht zufällig - in der Bibel vorgegeben ist.16

Die Trennung der missionstheologischen Linien und der Verlust der gegenseitigen Korrektur

Unter dem Eindruck "der großen sozialen Nöte" in den USA "wurde als Hilfe zur Behebung der Nöte die Lehre vom Social Gospel entwickelt. ... Walter Rauschenbusch bekämpfte die Meinung, daß wir auf einen katastrophalen Einbruch des Reiches in die Weltgeschichte zu erwarten hätten. ... Die Sichtbarkeit des Reiches Gottes bestand in den 'Zeichen der Zeit'." Dieser Eindruck wurde durch den Zweiten Weltkrieg verstärkt und von Rauschenbusch aufgegriffen. In den 50er Jahren wurde in Deutschland mit vielen anderen amerikanischen Gütern auch das "Social Gospel"17 weitgehend kritiklos übernommen.

Diese Theologie beurteilte das Christentum, wie es sich bis dahin dargestellt hatte, als wirkungslos auf der horizontalen, zwischenmenschlichen Ebene, was besonders durch den Krieg zwischen den "christlichen Nationen" deutlich geworden sei. Das Evangelium sei bisher zu sehr nur in seiner vertikalen Beziehung zwischen Gott und den Menschen betont worden. Nun solle es das Schwergewicht auf die Horizontale legen. - Christsein und die christliche Kirche wurden damit vorwiegend in sozialer Perspektive gesehen. "Da die Kirchen weithin das Vertrauen in die Kraft des Wortes Gottes verloren haben, verlegten sie sich, von Amerika aus angeregt, auf die soziale Tätigkeit. Das wurde unter der Autorität Jesu gefordert, aber meist vom Humanismus her mit aufgewärmtem Rationalismus begründet. Das wurde von den fundamentalistischen Gruppen als Verrat am Worte Gottes gedeutet." 18 Andere neue theologische Elemente kamen hinzu, so daß schließlich auch der Auftrag der Mission lediglich als soziale Aktion propagiert wurde; das Ziel war demnach letztendlich - durch gegenseitige, pluralistische Toleranz - die Einheit der Welt.19

In diesen bewegten Jahren wurde die Integration der Mission in die Kirche gefordert und in Neu Dehli 1961 auf der obersten Ebene vollzogen: Der Internationale Missionsrat vereinigte sich mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen - als Vorbild für die Missionswerke und die Kirchen auf nationaler Ebene.20 Gedacht war auch, daß die Kirchen durch den Missionsauftrag neu belebt würden. So argumentierte Vicedom noch anfangs der 60er Jahre aufgrund seiner Erfahrungen als Missionar in Neuguinea: Einer erlahmten Gemeinde wurde ein Missionsauftrag erteilt und - wenn sie ihn akzeptierte, wurde sie dadurch auch geistlich neu belebt.21 In Deutschland geschah das Gegenteil: Die Mission wurde von der Theologie der Kirchen infiziert und geschwächt. Die von Walter Freytag gegründete Missionsakademie in Hamburg geriet nach dessen plötzlichem Tod im Jahr 1959 unter den neuen theologischen Einfluß, da aus noch zu klärenden Gründen Professor Georg F. Vicedom22 die Übernahme der Leitung verwehrt blieb.

Daneben entwickelte sich zunächst in aller Stille, dann jedoch immer unübersehbarer eine Parallele. Die sogenannten Glaubensmissionen, die nach den älteren, klassischen23 Missionswerken vor allem durch die Initiative Hudson Taylors entstanden waren, schlossen sich nicht dem Integrationstrend an, sondern distanzierten sich schließlich vom Deutschen Evangelischen Missionsrat und von der Missionsakademie in Hamburg. Eine Reihe von neuen, freikirchlichen und überkonfessionellen Missionsinitiativen nach amerikanischem Vorbild bildeten sich und wuchsen wider Erwarten schnell. Gegen Ende der 60ger Jahre sammelte der Wiedenester Missionsleiter Ernst Schrupp diese Glaubenswerke zu einer ersten Konferenz, woraus sich wenig später die Arbeitsgemeinschaft evangelikaler Missionen formierte; die Entwicklung bei der Missionsakademie in Hamburg führte schließlich zur Gründung einer eigenen privaten Hochschule.24

Das ursprünglich bekenntnishafte Element der nun "kirchlichen" Missionen verschwand immer mehr. Sie suchten ihre neue Identität aufgrund ihrer neuen theologischen Orientierung. Damit ging ihnen auch wertvolle missiologische Erkenntnisse ihrer eigenen Vergangenheit verloren. Ihre Theologie bestimmte nun eine neue Strategie.

Die seit Anfang der 70er Jahre sich "evangelikal" nennenden Glaubenswerke vollzogen die Trennung von der ökumenischen Linie so gründlich, daß auch sie nichts vom Erbe der alten deutschen Missionswissenschaft in die neue Ära hinüber retteten. Die strategischen Auswirkungen ihrer Theologie wurden schon beschrieben.

Die beiden Linien liefen endgültig auseinander, als niemand mehr eine Brücke schlug. Man zog keine Erkenntnisse aus der Vergangenheit. Georg F. Vicedom war der letzte Missionswissenschaftler, der mit je einem Fuß auf jeder Seite zu stehen versuchte.25

Bei den Evangelikalen wurde die amerikanische Missiologie populär: McGavran machte von sich reden.26 Seine "School of World Mission and Institut of Church Growth" am Fuller Theological Seminary in Pasadena mit seinem soziologischen Ansatz "boomte". Die Evangelikalen übernahmen gerne Amerikanisches - ihr konservatives Element ließ ihnen jedoch noch manches suspekt erscheinen.27

Der alttestamentliche Rahmen, der Kern des Evangeliums und dessen Auswirkung:

Gottesbild > Menschenbild > Sünde > Bedürfnis > Evangelium > Heil > Diakonie

Die Bibel ist unter den Augen Gottes entstanden28 - auch in der Reihenfolge und Anordnung der einzelnen Bücher. Dadurch ist eine logische Abfolge, ein systematischer Aufbau erkennbar, der nur vom Ende her gesehen verständlich ist. Im Alten Testament wird das Gottesbild durch den Bezug zu den Menschen in allen Perspektiven deutlich beschrieben. Auch die Person (Jo 14,9) und das Werk Jesu sind nur vom Alten Testament her wirklich verständlich. Die vielen alttestamentlichen Bezüge29 setzen dieses geradezu voraus. Wer es wegläßt, unterschlägt, abwertet oder gar als lästig empfindet, beraubt sich und seine Zuhörer des Bezugsrahmens, durch den alles erst sinnvoll erscheint und Konturen gewinnt. (1.Kor 13,12)

Das Alte Testament ist die soteriologische Voraussetzung für das Evangelium. Gottes Bild wird in seinen Funktionen und Attributen als Schöpfer, Vater, Richter, Herrscher gezeichnet, er ist die Liebe und Gnade in Person; so erscheint er auch in seinen Eigenschaften als gut, heilig, gerecht, treu, ewig. Das ist nicht kontrovers, sondern konsequent. Die Absolutheit Gottes wird dadurch deutlich und die Zehn Gebote erhalten ihren Sinn in der Abhängigkeit vom Ersten: "Ich bin der Herr, dein Gott; du sollst keine andern Götter neben mir haben!" (2.Mo 20) Die Heiligkeit Gottes duldet keine Sünde - das wäre kontrovers - der Sünder trennt sich durch sie von Gott. Nur daraus ergibt sich die soteriologische Folgerung oder Konsequenz des Kreuzes. Für wen Gott nicht absolut ist, für den ist das Kreuz nicht notwendig.

Das Alte Testament war nicht nur für die Juden. - Viele Kulturen in der Zwei-Drittel-Welt stehen ihm heute viel näher als unserer westlicher Kultur. Sie verstehen das Alte Testament besser als wir, sie identifizieren sich damit, sie fühlen sich darin schnell zu hause und verstanden. Das ist ihre Welt. Wir kommen ihnen entgegen, wir erleichtern ihnen das Verständnis, wenn wir damit beginnen.

Das haben die alten Missionare gemerkt - intuitiv oder durch schmerzvolle Erfahrungen.30 Ihre Erkenntnisse wurden durch theologische, gesellschaftliche und politische Ereignisse zugeschüttet.

Nun lesen wir von neuen Methoden, der chronologisch-heilsgeschichtlichen Verkündigung, und von einem Bibelunterricht, der die biblische Reihenfolge berücksichtigt und immer wieder von vorne beginnt, jedes Mal erweiternd, vertiefend, weitere Zusammenhänge aufzeigend ein stabiles Fundament legt und darauf aufbauend zum Evangelium und später zu den Briefen gelangt: "Auf festen Grund gebaut"31. Das kommt uns jetzt bekannt vor, oder?

Der Missionar Trevor McIlwain hat in den Philippinen Erfahrungen gemacht wie viele andere anderswo: Es ging nicht vorwärts. Die Leute schienen nicht zu verstehen. Sie kamen nicht zum Glauben. Sie verstanden etwas anderes als er ihnen sagte. Dann ging er systematisch chronologisch vor, wie die Bibel. Jetzt wurde er verstanden. Daraus entstand ein umfangreiches Lehrprogramm, das inzwischen erprobt und bewährt ist. Das Konzept greift: Es wird von vielen Missionaren und Pastoren in verschiedenen Kulturen und mit unterschiedlichen theologischen Hintergründen erfolgreich angewendet. Es ist adaptierbar.32

Die Literatur Keyßers und Vicedoms war für den anglo-amerikanischen Bereich nicht zugänglich - von Ausnahmen abgesehen. Nun wurde dieses Rad noch einmal erfunden und gelangt als amerikanische Innovation wieder zu uns zurück. Wer sich mit der alten deutschen Missionswissenschaft befaßt, ahnt, wie viele ähnliche Erkenntnisse noch verschüttet sind. 'Grabungen' lohnen sich.

Durch den alttestamentlichen Rahmen entsteht das biblische Gottesbild und das biblische Menschenbild, die im Neuen Testament aufgegriffen und die Linien verfeinert werden. Eingebettet im neutestamentlichen Umfeld liegt das Evangelium. Wenn es so angenommen und verstanden wird, entsteht darüber die Kreuzform als Sinnbild des Evangeliums in der rechten Dimension: Die große Vertikale zwischen Gott und Mensch, daraus folgernd die Horizontale, Mensch zu Mensch. Die Vertikale muß zuerst entstehen, sie ist das Fundament. Daraus resultieren Glaube, Liebe, Hoffnung, (1.Kor 13,13) Kraft, Halt, Zuversicht. Auf der Vertikalen wird der Mensch zum Christen, wenn er sein Leben und seine Ewigkeit in Gott verankert. Hier geschieht die Vergebung der Sünde durch die persönliche Annahme des Geschehens am Kreuz. Dann erst kann eine stabile Horizontale entstehen, die sich in der Diakonie, in zwischenmenschlichen Beziehungen auswirkt. Auf der Horizontalen liegt auch der Missionsauftrag; das ist die Ebene, wo der Glaube greift, sichtbar gelebt wird und Hände und Füße bekommt. Wer keine Vertikale hat, bleibt kraft- und wirkungslos auf der Horizontalen.

Das Alte Testament ist die soteriologische Rahmenbedingung für das Evangelium. Wenn die Kreuzform der gesamten biblischen Botschaft eingehalten wird, werden Evangelikale und Pietisten vor vertikaler Einseitigkeit33 und die liberal-ökumenische Theologie vor horizontaler Verflachung bewahrt. Das Kreuz ist die Brücke, wie das noch vor 50 Jahren der Fall war. Diese Theologie sollte unsere Strategie bestimmen.



1. Der Artikel wurde ursprünglich als Beitrag zur Festschrift zum 70.Geburtstag von Professor Niels Moritzen (1.2.1998) geschrieben. Eine Kopie des Unikats kann in der Bibliothek der Universität Erlangen ausgeliehen werden. Für evangelikale missiologie wurden der Text leicht bearbeitet und vor allem die Fußnoten gekürzt.
2. Anschrift siehe Impressum
3. Die Berechtigung dieser Forderung kann auf Mt16,16 und in Bezug zur Taufe auf Mk 16,16 zurückgeführt werden.
4. George W. Peters, Evangelisation total, durchdringend, umfassend. Bad Liebenzell: VLM, 1977: 13
5. Begriffslexikon zum Neuen Testament "Jesus Christus", S. 757ff.
6. Inzwischen wurde diese Trennung durch der "Berliner Erklärung" 1909 mit der "Kasseler Erklärung" der Deutschen Evangelischen Allianz und des Präsidiums des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden relativiert und damit eine neue Basis zur Verständigung und Zusammenarbeit gegeben. Evangelische Allianz intern 3/96: 5
7. Hermann Bühler untersucht in seiner Dissertation (Pasadena, Fuller School of World Mission, noch nicht abgeschlossen) die Auswirkungen diese Art von "Monotheismus" in der Theologie der deutschen Missionare auf die einheimische Kirche der Chuuk-Inseln (Mikronesien).
8. Beispiel: In Chuuk / Mikronesien entstand das erste Neue Testament in den 70er Jahren des 19.Jahrhunderts; zwei neue Übersetzungen erschienen in den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts, u.a. auch ein Buch mit alttestamentlichen Geschichten. Erst in den siebziger Jahren (100 Jahre nach Beginn der ersten Evangelisation!) begann die Übersetzung des vollständigen Alten Testaments.
9. Z.B. das bekannte "wortlose Büchlein", wenn mit der schwarzen Seite begonnen wird.
10. Peters, 1977: 15.
11. Wilhelm Kärcher; siehe K.W. Müller, "Am Tag der Beerdigung geschrieben." em 4/93: 115-116
12. K. W. Müller, Evangelische Mission auf den Truk-Inseln: Ein Missionar analysiert sein Missionsfeld. Bonn: VKW, 1989
13. 1899 als 22-jähriger von der Neuendettelsauer Mission als Lehrer nach Neuguinea ausgesandt. K.W.Müller, "Peacemaker: Missionary Practice of Georg Friedrich Vicedom in Neuguinea." Ph.D. Dissertation, Aberdeen University, 1993: 34-35
14. Vergleiche dazu den Aufsatz von Lothar Käser, "Der Begriff Sünde und Fluch bei den Insulanern von Truk".
15. Siehe Kapitel IV in Müller, 1993: 228-231.
16. G. F. Vicedom, "Der Weg zu den Anhängern einer primitiven Religion in Neuguinea." Referat beim ÖRK, 1946.
17. Georg F. Vicedom, Actio Dei: Mission und Reich Gottes. München: Kaiser Verlag, 1975: 20ff und 36ff. R. Müller, "Walter Rauschenbusch", Ökumenische Studien (1, 1957): 89
18. Vicedom, 1975: 73
19. Die theologischen Zusammenhänge sind hier grob vereinfacht und können hier nicht weiter ausgeführt werden.
20. Wolfgang Günther, Von Edinburgh nach Mexico City: Die ekklesiologischen Bemühungen der Weltmissionskonferenzen. Stuttgart: Evang. Missionsverlag, 1970: 121-125
21. Müller, 1993: 69ff. G. F. Vicedom, Junge Kirche in Neuguinea, Stuttgart 1962. u.a.
22. Vicedom, Professor für Mission an der Augustana Hochschule in Neuendettelsau, war auf der gleichen theologischen Ebene wie Freytag. Er hatte Interesse daran, die Akademie im Sinne seines Freundes weiterzuführen. Aus dem Briefwechsel mit Martin Pörksen und anderen ist seine Enttäuschung zu entnehmen, daß dies nicht zustande kam. Durch meine Forschung über Vicedom ist mir die Korrespondenz zugänglich, jedoch sind die Zusammenhänge noch nicht aufgearbeitet.
23. Klaus Fiedler, Ganz auf Vertrauen: Geschichte und Kirchenverständnis der Glaubensmissionen. TVG. Gießen: Brunnen, 1992: 13.
24. Dagmar Gleiss, "Geschichte der AEM 1969-1974." Abschlußarbeit CBS Korntal, 1996
25. Er starb 1974, ein Jahr bevor sein letztes Werk, Actio Dei, erschien. Darin analysierte er die Entwicklung der Theologien und deren Auswirkungen. Leider erhielt dieses wichtigste Werk Vicedoms nicht mehr die Beachtung, die es verdiente.
26. Donald McGavran, The Bridges of God. New York: Friendship Press, 1955. Ders., Understanding Church Growth. Grand Rapids: Eerdmans, 1970.
27. Selbst der Anthropologie Käsers stand man zu Beginn der Fortbildungskurse des Seminars für missionarische Fortbildung noch recht zurückhaltend gegenüber.
28. Die Inspiration durch den Heiligen Geist nach 2.Tim 3,16 ist vorausgesetzt.
29. Vergl. Claudia Middendorf, "Der Gebrauch des Alten Testaments im ersten Petrusbrief." Korntal: CBS-Abschlußarbeit, 1997
30. Vergl. auch Ernst Jäschke, Gemeindeaufbau in Afrika: Die Bedeutung Bruno Gutmanns für das afrikanische Christentum. Stuttgart: Calwer Verlag, 1981
31. Trevor McIlwain, Auf festen Grund gebaut: In 50 Lektionen durch die Bibel. Neuhausen: Hänssler, 1998
32. Hans Bär, Heilsgeschichtlicher Bibelunterricht: McIlwains Programm 'Building on Firm Foundations' im Einsatz unter den Karen im Bezirk Omkoi (Nordthailand). Edition afem, mission academics Bd.3. Bonn: VKW,1998.
33. Vicedom, 1975: 72. "Die Glaubensmissionen bekannten sich (bei aller sonst zu monierenden pietistisch-moralischen Verkürzung heilsgeschichtlich dimensionierter biblischer Paränesen) immerhin zum biblischen Jesusbild."
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