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"Ein Gott der Angst"


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Rolf

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"Ein Gott der Angst"

Der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins, 66, über die Militanz des Glaubens, den Ursprung der Spiritualität und den Missbrauch von Kindern durch die Religion


SPIEGEL: Mr Dawkins, Sie zählen den ehemaligen Bischof von Oxford zu Ihren Freunden, einen Mann also, der sein Leben einem "frauenfeindlichen, homophoben, rassistischen, Kinder und Völker mordenden, größenwahnsinnigen, sadomasochistischen, launisch-boshaften Tyrannen" verschrieben hat - so zumindest bezeichnen Sie den Gott des Alten Testaments. Sie schätzen den Bischof trotzdem?

Dawkins: Richard Harries ist ein sehr angenehmer Mann, sehr intelligent und belesen. Seine Gläubigkeit berührt meinen Alltag wenig. Für mich wäre es schwieriger, mit einem Rassisten befreundet zu sein.

SPIEGEL: Findet der Bischof es witzig, dass Sie ihn des Gotteswahns bezichtigen?

Dawkins: Oh, er ist sehr freundlich zu mir, wie es so die Art von Bischöfen ist.

SPIEGEL: In den USA liegt die Toleranzschwelle für lautstarke Atheisten wie Sie niedriger ...

Dawkins: Ja, es scheint, als sei in Amerika eine Art naive Religiosität auf dem Vormarsch. Da füllen sich Mega-Kirchen mit Zehntausenden, die alle einmal in der Woche was in den Klingelbeutel werfen.

SPIEGEL: In Europa gibt es nichts Vergleichbares. Wie erklären Sie sich das?

Dawkins: Vielleicht liegt es daran, dass die Religion in Europa so langweilig ist. Die Leute hier in Großbritannien gehen einmal im Jahr, an Weihnachten, in die Kirche; sie gehen zu Hochzeiten und Beerdigungen, und das war's. Amerika dagegen ist so ziemlich das einzige westliche Land, das Kirche und Staat rigoros getrennt hat. Deshalb sind die Kirchen zu freien Unternehmen geworden. Es gibt aggressive Werbung, Verkäufer, die Religion verhökern wie Marktschreier ihr Seifenpulver. Und Konkurrenzkirchen gieren nach Kunden: Komm in meine Kirche, nicht in die andere! Gib mir dein Geld, nicht den anderen!

SPIEGEL: Haben Sie schon einmal so eine Messe für die Massen in den USA besucht?

Dawkins: O ja. Da gibt es Musik, blinkende Scheinwerfer, kreischende Mikrofone, Kinderbetreuung, Restaurants, Amüsement jeder Art. Das ist der Ort, an dem man seine Sonntage verbringt, Leute trifft. In Europa bekommt man hübsches farbiges Glas und manchmal schöne Choräle. Aber die Kirche ist kaum der Ort, wo man hingeht, um mal so richtig Spaß zu haben! So ein amerikanischer Gottesdienst gleicht einem Rockkonzert - oder einem Reichsparteitag. Damit habe ich die Show später gegenüber dem Pastor verglichen. Leider wusste er nicht, was ein Reichsparteitag ist.

SPIEGEL: Warum kämpfen Sie so erbittert gegen den Glauben? Haben Sie Angst?

Dawkins: Ja, vor der Militanz des Glaubens. Vor der Überzeugung der Leute, sie wüssten genau, was richtig ist. Davor, dass für sie Argumente nicht mehr gelten.

SPIEGEL: Nicht jeder Gläubige ist fanatisch, nicht jeder Muslim zündet Bomben.

Dawkins: Zugegeben. Aber jede Glaubensgemeinschaft hat ihre Randgruppe, die eben doch gewalttätig ist. Im Übrigen ist die Existenz von militanten Christen, Islamisten und auch Juden ja nur die eine beängstigende Tatsache. Die andere ist, dass Religiosität den Intellekt unterminiert, die Suche nach Wahrheit untergräbt; man ist zufrieden mit etwas, das nichts erklärt - obwohl wir Erklärungen haben!

SPIEGEL: Kann nicht jeder nach seiner Fasson glücklich werden?

Dawkins: Finden Sie es in Ordnung, wenn Prediger Pat Robertson öffentlich behauptet, New Orleans sei überschwemmt worden, weil Gott die Homosexuellen strafen wollte? Immer wenn eine Naturkatastrophe zuschlägt, finden solche Evangelikalen - übrigens Berater und Vertraute von Präsident Bush - einen schuldigen Sünder.

SPIEGEL: Muss man die Sprüche solcher Extremisten wirklich ernst nehmen?

Dawkins: Die Frage gehört genau anders herum gestellt. Ich verstehe nicht, warum die Leute Milde walten lassen, wenn Gläubige so etwas von sich geben. In Ohio erlaubte ein Gericht einem Jugendlichen, in der Schule mit einem T-Shirt herumzulaufen, auf dem stand: "Homosexualität ist eine Sünde, Islam ist eine Lüge, Abtreibung ist Mord". Und warum? Weil das Teil seines Glaubens sei.

SPIEGEL: Sind Sie im Lauf der Jahre radikaler in Ihrer Religionskritik geworden?

Dawkins: Wahrscheinlich. Der 11. September 2001 hat mich sicherlich radikalisiert und auch die Antwort der Christenheit, deren Kreuzzug gegen die neuen Feinde, die Aufteilung der Welt in Gute und Böse.

SPIEGEL: Menschen führen aus vielerlei Gründen Krieg, nicht nur aus religiösen. Wir verstehen noch nicht ganz, woher Ihr Furor gegen den Glauben rührt.

Dawkins: Besonders empört mich die Indoktrinierung der Kinder. Ich halte Religion für eine Form mentalen Kindesmissbrauchs. Es ist ungeheuerlich, dass unsere Gesellschaft schon Babys Etiketten anheftet: Du bist ein katholisches, du ein protestantisches Kind. Wir würden nicht im Traum daran denken, von einem marxistischen oder einem konservativen Kind zu sprechen!

SPIEGEL: Wie soll denn solch ein Etikett schaden?

Dawkins: Es bürdet den Kindern eine Menge Gepäck auf, es macht sie verletzlich. Vielleicht nicht in Deutschland, aber ganz sicher in Nordirland, im Irak, in Israel. Und selbst wenn es nicht unmittelbar gefährlich ist - es ist eine Bevormundung. Lange bevor das Kind alt genug ist, eine eigene Meinung zu haben über den Kosmos, die Moral, die Menschheit, wird es abgestempelt zu jemandem, der an die Dreieinigkeit glaubt ...

SPIEGEL: Mentaler Kindesmissbrauch? Ein schwerer Vorwurf.

Dawkins: Ist es auch. Ich halte es für schlimm, kleinen Kindern zu erzählen, dass von ihnen geliebte Menschen in der Hölle schmoren werden, weil sie zum Beispiel Protestanten sind.

SPIEGEL: Im Ernst, welcher Priester jagt Kindern heute noch derartige Angst ein?

Dawkins: Ich empfehle einen Besuch im sogenannten Höllenhaus in Colorado. Dort stellen Schauspieler verschiedene Sünden auf möglichst schaurige Weise dar: Abtreibung zum Beispiel oder Homosexualität. Ein Teufel in Rot tänzelt umher und macht "Whoaaaa", und am Ende landet man in der Hölle selbst, komplett mit dem Geruch brennenden Schwefels. Der einzige Zweck dieses Etablissements ist es, Kinder in Schrecken zu versetzen.


2. Teil: Die Evolution beseitigt die bei weitem gewichtigsten Gründe, an Gott zu glauben

SPIEGEL: Die christliche Botschaft der Liebe müsste Ihnen kindgerechter erscheinen.

Dawkins: Kennen Sie den Dokumentarfilm "Jesus Camp"? Das ist ein evangelikales Sommerlager für Kinder. Die werden dort trainiert, Soldaten Gottes zu werden - und zwar mit Gewehrattrappen. Es lässt das Blut in den Adern gefrieren, zu sehen, wie diese kleinen Kinder gedrillt werden ...

SPIEGEL: Wann begannen Sie selbst, am Glauben zu zweifeln?

Dawkins: Etwa als ich neun war. Da wurde mir klar, dass es viele verschiedene Religionen gibt und dass sie nicht alle recht haben können. Aber es gab noch einen letzten Rest von Gründen, zu glauben: vor allem die Komplexität und Schönheit des Lebens. Mit 15 verstand ich dann Darwin, die Evolution ...

SPIEGEL: ... und das ließ Sie endgültig den Glauben an Gott verlieren?

Dawkins: Ja. Deshalb würde ich auch alles tun, um nicht vorgeladen zu werden als Zeuge in einem der amerikanischen Kreationisten-Prozesse. Auf die Frage, ob ich durch Darwin zum Atheisten geworden bin, müsste ich mit Ja antworten, und der gegnerische Anwalt würde triumphieren. Denn wenn man in den USA zeigen kann, dass Darwinismus zur Abkehr vom Glauben führen kann, will niemand mehr Evolution an den Schulen gelehrt haben.

SPIEGEL: Halten Sie Wissenschaft und Religion für grundsätzlich unvereinbar?

Dawkins: Es gibt religiöse Wissenschaftler, folglich ist es offenbar möglich für den menschlichen Geist, beide Weltsichten zu vereinen. Mir fällt es aber sehr schwer, das nachzuvollziehen. In meinen Augen beseitigt die Evolution die bei weitem gewichtigsten Gründe, an Gott zu glauben.

SPIEGEL: Lässt die Physik mehr Raum für Gott als die Biologie?

Dawkins: Vielleicht. Die fundamentalen Konstanten des Universums sind nämlich sehr fein eingestellt, und keine Theorie kann erklären, warum diese Konstanten genau diese Werte haben. Aber wenn sie auch nur geringfügig anders wären, würde das Universum, wie wir es kennen, nicht existieren. Diese Tatsache kann man zu einem Argument ummünzen: Es muss einen Designer gegeben haben, der dieses halbe Dutzend Konstanten so fein eingestellt hat.

SPIEGEL: Lassen Sie uns raten: Sie finden dieses Argument nicht überzeugend?

Dawkins: Ich finde es zutiefst unbefriedigend! Denn es wirft uns zurück auf die Frage, wo dann der Designer herkommt.

SPIEGEL: Haben Sie eine bessere Erklärung für das Fine-Tuning unseres Universums?

Dawkins: Es gibt Gründe anzunehmen, dass es viele Universen gibt, ein jedes mit anderen Gesetzen und Konstanten. Unter all diesen Millionen unterschiedlichen Universen mag es nur eine winzige Minderheit geben, bei der die Bedingungen für die Entstehung von Sternen, Elementen oder Leben gegeben sind. Wir aber müssen in einem dieser wenigen Universen leben, denn es gibt uns. Ich finde, das ist eine ziemlich elegante Erklärung.

SPIEGEL: Immerhin lässt der fehlende Beweis des Multiversums Raum für einen Gott, der alle Schöpfung losgetreten hat ...

Dawkins: ... und dann in Rente ging? Auch der wäre ein enormes übernatürliches Wesen, eine Intelligenz, die nur eben seit dem Urknall nichts mehr tut. Das ist im Grunde immer noch die gleiche Gotteshypothese.

SPIEGEL: Vielleicht greift hier Ihr schlichtes Verständnis von "wahr" oder "falsch" zu kurz. Wenn man Menschen nach ihrem Glauben fragt, gewinnt man den Eindruck, dass Gott eine Art gefühlte, erfahrbare Wahrheit ist. Könnte es sein, dass es neben Ihrem, dem wissenschaftlichen Konzept von Wahrheit noch ein anderes gibt?

Dawkins: Ich frage mich nur, welches. Man könnte zum Beispiel behaupten, dass ein Streichquartett von Schubert in irgendeinem Sinne wahr ist. Aber ich wünsche mir nicht, diese Aussage verteidigen zu müssen. Mag sein, dass es sich hier um eine andere Art von Wahrheit handelt - schließlich rührt uns das Streichquartett zu Tränen. Aber im Grunde handelt es sich hier nur um ein Spiel mit Worten.

SPIEGEL: Die drei vielleicht fundamentalsten aller Fragen hat die Wissenschaft bisher nicht beantworten können: die nach dem Ursprung der Materie, des Lebens und des Bewusstseins. Alle drei befassen sich mit Momenten des Schöpfens: Erst war nichts, plötzlich ist da etwas. Vielleicht löst die Wissenschaft diese Fragen nie?

Dawkins: Ich bezweifle, dass Wissenschaft prinzipiell nicht dazu in der Lage sein soll, solche Sprünge zu ergründen. Ich bin auch gar nicht sicher, ob es wirklich jedes Mal ein solcher Sprung war. Nehmen wir das Bewusstsein: Viele Leute glauben, dass Regenwürmer ein winziges bisschen Bewusstsein haben, Hunde sehr viel mehr und wir Menschen am meisten.

SPIEGEL: Und der Ursprung des Lebens?

Dawkins: Das Schlüsselereignis war hier das Erscheinen eines sich selbst replizierenden Moleküls. Aber die Erde sah vor und nach diesem Ereignis nicht sehr verschieden aus: Vorher war das Meer ein kochender Kessel von Molekülen; danach ein kochender Kessel von Molekülen, von denen ein paar sich selbst replizierten. Niemand hätte damals erkennen können, dass in diesem Moment die Saat komplexen Lebens gesät worden war. Aber die kniffligste Ihrer drei Fragen ist die nach dem Bewusstsein. Da ist es schon schwierig, überhaupt das Wesen des Problems zu definieren.

SPIEGEL: Aber genau diese Lücke lässt sich prima mit Gott füllen. Der klassische Vorwurf lautet doch, die Wissenschaft gebe keine Antwort auf die entscheidenden Frage: Wer und warum bin ich?

Dawkins: Wenn das eine Theoriegebäude mir etwas nicht erklären kann, bedeutet dies ja nicht, dass es deswegen das andere kann. Das ist völlig unlogisch!

SPIEGEL: Wenn, wie Sie sagen, die Religion so wenige überzeugende Antworten gibt, warum findet sie dann so viele Anhänger? Hat die Evolution beim Homo sapiens ein Bedürfnis nach Spiritualität begünstigt?

Dawkins: Wie viele Biologen favorisiere ich die Idee, dass die Selektion gar nicht die Religiosität als solche begünstigt. Sie könnte auch das Nebenprodukt einer anderen bevorzugten Eigenschaft sein.

SPIEGEL: Wie sollen wir uns das vorstellen?

Dawkins: Religion könnte zum Beispiel ein Nebenprodukt der Neigung von Kindern sein, ihren Eltern zu gehorchen. Der Überlebensvorteil ist leicht zu erkennen: In der Wildnis lebte ein aufmüpfiges Kind gefährlich, weil es die Warnungen der Eltern ignorierte. Deshalb begünstigte die Selektion wahrscheinlich die Unterordnung unter Autoritäten. Ein Gehirn aber, das glaubt, was Autoritäten sagen, kann nicht mehr unterscheiden zwischen dem guten Rat, nachts nicht in den Wald zu gehen, weil da ein Tiger lauern könnte, und dem törichten Befehl, eine Ziege zu opfern, um den Regen herbeizurufen.

SPIEGEL: Diese Theorie hat aber gar nichts Religionsspezifisches. Damit können Sie die Verbreitung von jeder Art von Unsinn erklären ...

Dawkins: ... was ja auch stimmt. Nehmen Sie den gesamten Aberglauben: "Du darfst nicht unter einer Leiter durchgehen" oder "Schwarze Katzen bringen Unglück". Ideen breiten sich aus wie Viren.

SPIEGEL: Und was entscheidet darüber, welches Virus erfolgreich ist?

Dawkins: Ein Virus, das sagt: "Du wirst deinen eigenen Tod überleben", ist zum Beispiel sehr attraktiv. Denn es gibt viele Leute, die Angst vor dem Tod haben, also mögen sie die Idee. Oder nehmen Sie die Idee, dass Glaube eine Tugend und dass Glaube wider alle Vernunft sogar noch tugendhafter sei. Es ist leicht einzusehen, welch einen Überlebensvorteil ein solches Virus hat.

3. Teil: Keine Art von Denkverbot könnte jemals Bestandteil meines Weltbilds sein

SPIEGEL: Der Glaube ist nur ein Aspekt der Religion. Für wie wichtig halten Sie die anderen: Tradition und Ritual?

Dawkins: Die meisten Menschen scheinen Ritualen einen gewissen Wert beizumessen, das stimmt. Auch Atheisten heben ihr Glas, um dem frischvermählten Paar zuzuprosten. Und ich muss zugeben, dass ich mich bei einem formellen Dinner, wenn jeder Smoking und Fliege trägt, schon ein bisschen gestört fühle, wenn da jemand mit Jeans und Pulli auftaucht.

SPIEGEL: Feiern Sie Weihnachten?

Dawkins: Ja, in dem Sinn, dass wir die Kinder beschenken.

SPIEGEL: Haben Sie Ihre Hochzeit in der Kirche gefeiert?

Dawkins (lacht): Beim ersten der drei Male, ja. Damals haben wir gar nicht über andere Möglichkeiten nachgedacht. Die Gesellschaft hat das damals irgendwie erwartet.

SPIEGEL: Könnte es sein, dass die Rituale das Wichtige an einer Religion sind - nicht der Glaube?

Dawkins: Wenn Sie recht haben, meinetwegen. Rituale greife ich gar nicht an. Ich interessiere mich für solche Gläubige, die zum Beispiel meinen, Gott hätte ihnen gesagt, sie sollten in den Irak einmarschieren, Abtreibungskliniken sprengen oder Stammzellforschung verhindern.

SPIEGEL: "Wenn Gott nicht existierte, wäre alles erlaubt", meinte Dostojewski. Wo wären wir ohne die christliche Ethik?

Dawkins: Unsere heutige Ethik haben wir doch gar nicht aus der Bibel. Unsere Werte - Gleichberechtigung zum Beispiel oder das Verbot von Sklaverei und Folter - haben der Schrift nichts zu verdanken. Sie sind entstanden in einem liberalen Konsens, den wir mit allen Menschen teilen, die wir zivilisiert nennen. Wenn wir unsere Ethik wirklich aus der heiligen Schrift bezögen, wäre die Welt ein entsetzlicher Ort. Wie das Afghanistan unter den Taliban.

SPIEGEL: Was ist mit der Bergpredigt?

Dawkins: Auf die beziehen Sie sich nur, weil die Bergpredigt mit Ihrem modernen liberalen Konsens übereinstimmt, während das 5. Buch Mose dies nicht tut - es sagt uns nämlich, dass wir Fremdgängerinnen zu Tode steinigen sollen.

SPIEGEL: Jeder pickt sich also das aus der Bibel heraus, was ihm passt?

Dawkins: Genau. Wir würden uns wahrscheinlich schnell darauf einigen können, dass "Du sollst nicht töten" ein gutes Gebot ist, "Du sollst dir kein Bildnis von mir machen" hingegen ein ziemlich dämliches.

SPIEGEL: Aber vielleicht eignet sich der Glaube an einen Gott gut, um die Normen der jeweiligen Gesellschaft durchzusetzen?

Dawkins: Mit Bestechung und Angst, ja. Du bist ein guter Mensch, weil du Angst hast, dass Gott dich sonst bestraft. Falls das wahr wäre, falls die Menschen also nur aus Gottesfurcht gut wären, schiene mir das ziemlich unwürdig. Ich meine, würden Sie mit jemandem befreundet sein wollen, der nur aus Angst vor Gott gut ist?

SPIEGEL: Würden Sie die Religion am liebsten verbieten?

Dawkins: Nein. Keine Art von Denkverbot könnte jemals Bestandteil meines Weltbilds sein. Ich möchte einfach nur das Bewusstsein schärfen.

SPIEGEL: Bisher scheinen Sie eher brachial gewirkt zu haben. Selbst manche Ihrer Mitstreiter im Kampf gegen die Wissenschaftsfeindlichkeit werfen Ihnen vor, Sie erweckten mit Ihrem Buch den Eindruck, dass der Atheismus genauso intolerant ist, wie die es sind, gegen die er sich wendet.

Dawkins: Es gibt da eine Doppelmoral. Wenn Sie sagen "George Bush ist ein Idiot", wird Ihnen manch einer zustimmen. Wenn Sie aber sagen "Religion ist idiotisch", hört sich das sofort scharf, schrill, eifernd an. Wenn Sie die Tonlage in meinem Buch mal vergleichen mit der von Theaterkritiken oder politischen Kommentaren, werden Sie feststellen, dass meine Sprache eher milde und zahm daherkommt.

SPIEGEL: Mindestens fünf weitere Autoren haben in der letzten Zeit Streitschriften gegen die Religion verfasst. Wie viel, glauben Sie, lässt sich damit bewirken?

Dawkins: Die Atheisten waren viel zu lange nett. Jetzt erheben wir die Stimme - und siehe da, unsere Bücher sind gewaltige Bestseller. Mein Buch hat sich jetzt schon, als Hardcover, mehr als eine Million Mal verkauft ...

SPIEGEL: ...vielleicht haben es manche nur gekauft, um es zu verbrennen.

Dawkins (lacht): Meinetwegen. Ich sehe natürlich, dass ich wahrscheinlich vor allem meiner Gemeinde predige. Aber ich sehe auch, dass diese Gemeinde viel größer ist, als alle dachten. Selbst wenn es nicht gelingt, die Gläubigen von ihrem Glauben abzubringen, bewegen wir vielleicht Leute dazu, von verstecktem zu unverblümtem Atheismus zu konvertieren.

SPIEGEL: Sehen Sie sich als Heerführer im Kampf gegen die Religion?

Dawkins: Können Sie sich das vorstellen? Ich als Anführer?

SPIEGEL: Vielleicht nicht der diplomatischste, aber immerhin gemäß Ihrem Spitznamen: "Darwins Rottweiler"?

Dawkins: Rottweiler sind sehr charmante, süße Hunde.

SPIEGEL: Mr Dawkins, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.



Das Interview führten SPIEGEL-Redakteure Rafaela von Bredow und Johann Grolle.




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