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Die Islamkritik hat gerade erst begonnen


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Die Islamkritik hat gerade erst begonnen






Versuch einer Frontbereinigung in der aktuellen Debatte um die Grenze der Toleranz.



Von Daniele Dell'Agli



Dieser Artikel erschien in der Zeitung DIE WELT


Der Streit um Grenzen, Nutzen oder gar Legitimität der Islamkritik hält unvermindert an, was zumindest die Chance beinhaltet, den Konfliktstoff, der ihm zugrunde liegt, immer genauer herauszuarbeiten. Dass diese Chance verspielt wird, wo die Kritiker des Islams, wie neuerlich wieder von Thomas Steinfeld, als verantwortungslos, antiaufklärerisch und kontraproduktiv abgekanzelt werden, liegt auf der Hand. Nun sollen sie gar erklären, "wie und warum sie als Liberale für die präventive Einschränkung der Religionsfreiheit sind und was sie an praktischen Schlüssen daraus ziehen wollen" - ein Vorschlag, den man fast schon konstruktiv nennen könnte, wäre er nicht im herausfordernden Ton desjenigen verfasst, der glaubt, damit seine Kontrahenten mundtot gemacht zu haben. Und weil diese Aufforderung am Ende einer langen Reihe von Diskreditierungsversuchen steht, die den Blick auf die Sache verzerren, soll zunächst mit den falschen Prämissen dieser Debatte aufgeräumt werden, damit wir zu einem späteren Zeitpunkt ihren eigentlichen Gegenstand in der gebotenen Schärfe beleuchten können.

Die Annahme, es gäbe so etwas wie eine ernst zu nehmende Kritik an der Islamkritik sieht sich gleich mehrfach widerlegt. Zunächst durch die Absurdität, dass ausgerechnet einem jüdischen Atheisten (Henrik M. Broder) und drei muslimischen Dissidentinnen (Necla Kelek, Seyran Ates, Ayaan Hirsi Ali) attestiert wird, "christliche Islamkritik" (SZ) oder "Islamkritik im Namen christlicher Werte" (3sat Kulturzeit) zu betreiben. Als ob Freiheit der Meinungsäußerung, religiöse Toleranz oder die Selbstbestimmung des Individuums (um nur diese "Werte" zu nennen) Errungenschaften des Christentums wären. Als ob die Kultur der Kritik, des Fragens und Zweifelns, des Dialogs und der freien Rede, kurz die Aufklärung nicht vielmehr mit Sokrates beginnt, bei Cicero einen ersten Höhepunkt erreicht, um nach einer erzwungenen Latenz von anderthalb Jahrtausenden in der Renaissance wieder zögerlich anzuheben. Als ob es nicht Verdienst des römischen Rechts ist, die christliche Ethik soweit formalisiert zu haben, dass dem Abendland barbarische Auswüchse nach Art der Scharia erspart blieben.

Man könnte die Aufzählung endlos fortsetzen, entscheidend ist hier, dass weder die Kritik am Islam noch die säkularen Werte, in deren Namen sie agiert, auf christliche Traditionen reduziert werden können, auch dann nicht, wenn man - wie Ulrich Greiner in der "Zeit" - abendländische Religionskritik kurzerhand unter die sympathischen Spaltprodukte christlicher Dogmengeschichte subsumiert.

Es ist im Gegenteil das herausragende Merkmal unserer öffentlichen Auseinandersetzungen, dass sie aus einer Fülle von Quellen schöpfen, die den meisten Akteuren entweder nicht bewusst sind oder von diesen aus taktischen Gründen ignoriert werden. Die Frontstellung verläuft heutzutage nämlich nicht zwischen zwei starren monotheistischen Lagern, sondern zwischen einer unübersichtlich mäandernden Polykultur (man könnte von einem Pan-Synkretismus sprechen) auf der einen und dem monolithischen Block des Islams, der sich gegen jeden Einfluss sperrt, der die Unfehlbarkeit von Koran und Sunna in Frage stellen könnte, auf der anderen Seite. Mit "Grabenkämpfen" (Dirk Pilz im "Berliner Zeitung") ist darum der fortgesetzte Schlagabtausch zwischen kompromisslosen und gemäßigten Islamkritikern nicht treffend beschrieben, weil die streitenden Parteien (es sind weit mehr als zwei) ihrerseits Teil einer heterogenen, vielstimmigen Kultur sind, die permanent nichts anderes tut, als ihre Positionen ständig zu kritisieren und zu korrigieren. Zu den erwünschten Lerneffekten dieser sich selbst organisierenden Kakophonie gehört es, Ambivalenzen zu ertragen und paradoxe Reaktionen zuzulassen. Zum Beispiel die, aus Sorge um die Bedingungen der Möglichkeit dieser kulturellen Vielfalt einige (sehr wenige) ihrer konkreten Realisierungen einzuschränken. Das Letzte, das man einer solch "inkonsequenten" Haltung vorwerfen kann, ist daher "Fundamentalismus". Dieser zeichnet sich vielmehr durch konsequente Prinzipientreue bis zur terminalen Selbstaufhebung ihrer Fürsprecher aus.

Die interessierte Öffentlichkeit muss nun zum wiederholten Male aus der "SZ" erfahren, sie liefe Gefahr, von "Hasspredigern" à la Broder aufgehetzt zu werden - ein Begriff, der sie auf eine Stufe mit einer fanatisierbaren Gemeinde von Gläubigen stellt.

Nicht aufgehetzt, aber in fahrlässiger Weise irregeführt wird die öffentliche Meinungsbildung hingegen von dem seit geraumer Zeit kursierenden Kampfbegriff der "Islamophobie", dem Wilhelm Heit- meyer mit Hilfe eines dubiosen Fragenkatalogs zu soziologischen Ehren verholfen hat. Rhetorisch fällt er in die Kategorie "Pathologisierung des Gegners" - für gewöhnlich eine Todsünde in den Augen eben jener Fundamentalliberalen, die neuerdings gern damit operieren. Phobien nennt man krankhafte, das heißt unbegründete Ängste. Nun gibt es sicher manche, von Seyran Ates und Ayaan Hirsi Ali bis zum Karikaturisten Kurt Westergaard, die Grund haben, um Leib und Leben zu fürchten. Doch sieht man von solchen exponierten Fällen ab, ist weit und breit niemand zu erkennen, bei dem Gedanken an den Islam etwa Herzrasen oder Schlaflosigkeit, Schwindelanfälle oder Atemnot, also die klassischen Symptome einer Phobie, auslösen würde. Umgekehrt ist nicht bekannt, dass Phobien zu Aggressionen gegen das auslösende Agens führen; Standardreaktionen sind vielmehr Abscheu, Panik und Flucht - Spinnenphobiker sind die letzten, die zuschlagen würden. Und was die Ängste vor terroristischen Anschlägen betrifft, so hat noch niemand sein Flugticket storniert oder das Oktoberfest gemieden.

Nein, es geht nicht um Ängste, sondern um Sorgen, um begründete Sorgen. Wenn fünf Prozent der Bevölkerung 20 Prozent der Schlagzeilen verursachen und die Öffentlichkeit permanent zwingen, sich mit den Problemen von vorgestern zu beschäftigen; wenn Migranten, getrieben von politischer Verfolgung oder ökonomischer Not, nach Europa kommen und nichts Besseres zu tun haben, als just die unwürdigen Zustände zu reproduzieren, denen sie entflohen sind; wenn eine Minderheit, die schon durch ihren Lebensstil signalisiert, dass sie unsere rechtsstaatlich garantierten Freiheiten für Teufelswerk hält, sich dank Wachstumsraten von bis zu 6,6 Prozent (in England sind bereits 10 Prozent erreicht) anschickt, langfristig die Mehrheitsbevölkerung in Europa zu stellen: dann ist doch ein gewisses Unbehagen angebracht?

Spätestens anlässlich solcher Feststellungen wird das denunziatorische Geschwätz von der Islamophobie näher erläutert: es handele sich um die zeitgenössische Form des Rassismus bzw. der Fremdenfeindlichkeit. Doch der Islam ist keine Rasse, sein homogenes Erscheinungsbild verdankt sich zuallererst der Unterwerfung aller Lebensvollzüge unter dieselben religiösen Vorschriften. Der Rassismusvorwurf soll Islamkritik in die Nähe nationalsozialistischer Gesinnung rücken - so etwas nennt man schlicht Demagogie. "Fremdenfeindlichkeit" hingegen - ein Klassiker deutscher Selbstbezichtigung - suggeriert eine bösartige einheimische Neigung, wo es tatsächlich um eine überall auf der Welt vorkommende Disposition geht, die als Xenophobie bekannt und gut erforscht ist. Ihr Gegenteil ist mitnichten die vielbeschworene Gastfreundschaft, sondern wären Übergangsriten zur Verwandlung von bedrohlichen Fremden in akzeptierten Fremden, also Akzeptanzriten als Vorstufen von Assimilation, allen voran die Exogamie. Gerade in dieser Frage besteht bei den meisten Zuwanderern aus dem islamischen Kulturkreis nicht die geringste Bereitschaft, irgendeine Form der Vermischung einzugehen. Das ist das deutlichste Signal in der beide Seiten verstrickenden Dialektik von Ausgrenzung und Verkapselung. Wenn unter allen Migranten, die seit mehreren Jahrzehnten in Deutschland leben bzw. hier geborenen und aufgewachsen sind, ausgerechnet Muslime (nicht alle, aber viele) immer noch als Fremde, nicht selten als verschlossen bis feindselig jeden Kontakt abwehrende Fremde auffallen, dürfte dies nur zum geringsten Teil den Deutschen anzulasten sein.

Angst, so können wir resümieren, haben offenbar jene, die solche Probleme bagatellisieren, weil sie ahnen, dass deren schonungslose Analyse den Zorn der Gemeinten wecken könnte. So gesehen sind ihre Diffamierungen (Islamophobie sollte endlich zum Unwort des Jahres gekürt werden) nichts als die Projektion ihres Kleinmuts. Ebenso wie das gebetsmühlenartige Aufrechnen von Djihad gegen Kreuzzüge, Minarette gegen Kirchtürme, Augustinus gegen Mohammed: der Hinweis auf die Kriminalgeschichte des Christentums entbindet nicht nur nicht vom genauen Hinsehen und Benennen vergleichbarer Vorgänge und Zustände im heutigen Islam (wie es das bekannte Appeasement-Argument will) - sie verpflichtet umso nachdrücklicher dazu.

Der Autor ist Philosoph und Schriftsteller
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