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Massive Kritik an kirchlicher Unterstützung für Israel


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#1
Rolf

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Massive Kritik an kirchlicher Unterstützung für Israel






Altenkunstadt (idea) – Massive Kritik an einer einseitigen Unterstützung Israels durch Kirchen und christliche Israelfreunde wird im Deutschen Pfarrerblatt (Altenkunstadt/Oberfranken) geübt. Sie blendeten das Unrecht weitgehend aus, das der einheimischen palästinensischen Bevölkerung mit der Gründung des Staates Israel geschehen sei, schreibt der württembergische Theologe Jochen Vollmer (Balingen).

Der pensionierte Pfarrer fordert eine „Befreiung der Theologie aus nationalreligiösen Engführungen“. Nach seiner Ansicht lässt sich aus der Bibel nicht ableiten, dass das jüdische Volk ein exklusives Anrecht auf das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan habe. Vollmer wirft der jüdischen nationalreligiösen Rechten in Israel, die ihren Anspruch auf das Land theologisch begründe, vor, „um der Heiligkeit des Landes willen Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts“ zu akzeptieren. Ähnlich würden „viele vermeintliche christliche Freunden Israels“ denken. Doch die im Alten Testament gesammelten Erfahrungen zeigten, dass der Glaube an Gott nicht durch staatliche Gewalt gesichert werden könne.

„Staatsgründung ist kein Zeichen der Treue Gottes“

Vollmers Kritik bezieht sich auch auf die Evangelische Kirche im Rheinland, die als erste deutsche Landeskirche die Errichtung des Staates Israel als „ein Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk“ ansah. Dazu der Theologe: „Wir Christen in Deutschland können unsere unsägliche Schuld gegenüber der Judenheit nicht dadurch theologisch kompensieren, dass wir nun in der staatlichen Verfasstheit des Volkes Israel ein Zeichen der Treue Gottes sehen, das seinerseits Hunderttausende unschuldige Menschen zu Opfern gemacht hat und noch immer macht.“ Die fortgesetzte völkerrechtswidrige Siedlungspolitik schränke die Palästinenser immer mehr ein, mache ihr Leben zunehmend unerträglich und ziele auf ihre endgültige Vertreibung. Ein Recht auf Selbstverteidigung, mit dem der Staat Israel viele Aktionen gegen Palästinenser begründe, gebe es nicht für „Eindringlinge und Räuber, die der eingesessenen Bevölkerung das Land nehmen und auf deren gewaltsamen Widerstand stoßen“.

Schriftleiter: Keine pro-palästinensische Einseitigkeit

Das Deutsche Pfarrerblatt wird vom Verband evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland herausgegeben. Der Schriftleiter, Pfarrer Peter Haigis (Kernen bei Stuttgart), begründete die Veröffentlichung von Vollmers Beitrag mit dem Wunsch, „neue Akzente im theologischen Gespräch“ zu setzen. Er hoffe, dass Vollmers „klare Stellung“ zu einer intensiven Diskussion unter Pfarrern anrege, die in weiteren Ausgaben dokumentiert werde. Eine pro-palästinensische Einseitigkeit könne er nicht erkennen, sagte Haigis gegenüber idea. In der Vergangenheit hat Vollmer wiederholt mit provokanten Thesen Aufmerksamkeit erregt. 1997 forderte er eine Überwindung des christlichen Bekenntnisses, dass Jesus Christus für die Sünden der Menschen gestorben sei. Ein Jahr später kritisierte er die kirchliche Weigerung, gleichgeschlechtliche Paare zu segnen, als „Akt der Lieblosigkeit“.

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#2
Rolf

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«Juden- und israelfeindlich»: Christlich-jüdische Gesellschaften rügen Beitrag im Pfarrerblatt






Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit haben einen Beitrag im «Deutschen Pfarrerblatt» als «juden- und israelfeindlich» gerügt.


Vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, erwarte man eine «klärende Stellungnahme», teilte der Dachverband von mehr als 80 christlich-jüdischen Gesellschaften am Dienstag in Bad Nauheim mit. In einem Schreiben an Schneider sprechen Präsidium und Vorstand des Deutschen Koordinierungsrates von «schwerwiegenden Bedenken und ernsten Rückfragen», die der Beitrag im Pfarrerblatt hervorrufe.

Der Aufsatz im Pfarrerblatt plädiere mit «vorgeblich christlich-theologischen Argumenten» für eine Absage an die theologisch begründete Solidarität mit Israel, heißt es in der Stellungnahme des Koordinierungsrates. Überdies werde die Rechtmäßigkeit der Gründung Israels bezweifelt sowie der Vorwurf erhoben, vor der Staatsgründung habe Israel palästinensisches Land «geraubt».

In dem Beitrag des Pfarrerblattes werde zudem der rheinische Synodenbeschluss zum Verhältnis von Christen und Juden aus dem Jahr 1980 als «theologisch fragwürdiger Versuch, Schuld zu kompensieren» gewertet, kritisieren die Gesellschaften.

In der Erklärung der rheinischen Synode hieß es: «Wir glauben die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes als Gottes Volk und erkennen, daß die Kirche durch Jesus Christus in den Bund Gottes mit seinem Volk hineingenommen ist.» Der Beschluss der rheinischen Landessynode gilt als Meilenstein für den christlich-jüdischen Dialog. Mehrere Landeskirchen beschlossen ähnlichen Erklärungen oder änderten ihre Verfassungen.
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#3
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Shalom allerseits,

wenn ich mich nicht täusche, ist das Land Israels das einzige Stück Land der Erde welches von Gott als ewiges Erbe seinem Volke, bereits seit Abraham, verheißen und zugesprochen worden ist.
Alle anderen Ländereien der Erde sind immer noch Eigentum Gottes, und können nur durch den Menschen kommissarisch verwaltet werden.
Die Verteilung dieser Ländereien ist immer noch in den Händen Gottes, und erfolgt als Erbe Christi an seine Kinder bei der Errichtung des neuen Himmels und der neuen Erde.
So gesehen ist der Anspruch der Juden auf das Land Palästina älter und dokumentierter als der Anspruch der Okkupanden aus dem arabischen Staat Jordanien.
Israel ist verpflichtet auch Fremdsassen im Lande wohnen zu lassen, wenn diese sich an die Ordnung Gottes halten und friedliche Koexistenz mit den Juden pflegen.
Alle anderen Regelungen sprechen Gott zuwider, und wird Gott letztlich auch nicht dulden.

LG
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#4
Rolf

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Soweit ich das sehen kann, liegst du hier völlig richtig. Wer da nichts zu suchen hat, sind die Palästinenser, diese sind die nachfolger der Philister, abstammend von Ismael und damit ohne Landverheißung.



Herzliche Grüße

Rolf
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#5
Rolf

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Haben Christen eine besondere Nähe zu Israel?







Wetzlar (idea) – Stehen Christen dem heutigen Israel näher als jedem anderen Land? Darüber ist eine kirchliche Debatte entbrannt. Auslöser war ein Beitrag im Deutschen Pfarrerblatt, in dem der württembergische Pfarrer Jochen Vollmer (Reutlingen) die einseitige Unterstützung Israels durch Kirchen und christliche Israelfreunde kritisiert. Zwei Theologen haben in Beiträgen für die Evangelische Nachrichtenagentur idea (Wetzlar) kontrovers zu dieser Frage Stellung genommen.

Für den Direktor der Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalem, Pastor Jürgen Bühler, steht fest: „Israel ist natürlich ein besonderes Land für jeden Christen.“ Die moderne Wiederherstellung Israels auf biblischem Land bestätige den uralten Bund Gottes mit Abraham. Dieser Bund enthalte unter anderem „die Landverheißung an Israel und ebenso, dass im Samen Abrahams alle Völker gesegnet werden sollen“. Die frohe Botschaft Jesu Christi sei laut dem Apostel Paulus die direkte Konsequenz dieses Bundes. Gott habe dies nie aufgehoben, sondern auch im Neuen Bund immer wieder bestätigt. Die besondere Wertschätzung Israels bedeutet laut Bühler jedoch nicht, „dass man als Christ alles gutheißen soll und darf, was Israel tut“. Das jüdische Volk sei ebenso erlösungsbedürftig wie die Palästinenser und die Deutschen. Es habe jedoch in seiner heilsgeschichtlichen Berufung eine herausragende Stellung. Bühler: „Die physische Wiederherstellung des Staates Israel lässt uns hoffen, dass sich alle Verheißungen einer geistlichen Erneuerung ebenso erfüllen werden.“

Baptist: Keinen Staat bevorzugen

Dagegen verneint der baptistische Theologe Frank Fornacon (Kassel) die Frage, ob Christen Israel besonders nahe stehen. „Staaten haben keine göttliche Mission“, so das Präsidiumsmitglied des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten- und Brüdergemeinden). Christen hätten allerdings eine besondere Nähe und Verantwortung für die Juden. Weil Israel die Heimstatt der Juden sei, litten Christen stets darunter, wenn das Land angegriffen werde. Sie ermutigten auch ihre Regierungen, für Israel einzustehen: „Aber nicht, weil der Staat Israel etwas Besonders ist.“ Auch dieser Staat verdiene, verteidigt zu werden, wenn er seinen Auftrag erfülle, für Frieden und Gerechtigkeit zu sorgen, das Gute fördere und dem Bösen wehre. Gott sei seinem Volk treu, dem Judentum genauso wie der Kirche. Er brauche dafür keine modernen Nationalstaaten: „Er ist Juden in New York, London oder St. Petersburg genauso nah wie in Haifa oder Tel Aviv.“ Fornacons Fazit: „Seitdem Gott in Jesus Christus Mensch wurde, ist seine Offenbarung nicht mehr an ein bestimmtes Land oder einen Ort wie den Tempel gebunden.“ Weil Christus alle Menschen liebe, dürften Christen nicht einige lieber haben als andere: „Und schon gar nicht ihre Staaten.“

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#6
Guest_Peter Wiem_*

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Baptist: Keinen Staat bevorzugen

Dagegen verneint der baptistische Theologe Frank Fornacon (Kassel) die Frage, ob Christen Israel besonders nahe stehen. „Staaten haben keine göttliche Mission“, so das Präsidiumsmitglied des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten- und Brüdergemeinden).


Die Bibel ist für Herrn Fornacon entweder nicht durch Gott inspiriert, oder er kann oder will nicht lesen.

Christen hätten allerdings eine besondere Nähe und Verantwortung für die Juden. Weil Israel die Heimstatt der Juden sei, litten Christen stets darunter, wenn das Land angegriffen werde. Sie ermutigten auch ihre Regierungen, für Israel einzustehen: „Aber nicht, weil der Staat Israel etwas Besonders ist.“

Der Mensch sieht, was vor Augen ist. Wenn ich allerdings dabei stehenbleibe, und die Dinge nicht aus Gottes Blickwinkel wenigstens zu sehen versuche, dann würde ich den Mund halten, wenn es um die Beurteilung solcher Sachverhalte geht.

Auch dieser Staat verdiene, verteidigt zu werden, wenn er seinen Auftrag erfülle, für Frieden und Gerechtigkeit zu sorgen, das Gute fördere und dem Bösen wehre. Gott sei seinem Volk treu, dem Judentum genauso wie der Kirche. Er brauche dafür keine modernen Nationalstaaten: „Er ist Juden in New York, London oder St. Petersburg genauso nah wie in Haifa oder Tel Aviv.“

Wenn ich so wertfrei mit solchen ethischen Begriffen um mich werfe, dann darf ich mich nicht wundern, wenn mein Zeugnis lediglich als moralisch durchtränkte Tünche wahrgenommen wird. Wer nichts zu sagen hat, der wird dadurch nicht glaubwürdiger, wenn er so richtig in das Regal der biblisch verwendeten Begrifflichkeiten greift.

Fornacons Fazit: „Seitdem Gott in Jesus Christus Mensch wurde, ist seine Offenbarung nicht mehr an ein bestimmtes Land oder einen Ort wie den Tempel gebunden.“ Weil Christus alle Menschen liebe, dürften Christen nicht einige lieber haben als andere: „Und schon gar nicht ihre Staaten.“

Behaupten kann man viel. Wenn aber damit gerechnet werden muss, dass diese Behauptungen öffentlich auf ihren Wahrheitsgehalt nachgeprüft werden können, dann sollte ich mir darüber klarwerden, was ich zu sagen habe.
Das ist hier nicht geschehen.
So liest sich das Ganze wie eine Überzeugungstat eines Christen, der an dieser Stelle besser den Mund gehalten hätte.
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#7
1.Kor.1,30

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Liebe Geschwister, ich muss schon sagen, dass wir doch nüchtern sein sollen. Tatsächlich sagte Jesus Christus, unser Herr: Mein Reich ist nicht von dieser Welt.

Das mit dem Zionismus politischer Form ist nun wirklich eine höchst problematische Sache. Propheten hatten schon immer eine äußerst scharfe Wahrnehmung von Realität und Wahrheit. Da nutzt Sentimentalität gar nichts, auch nicht der "guilt-trip", auf den Christen mit deutschem Pass so gerne anspringen.

Ich liebe und schätze Geschwister mit "israelischen" Hintergrund, und kenne viele, aber ich schätze gleichermaßen auch solche mit "nichtisraelischem" Hintergrund.

Leider hat die Praxis des jetzigen Staates Israel im Nahen Osten in so vielen Fällen vor allem der letzten Zeit gezeigt, dass der Hass gegen das Evangelium und Jesus immer größer wird. Christen, die jahrelang Gutes getan haben, werden nicht mehr ins Land gelassen, man erpresst die Leute damit, dass sie keine Visa bekommen, wenn sie von Jesus zeugen und beobachtet sie.

Es ist egal, was für ein Staat um die Jünger Jesu herum ist, es geht doch immer nur darum, dass man entweder Jesus Christus als Retter und Heiland akzeptiert oder nicht.
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#8
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Heimatsuche im Geist des Judentums





Yakov Rabkin beleuchtet das Verhältnis von Zionismus und Orthodoxie.


Interview

Zu den jüdischen Intellektuellen, die der Politik des Staates Israel kritisch gegenüberstehen, gehört auch der in Kanada lehrende Historiker Yakov M. Rabkin. Er beruft sich dabei nicht zuletzt auf jüdisch-orthodoxe Positionen, die er in einer unlängst erschienenen Studie in ihrem geschichtlichen Horizont dargestellt hat.
Sabine Matthes* führte in München ein Gespräch mit dem Wissenschafter, das wir im Folgenden dokumentieren.


In der Debatte um den Nahostkonflikt kommt es öfters zu einer annähernden Gleichsetzung von Judentum, Zionismus und dem Staat Israel. Dabei wird Kritik an der Politik Israels auf jüdischer und israelischer Seite häufig als Ausdruck des Antisemitismus verstanden; umgekehrt droht in Europa das orthodoxe Judentum zunehmend mit der Haltung jener militant nationalreligiösen Siedler identifiziert zu werden, die sich in Cisjordanien seit 1967 als Vorposten israelischer Gebietsansprüche niedergelassen haben. Dabei geht vergessen, dass die radikalste Ablehnung Israels gerade auch von strenggläubigen orthodoxen Juden kommt, die ihren traditionellen Antizionismus mit der Thora begründen. Der kanadische Historiker Yakov M. Rabkin, Professor für jüdische Geschichte an der Universität Montreal, leistet mit seinem jüngsten Buch, «Au nom de la Thorah. Une histoire de l'opposition juive au sionisme» (Quebec 2004), einen wesentlichen Beitrag zur Unterscheidung zwischen den verschiedenen Konzepten Judentum und Zionismus, jüdischer und christlicher Zionismus, jüdischer und christlicher Antizionismus.

Vom orthodoxen Judentum entwirft Rabkin ein wenig bekanntes, faszinierend provokatives Gegenbild. Die streng nach den Geboten der Thora lebenden Mitglieder der Neturei Karta zum Beispiel wünschen die Auflösung des israelischen Staates, um, ebenso wie in anderen Ländern auch, gemeinsam mit den einheimischen Arabern unter palästinensischer Regierung zu leben. Rabkin selbst vertritt die Vision eines gemeinsamen jüdisch-arabischen Staates - mit dem pointierten Argument, dass Israel, einst als sicherer Hafen für die Juden gegründet, heute «der einzige Ort in der Welt ist, wo ein Jude einzig deswegen getötet werden kann, weil er ein Jude ist».

Gegen die Begriffsverwirrung

Was hat Sie motiviert, dieses Buch zu schreiben?

Es gab mehrere Beweggründe. Als Historiker fühle ich, dass das allgemeine Verständnis der Bedeutung von Zionismus in der judaistischen Perspektive fehlt. Als Intellektueller fand ich es unredlich, Juden, Israel und Zionismus in einer grossen Verwirrung miteinander zu verschmelzen. Als Mensch letztlich halte ich es für wichtig, entscheidende Unterschiede zwischen Juden und Zionisten zu erklären - zu den Letzteren zählen heutzutage mehr Christen als Juden -, zwischen Judentum und Zionismus, um die Ursachen der antijüdischen Gewalt auszumerzen, die in den letzten Jahren aufkam. Der Konflikt zwischen Israeli und Palästinensern - wie akut und tragisch auch immer er ist - sollte nicht in andere Länder exportiert werden, wo Juden und Muslime in Frieden und Freundschaft leben können. Sie haben letztlich viel mehr Gemeinsamkeiten als trennende Unterschiede.

Wie sind die Reaktionen auf Ihr Buch?

Zum grössten Teil waren die Reaktionen enthusiastisch. Ich bin von den grossen internationalen Zeitungen interviewt worden, habe öffentliche Vorträge gehalten, und Dutzende Leser dankten mir für die Klärung der Unterschiede zwischen Judentum und Zionismus. Einige Diaspora-Zionisten reagierten mit Feindseligkeit, ohne sich wirklich auf eine Debatte über den Inhalt meines Buchs einzulassen. Umgekehrt sind Israeli viel offener für eine Diskussion - und im Gegensatz zu Diaspora-Zionisten tun sie nicht so, als sei die israelische Gesellschaft geschlossen und einig im Blick auf dieses kontroverse Problem.

Der politische Zionismus entstand aus dem Geiste nationalistischer Ideologien des 19. Jahrhunderts und nachdem Theodor Herzl 1896 «Der Judenstaat» als Reaktion auf den wachsenden europäischen Antisemitismus geschrieben hatte. Wie war die anfängliche jüdische Haltung dazu?

Die ursprüngliche Reaktion judaistischer Gelehrter war fast völlig feindselig. Lassen Sie mich den israelischen Historiker Yosef Salmon zitieren, der die Gründe und die Heftigkeit dieser Feindseligkeit kurz und bündig erklärt: «Es war die zionistische Bedrohung, welche die schwerwiegendste Gefahr darstellte, weil sie danach strebte, die traditionelle Gemeinde ihres eigentlichen Geburtsrechtes zu berauben, sowohl in der Diaspora als auch im Lande Israel, dem Gegenstand ihrer messianischen Erwartungen. Der Zionismus griff alle Aspekte des traditionellen Judentums an: durch sein Vorhaben einer modernen, nationalen, jüdischen Identität; durch die Unterordnung der traditionellen Gesellschaft unter neue Lebensstile; und durch seine Haltung zu den religiösen Auffassungen von Diaspora und Erlösung. Die zionistische Bedrohung erreichte jede jüdische Gemeinde. Sie war unerbittlich und umfassend und stiess deswegen auf entschiedenen Widerstand.»

Der Zionismus provozierte auch Ablehnung unter den emanzipierten Juden in West- und Mitteleuropa, die im Zionismus eine offenkundige Bedrohung ihrer Integration in die sie umgebenden Gesellschaften sahen, als Deutsche mosaischen Glaubens oder les Français israélites. Deswegen protestierten viele deutsche Juden gegen die Pläne der Zionisten, ihren Gründungskongress in München abzuhalten, und der Kongress wurde zuletzt in das gastfreundlichere, neutrale Basel verlegt.

Zionismus oder gemeinsamer Staat?

Was ist der Unterschied zwischen jüdischem und christlichem Zionismus?

Einige Christen hatten mit der Idee einer Wiederherstellung jüdischer Souveränität im Heiligen Land gespielt. Diese Ideen wurden oft von Antisemiten unterstützt, die es gern gesehen hätten, dass Juden ihre Länder Richtung Palästina verliessen. Heute gibt es eine Aufwallung eines neuen radikalen Zionismus unter jung entstandenen evangelikalen christlichen Gemeinden in vielen Ländern. Die Christian Coalition of America steht für die totale israelische Besitznahme des ganzen Heiligen Landes, und sie zählt mehr Mitglieder als die gesamte Anzahl der Juden weltweit, die übrigens ziemlich gespalten sind in ihrer Meinung zu Zionismus und Israel. Umgekehrt sind diese christlichen Zionisten vereint in ihrer glühenden Unterstützung für die radikalen zionistischen Aktivisten.

Kulturelle Zionisten wie Martin Buber und Judah Magnes traten auch nach der Shoah für einen gemeinsamen jüdisch-arabischen Staat in Palästina ein. Sie waren gegen einen «jüdischen Staat», weil sie fürchteten, dass die Trennung von Juden und Arabern zur Vertreibung der einheimischen palästinensischen Araber führen würde und zur Entstehung eines jüdischen «Sparta», welches jüdische Lebensform und Ethik gefährden würde. Ihre Prophezeiung scheint sich leider teilweise erfüllt zu haben. Warum hat ihre Idee gegen Herzls verloren? Ist sie noch am Leben?

Diese deutschen Juden waren echte Idealisten, denen jüdische Werte aufrichtig am Herzen lagen. Ben Gurion war ein Pragmatiker, der die jüdische Tradition verachtet hat und dem nur daran lag, so viel Land wie möglich zu besiedeln. Er organisierte gewaltige politische Unterstützung in den USA und anderen Ländern und gewann ziemlich einfach gegen die noblen Idealisten. Ausserdem spielte Ben Gurion sehr klug mit den Schuldgefühlen vieler Europäer und lenkte sie dahin, «die zionistische Lösung für das jüdische Problem» zu unterstützen.

Dennoch, die Idee eines gemeinsamen Staates für Juden und Araber ist noch lebendig und gewinnt langsam an Stärke. Laut Meron Benvenisti, dem früheren stellvertretenden Bürgermeister von Jerusalem, ist Israel seit 1967 ein beiden Bevölkerungsgruppen gemeinsamer Staat, in dem freilich eine Gruppe - die palästinensischen Araber - von den politischen Rechten weitgehend ausgeschlossen ist. Was seiner Meinung nach getan werden muss, ist, ihnen diese Rechte zu geben und zu der sehr viel friedlicheren Koexistenz zurückzukehren, wie sie vor 1948 bestanden hat. Seine Idee ist bekannt; sie wird in Israel offen diskutiert und von einer Minderheit auch unterstützt. Für viele ist Israel ein Anachronismus geworden, ein Überbleibsel des ausschliessenden Nationalismus aus dem 19. Jahrhundert. Aber letztlich sind es die Menschen in Israel und Palästina, die sich werden entscheiden müssen, wie sie ihre Beziehung gestalten. Wir, die ausserhalb dieser Gegend leben, können Ideen entwickeln und vorschlagen, aber nicht aufdrängen.

Stärke statt Glaube

Was ist die zentrale Bedeutung von «Exil» gemäss der Thora?

Gemäss der jüdischen Tradition sind Juden im Exil, um ihre Sünden abzubüssen, ihr bestes moralisches Verhalten zu zeigen (in den Worten der Thora: «ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation zu sein») und dafür zu beten, dass Gott sie ins Land Israel zurückführt. Die zionistische Haltung ist radikal anders: Sie verlässt sich auf «jüdische Stärke», um in das Land zurückzukehren. Wie Salmon richtig bemerkte, negiert der Zionismus das traditionelle Judentum und ist bestrebt, einen «neuen Hebräer» zu erschaffen, mit Werten, die denen des Diaspora-Juden genau entgegengesetzt sind.

Der politische Zionismus möchte mit dem transnationalen Konzept der Juden aufräumen und sie «normalisieren», damit sie eine Nation werden wie die Finnen oder die Polen. Sowohl das Hebräische als auch das Arabische verwenden das Wort «umma» als Bezeichnung für die Juden und die Muslime, wobei jeweils die Gemeinschaft von Gläubigen gemeint ist und nicht Nationen, die innerhalb politischer Grenzen gebunden sind. Der Zionismus und Israel wurden dann für viele Juden die Basis ihrer jüdischen Identität - etwas, wovor Rabbiner zu Herzls Zeit grosse Angst gehabt haben. Zionisten haben eine schwerwiegende Spaltung unter den Juden verursacht, deren Konsequenzen bis jetzt schwer vorhersagbar sind.

Was ist der Unterschied zwischen säkularem und religiösem jüdischem Antizionismus?

Religiöse Juden, die dem Zionismus ablehnend gegenüberstehen, möchten das Judentum und sein aussergewöhnliches Wertesystem bewahren. Ziemlich viele weniger religiöse Juden sind gegen den Zionismus, weil ihnen an jüdischen Werten etwas liegt, die letztlich auch aus dem Judentum stammen. Während die beiden jüdischen Gruppen sozial getrennt leben, stimmen ihre Ansichten weitgehend überein.

Warum werden antizionistische Juden häufig als «selbsthassende Verräter» gebrandmarkt und dadurch zum Schweigen gebracht?

Politische Zionisten haben sich immer als die Vorhut des jüdischen Volkes geriert, was sie ziemlich intolerant gegenüber jeglicher Opposition zum Zionismus gemacht hat. Diese Intoleranz schlug bereits 1924 in bewaffnete Gewalt um, als Jacob De Haan, ein antizionistischer Jurist in Jerusalem, die Reise einer Delegation von Rabbinern nach London organisierte, um gegen das zu protestieren, was sie als den «zionistischen Angriff» empfunden haben. De Haan wurde von Mitgliedern der Haganah, der zionistischen halbmilitärischen Truppe, des Vorläufers der israelischen Armee, erschossen.

Im Internet gibt es eine Liste mit Tausenden von «selbsthassenden, Israel bedrohenden Juden»:

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Die Liste, die anscheinend von einer Gruppe von Faschisten verfasst wurde, wirft orthodoxe Rabbiner zusammen mit weniger religiösen progressiven Juden, was noch einmal beweist, dass die Ursprünge der Opposition zum Zionismus im Wesentlichen dieselben sind: eine Verpflichtung, jüdische Werte hochzuhalten.

Religiöse antizionistische Juden wie die Neturei Karta scheinen am radikalsten und am leichtesten angreifbar, weil in ihren öffentlichen Erklärungen die Behauptung, der Zionismus verkörpere das Judentum, als Lüge bezeichnet wird. Sie nennen Israel einen «zionistischen Staat», nicht einen «jüdischen Staat». Was ist die Neturei Karta, und was ist ihr Standpunkt zu einem gerechten Frieden in Israel/Palästina?

Die Neturei Karta wurde in den 1930er Jahren in Jerusalem gegründet und bedeutet «die Wächter der Stadt». Die Organisation beabsichtigt, die zionistische Struktur des Staates aufzugeben und die ganze politische Kontrolle den palästinensischen Arabern zu übergeben. Was die Bezeichnungen «jüdischer Staat» und «hebräischer Staat» betrifft, muss man kein Mitglied der Neturei Karta sein, um sie für falsch und gefährlich zu halten. Sie sind irreführend, weil sogar Herzl nur einen «Judenstaat» ins Auge gefasst hat, keinen «jüdischen Staat». Sie sind gefährlich, weil sie die Verwechslung von Religion und Politik fortbestehen lassen und alle Juden und das Judentum mit Israel und seinem Verhalten assoziieren. Das wiederum verursacht antijüdische Gewalt. Meiner Meinung nach sollte kein Journalist diese Begriffe benutzen, ausser er oder sie möchte solch eine Gewalt schüren.

* Sabine Matthes lebt als Journalistin und Fotografin in München und hat sich in zahlreichen Publikationen mit Israel und jüdischem Denken befasst.

Aus: Neue Zürcher Zeitung, 4. Juli 2005 (Im Internet: www.nzz.ch).
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Antisemitismus im Pfarrerblatt?






Berlin/Hannover (idea) – Der Streit um einen israelkritischen Beitrag im Deutschen Pfarrerblatt hat sich verschärft. Die Wochenzeitung Jüdische Allgemeine (Berlin) reagierte mit einem ganzseitigen Artikel unter der Überschrift „Antisemitismus im evangelischen Pfarrerblatt“. In deren August-Ausgabe hatte der württembergische pensionierte Pfarrer Jochen Vollmer (Reutlingen) massive Kritik an einer einseitigen Unterstützung Israels durch Kirchen und christliche Israelfreunde geübt.

Der pensionierte Pfarrer wirft ihnen vor, das Unrecht weitgehend auszublenden, das der einheimischen palästinensischen Bevölkerung mit der Gründung des Staates Israel geschehen sei. Ein Recht auf Selbstverteidigung, mit dem der Staat Israel viele Aktionen gegen Palästinenser begründe, gebe es nicht für „Eindringlinge und Räuber, die der eingesessenen Bevölkerung das Land nehmen und auf deren gewaltsamen Widerstand stoßen“. Vollmers Ansichten haben eine Flut von kontroversen Leserbriefen und Stellungnahmen ausgelöst. Nach Angaben des Schriftleiters, Pfarrer Peter Haigis (Kernen bei Stuttgart), übt die Mehrzahl Kritik. Die Jüdische Allgemeine zitiert in ihrer Reaktion den Vorsitzenden des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Rabbiner Henry G. Brandt (Augsburg). Er weist Vollmers Ausführungen als eine „Ungeheuerlichkeit“ zurück. Es handele sich um die „Meinung eines Verblendeten“ und sei „historisch Schwachsinn“. Die Veröffentlichung stehe „für eine bestimmte Strömung in Deutschland, nicht nur in der evangelischen Kirche, sondern beispielsweise auch in der Linkspartei“. Sie sei der „Versuch, eine politische Position theologisch zu verbrämen“.

Pfarrerverein für gesicherte Existenz Israels in eigenem Staat

Aufgrund der heftigen Kontoverse hat sich der Vorstand des Verbandes evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland (Altenkunstadt/Oberfranken), der das Pfarrerblatt herausgibt, am 1. September in Hannover zu einer Sondersitzung getroffen. Danach wies das Gremium alle Versuche zurück, den Verband auf die Position von Jochen Vollmer festzulegen. Veröffentlichte Aufsätze gäben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Verfassers wieder. Der Verband stehe „unmissverständlich“ hinter der Position der Leitung der EKD – des Rates – sowie der Erklärungen zahlreicher Landessynoden. Sie betonten, dass Gottes Treue zum jüdischen Volk die Verpflichtung für Christen beinhalte, für das Existenzrecht Israels einzutreten. Der Pfarrer-Verbandsvorstand stellt sich „mit Nachdruck“ hinter die Erklärung der bayerischen Landessynode von 1998, in der es heißt: „Christen unterstützen das Bestreben des jüdischen Volkes nach einer gesicherten Existenz in einem eigenen Staat.“ Eine Friedenslösung im Nahen Osten müsse gleichzeitig – so die Synode – auch die Rechte der Palästinenser und insbesondere der Christen unter ihnen einschließen und Sicherheit für alle dort lebenden Menschen gewährleisten.

Pfarrerblatt bleibt offenes und freies Forum

Ferner stellt der Vorstand des Pfarrerverbandes fest, dass das Pfarrerblatt ein offenes und freies Forum sein und bleiben solle. Auch künftig werde es für unbequeme Positionen Raum bieten. Die eingegangenen Rückmeldungen würden „mit großer Sorgfalt“ geprüft und bewertet. Das Pfarrerblatt werde die kontroversen Leserreaktionen veröffentlichen.

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Die jüdische Allgemeine ist ein jüdisches Mainstream-Blatt, wenig differenziert. Die machen natürlich nur Politik. Wie die offiziellen Organe der EKD.

Das ist keine Grundlage für eine fundierte religions- oder politikwissenschaftliche Recherche, schon gar nicht für bibelgläubige Positionenen.
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Kritik an Israel: Ärger über Artikel im Pfarrerblatt





Von: Rainer Clos

Ein Artikel im Deutschen Pfarrerblatt, in dem der Theologe Jochen Vollmer das religiöse Selbstverständnis Israels kritisert, hat eine heftige Debatte ausgelöst.


"Wir glauben die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes als Gottes Volk und erkennen, daß die Kirche durch Jesus Christus in den Bund Gottes mit seinem Volk hineingenommen ist", damit ist die Haltung der evangelischen Kirche zu Israel bisher recht klar ausgedrückt. Anders liest es sich in Vollmers Artikel: "Vom Nationalgott Jahwe zum Herrn der Welt und aller Völker" lautet die sperrige Überschrift über einem Beitrag, der im "Deutschen Pfarrerblatt" in der Augustausgabe erschienen ist. In seinen theologisch bestückten Thesen kommt der pensionierte Pfarrer Jochen Vollmer zu dem Schluss, das religiöse Selbstverständnis des Staates Israel stehe dem Frieden in Nahost im Wege. "Die Landnahme ist das oberste Ziel israelischer Politik."

Auf Distanz geht der Theologe Vollmer auch zu einem Beschluss der rheinischen Synode, der einen Durchbruch für die Neubestimmung des Verhältnisses von Christen und Juden markierte. In der Mehrheit der evangelischen Landeskirchen kam es nach dem Vorbild des Rheinlandes zu ähnlichen Beschlüssen oder Verfassungsänderungen. In der rheinischen Erklärung von 1980, der auch ein intensiver christlich-jüdischer Dialog vorausging, heißt es: "Wir glauben die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes als Gottes Volk und erkennen, daß die Kirche durch Jesus Christus in den Bund Gottes mit seinem Volk hineingenommen ist." In diesem Dokument, über das vor drei Jahrzehnten durchaus kontrovers diskutiert wurde, sieht Vollmer den "theologisch fragwürdigen Versuch, Schuld zu kompensieren".

Rüge von den Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Wochen nach der Veröffentlichung ruft der Artikel im Pfarrerblatt heftige Reaktionen hervor. Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit rügten den Beitrag als "juden- und israelfeindlich". Der Aufsatz plädiere mit "vorgeblich christlich-theologischen Argumenten" für eine Absage an die theologisch begründete Solidarität mit Israel. Überdies werde die Rechtmäßigkeit der Gründung Israels bezweifelt sowie der Vorwurf erhoben, vor der Staatsgründung habe Israel palästinensisches Land "geraubt".

Der Dachverband der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, mit je einem evangelischen, katholische und jüdischen Präsidenten an der Spitze, forderte vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, eine "klärende Stellungnahme" zu dieser Angelegenheit. Schneider ist in Personalunion auch Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und soll im nächsten März mit der "Buber-Rosenzweig-Medaille" der christlich-jüdischen Dachorganisation geehrt werden.

Pfarrerverband geht auf Distanz zu Vollmers Beitrag

Statt Schneider hat sich nunmehr der Deutsche Pfarrerverband zu Wort gemeldet. Nach einer Sondersitzung am Donnerstag in Hannover stellte der Vorsitzende Klaus Weber klar, dass sich der Verband die Position von Autor Vollmer nicht zu eigen mache. Der Verband der evangelischen Pfarrer teile die Linie der bisherigen EKD-Studien "Christen und Juden" sowie der landeskirchlichen Synodalerklärungen zur Neubestimmung des Verhältnisses zu Israel und zum Judentum. "Christen unterstützen das Bestreben des jüdischen Volkes nach einer gesicherten Existenz in einem eigenen Staat", zitiert Vorsitzender Weber einen entsprechenden Beschluss bayerischen Landessynode.

Viele evangelische Christen bewege aber auch die Frage, wie Israel zu einem dauerhaften Frieden mit seinen nichtjüdischen Bürgern und mit seinen Nachbarn finde, heißt es ergänzend. Die heftigen Reaktionen auf den Pfarrerblattartikel zeigten, dass viele, die im christlich-jüdischen Dialog und für Verständigung im israelisch-palästinensischen Konflikt engagiert sind, darüber verärgert seien und sich verletzt fühlten, räumte der Verbandvorstand ein. Er kündigte an, dass kontroverse Positionen in dem Verbandsorgan mit 20.000-Auflage veröffentlicht würden.

Der EKD-Ratsvorsitzende hatte vor wenigen Tagen Kontakt mit dem Präsidenten des Zentralrates der Juden. Über dieses Telefonat von Schneider mit Dieter Graumann wurden nichts bekannt. Dass auf der Tagesordnung des Rates der EKD, der am Freitag in Hannover tagte, auch der Punkt Perspektiven für die kirchliche Arbeit in Jerusalem und im Heiligen Land stand, war seit langem geplant.




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1.Kor.1,30

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Der Israel-Palästina-Konflikt und die Befreiung der Theologie





Vom Nationalgott Jahwe zum Herrn der Welt und aller Völker



Von: Jochen Vollmer


Für den Friedensprozess im Nahen Osten erachtet die internationale Politik den Ausgleich der Interessen zwischen Israelis und Palästinensern als fundamental an. Doch das Selbstverständnis des Staates Israel steht dem im Weg. Jochen Vollmer rekonstruiert die Konfliktlage historisch und politisch und plädiert für eine Befreiung der Theologie aus nationalreligiösen Engführungen.

Die übliche Wahrnehmung des Israel-Palästina-Konflikts ist zugunsten von Israel verzerrt und blendet das Unrecht, das der einheimischen palästinensischen Bevölkerung mit der Gründung des Staates Israel geschehen ist, weitgehend aus. Unter Christen ist die einseitige Wahrnehmung ein Symptom der Schuldverdrängung christlicher Judenfeindschaft bis hin zum Holocaust. Lutherische Tradition hat das Evangelium von der Rechtfertigung antijudaistisch als Überwindung jüdischer Werkgerechtigkeit interpretiert, das Judentum so verleumdet und theologisch negiert, lange bevor es zur physischen Vernichtung des europäischen Judentums kommen konnte.

»Verdrängen hält die Erlösung auf, Sich erinnern bringt sie näher«1. Die Erinnerung muss ungeteilt sein, sie muss den Opfern und Tätern gelten, den Opfern und Tätern des Holocaust wie den Opfern und Tätern der Gründungsgeschichte Israels wie den Opfern und Tätern seiner Siedlungspolitik seit 1967.

1. Zur Vorgeschichte des Konflikts

Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern bezieht sich auf ein Land, auf das Israel und die Palästinenser Anspruch erheben. Palästina ist seit Jahrhunderten von Arabern bewohnt. Wenige Juden lebten dort im Frieden mit ihren arabischen Nachbarn. Seit Ende des 19. Jh. wanderten Juden im Wesentlichen in fünf Alijot in Palästina ein: 1882 nach den Judenpogromen in Russland, 1904 nach Theodor Herzls Tod, 1918 nach dem Ersten Weltkrieg, 1924 überwiegend aus Polen und nach 1933.

Die alteingesessene arabische Bevölkerung reagierte mit immer größerem Unmut bis hin zu gewaltsamen Formen des Widerstands auf die jüdischen Einwanderer. Zionisten haben palästinensisches Land in Besitz genommen und geraubt mit dem Ziel, einen jüdischen Staat zu errichten. Palästinensischer Widerstand, auch schlimme Gewaltakte zogen schlimme jüdische Gewaltakte nach sich. Israel stilisierte und stilisiert seine Abwehr gegen den Widerstand der Palästinenser als Kampf gegen den Terrorismus mit dem Recht auf Selbstverteidigung. Hat der Eindringling und Räuber, der der eingesessenen Bevölkerung das Land nimmt und auf deren gewaltsamen Widerstand stößt, ein Recht auf Selbstverteidigung? Die Vergeltungsschläge Israels gegen palästinensische Gewaltakte waren und sind zumeist unverhältnismäßig, besonders der Gazakrieg Dezember 2008/Januar 2009.

Die Palästinenser sind Opfer von Opfern. Der Zionismus ist eine Ideologie von Opfern. Die Gründung eines jüdischen Staates, in dem Juden frei von Anfeindungen ihre Identität leben können, war das Ziel der Mehrzahl der Zionisten lange vor 1933 und dem Holocaust. Das Naziregime mit der industrialisierten Ermordung von 6 Mio. Juden hat das Vorhaben eines Judenstaates in Palästina beschleunigt. Der Staat Israel ist eine Folge des unvorstellbaren Unrechts, das Juden von Deutschen, zumeist getauften Christen in der totalen Verleugnung ihres Christseins angetan wurde. Und die Folge dieses Unrechts an Juden war und ist Unrecht an unschuldigen Palästinensern, denn das Land war bewohnt. Nur wenige Zionisten hatten ein Unrechtsbewusstsein. Sie betonten, dass die Besiedelung Palästinas nur gelingen könne, wenn sie im Einvernehmen mit den Arabern geschehe.2

Der Holocaust ist ein wesentliches Merkmal jüdischer Identität nach 1945. Die einen sagen »Nie wieder« und setzen auf Sicherheit um nahezu jeden Preis. Andere sagen, Israel dürfe sich nicht endlos von Hitler beherrschen lassen und müsse mit seiner neu gewonnen Souveränität den Frieden fördern.3 Sie sind in der Minderheit. Solange der Holocaust die Mehrheit in Israel wesentlich bestimmt, dominiert die Opfermentalität im Selbstverständnis Israels, die das Gebot der Tora »Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägypten gewesen.« (Ex. 22,20; auch Lev. 19,33f) missachtet.

Der Staat Israel basiert auf der UN-Resolution 181 vom 29.11.1947. Den Juden, denen bis dahin weniger als 6% des Mandatsgebiets Palästina gehörten und die ein Drittel der Bevölkerung ausmachten, wurden 56% des Mandatsgebiets zugesprochen. Auf diesem Gebiet lebten Anfang Dezember 1947 eine Million von insgesamt 1,3 Mio. Palästinensern, während die jüdische Gemeinde eine Minderheit von 650.000 stellte.4 Die UN-Teilungsresolution wurde von der palästinensischen Führung und den arabischen Regierungen als ungerecht abgelehnt. Die Ablehnung der Entschließung ermöglichte es der jüdischen Führung unter David Ben Gurion, die Teilungsgrenzen zu missachten und die jüdische Bevölkerungsmehrheit im Land anzustreben. Anfang Dezember begann die Entvölkerung Palästinas mit jüdischen Angriffen auf palästinensische Dörfer und Stadtviertel auch als Vergeltung für gewaltsame palästinensische Proteste. Die Briten legten ihr Mandat am 14.5.1948 nieder, und die Jewish Agency proklamierte die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina. Arabische Truppen marschierten in Palästina ein. Die Teilungsresolution war kein Friedensplan. Sie widersprach der Balfour-Erklärung vom 2.11.1917 mit ihrer Zusage, dass die bürgerlichen und religiösen Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina nicht beeinträchtigt werden dürften.

Krieg und Vertreibung von 1947 bis 1949 waren für die Palästinenser die bisher größte Katastrophe ihrer Geschichte. Sie nennen sie nakba. Nach dem Krieg kontrollierte Israel nicht die ihm zugesprochenen 56, sondern 78% des Mandatsgebiets. Von den 900.000 Palästinensern in diesem Gebiet blieben nur 150.000 zurück. 750.000 Palästinenser ergriffen aus Angst die Flucht oder wurden aus ihren Siedlungen und Häusern gewaltsam vertrieben, über 500 palästinensische Siedlungen, Dörfer und auch Städte wurden zerstört, die Bevölkerungen von Deir Yassin (9.4.1948), Tantura (22.5.), Dawaymeh (28.10.) wurden massakriert. »Das Massaker von Deir Yassin hatte nicht nur seine Berechtigung – ohne den ›Sieg‹ von Deir Yassin hätte es auch niemals einen Staat Israel gegeben.«5 Der erste Ministerpräsident des am 14.5.1948 gegründeten Staates Israel David Ben Gurion wollte von vornherein einen jüdischen Staat, ein Groß-Israel. Sein Ziel war nicht die Teilung des Landes mit den Palästinensern: »Weshalb sollten die Araber Frieden schließen? Wäre ich ein arabischer Führer, würde ich niemals mit Israel verhandeln. Das ist doch ganz normal: Wir haben ihr Land weggenommen. Natürlich wurde es uns von Gott versprochen, aber warum sollte es sie interessieren? Unser Gott ist nicht der ihre. Wir stammen aus Israel, jedoch ist das 2000 Jahre her; was sollte dies ihnen bedeuten? Es gab den Antisemitismus, die Nazis, Hitler, Auschwitz – aber war das ihre Schuld? Das Einzige, was die sehen ist: Wir kamen her und stahlen ihr Land. Warum sollten die das akzeptieren?«6

Allein dieses Zitat Ben Gurions widerspricht dem offiziellen israelischen Narrativ, wonach die Gründungsgeschichte Israels im Wesentlichen ohne große Opfer der Palästinenser erfolgt sei und die Palästinenser freiwillig das Land verlassen hätten. Ben Gurion räumt ein, dass die Zionisten (»wir«) den Arabern ihr Land weggenommen haben, dass das Leid, das Israel widerfahren ist, den Arabern nicht als Schuld angelastet werden kann. Der religiöse Anspruch Ben Gurions macht eine Verständigung mit den Arabern unmöglich: »Natürlich wurde es (ihr Land, J.V.) uns von Gott versprochen, aber warum sollte es sie interessieren? Unser Gott ist nicht der ihre.« Das Land ist nicht verhandelbar, weil es »natürlich« Israel von Gott versprochen worden und weil der Gott Israels nicht der Gott der Araber sei. Dass Israel den Arabern das Land geraubt hat, wird mit der biblischen Landverheißung und der Inanspruchnahme des Gottes Israels gegen den Gott der Araber legitimiert. Es sind zwei Hindernisse, die dem Frieden zwischen Israel und den Palästinensern im Wege stehen: die Verdrängung der historischen Wahrheit und der religiöse Anspruch Israels auf das Land.

2. Zum Dilemma des Staates Israel

Der Staat Israel will ein jüdischer und ein demokratischer Staat sein. Als jüdischer Staat ist Israel seinen religiösen Traditionen verpflichtet, die nicht allen Staatsbürgern zugänglich sind. Als demokratischer Staat ist Israel der Gleichheit aller seiner Bürger und Bürgerinnen vor dem Gesetz und den allgemeinen Menschenrechten verpflichtet. Die demokratischen Elemente Israels sind auf Grund seiner vorrangigen jüdischen Identität erheblich eingeschränkt. Israel hat bis heute keine Verfassung. Umfang und Geltungsbereich religiöser Gesetze konnten bislang nicht in einem Konsens geklärt werden.

In Israel sind etwa 20% der Bevölkerung Palästinenser. Sie sind in vielen Hinsichten Bürger minderen Rechts. Sie werden in Sozialleistungen und im Bildungsbereich benachteiligt. Arabischen Bewohnern Ost-Jerusalems werden Baugenehmigungen verweigert, jüdische Siedler in den besetzten Gebieten erhalten wider das internationale Recht Baugenehmigungen. Eigentum von Palästinensern wurde konfisziert, viele ihrer Häuser wurden zerstört, Tausende ihrer Olivenbäume ausgerissen. Palästinenser waren und sind Kollektivstrafen und Folter ausgesetzt. Israelische Araber und Palästinenser gelten als hohes Sicherheitsrisiko, womit Verletzungen der Menschenrechte gerechtfertigt werden. Juden sind erheblich privilegiert.7

Der Staat Israel tendiert seinem jüdischen Selbstverständnis gemäß zu einer exklusiv jüdischen Bevölkerung. Die Unabhängigkeitserklärung vom 14.5.1948 füllt die Leerstelle der fehlenden Verfassung aus. Darin heißt es: »Der Staat Israel wird für die jüdische Einwanderung und die Sammlung der zerstreuten Volksglieder geöffnet sein; er wird für die Entwicklung des Landes zum Wohle aller seiner Bewohner sorgen; er wird auf den Grundlagen der Freiheit, Gleichheit und des Friedens, im Lichte der Weissagungen der Propheten Israels gegründet sein; er wird volle soziale und politische Gleichberechtigung aller Bürger ohne Unterschied der Religionen, der Rasse und des Geschlechts gewähren.«8 Die Unabhängigkeitserklärung erwähnt weder die UN-Resolution 181 noch die Grenzen des neuen Staates. Ein Staat ist definiert durch ein klar begrenztes Territorium. Es wird nicht gesagt, im Lichte welcher Propheten Israel gegründet sein wird. Die Erklärung lässt in mehrfacher Hinsicht die Identität Israels offen und ist ein Grund seiner Friedlosigkeit. Das Versprechen sozialer und politischer Gleichberechtigung aller Bürger ist nicht eingelöst worden und wird täglich gebrochen.

Die mit der Unabhängigkeitserklärung betonte Offenheit für die jüdische Einwanderung wird in dem Rückkehrgesetz vom 5.7.1949 bestätigt: Jeder jüdische Einwanderer erhält die israelische Staats­bürger­schaft.9 Das Rückkehrgesetz schreibt die Privilegierung der jüdischen Bevölkerung fest. Das zionistische Projekt eines jüdischen Staates mit weitgehend jüdischer Bevölkerung war unter den bestehenden demographischen Verhältnissen mit der großen Mehrheit der arabischen Bevölkerung nur zu erreichen auf dem Weg der Vertreibung arabischer Bevölkerungsteile. 1930 erklärte Chaim Weizmann in Berlin, es sei nicht möglich, Palästina in einen jüdischen Staat zu verwandeln, denn »wir können nicht und wollen nicht die Araber vertreiben«.10

Obwohl in der jüdischen Bevölkerung religiöse Juden in der Minderheit sind, gelten in Israel religiöse Gesetze, auch Sabbat- und Speisegesetze. Von Rabbinern des konservativen wie des Reformjudentums vollzogene religiöse Handlungen (auch Trauungen) werden vom Staat nicht anerkannt. Die anderen Religionen haben autonome Institutionen.11

Seit dem Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 sind religiöse Parteien in wechselnden Koalitionen in allen Regierungen vertreten. Für sie ist die Verwirklichung der biblischen Überlieferungen mit der Schaffung von Groß-Israel unabdingbar Gottes Gebot. Seit 1967 hat Israel die Westbank, die Golanhöhen, Ost-Jerusalem und den Gazastreifen (2005 die Siedlungen im Gazastreifen geräumt) völkerrechtswidrig besetzt, verbrauchen Israelis Wasser, das ihnen nicht gehört. Ost-Jerusalem wurde annektiert. Die Zahl der Siedler im Westjordanland nahm ständig zu und erreichte bis 2006 eine Viertelmillion. Bis heute dauert eine zweite stetige Vertreibungswelle an.12

Die fortgesetzte völkerrechtswidrige Siedlungspolitik schränkt die Palästinenser immer mehr ein, macht ihr Leben zunehmend unerträglich und zielt auf ihre endgültige Vertreibung. Das Verhalten der israelischen Besatzung gegenüber der palästinensischen Bevölkerung ist menschenverachtend und demütigend, dient nicht dem Frieden, sondern schürt täglich neuen Hass.13 Die Berliner Erklärung Schalom 5767 stellt fest »Das Grundübel ist die seit 1967 andauernde Besetzung palästinensischen Gebiets.«14 Der Staat Israel verdankt seine Entstehung einer Entschließung der Staatengemeinschaft, fordert die Anerkennung durch die Staatengemeinschaft ein, missachtet aber fortlaufend UN-Resolutionen, sich aus den seit 1967 besetzten Gebieten zurückzuziehen und den Siedlungsbau zu stoppen. Grundlegend ist die Resolution 242 vom 22.11.1967: Das Existenzrecht Israels innerhalb sicherer Grenzen und der Rückzug israelischer Streitkräfte aus den besetzten Gebieten werden zur Vorbedingung eines dauerhaften Friedens erklärt.

Die Siedlungspolitik macht einen Frieden mit den Palästinensern faktisch unmöglich. Die Landnahme ist das oberste Ziel israelischer Politik.15 Die nationalreligiösen Siedler, der Gush Emunim, ihre extremistische Speerspitze16, wollen keinen Frieden, sie wollen im Gehorsam gegenüber Gottes Gebot das Land vom Meer bis zum Jordan, sie wollen es allein, sie wollen es nicht mit den Palästinensern teilen. Sie verstehen sich als Werkzeug des göttlichen Heilsplans. Selbst die Mahnungen seines wichtigsten Verbündeten, der USA, ohne deren Unterstützung Israel als Staat nicht überleben würde, werden ignoriert. Menschenrechtsverletzungen an den Palästinensern werden im Gehorsam gegen Gott auf dem Weg zu Groß-Israel bewusst verübt, solange die Palästinenser wider Gottes Willen auf der Teilhabe des Landes bestehen.17 Eine Regierung, die sich an das Völkerrecht hielte und die Räumung der Siedlungen in der Westbank, in Ost-Jerusalem und auf den Golanhöhen durchsetzen wollte, würde wahrscheinlich einen Bürgerkrieg riskieren.18

Seit 2003 wird auf palästinensischem, von den Israelis besetztem Gebiet eine Sperrmauer errichtet. Ihr Verlauf – nicht auf der Grenze, sondern auf palästinensischem Gebiet und Siedlungen und Städte zum Teil von drei Seiten einkreisend – dient nicht der Sicherheit Israels. Sie soll das alltägliche Leben der Palästinenser bis zur Unerträglichkeit erschweren, die vorhandenen jüdischen Siedlungen schützen und verbinden und einen lebensfähigen Palästinenserstaat unmöglich machen.19 Die Sperranlage wurde durch den Internationalen Gerichtshof am 9.7.2004 verurteilt.

Der Staat Israel hat in seinem jüdischen und demokratischen Anspruch seine Identität nicht gefunden. Als jüdischer Staat geht er zwangsläufig mit der Vertreibung und Unterdrückung der nicht-jüdischen einheimischen Bevölkerung einher.20 Er ist in seiner Siedlungspolitik in der Geiselhaft der religiösen Rechten, national gespalten und international isoliert.

3. Der Staat Israel – ein Zeichen der Treue Gottes?

Die Rheinische Synode hat 1980 als erste deutsche Landessynode die bleibende Berufung Israels erklärt.21 Das war überfällig. Die Erklärung beruft sich auf Röm. 9-11 ohne zu sagen, worin die bleibende Berufung Israels besteht. Die Verstockungstheorie des Paulus kann ich nicht nachvollziehen. Israels Nein zu Jesus dem Christus ist seine Berufung und Mahnung an uns, die Christenheit, unseren Glauben an Jesus Christus auch zu leben und seine Tora zu tun.

Das Christentum verstand und versteht sich zum Teil noch immer als Ablösung des Judentums. Die Existenz von jüdischen Gemeinden parallel zur 2000jährigen Geschichte des Christentums wurde als Bedrohung des christlichen Selbstverständnisses angesehen. Israel ist seit 2000 Jahren der Stachel im Fleisch der Christenheit, weil sie Jesus als Erlöser glaubt, aber nicht seine Tora lebt. Christliche Judenfeindschaft ist das vergebliche Bemühen, diesen Stachel im Fleisch loszuwerden.

Die Rheinische Synode glaubte, in der Errichtung des Staates Israel »ein Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk« sehen zu müssen. Wir, Christen in Deutschland, können unsere unsägliche Schuld gegenüber der Judenheit nicht dadurch theologisch kompensieren, dass wir nun in der staatlichen Verfasstheit des Volkes Israel ein Zeichen der Treue Gottes sehen, das seinerseits Hunderttausende unschuldige Menschen zu Opfern gemacht hat und noch immer macht. Die Rheinische Synode missachtete die innerbiblische Kritik am Staat (Ri. 9; 1. Sam. 8; Mk. 10,42-44; 12,13-17; 1. Petr. 2,13-17). Indem Israel auch einen König haben und wie die anderen Völker sein will, gibt es seine besondere Berufung, eben nicht wie die anderen Völker zu sein, an Gott zurück. Wie könnte Israel, das seine Existenz der Befreiung aus staatlicher Gewaltherrschaft in Ägypten durch Gott verdankt, seine Identität als ein Staat verwirklichen und sichern wollen?

Die Staatlichkeit Israel/Judas war eine vorübergehende Episode. Das Nordreich Israel wurde 722 v. Chr. von den Assyrern erobert, das Südreich Juda 587/6 v. Chr. von den Babyloniern. In der Krise des Exils mit dem Verlust des Landes und der Staatlichkeit, der Zerstörung Jerusalems und des Tempels ist Israel nicht zu den Göttern des mächtigeren Babylon übergelaufen, sondern hat an seinem Gott festgehalten und seinen Gott nun als den einen und einzigen Gott der gesamten Völkerwelt und als Schöpfer des Himmels und der Erde bezeugt. Im Exil ist der Monotheismus entstanden.

Während nationalreligiöse Kreise auf einen Spross aus Davids Geschlecht, eine Restauration des Königtums mit der Ideologie der ewigen Erwählung Davids gehofft haben (2. Sam. 7; Ps. 2), haben Kreise um den Zweiten Jesaja und andere Trägergruppen den Untergang des Staates Juda als eine Widerlegung der Königsideologie verstanden und begriffen, dass Judas staatliche Verfasstheit nicht der zukünftige Weg Gottes mit seinem Volk ist. Für sie sind die Hulderweise an David auf das Volk übergegangen (Jes. 55,3). Sie haben keinen irdischen König und keinen Staat mehr erwartet.

Staaten sind partikulare Machtgebilde und menschliche Institutionen, ein Gebot der Vernunft. Sie religiös als Anordnung oder als Zeichen der Treue Gottes zu überhöhen, hat insbesondere von Röm. 13 her und in der lutherischen Tradition viel Unheil angerichtet und Gott im Neben- und Gegeneinander der Staaten zu einer Vielzahl von Nationalgöttern und also partikular gemacht. Gott partikular machen, für ein Volk, eine Nation in Anspruch nehmen gegen andere Völker oder Nationen ist ein Missverständnis des einen universalen Gottes, der alle Menschen und Völker geschaffen hat und darum für alle Menschen und Völker in gleicher Weise da sein will. Die Erklärung der Rheinischen Synode, im Staat Israel ein Zeichen der Treue Gottes zu sehen, war ein theologisch fragwürdiger Versuch, Schuld zu kompensieren.

Ein jüdischer Staat ist eben ein Staat, der seine jüdische Identität – die nichtjüdische Bevölkerung ausgrenzend und damit den einen und universalen Gott, der für Juden und Nichtjuden in gleicher Weise da sein will, verleugnend – mit staatlicher Gewalt nach innen und nach außen sichern will. Der Glaube an Gott kann nicht durch staatliche Gewalt gesichert werden. Die Besonderheit des jüdischen Volkes mit seinen großen universalen Traditionen und ihrer Hoffnung auf Gottes Schalom für Israel und die Völker verträgt sich gerade nicht mit einer staatlichen Verfasstheit, wie sie den anderen Völkern eigen ist. Als Staat soll Israel wie die anderen Staaten sein, demokratisch und säkular. Als Volk Gottes darf es nicht wie die anderen Völker sein, hat es den Auftrag, zum Segen und zum Licht der Völker zu werden (Gen. 12,3; Jes. 42,6; 49,6). Das Dilemma des Staates Israel, zugleich ein jüdischer und ein demokratischer Staat sein zu wollen, ist die Unvereinbarkeit von jüdischem Volk und jüdischem Staat.

4. Das Volk Israel und das Land

In der Perspektive des einen und universalen Gottes sind auch die biblischen Überlieferungen des Landes theologisch zu würdigen. Die Bibel redet von Gott universal und partikular. Es kommt darauf an, ob die partikularen Traditionen von Gott offen sind auf seine Universalität hin oder ob sie den Anspruch erheben, abschließend von Gott zu reden, ob von Gott ausschließlich in seinem Bundesverhältnis mit Israel geredet wird oder ob dieses Bundesverhältnis offen ist zur Völkerwelt hin.

Nach dem Scheitern der universalen Urgeschichte Gen. 1-11 – der Mensch ist nicht so, wie Gott den Menschen gewollt hat – macht Gott mit Abraham/Israel einen Neuanfang. Die Berufung Israels ist ein partikulares Handeln Gottes an Israel mit der Völkerwelt als seinem universalen Ziel (Gen. 12,1-3). Dem universalen Horizont der Urgeschichte entsprechen die universalen Traditionen mit der Neuorientierung Israels im Exil auf die Völkerwelt hin.

Auch die Landverheißungen sind in diesem universalen Horizont zu lesen. Die Grenzen des Landes werden in den einzelnen Überlieferungen sehr unterschiedlich umrissen. Nach Gen. 15,18 umfasst es das Gebiet vom Strom Ägyptens bis zum Euphrat; Dtn. 1,7-8 erwähnt den Euphrat, nicht den Nil; Jos. 13,2-5 nennt weder Euphrat noch Nil als Grenzen; 2.Sam. 24,2 bezeichnet das Gebiet von Dan bis Beerscheba; Ps. 72,8 steckt für das messianische Zeitalter die Grenzen weiträumig ab: vom einen Meer bis zum anderen und von dem Strom (Euphrat) bis zu den Enden der Erde. Und nach Gen. 13,14f wird Abraham als Land nur verheißen, was er um sich blickend sehen kann.22 Auf welche biblische Überlieferung soll sich der Staat Israel gründen?

Die Landnahme geschah historisch keineswegs kriegerisch, wie die Bücher Dtn. und Jos. erzählen, vielmehr als ein allmähliches Vordringen nomadischer und halbnomadischer Verbände in das Kulturland sowie in der Form von Aufstandsbewegungen im Lande schon ansässiger Gruppen.23 Die in das Kulturland eindringenden Sippen und Stämme haben sich auf Landzusagen ihrer Gottheiten berufen. Die Landverheißungen entsprechen dem Paradigma von Stammesgesellschaften und ihren Gottheiten. Die Landnahmeüberlieferungen sind mit Jahwekrieg und Vernichtungsweihe gewaltsam und grausam ausgestaltet. Sie sollen die Macht des Gottes Israels bezeugen, der den Exodus aus dem Exil, die Heimkehr seines Volkes verwirklichen wird. Es handelt sich um fiktionale Geschichtsschreibung als ermutigende, Glauben stiftende Anrede an die Gegenwart. Mit dem Monotheismus aber ist das Paradigma von Stammesgesellschaften und ihrer Gottheiten überwunden. Gott ist der Gott aller Menschen und Völker. Gott ist auch nicht mehr auf ein Land bezogen, kein Landbesitzer. Gott gehört die ganze Erde.

Die fiktionalen Landnahmeerzählungen werden von den nationalreligiösen Siedlern fundamentalistisch als »politischer Atlas«24 gelesen und im Glauben an ihren Gott, an ihr Missverständnis Gottes umgesetzt. Was in der Frühzeit Israels keineswegs Realität war, die Vertreibung und Ermordung der Ureinwohner Kanaans, ist in den Jahren 1947 bis 1949 und danach für viele Palästinenser blutige Realität geworden. Wer die Bibel im vermeintlichen Gehorsam gegen Gott fundamentalistisch liest, missbraucht sie, richtet Unheil an, macht Menschen zu Opfern. Die Landverheißungen wollen auf die universalen Traditionen hin gelesen werden als Auftakt zu Gottes universalem Heilshandeln an allen Völkern.25

Mit dem Verlust seiner Staatlichkeit und des Landes wurde Israel herausgefordert, im universalen Horizont Gott als Gott Israels und der Völker wie als Schöpfer des Himmels und der Erde neu zu denken. Gott hat sein Volk herausgeführt aus der nationalreligiösen Gefangenschaft in den Glauben an seine universale Königsherrschaft über alle Völker (Ps. 93;96-99). »Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt,/der Erdkreis und seine Bewohner« (Ps. 24,1). Gottes Herrschaft der Gerechtigkeit und des Friedens umfasst die ganze Erde und alle Völker. In der Gruppe um den Zweiten Jesaja wird die Erwählung Israels neu verstanden als seine Berufung, den Völkern Gottes Wahrheit und Recht, Heil und Schalom zu bezeugen bis an die Enden der Erde. Wie sollte Gott, der die Völker geschaffen hat, um Israels willen die Völker der Vertreibung und Vernichtung durch Israel preisgeben?

Vom Exil an hat Israel die Erfahrung gemacht, dass Gott auch außerhalb des Landes verehrt werden kann. Nicht wenige Juden sind in Babylon geblieben. Das Exil und die Diaspora sind keine gottlosen Orte. Die Synagoge und das Rabbinat sind entstanden. Identitätsstiftende Heimat und Mittelpunkt der jüdischen Religion sind nun die Bibel und der Talmud. Das Judentum ist »eine internationale ›transportable‹ Religion« geworden.26 Alfred Grosser bezeichnet die Tora »als transnationale Identität des Judentums«.27

Israel hat seine Identität wesentlich außerhalb des Landes erfahren, im Bundesschluss am Sinai und im Exil, wo ihm der universale Horizont seines Gottes aufgegangen ist. Im Exodus aus Ägypten hat Israel die Befreiung aus staatlicher Gewaltherrschaft erfahren, im Exil ging ihm die Befreiung aus dem nationalstaatlichen Missverständnis seines Gottesglaubens auf. Die Existenz Israels ist exterritorial begründet und daher von keinem Territorium abhängig.28 Dass Juden Gottes Tora in Freiheit leben können, ist in der Entsprechung zur Befreiung aus der Gewaltherrschaft in Ägypten der theologische Sinn der Landverheißung. Das bedeutet freilich, dass die Tora als Gabe er Freiheit ausgelegt wird nicht für Israel allein, sondern im Blick auf Gottes Fürsorge für alle Völker.

Heute leben weltweit etwa ein Drittel der Juden in Israel und zwei Drittel außerhalb von Israel. Das jüdische Volk besteht aus israelischen Juden und Diasporajuden. Die Diasporajuden in den verschiedenen Ländern verstehen sich als deren Staatsbürger jüdischen Glaubens. Wenn die Erde des Herrn ist und alle ihre Bewohner, dann wird die Erde zur Heimat, auf der man Gottes Tora leben und seinen Willen tun kann.

Im nationalistischen Horizont des Glaubens Israels bilden Gott, das Volk im ethnischen Sinn und das Land eine wesensmäßige Dreiheit. Im universalen Horizont des Glaubens Israels wird das Volk zur Glaubensgemeinschaft derer, die an den einen Gott glauben und auf Gottes Erde nach seiner Tora leben. Das Volk Israel im ethnischen Sinn hat seine Gründungsgeschichte als Nationalepos verfasst: Die Befreiung aus der Gewaltherrschaft in Ägypten, die Gottesoffenbarung am Sinai mit Bundesschluss und der Gabe der Tora, die kriegerische Landnahme mit der Vertreibung und dem Völkermord an den Ureinwohnern. Diese Gründungsgeschichte verdankt das Volk Israel seinem Nationalgott Jahwe. Mit dem Exil wurde dem Volk Israel nach dem Verständnis der Universalisten sein nationalistischer Horizont zerschlagen, kann Israel seine Geschichte nicht mehr als Nationalepos erzählen, weil Gott der Gott aller Völker ist und ihm die ganze Erde gehört.

Das Judentum mit seinem ethischen Monotheismus übte eine große Faszination aus. Viele Menschen aus den Gastvölkern bekehrten sich zum jüdischen Glauben. Das jüdische Volk als eine ethnische Größe in ununterbrochener Kontinuität von der biblischen Zeit an ist ein Mythos.29 Seit dem Exil gehören der Religion des Judentums Menschen aus vielen Völkern an. Das jüdische Volk ist nicht mehr ethnisch konstituiert und auch nicht an das Land im geographischen Sinn gebunden. Es hat seine Identität in dem Bundesverhältnis mit Gott und in der Gabe und Verpflichtung der Tora – auf der ganzen Erde, die des Herrn ist. Dem jüdischen Volk als Glaubensgemeinschaft entspricht dann, dass Erez Israel für die überwiegende Mehrheit der Juden nicht mehr unabdingbare Voraussetzung ist, ihren Glauben zu leben. Wer eine Synagoge in der Diaspora baut, in Deutschland zuletzt in Mainz 2010, sagt damit, dass er als Jude in der Diaspora leben will und im Vollsinn auch leben kann.

Das Judentum ist in sich tief gespalten. Die einen sind bereit, um des Landes willen Menschen zu opfern. Sie berufen sich auf die nationalistischen Traditionen einer exklusiven Erwählung Israels durch einen exklusiven Gott auf Kosten der palästinensischen Bevölkerung. Die anderen verstehen Gottes Wahrheit universal, sie glauben an Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde, der nicht nur Israel, sondern alle Völker geschaffen hat und seine Herrschaft der Gerechtigkeit über alle Völker und die ganze Erde ausüben wird.

5. Die Theologie befreien

Das Vermächtnis des jüdischen Volkes an die Menschheit ist der Glaube an den einen Gott und die Gottebenbildlichkeit des Menschen. Gott hat den Menschen nach seinem Bild geschaffen. Darum ist der Mensch, jeder (!) Mensch, Gott heilig. Dieser Glaube wird im Schöpfungshymnus Gen. 1 bezeugt. In den nationalistischen Traditionen des Dtn. und des deuteronomistischen Geschichtswerks wird der universale Topos der Gottebenbildlichkeit verkannt und der Glaube vertreten, Gott würde um Israels willen die anderen Völker und Menschen preisgeben.

Naim S. Ateek hat eine sehr beachtenswerte palästinensische Theologie der Befreiung vorgelegt, die auf die Befreiung der Theologie zielt. Die Theologie muss befreit werden aus ihrer nationalreligiösen Gefangenschaft, aus einem partikularen und exklusiven Missverständnis Gottes zugunsten von Israel auf Kosten der Völker, aus der missbräuchlichen Vereinnahmung der Bibel für nationalreligiöse Interessen.30 Wenn Ben Gurion im Blick auf die palästinensischen Araber betont »Unser Gott ist nicht der ihre«31, dann erliegt er genau dem exklusiven Missverständnis Gottes, das Gottes Dasein für Israel und die Völker und damit die Heiligkeit eines jeden Menschen verleugnet. Es geht um die Befreiung der Theologie aus ihrer nationalistischen Gefangenschaft zur Erkenntnis der Universalität Gottes für Israel und die Völker wie zur Erkenntnis der Heiligkeit und unantastbaren Würde eines jeden Menschen.

Wir, die Christenheit, verdanken Israel unaufgebbar den Glauben an den einen Gott, der das Heil aller Menschen will, und den Glauben an die Heiligkeit eines jeden Menschen. Durch den Juden Jesus sind wir aus der Völkerwelt zu Seiteneinsteigern in das Gottesvolk geworden, das seither geteilt ist und zwei verschiedene Wege geht, den einen Weg in der Berufung auf die Tora und den anderen in der Berufung auf Jesus, auf das mit Jesus angebrochene Reich Gottes und die durch Jesus ausgelegte Tora als Lebensordnung des Reiches Gottes.

Die jüdische nationalreligiöse Rechte und mit ihr viele vermeintlichen christlichen Freunde Israels sind der Auffassung, dass um der Heiligkeit des Landes willen Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts geboten sein können. Sie verleugnen die Universalität Gottes und die Heiligkeit eines jeden Menschen. Gott ist kein Nationalgott und kein Staatsgott. Gott ist der universale Gott, der einen jeden Menschen nach seinem Bild geschaffen hat, dem ein jeder Mensch heilig ist und der den Frieden aller Menschen und Völker will. Solange Israel für diese Erkenntnis steht, wird es zum Segen (Gen. 12,3) und zum Licht für die Völker (Jes. 42,6; 49,6). Keine Gabe Gottes, nicht die Tora und nicht das Land, steht über der Heiligkeit des Menschen. Keine Gabe Gottes und kein Gebot Gottes kann die Vertreibung, Verletzung oder gar Tötung auch nur eines einzigen Menschenlebens rechtfertigen. Wo in der vermeintlichen Berufung auf die Bibel auch nur ein einziger Palästinenser verletzt oder gar getötet wird, wird die Bibel missbraucht, das Land zum Götzen und Gott gelästert.

Die Menschenrechte sind unteilbar. Wo Christen und Christinnen einseitig für Israel und den Staat Israel Partei ergreifen, machen sie Gott zum Parteigänger und Komplizen. Nur wenn sich Israel seiner Geschichte stellt und nicht nur die Erinnerung an den Holocaust einfordert, sondern auch die Erinnerung an die Nakba zulässt und sich zu eigen macht32, wenn es das Land mit den Palästinensern zu teilen bereit ist, kann es eine friedliche Zukunft für Juden und Palästinenser geben. Das Problem sind die nationalreligiösen Siedler, die das Land, nicht den Frieden wollen.33 Der Staat Israel in den sicheren Grenzen vor 1967 und ein lebensfähiger Palästinenserstaat sind ein Gebot der Vernunft und des Friedens.

Anmerkungen:

1 Inschrift an der Gedenkstätte Yad Washem in Jerusalem.
2 S. hierzu Martin Buber, Ein Land und zwei Völker. Zur jüdisch-arabischen Frage, hg. von Paul R. Mendes-Flohr, Frankfurt/M. 1993.
3 So besonders Avraham Burg, Hitler besiegen. Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss, Frankfurt/New York 2009.
4 Dieter Vieweger, Streit um das Heilige Land. Was jeder vom israelisch-palästinensischen Konflikt wissen sollte, Gütersloh 2010, 152.
5 Menachem Begin, zit. nach D. Vieweger, Streit (Anm. 4), 157. Zum Ganzen siehe auch Ilan Pappe, Die ethnische Säuberung Palästinas, Frankfurt/M. 2007; John Bunzl, Israel im Nahen Osten, UTB 3159 2008; Alexander Flores, Der Palästinakonflikt, Freiburg i.Br. 2009: Alfred Rudorf, Israel in Palästina – Wegweiser zur Lösung, Neu Isenburg 2010.
6 Zit. nach D. Vieweger, Streit (Anm. 4), 149.
7 S. Norman G. Finkelstein, Antisemitismus als politische Waffe. Israel, Amerika und der Missbrauch der Geschichte, München 2006; Amnesty International Report 2009. Zur weltweiten Lage der Menschenrechte, Frankfurt/M. 2009, 211-217.
8 Zit. nach A. Flores, Palästinakonflikt (Anm. 5), 63.
9 Neues Lexikon des Judentums, hg. von Julius H. Schoeps, Gütersloh 2000, s.v. Rückkehrgesetz 716.
10 Nach Rolf Verleger, Israels Irrweg. Eine jüdische Sicht, Köln 2009², 53.
11 S. Michael Wolffsohn, Israel. Geschichte, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Wiesbaden 2007, 331-339.
12 Ebd., 26-29.
13 S. Susan Nathan, Sie schenkten mir Dornen. Ausgegrenzt im Land der Verheißung, Bergisch Gladbach 2005, bes. 263-312.
14 R. Verleger, Israels Irrweg (Anm. 10), 98-101.98.
15 A. Rudorf, Israel (Anm. 5), 164 u.ö. S. auch Idith Zertal/Akiva Eldar, Die Herren des Landes. Israel und die Siedlerbewegung seit 1967, München 2007.
16 I. Zertal/A. Eldar, Herren (Anm. 15), 212-275.
17 S. dazu Victor und Victoria Trimondi, Krieg der Religionen. Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse, München 2006, 470-476.
18 So auch Michael Wolffsohn, Wem gehört das Heilige Land? Die Wurzeln des Streits zwischen Juden und Arabern, München 2002, 281.
19 Zur Sperranlage s. die Dokumentation von Ellen Rohlfs, Was geschieht eigentlich hinter der Mauer in Palästina? »Nur« Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder schleichender Völkermord?, 2007.
20 So auch Alfred Grosser, Von Auschwitz nach Jerusalem. Über Deutschland und Israel, Reinbek bei Hamburg 2009, 124.
21 Rolf Rendtorff/Hans Hermann Henrix (Hg.), Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945 bis 1985, Paderborn/München 1988, 593-596.
22 S. dazu Ernst Axel Knauf, Der Umfang des verheißenen Landes nach dem Ersten Testament, BiKi 55 (2000), 152-155.
23 S. auch Israel Finkelstein/Neil A. Silberman, Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel, München 2002.
24 So M. Wolffsohn, Israel (Anm. 11), 333.
25 So sachgemäß das Kairos-Dokument »Die Stunde der Wahrheit«, Ziff. 2.3.
26 M. Wolffsohn, Land (Anm. 18), 146.
27 A. Grosser, Von Auschwitz nach Jerusalem (Anm. 20), 107.
28 S. auch Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 20055, 201; Jürgen Werbick, Gott verbindlich. Eine theologische Gotteslehre, Freiburg i.Br. 2007, 157.
29 S. Shlomo Sand, Die Erfindung des jüdischen Volkes. Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand, Berlin 2010.
30 Naim S. Ateek, Gerechtigkeit und Versöhnung. Eine palästinensische Stimme. Vorwort von Desmond Tutu, Berlin 2010.
31 Zitat oben nach D. Vieweger, Streit (Anm. 4), 149.
32 Nach einer Notiz der »Frankfurter Rundschau« vom 24.3.2011 wird das Gedenken an die Nakba in Israel unter Strafe gestellt; Israelische Armee erschießt am Gedenktag Al Nakba acht palästinensische Demonstranten, »Frankfurter Rundschau«, 16.5.2011, 9.
33 Vgl. Moshe Zimmermann, Die Angst vor dem Frieden. Das israelische Dilemma, Berlin 2010. Zimmermann diagnostiziert in der israelischen Gesellschaft eine grundsätzliche Angst vor dem Frieden. Dem könnte ich nur insofern zustimmen, als die »Angst vor dem Frieden« die Angst vor der Teilung des Landes mit den Palästinensern ist.

Über den Autor

Pfarrer Dr. Jochen Vollmer, Jahrgang 1939, Promotion im Fachgebiet AT, zuletzt Gemeindepfarrer in Balingen, lange Zeit Vorsitzender des Konvents der Beistandspfarrer für Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistende in der Evang. Landeskirche Württemberg; verschiedene Arbeiten zur Gewaltproblematik und zu Friedensthemen.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft: 8/2011
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#13
1.Kor.1,30

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Ich möchte selbst keine Stellung zu dem Artikel von Vollmer beziehen, zumal ich sowieso nicht glaube, dass die EKD überhaupt für das Christentum sprechen kann.

Aber ins Nachdenken hat mich doch die Stellungnahme von Rabbi Yakov Rabkin (Artikel oben) gebracht. Stehen nicht orthodoxe Rabbiner wie er in einer Gottesfurcht und Hoffnung auf den wahren Messias (der ja Jesus Christus ist)? Ist nicht auch in unserem persönlichen Glaubensleben der Platz der am Fusse des Kreuzes, den wir einnehmen sollten?

Warum denn hatten die Rabbiner so gewaltige Vorbehalte gegen Herzl und "seinen Geist"?


"Stärke statt Glaube

Was ist die zentrale Bedeutung von «Exil» gemäss der Thora?

Gemäss der jüdischen Tradition sind Juden im Exil, um ihre Sünden abzubüssen, ihr bestes moralisches Verhalten zu zeigen (in den Worten der Thora: «ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation zu sein») und dafür zu beten, dass Gott sie ins Land Israel zurückführt. Die zionistische Haltung ist radikal anders: Sie verlässt sich auf «jüdische Stärke», um in das Land zurückzukehren. Wie Salmon richtig bemerkte, negiert der Zionismus das traditionelle Judentum und ist bestrebt, einen «neuen Hebräer» zu erschaffen, mit Werten, die denen des Diaspora-Juden genau entgegengesetzt sind.

Der politische Zionismus möchte mit dem transnationalen Konzept der Juden aufräumen und sie «normalisieren», damit sie eine Nation werden wie die Finnen oder die Polen. Sowohl das Hebräische als auch das Arabische verwenden das Wort «umma» als Bezeichnung für die Juden und die Muslime, wobei jeweils die Gemeinschaft von Gläubigen gemeint ist und nicht Nationen, die innerhalb politischer Grenzen gebunden sind. Der Zionismus und Israel wurden dann für viele Juden die Basis ihrer jüdischen Identität - etwas, wovor Rabbiner zu Herzls Zeit grosse Angst gehabt haben. Zionisten haben eine schwerwiegende Spaltung unter den Juden verursacht, deren Konsequenzen bis jetzt schwer vorhersagbar sind." - aus dem Artikel von Rabbi Rabkin
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