Teil 1
Dispensationalismus
Inhaltsverzeichnis:
Die Ursprünge des Dispensationalismus
Die Entstehung des Dispensationalismus
Exkurs: Wer war Edward Irving?
Die Verbreitung des Dispensationalismus in den USA im 19./20. Jh.
Die Verbreitung des Dispensationalismus in der Schweiz
Struktur und Inhalte des Dispensationalismus
Der Dispensationalismus nach Darby und Scofield
Der Dispensationalismus nach Knoch
Die Dispensationen (nach Darby und Scofield) auf dem Prüfstand
Die verschiedenen Ausprägungen des Dispensationalismus
Der modifizierte Dispensationalismus
Der progressive Dispensationalismus
Der Ultradispensationalismus (Bullingerismus)
Exkurs: Wer war E. W. Bullinger?
Der Dispensationalismus - eine relativ neue Lehre
Die eigentliche Absicht JESU aus dispensationalistischer Sicht
Der Dispensationalismus und die Bibel - wie verstehen Dispensationalisten die Bibel?
Der Dispensationalismus und das Kreuz CHRISTI
Biblische Bewertung
Wie JESUS und die Apostel mit dem Alten Testament umgehen
GOTTES Versprechen für die Gläubigen
Die Auswirkung des Dispensationalismus – ein ideologisiertes Bibelverständnis
Die Entrückung aus der Sicht der Dispensationalisten
Fazit
Wie die Dispensationalisten das Wort falsch teilen
Epilog
Verwendete Literatur
Die Ursprünge des Dispensationalismus
Der Begriff „Dispensationalismus“ stammt von dem griechischen Wort „oikonomia“ (dieser Begriff
kommt aus der Wirtschaft [„managen“, „regeln“, „verwalten“, „planen“] und beschreibt das Handeln
GOTTES an der Menschheit) ab (engl. „dispensation“) und bedeutet „Hausverwaltung“, „Haushalt“,
„Heilsordnung“ oder „Heilsplan“. Die Idee dahinter ist, das GOTT zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich
mit der Menschheit umgeht.
Das Wort „Dispensation“ ist eingedeutscht aus dem lateinischen „dispensatio“, das in der Vulgata
benutzt wird, um das griechische Wort „oikonomia“ zu übersetzen. Das lateinische Wort bedeutet
„abwiegen“ oder „verteilen“, „dosieren“.
Mit der Bedeutung des Begriffs „Dispensation“ sind drei grundsätzliche Vorstellungen verbunden:
1. der Vorgang des Verteilens oder Gliederns
2. der Vorgang des Verwaltens, Ordnens oder Bewirtschaftens; ein System, mittels
dessen die Dinge verwaltet werden
3. der Vorgang des Verteilens (oder Dosierens) nach bestimmten Voraussetzungen
Die dogmatische Ausformung des Systems des Dispensationalismus entwickelte John Nelson
Darby (1800 -1882). Die Lehre Darbys im Blick auf die Eschatologie lässt sich mit folgenden
Sätzen zusammenfassen:
a) Die Heilige Schrift, auch ihre prophetischen Aussagen, sind literal zu interpretieren
(wobei “literal” beinhaltet, Geschichtsbericht als Geschichtsbericht, Bildwort als
Bildwort, Gleichnis als Gleichnis zu verstehen).
![B)](http://irrglaube-und-wahrheit.de/public/style_emoticons/default/cool.png)
Einteilung der Heilsgeschichte in genau voneinander abgrenzbare Epochen
(Dispensationen) mit einem spezifischen Auftrag im Heilsplan. Daraus ergibt sich
ferner die Erwartung der wirklichen Erfüllung von Prophezeiungen, etwa der
alttestamentlichen Verheißungen an Abraham, David u.a. auf ein wiederhergestelltes
Israel und messianisches irdisches Königreich. Dieses entsteht im
Tausendjährigen Reich auf Erden.
c) Zwischen Israel und der Gemeinde ist streng zu unterscheiden. Die Bestimmung
Israels ist irdisch, die Bestimmung der Gemeinde himmlisch. Die Gemeinde wird vor
der Entstehung des nationalen Israel im Millennium, ja noch vor der großen
Trübsalszeit entrückt (erste, unsichtbare Wiederkunft Christi für die Heiligen,
Vorentrückungslehre, Prätribulationismus). Die zweite, sichtbare Wiederkunft
CHRISTI mit den Heiligen erfolgt nach der großen Trübsalszeit und zu Beginn des
Millenniums, in welchem er vereint mit Seiner Brautgemeinde die Herrschaft über
die Erde ausüben wird. Nach dem Millennium wird Satan noch einmal losgelassen,
die letzte große Schlacht erfolgt, und nach dem Weltgericht vor dem großen Weißen
Thron Gottes tritt die Ewigkeit ein.
Die Entstehung des Dispensationalismus
Die heutigen Verfechter des Dispensationalismus führen oft die Bibel als Erklärung ihrer Überzeugung
an. Dennoch müssen wir feststellen, dass die wenigsten Dispensationalisten überhaupt
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wissen, woher diese Lehre stammt und wann sie entstanden ist. Daher werden wir zunächst
einmal die Geschichte dieser Lehre beleuchten, um dann einzelne Lehrinhalte zu diskutieren. In
der Diskussion werden wir dann auch die biblischen Zeugnisse zu Wort kommen lassen.
“Es ist wahr, dass durch Darby und die „Brüder“ eine ganz bestimmte Art von Dispensationalismus
entstanden ist. Doch es war nur eine Abwandlung von Aussagen, die man in anderer Form im
Laufe der Kirchengeschichte seit dem 6. Jahrhundert immer wieder an-traf.” (“Weil”) Der wesentliche
Unterschied zwischen Darbys Sicht und den hier aufgeführten Beispielen ist, dass Darby die
verschiedenen Dispensationen als sich auflösende unwiderrufliche Zeiten des Versagens des
Menschen ansah. Eine neue Dispensation ersetzte eine vorhergehende, die in Versagen und
Verfall zu Ende gegangen war. Die meisten anderen Christen, die die Zeit in Dispensationen
aufteilten, sahen sie als eine organische Entfaltung. Darbys Sicht war auch nicht so klar eingeteilt,
wie es heute z.B. in der Scofield-Bibel zu finden ist.
“Der Dispensationalismus ist also keine neue Lehre, die erst durch Darby entstanden ist. Hier
einige Beispiele dazu (eine ausführliche Bearbeitung dieses Themas kann man in: „Medieval and
Reformation Backgrounds of Dispensationalism“ von Edward E. Hindson (Dean of the Institute of
Biblical Studies, Liberty University, Lynchburg, Virginia) finden. Internet: www.conservativeonline.org).
Aus dem Mittelalter gibt es die "Prophezeiung des Elias", die die menschliche Geschichte in drei
Epochen und sechs Zeitalter aufteilte. Die früheste englische Erwähnung stammt aus dem Jahr
1549. Eine Version lautet:
Die Welt wird sechstausend Jahre bestehen;
● Zweitausend davon werden leer sein;
● Zweitausend Jahre lang wird das Gesetz dauern;
● und noch eintausend mehr.
Die sechs Zeitalter wurden dann folgendermaßen eingeteilt:
1. Adam bis Noah
2. Noah bis Abraham
3. Abraham bis David
4. David bis zur Gefangenschaft und Wegführung
5. Gefangenschaft bis Christus
6. Christus bis zum letzten Gericht
Durch die Hellenisierung kamen die Juden zu der Ansicht, dass GOTT siebentausend Jahre für die
Geschichte der Menschheit vorgesehen hatte. Christen haben diesen Gedanken mit den sieben
Tagen aus 1. Mose 1 verbunden und Stellen wie Ps. 90:4. und 2. Petr. 3:8 als Beweis für die
Richtigkeit dieser Art der Aufteilung benutzt. Die Ansicht, dass die sechs Tage der Schöpfung mit
sechs Zeitaltern der Menschen übereinstimmen, ist schon bei Isidore von Seville (560-636) und
Bede (673-735) zu finden. Joachim von Fiore (1135-1202) betrachtete die sieben Siegel in der
Offenbarung als die sieben Zeitalter der Kirchengeschichte. Mohammed war für ihn der falsche
Prophet und Gog und Magog waren die Türken. Er teilte die Zeit in drei Epochen ein: Zeit des
Vaters (Zeit des Alten Testamentes), des Sohnes (Zeit des Neuen Testamentes und der
Gemeinde) und des HEILIGEN GEISTES (Zeit der Erneuerung). Robert Pont (1524-1606), ein
schottischer Theologe, kombinierte die Prophezeiungen aus Daniel und der Offenbarung und kam
auf sieben Zeitalter der Menschen:
1. Schöpfung bis Noah
2. Noah bis Abraham
3. Abraham bis Salomo
4. Salomo bis Christus
5. Christus bis 1056
6. 1056 bis zum Schluss
7. Tausendjähriges Reich
Thomas Brightman (1557-1607) wandte die sieben Kirchen der Sendschreiben aus der Offenbarung
auf die Gesamtgeschichte der Kirche an:
1. Ephesus Apostel bis Konstantin (325)
2. Smyrna Konstantin bis Gratian (382) und der Kampf mit dem Arianismus
3. Pergamon 382-1300 war die Zeit der Zunahme der päpstlichen Macht
4. Thyatira 1300 – 1520 war der Kampf der wahren Gemeinde mit dem Katholizismus
5. Sardes Deutsche Reformation – diese (lutheranische) Kirche war "tot", weil sie das Brot als
den tatsächlichen Leib Christi sahen
6. Philadelphia Genfer Reformation
7. Laodizea Kirche Englands
Eine Übersicht über die Gesamtgeschichte der Gemeinde hängt immer davon ab, in welcher Zeit
man sich gerade befindet. In Brightmans Zeit wurde die Genfer Reformation als "Philadelphia"
angesehen, dagegen sahen Darby und die „Brüder“ „Philadelphia“ als in ihre Zeit gehörend. Wie
werden wohl Christen in 200 Jahren die Dinge einteilen und zuordnen?
Eine Sache haben die meisten Werke der Vergangenheit gemeinsam: sie versuchten festzulegen,
wann das Ende kommen sollte, wann CHRISTUS wieder kommen würde. Ein vergebliches
Unterfangen, wenn man bedenkt, was der HERR gesagt hat:
„Um jenen Tag aber und die Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, sondern
allein mein Vater.“ (Matth. 24,36)
„Er aber sprach zu ihnen: Es ist nicht eure Sache, die Zeiten oder Zeitpunkte zu kennen, die der
Vater in seiner eigenen Vollmacht ,festgesetzt hat;“ (Apg. 1,7).
Viele Christen folgten dem jüdischen Prinzip der Auslegung aus Daniel (siehe unten), dass ein Tag
ein Jahr bedeutet und wendeten diese Formel auf die 1260 Tage aus der Offenbarung und die
2300 Tage aus Daniel an und benutzten sie für ihre Berechnungen. (Im Dezember 1830 vertrat
Darby selbst noch diese „ein Tag = ein Jahr“-Sicht! Also immer noch, nachdem andere schon
„Tag = Tag“ anwandten!)
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren diese 1260 "Jahre" für Berechnungen sehr wichtig
geworden. Es waren angeblich die Jahre der Herrschaft des Papsttums. In der Vergangenheit war
man sich nicht einig, ab wann man zählen sollte. Es kam darauf an, ab wann man zu zählen
anfing. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts fing man an ab der Kodifizierung des Kaisers Justinian
in 529 n.Chr. zu zählen und kam so auf 1789. Es war die Zeit der französischen Revolution und
Napoleons (der von vielen für das Tier oder für den Antichrist gehalten wurde) und der Verbannung
des Papstes aus Rom.
Durch diese Ereignisse glaubte man sich in den Berechnungen und
Ansichten bestätigt. Ab da waren die 2300 Tage aus Daniel 8 wichtig. Fing man an, sie ab dem
Jahr 457 v.Chr. (Rückkehr aus Babylon) zu zählen, kam man auf das Jahr 1843. Viele glaubten an
eine Wiederkunft des HERRN im Jahr 1843, 1844 oder 1847. Auch Darby hatte früher solche
Berechnungen erstellt, was er aber später ablehnte: „ ......... was die Berechnungen von Zeiten angeht,
früher habe ich selbst welche gemacht und war sehr bemüht, die 2300 Tage zu entziffern
.......wir müssen uns daran erinnern, dass es hier um die Juden und Jerusalem geht und dass
diese Zeiten auf die Juden und Jerusalem angewandt werden müssen und nicht auf die Belange
des Christentums“ (CW 5:158 „Studies on the Book of Daniel“).
"Viele angesehene Christen haben versucht diese Zeiten zu errechnen, aber meine Überzeugung
ist, dass sie sich alle in der Tat als falsch erweisen werden. Manche haben 1844 angegeben und
manche 1847. Ich selbst habe früher solche Berechnungen gemacht". . . (CW 5:204 "Studies on
the Book of Daniel").” (“Weil”)
Ein eigenständiges System des Dispensationalismus existierte damals jedoch nicht. Dies änderte
sich als Darby Pastor Edward Irving kennen lernte. Der Dispensationalismus geht, in allen seinen
Denkarten, zurück auf das England des 19. Jahrhunderts. Mit ein Grund dafür war die apokalyptische
Stimmung der anglikanischen Staatskirche durch die Folgen der Französischen Revolution.
Exkurs: Wer war Edward Irving? (1792 –1834)
Irving, der ebenfalls als Vorvater der Pfingstlichen und Charismatischen Bewegung
angesehen wird nahm 1822 den Ruf an als Pastor der „Caledonian Chapel“ der Kirche
von Schottland in London zu dienen. Sehr schnell wurde Irving durch seine
umstrittenen Predigten bekannt, sodass immer mehr Besucher in seinen Gottesdienst
kamen und die Gemeinde schon nach kurzer Zeit in ein größeres Gebäude umziehen
musste, um die Besucher zu fassen.
Durch seinen steigenden Bekanntheitsgrad wurde er unter anderem 1824 in die
Londoner Missions Gesellschaft und 1825 in die „Continental Society“ als Sprecher
eingeladen, wo Henry Dummond, einer der späteren Mitbegründer der Katholisch
Apostolischen Kirche, schon Einfluss besaß.
1826 wurde Irving in die Ansichten des spanischen Jesuiten Manuel Lacunza
eingeweiht, der unter dem Pseudonym Juan Josafat Ben-Ezra (es sollte der Eindruck
erweckt werden, das der Autor ein konvertierter Jude sei) ein Buch unter dem Titel
„Das Kommen des Messias in Herrlichkeit und Majestät“ veröffentlichte.
Irving war von den Ansichten Lacunzas so sehr angetan, das er extra Spanisch lernte,
um sein Buch nicht nur zu lesen, sondern auch um es ins Englische zu übersetzen.
Schon 1827 erschien das Buch mit einer 203-seitigen Einführung Irvings, in der er
seine eigene prophetische Sichtweise einbaute.
Dabei standen drei Punkte im Zentrum seiner Lehre:
• Die Gemeinde Christi ist ein eigenständiger „Körper“, dessen Zeit kurz vor dem
Ende steht.
• Nach der Gemeinde richtet sich das Augenmerk des Herrn wieder auf sein
auserwähltes Volk den Juden, welchen er die Ausgießung des Heiligen Geistes
schenkt.
• Der HERR kommt augenblicklich und ohne Vorwarnung wieder.
1828 veröffentlichte er dann ein weiteres Werk, das 500 Seiten umfassende Buch „Die
letzten Tage, eine Untersuchung des bösen Charakters in dieser unserer Zeit, mit dem
Ergebnis, das diese die „böse Zeit“ und die „letzten Tage“ sind.“
In diesem Werk wird es klar, dass Irving davon überzeugt war, dass JESUS noch zu
seiner Zeit wiederkommen würde.
In diese Zeit (1826-1828), wo Irving seine eigenen Manuskripte veröffentliche, begann
Henry Drummond (1786-1860) sein Haus in London, Albury Park für eingeladene
Gäste zu öffnen, um prophetische Angelegenheiten zu besprechen. Irving bekam auf
diesen Konferenzen eine Plattform seine Ideen und Ansichten an bis zu vierzig
christliche Leiter weiterzugeben. Auf diesen Konferenzen wurde besonders die Rolle
des jüdischen Volkes im Zusammenhang mit der Wiederkunft Christi betrachtet. Rev.
Lewis Way, einer der Mitbegründer der „Londoner Gesellschaft zur Verkündigung des
Evangeliums unter Juden“, die zu einem späteren Zeitpunkt maßgeblich an dem
Aufbau der ersten protestantischen Kirche in Jerusalem beteiligt waren (Christ Church
am Jaffa Gate), war ebenfalls einer Gäste auf diesen Konferenzen.
1830 veröffentlichte ein weiteres Mitglied dieser Konferenzen, Hugh McNeile, das Buch
„Prophetien im Zusammenhang mit der Jüdischen Nation“. In diesem Buch benutzt
McNeile das erste bekannte Mal das Wort „dispensations“ – Haushaltungen, im
Zusammenhang von Gottes Handeln mit seinem Volk, der Gemeinde und den Juden.
In dem gleichen Jahr wurde Irving von den Presbyterianern wegen vierfacher Häresie
aus dieser Gemeinschaft ausgestoßen. Das größte Problem bestand für die
Presbyterianer darin, das Irving den irdischen JESUS nicht als göttlich ansah, sondern
lehrte, das JESUS genauso wie wir mit einer „bösen“ Natur geboren wurde und er nur
durch die Erfüllung mit dem HEILIGEN GEIST in der Lage war sündfrei zu leben.
Irvings Anhänger waren davon überzeugt, dass auch sie durch die Geistestaufe den
gleichen Status wie JESUS – sündlos - erreichen könnten.
Zu seinen weiteren Lehren gehörte, dass er daran glaubte, dass jeder Christ die
Geistestaufe erleben und als Zeichen in Sprachen (neuen Zungen) sprechen müsse.
Ebenfalls glaubte er an die prophetische Gabe jedes Gläubigen und Heilung (daher
wird er als der Vater der Pfingstler und Charismatiker angesehen).
Als dann ebenfalls im gleichen Jahr Fälle von Geistestaufen und Sprachengebeten in
Schottland bekannt wurden, war Irving vollkommen davon überzeugt, dass die
Ausgießung des Heiligen Geistes kurz bevorsteht und Jesus jeden Augenblick
wiederkommen könnte.
Irving schrieb 1826 in seinem Vorwort zu Lacunza, dass er gegen alle war „die bemüht
waren, die allgemein angenommene Vorstellung aufrechtzuerhalten, dass die
gegenwärtige Dispensation der Heiden bald in großer Kraft und Fruchtbarkeit
ausbrechen sollte, um die ganze Erde mit der Segnung des Reiches zu füllen und nach
diesem der Herrn kommen sollte, um alles abzuschließen und zu beenden und mit der
gleichen Schnelligkeit wieder zu gehen, mit der er gekommen ist. Und weiter bestand
ich darauf, dass solche Ideen in Bezug auf das herrliche Aufblühen dieser
gegenwärtigen Dispensation in einer universalen Fülle nicht nur nicht übereinstimmt
mit allen Schriften, sondern auch nicht mit der eigentlichen Natur und Absicht dieser
Dispensation selbst.“ EI:6
(. . ."against all who should undertake to uphold the commonly received notion, that the
present Gentile dispensation was about to burst forth with great verdure and
fruitfulness, and fill the whole earth with the millennial blessedness, after which, to wind
up and consume all, the Lord would come in the latter end, and depart with the same
expedition with which he came. And, further, I maintained, that such ideas concerning
the glorious efflorescence of this present dispensation into a universal fullness, is not
only inconsistent with all the scriptures, but with the very nature and intention of the
dispensation itself". . .)
Während der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts gab es die ersten Kontakte zwischen den
Anhängern (katholisch-apostolische Gemeinde) von Edward Irwin und John Nelson Darby.
“Um die Anwendung der Offenbarung auf Rom und den Papst zu entkräften, schrieb der Jesuit
Francisco Ribera (1537-1591) ein 500-seitiges Werk (Sacrum Beati Ioannis Apostoli), das um
1590 erschien. Ribera betrachtete die Zeitangaben von Tagen nicht als Jahre, sondern als
tatsächliche Tage – also die 1260 Tage als 3 ½ Jahre. Die ersten Kapitel der Offenbarung waren
für ihn schon geschichtlich abgelaufen, aber die Kapitel danach sah er noch zukünftig. Da alles
zukünftig war, konnte man die Offenbarung nicht auf den Papst und Rom anwenden. Der Antichrist
wird eine einzelne Person sein, die von den Juden angenommen wird und die den Tempel in
Jerusalem wieder aufbauen lässt.
Hier haben wir schon alle Hauptelemente der dispensationalistischen Sicht:
1. Tage sind wirkliche Tage und nicht Jahre;
2. Ein persönlicher Antichrist wird kommen;
3. Die Hauptrolle der Juden und der Tempelbau;
4. Die Entrückung.
Der Jesuit Kardinal Robert Bellarmine (1542-1621) machte durch seine Schriften das Werk
Riberas populär. Er betonte, dass die Tage in Daniel und der Offenbarung (1260, 1290, 2300) als
Tage und nicht als Jahre zu behandeln sind. (Darby hatte die Werke Bellarmines in seiner
persönlichen Bibliothek.)
Der Jesuit Manuel de Lacunza (1731-1801) schrieb um 1791 unter dem Namen Juan Josafa
(Rabbi) Ben-Ezra „The Coming of the Messiah in Glory and Majesty“ („Das Kommen des Messias
in Herrlichkeit und Majestät“) das Werk, das Irving so beeinflusste und das er übersetzte (Wenn ich
hier aus dem Vorwort von Irving zitiere, entsprechen die Seitenangaben nicht dem gedruckten
Original, sondern der elektronischen Version, die im Internet unter
ources/Lacunza_Irving-Vol1.pdf zu finden ist. Ich kürze der
Quellenangabe mit "EI" ab). Für Lacunza war das Kommen des Antichristen noch zukünftig, am
Ende der Zeit, doch nicht als Einzelperson, sondern als ein System. Die Hure in Offenbarung 17 ist
Rom, aber ein zukünftiges Rom. Der Antichrist sollte vor dem 1000-jährigen Reich vernichtet
werden. Lacunza machte einen zeitlichen Abstand zwischen dem Kommen (Entrückung) und der
Erscheinung des Herrn. Doch wie groß der Abstand ist, wird immer noch unter Gelehrten diskutiert.
CHRISTUS sollte persönlich vor dem Reich kommen und danach auch wieder. Nach dem
Reich sollte es eine allgemeine Auferstehung geben.
Samuel Roffey Maitland (1792-1866), der als Bibliothekar des Erzbischofs von Canterbury
wahrscheinlich die Schriften von Ribera und Lacunza kannte, veröffentlichte 1826 eine Schrift, in
der er die "Ein Tag = ein Jahr"-Sicht widerlegte und Rom "entlastete". Er vertrat eine zukünftige 3
½-jährige Drangsalszeit und einen persönlichen (nicht-katholischen) Antichrist.” (“Weil”)
Darbys Dispensationalismus’ entstand im Wesentlichen durch die Weissagung einer Charismatikerin.
Helge Stadelmann resümierte in einem Aufsatz, der 1983 in einer Zeitschrift der deutschen
Brüderbewegung erschien:
„In einer ´Geistesoffenbarung` empfängt die ´Charismatikerin` Margaret Macdonald im Frühjahr
1830 die Einsicht einer Auswahlentrückung einzelner Gläubiger (= Vorentrückung ´besonders
erwählter, zubereiteter und versiegelter Gotteskinder`; Anm. R. O.) vor der antichristlichen Zeit. Im
gleichen Jahr ist Darby im Haus jener Frau zu Besuch - und kommt in der Folge zur Vorentrückungserkenntnis.
Man wird davon ausgehen können, dass er dort einen ersten Impuls
empfangen hat. Doch dann beschäftigt er sich mit der Schrift. T. Tweedy, ein ehemaliger Pfarrer
der schottisch-reformierten Kirche, hilft ihm im Blick auf das Verständnis von Matth. 24, indem er
vorschlägt, dieses Kapitel allein auf die Juden zu beziehen ... Beim Studium von 2. Thess. 2 bricht
bei Darby dann die Vorentrückungserkenntnis voll durch. Er hat sie seitdem entschieden vertreten
und einen Großteil der Brüderbewegung damit geprägt. Darby vertritt allerdings die Vorentrückung
der gesamten Leibesgemeinde JESU - und nicht wie Margaret Macdonald eine Auswahlentrückung.
Die eigentliche Vorentrückungslehre geht also auf J. N. Darby zurück" (H. Stadelmann,
"Die Entrückung - vor oder nach der Trübsal? Über den Ursprung der Vorentrückungslehre", in:
Die Botschaft, 124. Jhg., Dez. 1983, 6f.).
Welch eine Ironie, wenn man bedenkt, dass die Darbysten behaupten, dass es in der nachapostolischen
Zeit angeblich keine besonderen Geistesgaben mehr geben würde und dass die Frauen in
den Versammlungen schweigen müssten.
Um seine neue Erkenntnis „biblisch“ zu untermauern, benutzte Darby die Bibelstelle 2. Timotheus
2,15b. Nach der King James Version bzw. der Luther-Bibelübersetzung von 1912 heisst es dort
vom „...Arbeiter, der da recht teile das Wort der Wahrheit“. Die wörtliche Übersetzung des Begriffes
„ORTHO-TOMEO“ lautet: „gerade-schneiden“. Es könnte das Bild des Bauarbeiters dahinterstehen,
der die Steine gerade schneidet, damit sie in die Mauer passen; oder der Zeltmacher der
seinen Stoff gerade schneidet. Weitere Möglichkeiten: Sich auf geraden Wegen bewegen, einen
geradlinigen Kurs einschlagen oder einhalten; übertr.: d. Wort d. Wahrheit geradlinig, direkt,
korrekt und ohne Umschweife lehren und es nicht so verdrehen wie d. falschen Lehrer, d.h. es
richtig handhaben; viell. auch: geradlinig (ein)teilen; richtig zuteilen.
Von Anfang an haben Dispensationalisten diesen Satz in dem Sinne interpretiert, dass die Bibel
hier in scharf umgrenzten Abschnitten, in den bereits erwähnten „Dispensationen“ (= Heilszeiten),
dargestellt wird. Scofields Definition für eine Dispensation lautet: „Eine Dispensation (Heilszeit) ist
ein Zeitabschnitt, während dessen die Menschheit auf ihren Gehorsam gegen eine besondere
Offenbarung des Willens Gottes geprüft wird.“ Die Bibel richtig auszulegen heißt demnach, diese
Heilszeiten richtig zu unterscheiden.
Um 1833 hatte Darby sein streng systematisiertes Heilsabschnitts-System definiert und aufgebaut.
War der Dispensationalismus zu Beginn eine amorphe Bewegung, die in der Berichterstattung der
protestantischen Blätter oft nur als Nebensache behandelt wurde, differenzierte sie sich später und
wurde zur eigenen konfessionellen Grösse.
Die Verbreitung des Dispensationalismus in den USA im 19./20. Jh.
Der Dispensationalismus in den USA und Kanada wurde ungefähr ab 1840 verbreitet. Wesentlich
wirkten die Reisen Darbys zwischen 1862 und 1877 nach. Er hatte vor allem Kontakt zu Predigern
und anderen überzeugten Christen. Der Einfluss des Dispensationalismus ist bei Presbyterianern
und calvinistisch orientierten Baptisten spürbar. Die Methodisten waren nicht so offen für diese
Lehre, wenn man von den deutschsprachigen Methodisten absieht. Die englische Brüderbewegung
lehrte von den 30er bis in die 70er Jahre des 19. Jh. In ihren Schriften dieses System und
gewann damit bald breiten Einfluss unter Predigern in den USA wie D.L. Moody und C.I. Scofield.
Es wurden in den USA diverse Bibelkonferenzen durchgeführt (Niagara Konferenzen 1870 - 1900;
Bibel- und Prophetie-Konferenzen 1878 - 1914). Diese unterstützten sehr stark die Verbreitung
des Dispensationalismus, insbesondere durch die Gründung von Bibelschulen (The Nyack Bible
Instiute 1882, The Boston Missionary Training School 1889 und the Moody Bible Instiut 1889).
1909 schuf C.I. Scofield eine Bibelausgabe mit Anmerkungen zum Bibeltext. Diese kommentierte
Bibelausgabe auf der Basis von Darbys Dispensationalismus (= „Scofield-Bibel“), wurde bald zu
einer der meistverbreiteten Bibelausgaben im angelsächsischen Raum.
Die Verbreitung des Dispensationalismus in der Schweiz
Der Dispensationalismus wurde in der Schweiz erst nach dem 2. Weltkrieg verbreitet. Damals gab
die Leiterin der Bibelschule Beatenberg, Frau Dr. Gertrud Wasserzug-Traeder, die dispensationalistischen
Scofield-Anmerkungen auf Deutsch heraus, kombiniert mit dem Luthertext von 1912.
Spätere Auflagen der Scofield Bibel erschienen im Verlag Mitternachtsruf in Pfäffikon ZH. Seit
einigen Jahren wird die Scofield-Bibel durch den evangelikalen Rudolf Brockhaus-Verlag in
Wuppertal herausgegeben, mit dem Bibeltext in der revidierten Elberfelder Übersetzung.
Struktur und Inhalte des Dispensationalismus
Der strukturelle Schwerpunkt in Darbys Heilszeiten-System ist die Lehre von zwei verschiedenen
Heilsplänen. Der eine Heilsplan gilt ausschliesslich der Gemeinde (= Heidenchristen), die für den
Himmel berufen ist. Die Entrückung schliesst das Zeitalter (Dispensation) der Gemeinde ab. Der
andere Heilsplan bezieht bezieht sich gemäss Darby exklusiv auf die irdische Nation Israel. Israel
als das auserwählte Volk GOTTES ist für die Herrschaft auf dieser Erde bestimmt. Nach Darbys
Lehre wird im siebten und letzten Heilsabschnitt, dem 1000-jährigen Königreich, ausschließlich das
national wiederhergestellte und vollendete Israel von der Stadt Jerusalem aus auf der Erde mit
CHRISTUS herrschen. Mit dieser „Dispensation“, dem Heilsabschnitt des Königreiches der irdischen
Nation Israel, erfüllen sich alle z. Zt. noch ausstehenden Verheissungen an das alttestamentliche
Volk Israel. Das Herzstück dieser Verheissungen sind die Landverheissungen für Israel
und die Stadt Jerusalem. Deshalb ist der Dispensationalismus ein streng auf die Endzeit und auf
die nationale Wiederherstellung Israels fixiertes System.