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Wie geht man mit Zweifeln um?


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Rolf

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Wie geht man mit Zweifeln um?





Über den Autor
Rainer Gross (Jahrgang 1962) hat Philosophie und Literaturwissenschaft studiert und den Bachelor of Theology an einer Bibelschule erworben. Zur Zeit ist er als Schriftsteller und Seminarleiter tätig.


Frage von TL:
"Ich habe Zweifel. Schon immer. Paulus schreibt "prüft alles [...]" und regt damit zum Prüfen an. Jakobus schreibt "wer zweifelt gleicht den Wellen des Meeres [...]". "Prüfen" im Sinne des Paulus kann zu Zweifeln führen, denn die Bibel ist mindestens auf den ersten Blick stellenweise widersprüchlich. Zweifel können von Gott trennen. Was mich von Gott trennt, ist Sünde. Zweifel ist mangelndes Vertrauen in Gott. Auch das ist Sünde. Ich zweifle schon sehr lange und an allem möglichen. Wie lange braucht Gott, um mir weiterzuhelfen? Was muss ich dafür tun?

Folgende Antworten sind gut, aber sie helfen nicht auf Dauer:

1. "Es ist alles in Ordnung. Man merkt, dass du auf der Suche bist nach Gott, und Gott lässt sich finden. Bleib auf der Suche, dann wirst du ihn finden!"

2. "Denk nicht soviel nach. Gott braucht dich an anderer Stelle, mit deinen Zweifeln rennst du ihm davon. Zweifel trennt dich von Gott, deshalb ist Zweifeln Sünde."

3. "Gott will nicht analysiert werden, er will geliebt sein. Mit Zweifeln gibst du ihm nichts. Du musst ihn lieben, damit er sich dir zeigt."

4. "Glaube heißt nicht Wissen. Gott lässt sich nicht beweisen, aber man kann ihn erfahren. Aber er lässt sich nur von denen erfahren, die ihn kennen lernen wollen. Entscheide dich, zu glauben, ohne zu wissen. Dann wird Gott sich für dich entscheiden.""
Dein radikales und drängendes Zweifeln und Fragen berührt sicherlich viele Menschen, die auf der Schwelle zum Glauben stehen, denen es genauso geht. Ich bin nicht der Meinung, dass man beim Glauben den Verstand an den Nagel hängen soll, sondern halte sehr viel von kritischem Nachfragen und Weltoffenheit, die sich mit Dingen konfrontieren lässt, die zunächst nicht in ein gewohntes (vielleicht sogar christliches) Weltbild passen.


Konstruktive Zweifel oder Kritik als Lebensstil?

Du führst Paulus und Jakobus an. Die Konsequenz, die ich aus diesen beiden Stellen ziehen würde, lautet: "Wenn ich kritisch prüfe, muss ich auch den Mut haben, das Gute zu behalten und das Schlechte - das meiner Glaubensüberzeugung widerspricht - getrost übersehen zu können." Denn wenn ich das nicht tue, gehe ich von einer kritischen Gesinnung zum Zweifel als Lebensform über. Zweifel bedeutet "Zwei-Falt": die Welt stellt sich mir dann stets als in zwei Möglichkeiten aufgespalten dar, zwischen denen ich entscheiden muss, aber aufgrund deren Gleichwertigkeit (oder meines Unwissens oder grundsätzlicher Unerkennbarkeit) nicht entscheiden kann!

Das ist der biblische Unterschied zwischen Kritik und Zweifel; Paulus fordert zu wachem, aufmerksamen Umgang mit der Welt auf, Jakobus stellt das psychische Leiden des Zweiflers fest.

Woher kommen "Glaubens-Zweifel" und welchen Charakter haben sie?
Nun zum "gläubigen Zweifeln". Weil Glauben nicht in erster Linie ein Vermögen des Verstandes ist, sondern eines des ganzen Menschen und daher eher mit Vertrauen gleichzusetzen ist, dann hat auch Zweifel zuallererst eine ganzheitliche Dimension. Zweifel betrifft also weniger meine rationalen Erkenntnisse - in diese kann sich der bereits vorhandene Zweifel kleiden -, sondern eher das Misstrauen.

Worin kann ich Gott als dem Ziel meines Glaubens misstrauen?

Dass er nicht die Wahrheit sagt

Dass er mich nicht wirklich liebt

Dass er unzuverlässig ist

Dass es ihn gar nicht gibt, oder besser: Dass der Gott der Bibel eine menschliche Erfindung ist

Diese Grundzweifel treten meist als konkrete Situationszweifel auf, nämlich dahingehend, dass ich nicht glaube, dass Gott es mit mir in bestimmten Situation wirklich gut meint oder mich zuverlässig führt oder sich ausreichend erkennen lässt. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass irgendetwas mit mir oder mit Gott nicht stimmen kann, weil die Situation mir Probleme, Widrigkeiten oder sogar Leiden verursacht. Ich sage das, weil es jene Art von Zweifel ist, die ich auch oft habe.

Sicherlich trennt mich solches Zweifeln - wie die situativen Zweifel - von Gott, und insofern ist es eine Auswirkung der Sünde, in der wir immer noch stecken. Denn erst durch den Sündenfall finden wir uns ja in der Trennung von Gott wieder und gilt es erst, diese Trennung zu überwinden. Gott hat sie überwunden, aber damit sind wir die alte Verblendung nicht völlig los. Die existentielle Sündhaftigkeit des Menschen bedeutet ja auch, dass uns Gott unerkennbar, darum fremd ist, darum feinselig erscheint. Diese Fremdheit Gottes überfällt Gläubige immer noch und immer wieder. Wir fragen uns in einer unheimlichen Ahnung: An wen glaube ich da eigentlich? Wer ist dieser Gott eigentlich?


Gläubig zweifeln

Die praktische Frage für dich lautet hier allerdings: Ist das eine Erfahrung, die du vermeiden kannst? Kannst du "aufhören zu zweifeln"? Wenn ich dich richtig verstanden habe, kannst du das nicht. Ebenso wenig, wie ich als gelernter Philosoph aufhören kann zu denken. Lass es mich als Empfehlung formulieren: Denk weiter nach! Denk mit allem, was du hast und kannst! Aber: Stelle dieses Denken ausdrücklich und per Willensentschluss unter Gottes Leitung! Bitte ihn, dich in den Labyrinthen verstandesmäßiger Erkenntnis zu führen!

So verstehe ich Paulus’ Aussage:

Denn obwohl wir im Fleisch wandeln, kämpfen wir nicht nach dem Fleisch; denn die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig für Gott zur Zerstörung von Festungen; so zerstören wir Vernünfteleien und jede Höhe, die sich gegen die Erkenntnis Gottes erhebt, und nehmen jeden Gedanken gefangen unter den Gehorsam Christi.
2.Korinther 10,4


Denken, kritisches Nachdenken über deinen persönlichen Glauben, aber auch über die Bibel und die Dogmatik der Theologie bedeutet einen Kampf nicht so sehr auf intellektuellem als auf geistlichem Gebiet. Hier rühren wir mittels unseres Verstandes an die Wahrheiten und Lügen der unsichtbaren Wirklichkeit, zu der wir verlässlichen Zugang nur durch den Glauben bekommen. Davon konnte Paulus als griechisch gebildeter Theologe ein Lied singen!


Sind Zweifel typbedingt?

Während meines Studiums, als ich noch kein Christ war, habe ich die Ausweglosigkeit, die Verzweiflung und völlig Orientierungslosigkeit kennen gelernt, in die man im Denken geraten kann, und gerade weil ich damals meinte, alles radikal hinterfragen zu müssen und nichts als letztlich gesichert annehmen zu dürfen. Weil ich das heute nicht mehr erleben, trotzdem aber die Wahrheit ausfindig machen will, unterstelle ich meine Verstandesodyssee anfangs Gott ("Gedanken gefangen nehmen") und gehe dann forsch und mutig, umsichtig und diszipliniert los, hinein uns Unbekannte. Das ist für mich nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch eine Freude; ich bin überzeugt, dass dies der richtige Weg ist, meine gottgegebenen Fähigkeiten einzusetzen und realisieren.

So wie es Christen geben muss, die in besonderer Weise sozial Schwachen und Kranken helfen, die predigen und evangelisieren, oder die als Missionare ins Ausland gehen, so muss es auch Christen geben, die besonders gründlich nachdenken. Lies doch mal "Gott ist keine Illusion" oder "... und er schweigt nicht" von Francis Schaeffer, "Pardon, ich bin Christ" von C.S. Lewis, oder "Die Existenz Gottes und der Ursprung des Universums" von William L. Craig. Hier findest du kompetente Denker, die es sich mit Glauben und Denken nicht leicht gemacht haben. Es geht dabei nicht unbedingt darum, Antworten zu bekommen, sondern Fragen zu finden und das richtige Fragen zu lernen, damit du dir die Antworten selbst erarbeiten kannst.


Das Beste aus Zweifeln behalten

Mit den vier Antworten auf deine Zweifel, die du angeführt hast, würde ich an deiner Stelle ebenfalls paulinisch verfahren und mir das Beste davon zurückbehalten:

(1) Bei allen Sackgassen und Nöten des Denkens, in die du geraten wirst, darfst du sicher sein, dass es keine Umwege sind, sondern die Pfade, die "dein Fuß gehen kann", wie Paul Gerhard in einem bekannten Lied sagt.

(2) Denken ist für dich eine Notwendigkeit, aber wie alles, was der Mensch selbstmächtig unternimmt, bewirkt ein Übermaß davon Schaden. Gott hat noch anderes zu bieten als verstandesmäßige Erkenntnis und Wahrheit, und du hast noch andere Möglichkeiten, mit Gott in Beziehung zu treten und in dieser Beziehung zu leben.

(3) Gott hat dich zuerst geliebt, und er tut es jeden Augenblick. Nicht du musst ihn lieben, damit er sich dir zeigt; aber du kannst dich jederzeit ganz simpel und naiv seiner liebevollen Gegenwart bewusst werden.

(4) Glaube heißt nicht Nichtwissen, aber Glaube beinhaltet eine andere Art der Erkenntnis und vor allem der Gewissheit, als Wissen sie vermitteln kann.



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