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Warum Christen ihre Gemeinde verlassen


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Warum Christen ihre Gemeinde verlassen





Autor: Frank Fornaçon


Warum verlieren Freikirchen so viele Mitglieder - und das, obwohl die meisten missionarisch eingestellt sind? Neben der Offenheit für neue Menschen begleitet ein Schatten freikirchliche Gemeinden und in ähnlicher Weise fromme Kreise in der evangelischen Kirche.

Zahlreiche Christen, die früher zu Freikirchen oder Gemeinschaften gehörten, beklagen die Enge, die dazu führte, dass sie jetzt zu einer anderen Kirche gehören. Oder sie leben in konfessioneller Abstinenz. Dazu Gedanken und Erfahrungen eines Gemeindepastors: Frank Fornaçon von der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde (Baptisten) Kassel-West.

Freikirchliche Gemeinden entwickeln sich mehr und mehr zu Lebensabschnittspartnerschaften. Für einen bestimmten Teil des Lebens pflegt man enge Kontakte, in anderen Lebensphasen geht man auf Distanz. Oder man verlässt die Gemeinde. Manchmal bleibt man Mitglied, lebt aber mit weitem Abstand zum aktiven Kern der Gemeinde. Vielleicht lebt die Zugehörigkeit später wieder auf, meist jedoch in einer anderen Kirche. Dass Menschen nach einer Zeit der geistlichen Abstinenz wieder in ihrer früheren Gemeinde aktiv werden, ist die Ausnahme.

Obwohl die Gesamtzahl der Christen in Europa eher abnimmt und auch die Zahl der Evangelikalen nicht wächst, steigt die Zahl der Gemeinden, die man an einem Ort findet. Gab es früher meist jeweils eine Gemeinde der großen Konfessionsfamilien an einem Ort - neben den Volkskirchen etwa Baptisten, Methodisten oder Pfingstler - so fächert sich inzwischen die konfessionelle Landschaft mehr und mehr auf. Für jede Subkultur gibt es eine Gemeinde. Die Grenzen zwischen unterschiedlichen Kirchen sind durchlässig geworden.

Was „man“ tut

Der zunehmende Individualismus begünstigt diese Entwicklung. Dieser führt zu einer größeren Unabhängigkeit von dem, was man in der einen oder anderen Kirche für wahr und richtig hält. Noch in den sechziger Jahren achtete man auf gesellschaftlichen Normen. Was „man“ tut, war jedem intuitiv bewusst. Auch in den Kirchen herrschte Einigkeit, was sich gehört. In Lehrfragen wurde in der Regel nicht an Tabus gerührt, und auch in den Grundfragen der Ethik folgte man dem gesellschaftlichen Konsens, der vom Christentum geprägt war. Die Zugehörigkeit zur Kirche, in der man aufgewachsen oder zum Glauben gekommen war, wurde nicht in Frage gestellt. Wer allerdings den allgemeinen Überzeugungen nicht gerecht werden konnte, der musste sich zurückziehen. Klassisch war das der Fall, wenn Kinder unehelich geboren wurden oder eine Scheidung anstand. Aus einem guten Mitglied wurde ein geduldetes, das aus der Rolle gefallen war. In den Gemeinden entwickelte sich eine Mehrklassengesellschaft.

Da waren jene, die ihr Leben entsprechend den Idealvorstellungen eingerichtet hatten. Einer religiösen Erziehung folgte eine bewusste Entscheidung für den christlichen Glauben, meist mit einer Absage an die „Welt“ verbunden. Soziales Leben spielte sich innerhalb der Gemeinde und des Jugendkreises ab. Man heiratete einen Gläubigen oder eine Gläubige. Nachdem man eine Familie gegründet hatte, blieb man in der Gemeinde aktiv, übernahm Verantwortung in Leitungsgremien und blieb dabei, bis Altersbeschwerden einen Rückzug auf das gemeindliche Altenteil nahe legten.

Aus dem Raster gefallen

Da waren die anderen, die im Laufe ihres Lebens aus dem Raster herausgefallen waren. So etwa ein Jugendlicher, der sich nicht in ein Mädchen aus der Gemeinde, sondern in eines aus der Clique eines Freundes verliebt hatte. Die Reaktionen im Jugendkreis machten ihm keinen Mut, die Freundin einzuladen. „Zieht nicht an einem Joch mit den Ungläubigen“ wurde die Bibel zitiert, und irgendjemand meinte, dass man nur kräftig genug beten müsse, um einen gläubigen Partner geschenkt zu bekommen. Zuerst ging der 16-Jährige noch zum Gottesdienst, schließlich blieb er ganz weg. Später schloss er sich der Landeskirche an.

Eine andere war bei einer Freizeit fündig geworden. Der Mann war ein Traum, aber nach einigen Jahren wurde die Ehe zum Trauma. Der Ausstieg aus der Ehe wurde für die Frau auch zum Ausstieg aus der Gemeinde. Schließlich dirigierte der Mann den Jugendchor - wie konnte sie durch eine Scheidung, das Zeugnis der Gemeinde beschädigen? Ohne lange zu überlegen, wusste sie, dass sie zu gehen hatte. Jahre später wird sie von einer Nachbarin zum Frühstückstreffen eingeladen und lernt deren Gemeinde kennen. Ihre Vergangenheit interessiert hier keinen. Erst nach Jahren fasst sie Mut und wird dort Mitglied.

Auslandseinsatz bremst Mitarbeit

Von einem, der zu den Hoffnungsträgern seiner Gemeinde gehörte, sind viele enttäuscht. Er war seit seiner Kindheit dabei, hatte in der Jungschar früh Verantwortung übernommen, war missionarisch aktiv. Die meisten neuen Mitglieder der Jugendgruppe hatte er eingeladen. Als er nach dem Studium und ein paar Berufsjahren von der Firma nach Asien geschickt wurde, um die Gründung eines Tochterunternehmens vorzubereiten, blieb die Familie zunächst in Deutschland. Während seiner Auslandsaufenthalte schaffte die Frau es zwar, die Familie mit den inzwischen drei Kindern zu organisieren, aber in der Gemeinde mitzuarbeiten gelang nicht. Auch für den erfolgreichen Geschäftsmann reduzierte sich die Mitarbeit. Die knappe Zeit seiner Heimataufenthalte musste seiner Familie gehören. Einzig für die jährliche Kassenprüfung stand er noch zur Verfügung. Im Ausland hatte er Kontakte zur dortigen deutschsprachigen evangelischen Gemeinde aufgenommen. Hier erlebte er eine ganz andere Art Gemeinde. Zugehörigkeit war nicht von Mitarbeit abhängig; alle Deutschen, die sich für evangelisch hielten, fühlten sich zugehörig.

Nach 30 Jahren Gemeindemitgliedschaft in einer Freikirche und dem plötzlichen Tod ihres Mannes trat die inzwischen fast 50-Jährige in die katholische Kirche ein. Im Frauenkreis ist man schockiert, der Pastor ist ratlos. Er hatte nicht mitbekommen, dass die Frau ihr Alleinsein nicht bewältigen konnte. Zufällig hatte sie bei einer Kirchenbesichtigung die Einladung zu Exerzitien im Kloster gefunden. Der Priester versteht es, Abstand zu halten und doch ganz bei den Menschen zu sein. Sie darf so sein, wie sie ist, und ist auch allein wertvoll. Zunächst besucht sie weiter die Gottesdienste ihrer freikirchlichen Gemeinde, geht aber immer öfter am Sonnabend zur Vorabendmesse im Dom. Schließlich wechselt sie die Konfession.

Aus der Rolle gefallen

Alle diese Christen sind im Laufe ihres Lebens aus der Rolle gefallen. Sie entsprachen auf die eine oder andere Weise nicht mehr dem Idealbild eines Christen. Aus viel versprechenden und gut funktionierenden Gemeindemitgliedern wurden durch Einschnitte in ihrer Biographie Randmitglieder, die schließlich die Kirche verließen, in der sie einmal ganz zu Hause waren. Die wenigsten verlieren den Glauben, vertrauen weiter auf die Liebe Gottes und rechnen mit seiner Vergebung. Aber sie merken, dass sie keinen Platz mehr haben unter jenen, mit denen sie früher Gemeinde gelebt haben. Sie stellen in Frage, was sie früher auch einmal dachten: Dass Christen nur Mitglieder der eigenen Konfession heiraten dürfen, dass Scheidung unmöglich ist, dass Katholiken nur im Ausnahmefall auch „gläubig“ seien, dass Karriere den Glauben gefährdet. Und dabei sind die Beispiele sehr alltäglich. Andere könnte man hinzufügen: Was ist, wenn jemand straffällig geworden ist, was, wenn jemand an der Jungfrauengeburt zweifelt, was, wenn jemand von Suchtmitteln abhängig ist, was, wenn sich jemand immer mehr als Homosexueller versteht?

Veränderung zugestehen

Es ist nicht nur die Lust auf Abwechslung und die Sucht nach Unterhaltendem, die Christen zum Wechsel ihrer Konfession bringt. Viel öfter ist es die Haltung der Gemeinden, Menschen Veränderung zuzugestehen, ihren individuellen Weg zu respektieren und auf die Anbetung von Klischees zu verzichten. Von den Kanzeln, von denen von der Heimkehr des verlorenen Sohnes geschwärmt wird und in denen die Mühseligen und Beladenen eingeladen werden, muss auch die andere Botschaft ausgehen: Dass auch jene, die zum Glauben gefunden haben, weitere Erfahrungen machen können, dass sie Wandlungen durchlaufen und Krisen haben, ohne stets am Ideal oder der eigenen leuchtenden Vergangenheit gemessen zu werden. Wenn eine Gemeinde nicht nur offen ist für neue Christen, sondern auch jenen neue Wege ermöglichen, die schon in der Nachfolge sind, dann wird sie reicher, bunter und lebendiger.





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