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Zu den Volksverhetzungs-Verfahren gegen den bremischen Pastor Olaf Latzel


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Zu den Volksverhetzungs-Verfahren gegen den bremischen Pastor Olaf Latzel

 

 

 

Wie bereits das erstinstanzliche Urteil löste nun auch der Spruch der zweiten Instanz gegenläufige Affekte aus – jetzt mit umgekehrten Vorzeichen: Erleichterung und Genugtuung auf der einen, Enttäuschung und Empörung auf der anderen Seite. Am 20. Mai 2022 wurde Olaf Latzel vom Landgericht Bremen von der Anklage der Volksverhetzung gegen Homosexuelle freigesprochen. Zuvor war der evangelikale Pastor der bremischen St.-Martini-Gemeinde am 25. November 2020 vom Amtsgericht Bremen schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe in Höhe von 8.100 Euro verurteilt worden. Die Verteidigung hatte gegen diesen Schuldspruch Berufung eingelegt.

 

Grund der Anklage waren Ausführungen bei einem gemeindlichen Ehevorbereitungsseminar im Oktober 2019, die im März 2020 nachträglich, mit Latzels Einwilligung, als Audioaufzeichnung auf dessen YouTube-Kanal (mit knapp 25.000 Abonnenten) veröffentlicht worden waren. Dort hatte der Geistliche herausgestellt, Homosexualität sei eine Abweichung von der göttlichen Schöpfungsordnung und eine „Degenerationsform der Gesellschaft“1.

 

Er hatte Bibelstellen angeführt, die Homosexualität als „ein todeswürdiges Verbrechen“ und als „ein Gräuel“ verurteilen (Lev 18,22; 20,13). Und er hatte vor der „teuflischen Homo-Lobby“ gewarnt: „Überall laufen die Verbrecher rum vom Christopher Street Day. Der ganze Genderdreck ist ein Angriff auf Gottes Schöpfungsordnung, ist teuflisch und satanisch.“2  Latzel hatte sich nach der Anzeige für seine Wortwahl entschuldigt und das YouTube-Audio löschen lassen.

 

Der Schuldspruch

 

Die Richterin der Erstinstanz, Ellen Best, hielt die Anklage wegen Volksverhetzung nach § 130 StGB für stichhaltig.3  Laut ihrer Urteilsbegründung habe der Pastor mit seinen Aussagen „zum Hass“ gegen Homosexuelle „aufgestachelt“ und subtil „zu Gewaltmaßnahmen aufgefordert“. So könne die Bezeichnung der Teilnehmer des Christopher Street Day als „Verbrecher“ auch als Appell verstanden werden, „gegen sie aktiv zu werden“. Latzel habe außerdem die Menschenwürde von Homosexuellen verletzt. Denn die Disqualifizierung der Homosexualität als Sünde beinhalte eine schwerwiegende Abwertung aller Homosexuellen.

 

Latzel hatte dagegen eingewandt, er verurteile nach biblischer Norm zwar die Homosexualität als Sünde, nicht aber die Homosexuellen, die wie alle anderen Sünder trotz ihrer Sünde anzunehmen seien. Diese Differenzierung ließ die Amtsrichterin nicht gelten. Die sexuelle Ausrichtung eines Menschen sei integraler Bestandteil seiner Persönlichkeit, daher werde mit der Herabwürdigung dieses wesentlichen Personaspekts auch die Person insgesamt herabgewürdigt. Ebenso wenig folgte die Richterin dem Argument, Latzel sei im Moment der betreffenden Äußerungen nicht von einer Veröffentlichung ausgegangen und habe bei der späteren Einwilligung in die Veröffentlichung jene Äußerungen nicht mehr im Kopf gehabt, weshalb von einer vorsätzlichen „Störung des öffentlichen Friedens“ – zentrale Bedingung des Straftatbestands „Volksverhetzung“– keine Rede sein könne.

 

Der Freispruch

 

Nachdem die Verteidigung Berufung eingelegt hatte, wurde das Berufungsverfahren am Landgericht Bremen für den Mai 2022 angesetzt. Der vorsitzende Richter Hendrik Göhner kam dabei zu dem abweichenden Urteil, der Tatbestand der Volksverhetzung sei im Fall Olaf Latzel nicht erfüllt.4  Pastor Latzel habe glaubhaft machen können, dass eine Veröffentlichung der nichtöffentlichen Rede ursprünglich nicht geplant gewesen sei und dass ihm die problematischen Äußerungen darin bei der Zustimmung zur Veröffentlichung nicht mehr gegenwärtig gewesen seien.

 

Auch sei, wie die Anhörung zweier Zeugen gezeigt habe, den ursprünglichen Hörerinnen und Hörern der Bezug gewisser Aussagen auf die Urheberinnen oder Urheber der Störungen und Sachbeschädigungen an Gemeindeeigentum bewusst gewesen. Die Verurteilung der Homosexualität gründe außerdem in einem bestimmten, durchaus geläufigen Bibelverständnis; sie sei daher nicht in erster Linie Resultat einer hassgetriebenen Diffamierungsabsicht, sondern Ausdruck des eigenen Glaubens und stehe daher unter dem Schutz der Glaubensfreiheit.5 

 

Zudem sei auch Latzels Unterscheidung von Sünde und Sünder glaubwürdig. Daher fehle der theologischen Disqualifizierung der Homosexualität zumindest die eindeutige Diffamierungsabsicht gegenüber Homosexuellen, wenn es auch durchaus möglich sei, die betreffenden Aussagen als Herabwürdigung der nämlichen Menschengruppe zu verstehen. Es sei aber insgesamt nicht erkennbar, dass Latzel einen nachhaltigen und gesteigerten Hass gegen Homosexuelle aufstacheln oder gar zu Gewalthandlungen aufrufen wollte. Unabhängig von dieser rechtlichen Bewertung wollte sich Richter Göhner aber doch zum Schluss auch einer moralischen Bewertung von Latzels Sündenrhetorik nicht enthalten.

 

„In gesellschaftlicher Hinsicht“ und angesichts seines besonders „verantwortlichen Amtes“ seien seine sprachlichen Ausfälle „mehr als befremdlich“; trügen sie doch kaum zu einem Klima bei, „in dem alle Menschen gut miteinander auskommen“.

 

Causa finita? Der Fall Latzel als Problemanzeige

 

Mit dem rechtlichen Freispruch vom Vorwurf der Volksverhetzung ist die religiöse, theologische und moralische Problematik der vor Gericht verhandelten Äußerungen nicht vom Tisch. Das Urteil ist alles andere als eine vollständige Exkulpierung. Trotz der erfolgten Entschuldigungen muss es namentlich Latzel selbst, aber auch allen religiös und moralisch Sensiblen unter den Evangelikalen zu denken geben, dass von ihm – im Übrigen nicht zum ersten Mal6 – aggressive Ausführungen überliefert wurden, die überhaupt eine Prüfung des besagten Tatbestandes herausforderten und die sogar von einer deutschen Amtsrichterin diesem Tatbestand subsumiert werden konnten.

 

Der Fall Latzel ist ein prominentes Beispiel für eine aggressive Erhitzung des evangelikalen bzw. konservativ-christlichen Diskurses, die vermutlich einer allgemeinen Polarisierung der Debatten und einem wachsenden Marginalisierungsbewusstsein aufseiten konservativer Christen geschuldet ist. Gleichwohl wirft sie tiefe Schatten auf die christliche Gesinnung der fraglichen Protagonisten.7  Sicher, der Schmähtitel „Hassprediger“ wird von manchen Zeitgenossen schnell verliehen. Sobald aber die Tonlage von Predigten tatsächlich plausiblen Anlass zu seiner Verleihung gibt, wird davon unweigerlich auch deren christliche Liebesbotschaft tangiert. Wer sich zur aggressiven Verschärfung seines Christentums hinreißen lässt, unterhöhlt dessen Glaubwürdigkeit.

 

Dies gilt auch und insbesondere beim Thema Homosexualität. Das Argument der Amtsrichterin Best, die Disqualifizierung einer sexuellen Neigung sei von der Bewertung der betroffenen Menschen nicht zu trennen, ist nicht leichthin von der Hand zu weisen. Die Unterscheidung zwischen (zu verurteilender) Sünde und (anzunehmendem) Sünder ist nur eine theologische Scheinlösung, weil zumal der aggressiv vergegenwärtigte Zorn über die Sünde immer auch die vermeintlichen Sünderinnen und Sünder trifft – in diesem Fall für eine Veranlagung, die sie nicht selbst gewählt haben. Von den destruktiven Wirkungen solcher Sündenpredigt erzählen die Geschichten zahlreicher Betroffener, die in der Atmosphäre „bibeltreuer“ Sexualethik schwere persönliche Wunden davongetragen haben.

 

Wer nicht die Augen und Ohren vor diesen Menschen verschließt, wirdkaum leugnen, dass die verbreitete Ablehnung der Homosexualität, zumindest aber der pädagogische Umgang mit dieser Ablehnung, ein ernsthaftes moralisches und folglich auch ein ernsthaftes religiöses Problem darstellt – nicht nur, aber auch und gerade innerhalb des evangelikalen Christentums.8

 

Die Staatsanwaltschaft kann das Urteil des Landgerichts Bremen in einer Revision überprüfen lassen. Sobald das Urteil rechtskräftig ist, hat die Bremische Evangelische Kirche in ihrem während des Prozesses ruhenden Disziplinarverfahren über die dienstrechtlichen Konsequenzen der Affäre zu entscheiden.

 

Eine ausführlichere Fassung dieses Artikels erscheint in der Zeitschrift für Religion und Weltanschauung (Heft 4/2022).

 

Martin Fritz

 

 

Anmerkungen

 

1  Vgl. epd-Zentralausgabe vom 25.11.2020, Nr. 229, 2. Vgl. zum Folgenden Martin Fritz: Vorwurf Volksverhetzung: Der Bremische Pastor Olaf Latzel und die Grenzen der Toleranz, in: MdEZW 83/5 (2020), 367–371 (dort auch die weiteren Einzelnachweise der Aussagen).

 

2  Vgl. epd-Zentralausgabe vom 25.11.2020, Nr. 229, 2.

 

3  Der einschlägige Absatz 1 von § 130 StGB lautet wie folgt: „Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe [oder] gegen Teile der Bevölkerung […] zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe [oder] Teile der Bevölkerung […] beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ – Siehe dazu den Wikipedia-Artikel „Volksverhetzung“ mit ausführlichem Kommentar und Verweis auf weitere Kommentare: 

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 (Abruf der Internetseiten 25.05.2022). Vgl. zum Folgenden epd-Zentralausgabe vom 25.11.2020, Nr. 229, 2f; idea-Pressedienst vom 25.11.2020, Nr. 246, 2f.

 

4  Vgl. zum Folgenden Dieter Sell: Freispruch für Bremer Pastor Latzel vom Vorwurf der Volksverhetzung. Landgericht der Hansestadt betont Religions- und Meinungsfreiheit, in: epd-Zentralausgabe vom 20.05.2022, Nr. 98, 1f; idea-Pressedienst vom 20.05.2022, Nr. 102, 2; Reinhard Mawick: Freispruch für Pastor Olaf Latzel. Bremer Landgericht spricht Pastor der St.-Martini-Gemeinde vom Vorwurf der Volksverhetzung frei, zeitzeichen-online 20.05.2022 (

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).

 

5  Wunderlicherweise waren zur Klärung dieses Fragekomplexes vom Gericht im Vorfeld zwei theologische Gutachter bestellt worden. Kurios war dieses Verfahren zum einen, weil die juristisch einzig relevante Frage, ob es sich bei der betreffenden Bewertung der Homosexualität um einen Ausdruck individueller Böswilligkeit oder um eine geläufige Glaubensposition handelt, nicht anhand religionskundlicher Allgemeinbildung oder Internetrecherche beantwortet, sondern als wissenschaftliche Fachfrage behandelt wurde. Kurios war daran zum anderen, dass diese Fachfrage als Frage wissenschaftlicher Bibelauslegung betrachtet wurde: Die Gutachter sollten beantworten, ob man die Bibel im Sinne der betreffenden Sündenaussagen interpretieren könne oder nicht. Aber wer hätte angesichts der Millionen von Zeitgenossen, die die Bibel genau in dieser Weise interpretieren, gleichsam „gerichtsfest“ die absolute Illegitimität selbiger Lesart nachweisen sollen? Es wäre stattdessen angemessen gewesen, irgendeinen einigermaßen religions- oder konfessionskundlich bewanderten Beobachter der Gegenwart nach den Grundprinzipien und Grundlehren der evangelikalen Bewegung zu befragen. Man hätte sich dann auch das Hin und Her erspart, im Zuge dessen zuerst der (evangelikale) Theologe Christoph Raedel von der Freien Theologischen Hochschule Gießen zum Gutachter bestellt, dann aber wegen Befangenheitsverdächtigungen davon wieder entbunden wurde (vgl. idea-Pressedienst vom 05.10.2021, Nr. 205, 2), bevor Analoges der (demgegenüber sehr liberalen) Theologin Isolde Karle von der Universität Bochum widerfuhr (vgl. idea-Pressedienst vom 13.05.2022, Nr. 97, 2). Am Ende verdankte sich die Einsicht in die Möglichkeit der zur Debatte stehenden Bibelauslegung dem katholischen Exegeten Ludger Schwienhorst-Schönberger (Wien), dessen Gutachten ganz im Einklang mit dem Katechismus der katholischen Kirche stand. Vgl. dazu auch das Gespräch mit dem Kirchenrechtler Hans Michael Heinig: evangelisch.de, 01.09.2021; 

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.

 

6  Siehe dazu Fritz: Vorwurf Volksverhetzung (s. Fn. 1), 367.

 

7  Vgl. Martin Fritz: Im Bann der Dekadenz. Theologische Grundmotive der christlichen Rechten in Deutschland (EZW-Texte 273), Berlin: EZW 2021, bes. 87–101.

 

8  Seit einiger Zeit beginnt man dort auch, sich mit diesem Problem intensiv zu befassen.


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