FRATELLI TUTTI
PAPST FRANZISKUS ÜBER DIE GESCHWISTERLICHKEIT UND DIE SOZIALE FREUNDSCHAFT
Ein Kommentar zur Enzyklika vom 3. Oktober 2020
Autor: Rolf Wiesenhütter
1. Einführung Franziskus der Jesuit bedient sich des Namens der Enzyklika von Franz von Assisi. Frattelli Tutti ist italienisch und heißt in der Übersetzung „An alle Brüder“. Das für die Unterzeichnung der Enzyklika gewählte Datum ist der 3. Oktober 2020, der Ort ist Assisi, genauer gesagt der . Das Datum ist der Vorabend des liturgischen Festes des Franz von Assisi, nachdem seinen Namen als Papst gewählt hat. Dieser Besuch in Assisi ist die erste Reise des Papstes aus dem Vatikan seit Beginn der Pandemie und der vierte Besuch in dieser Stadt seit dem Beginn seines Pontifikats im März 2013. Erstmals nennt ein Papst einen führenden Vertreter einer anderen Religion als Inspirationsquelle für seine Enzyklika: den Großscheich der in , . Dieser ist der Groß-Imam der und gilt als eine wichtige religiöse Autorität des sunnitischen Islams. Wer ist dieser Mann? Für Franziskus gilt er als wichtiger Dialogpartner im Kampf gegen den Terror. Der bekannte Hamed Abdel-Samad jedoch sieht in den Toleranzpredigten des Scheichs nur leere Worthülsen. Er erklärt: „Ein wahrer Dialog muss ehrlich und aufrichtig sein, gelegentlich auch schmerzhaft. Gegenseitiges Lob und Ausführungen über gemeinsame Feste und ähnliche Rituale helfen niemandem. Respekt bedeutet nicht, meinen Dialogpartner von Kritik zu verschonen, sondern ihm zuzutrauen, dass er meine Kritik gut einsteckt und darüber nachdenkt. Es geht nicht darum, dass alle drei Weltreligionen Recht haben, sondern es geht um das Unrecht, das weltweit im Namen der Religion geschieht. Außerdem besteht die Welt nicht nur aus den drei „abrahamitischen“ Religionen. Also bestimmt nicht ihre Beziehung zueinander das, was in der Welt geschieht, sondern ihre Beziehung zur säkularen Welt. Und da hat der Islam klare Defizite. Diese Defizite kann man nicht durch einige Passagen aus dem Koran beseitigen, die für Frieden und Toleranz werben. „Nein, der Islam ist keine tolerante Religion, und da, wo der Islam politisch das Sagen hat, leben die Menschen in Freiluftgefängnissen.“ „Der Imam Al-Tayyeb setzt sich für die Einführung der Scharia ein. Als der Großscheich von Al-Azhar Mitte März 2020 im deutschen Bundestag eine Rede hielt und dort behauptete, der Islam sei eine friedliche Religion, bei der die Gleichberechtigung von Mann und Frau verankert sei, sollte dies ein Beweis für die Toleranz des Islam sein, dass Atheisten in Ägypten frei leben können und keine Verfolgung befürchten. Bei keiner dieser Behauptungen sagte der höchste Imam der Sunniten die Wahrheit. Im November hielt der Großscheich eine Rede bei einer internationalen Konferenz der sunnitischen Prediger in Luxor. Dort sagte er, der Westen musste im Mittelalter, als er eine starke Bindung zum Christentum hatte, zerfallen. Er prosperierte (generierte Wohlstand) erst, als er sich gegen das Christentum wandte. Dagegen seien Muslime kreativ und auf allen Feldern der Wissenschaften produktiv gewesen, als sie eine Bindung zum Text des Korans hatten, und erst schwach würden, als sie sich von den Fundamenten des Islams entfernten. Das ist auch der Grund, warum der Imam und seine Institution sich für die Einführung der Scharia inklusive Körperstrafe und für die Wiederherstellung des islamischen Kalifats einsetzen.“ Papst Franziskus fordert alle Menschen guten Willens auf, umzudenken. Zentrale Aussage ist der Wunsch, einen Planeten zu haben, der allen Menschen Land, Heimat und Arbeit biete. Ein Dialog funktioniert aber nur auf einer Ebene des beiderseitigen Respekts. Er kann nicht fruchten, wenn eine Seite auf die Unantastbarkeit der eigenen Religion oder Gruppe beharrt. Es ist, als würden zwei Fußballmannschaften aufeinander treffen und die eine vor der Partie eine Bedingung für den Anpfiff nennen, nämlich dass die andere Mannschaft ihr Tor niemals schießen darf! Das klingt komisch, aber so wird der Dialog offensichtlich geführt. Fährt eine europäische Politikerin in den Iran, trägt sie ein Kopftuch, um Respekt gegenüber dem Gastgeber zu zeigen. Und wenn der iranische Präsident nach Rom kommt, werden die nackten Statuen in Rom bedeckt als Zeichen des Respekts gegenüber dem Gast. In beiden Fällen hat das mit Respekt nichts zu tun, sondern mit Standpunktlosigkeit und Selbstaufgabe! Soweit einige Erklärungen zum Fundament der Enzyklika Fratelli Tutti. Wenn Franziskus „alle Brüder“ anspricht und gleichzeitig seine Ehrerbietung für den Islam betont, fragt man sich, warum dieser Papst seinen Namen als Verehrung für Franz von Assisi gewählt hat. Dass gerade diese Wahl nicht zufällig war hätte jeden, der sich mit Franz von Assisi beschäftigt hat, hellhörig machen können. Dieser nämlich hat als erster christlicher Ordensgründer die Begegnung und den Dialog mit Andersgläubigen in sein Programm aufgenommen. Er tut es nach seiner pionierhaften Begegnung mit Sultan Muhammad al-Kâmil in Ägypten. Der überraschende Dialog im September 1219 begründet die Freundschaft zwischen dem kleinen Bruder von Assisi und dem Oberherrscher der islamischen Welt. Die Friedensgebete der Weltreligionen in Assisi knüpfen an jene Erfahrung an. Vortrag und Diskussion beschäftigen sich mit Franz von Assisi`s prophetischer Begegnung und seiner Art des interreligiösen Dialogs: Was verbindet Christentum und Islam nach franziskanischer Sicht? Was hat der christliche Mystiker aus Assisi vom Islam gelernt? Wo liegen in diesem Kontext die Chancen und Grenzen interreligiöser Begegnung? Franz von Assisi hat nicht nur für ein glaubwürdiges, christliches Leben, sondern auch für die interreligiöse Begegnung wichtige Impulse gegeben. Denn eine intensiv nachwirkende Begegnung mit dem Islam fand in der äußerst konfliktreichen Kreuzzugszeit statt, und zwar während des 5. Kreuzzugs 1219 mit El Kamil, dem Sultan von Ägypten. Statt des anfänglichen Missionierungsversuchs setzt sich der friedliche Austausch durch. Der Arme aus Assisi, der „Poverello“ „entgrenzt“ sein bisheriges Gottesverständnis. Entsetzt äußert er sich über die Brutalität der Kreuzfahrer. Diesen Impuls setzten die Franziskaner bis in die Gegenwart fort.“
- Eine evangeliumsgemäße Lebensweise?
Vor diesem Hintergrund betrachten wir nun die Inhalte der Enzyklika. Der Papst beginnt ganz zu Anfang damit, dass es sich um eine evangeliumsgemäße Lebensweise handelt. Er weist explizit auf die Ratschläge von Franz von Assisi hin. Dessen freundliche Offenheit würde es erlauben, jeden Menschen anzuerkennen, wertzuschätzen und zu lieben. Tatsächlich bezieht sich die Aussage aber unmittelbar auf den Kontext mit dem Islam. Er nennt dies geschwisterliche Liebe, die ihn zur Abhandlung der Enzyklika inspirierte. Er spricht von Geschwisterlichkeit in sozialer Freundschaft, frei nach dem Friedensstifter Franz von Assisi. Nach seiner Auffassung brauchen wir ein Herz ohne Grenzen, das den Graben der Religion überspringt. Seine Treue zu Gott macht er daran fest. Franz von Assisi ist für ihn der Friedefürst zwischen Kirche und Islam. Er geht so weit, dass er dazu einlädt, „eine geschwisterliche Unterwerfung gegenüber denen zu üben, die unseren Glauben nicht teilen“.
Bereits hier fällt ein unglaublicher Realitätsverlust und eine ebenso unglaublich Kenntnis, bzw. Verwerfung der biblischen Wahrheit auf. Wer kann nach dem Wort Gottes ein Bruder oder eine Schwester sein? Nach dem Wort Gottes können das ausschließlich Christen sein. Die Zugehörigkeit zu einer Kirche oder religiösen Gemeinschaft macht noch niemanden zum Christen. Beim Christsein kommt es weniger auf Äußerlichkeiten an, sondern darauf, welche Beziehung die Person zu Christus hat. „Christlich“ hat etwas mit dem in mir lebenden Christus zu tun - und nicht in erster Linie etwas mit Moral oder Mitmenschlichkeit.
Papst Franziskus schreibt: „Ich lege diese Sozialenzyklika als demütigen Beitrag zum Nachdenken vor. Angesichts gewisser gegenwärtiger Praktiken, andere zu beseitigen oder zu übergehen, sind wir in der Lage, darauf mit einem neuen Traum der Geschwisterlichkeit und der sozialen Freundschaft zu antworten, der sich nicht auf Worte beschränkt. So schrieb ich diese Enzyklika auf der Grundlage meiner christlichen Überzeugungen, die mich beseelen und nähren, und habe mich zugleich bemüht, diese Überlegungen für den Dialog mit allen Menschen guten Willens offen zu halten.“
Nehmen wir den Vorschlag auf und denken Auszugsweise über die Inhalte, die den Papst so sehr bewegen, nach. Franziskus beklagt zunächst die fehlende Weltoffenheit, sowie das Vergessen von Geschichtsbewusstsein. Er sieht das Vordringen der Dekonstruktion der Kultur. Stattdessen würde grenzenlos konsumiert und ein unguter Individualismus gelebt. So weit so gut! Was uns aufhorchen lassen muss, ist seine Schlussfolgerung. Die besteht darin, dass er einen fehlenden Plan für die gesamte Menschheit beklagt. Anstatt zu herrschen und uneingeschränkt zu herrschen würden die Völker Hoffnungslosigkeit aussäen und ständiges Misstrauen gegeneinander schüren. Die Politik sei daher nicht mehr eine gesunde Diskussion über langfristige Vorhaben für die Entwicklung aller zum Gemeinwohl, sondern bietet nur noch flüchtige Rezepte der Vermarktung, die in der Zerstörung des anderen ihr wirkungsvollstes Mittel fänden. In diesem primitiven Spiel der Abqualifizierungen würde die Debatte manipuliert, um die Menschen ständig infrage zu stellen und auf Konfrontation mit ihnen zu gehen.
Dem was der Papst hier reklamiert, kann man durchaus einiges abgewinnen. Warum allerdings der Islam eine wesentliche Rolle spielen soll um die Missstände zu beseitigen ist nicht ersichtlich. Vom Führer einer angeblich christlichen Weltreligion sollte man erwarten können, dass er einen Aufruf zur Umkehr und zur Hinkehr zu dem Erlöser der Welt, Jesus Christus machen würde. Stattdessen empfiehlt er, der für die Wahrheit des Wortes Gottes, der Bibel eintreten sollte, dass man sich anderen nichtchristlichen Religionen um des Weltfriedens Willen unterwerfen soll. „Wir müssen uns aber zusammenschließen in einem „Wir“, welches das gemeinsame Haus bewohnt“ – lautet die Empfehlung des Papstes. Dass dies nicht passiert, erklärt er damit, dass die Menschenwürde nicht für alle Menschen gleich gelte. Zugunsten des Gemeinwohls müsse dies korrigiert werden. Im Weiteren beklagt er eine Vielzahl von Missständen, die Frustration, Einsamkeit und Verzweiflung auslösen. Er nennt die wirtschaftliche Machtstellung durch die Globalisierung, die zu Waffenanhäufung und Kriegen untereinander führt. Diese Feststellungen sieht er weitestgehend richtig. Seine Schlussfolgerung formuliert er so:
„In der gegenwärtigen Welt nimmt das Zugehörigkeitsgefühl zu der einen Menschheit ab, während der Traum, gemeinsam Gerechtigkeit und Frieden aufzubauen, wie eine Utopie anderer Zeiten erscheint. Wir erleben, wie eine bequeme, kalte und weit verbreitete Gleichgültigkeit vorherrscht, Tochter einer tiefen Ernüchterung, die sich hinter einer trügerischen Illusion verbirgt, nämlich zu glauben, dass wir allmächtig sind, und zu vergessen, dass wir alle im gleichen Boot sitzen. Diese Enttäuschung, welche die großen geschwisterlichen Tugenden hinter sich lässt, führt »zu einer Art Zynismus. Das ist die Versuchung, der wir ausgesetzt sind, wenn wir diesen Weg der Ernüchterung oder Enttäuschung einschlagen. Die Isolierung und das Verschlossensein in sich selbst oder die eigenen Interessen sind nie der Weg, um wieder Hoffnung zu geben und Erneuerung zu bewirken, wohl aber die Nähe, die Kultur der Begegnung. Isolierung: nein; Nähe: ja. Kultur der Konfrontation: nein; Kultur der Begegnung: ja!“
Dann aber kommt er zu folgendem Schluss: „Eine globale Tragödie wie die Covid-19-Pandemie hat für eine gewisse Zeit wirklich das Bewusstsein geweckt, eine weltweite Gemeinschaft in einem Boot zu sein, wo das Übel eines Insassen allen zum Schaden gereicht. Wir haben uns daran erinnert, dass keiner sich allein retten kann, dass man nur Hilfe erfährt, wo andere zugegen sind. Daher sagte ich: »Der Sturm legt unsere Verwundbarkeit bloß und deckt jene falschen und unnötigen Gewissheiten auf, auf die wir bei unseren Plänen, Projekten, Gewohnheiten und Prioritäten gebaut haben. Mit dem Sturm sind auch die stereotypen Masken gefallen, mit denen wir unser „Ego“ in ständiger Sorge um unser eigenes Image verkleidet haben; und es wurde wieder einmal jene segensreiche gemeinsame Zugehörigkeit offenbar, der wir uns nicht entziehen können, dass wir nämlich alle Brüder und Schwestern sind.“ a
Für was die Coronapandemie alles gut ist, kann man kaum fassen. Was wir aber gerade in der Pandemie erleben, ist das Gegenteil von dem, was Franziskus als positiv erkennt. Verschlossene und intolerante Haltungen durch unsere politischen „Führer“ werden immer intensiver. Das Recht auf Privatsphäre wird schamlos genommen, das Leben des Einzelnen wird einer ständigen Kontrolle ausgesetzt. Schamlos bis zum Äußersten dringt man in das Leben des Einzelnen ein. Kurioseste Ideologien dringen ohne jede Scham in unser christliches Abendland ein und werden über die Köpfe der Menschen hinweg in Selbst-ermächtigung diktiert. Der Großteil der Volksvertreter sieht schweigend zu wie unser Land zerstört wird und wie sich die Dekonstruktion friedlichen Zusammenlebens fortsetzt. Der innere Frieden ist der Angst gewichen. Der Fanatismus, der zur Zerstörung des Einzelnen führt, auch viele Christen befallen hat. Hier wären die gefragt, die von sich behaupten, vor den Menschen für das Christentum einzustehen. Stattdessen schlägt Franziskus die Anerkennung es Islam zur Bildung einer friedlichen Weltgemeinschaft vor. Er nennt das die Wahrheit mit der Begegnung der Wirklichkeit. Gemeinsam mit dem Islam und anderen Religionen will er im Dialog die Wahrheit finden. Die Bibel, die irrtumslose Schrift scheint da nur noch eine untergeordnete Rolle zu spielen. Eine Randerscheinung. Aber Franziskus hat die Lösung:
„Trotz dieser dunklen Schatten, die nicht ignoriert werden dürfen, möchte ich auf den folgenden Seiten den vielen Wegen der Hoffnung eine Stimme geben. Gott fährt nämlich fort, unter die Menschheit Samen des Guten zu säen. Die jüngste Pandemie hat uns erlaubt, viele Weggefährten und -gefährtinnen wiederzufinden und wertzuschätzen, die in Situationen der Angst 16 mit der Hingabe ihres Lebens reagiert haben. Wir können erkennen, dass unsere Leben miteinander verwoben sind und wir durch einfache Menschen Hilfestellung erfahren haben, die aber zweifellos eine bedeutende Seite unserer Geschichte geschrieben haben: Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, Supermarktangestellte, Reinigungspersonal, Betreuungskräfte, Transporteure, Ordnungskräfte, ehrenamtliche Helfer, Priester, Ordensleute und viele, ja viele andere, die verstanden haben, dass niemand sich allein rettet Ich lade zur Hoffnung ein. Sie spricht uns von einem Durst, einem Streben, einer Sehnsucht nach Fülle, nach gelungenem Leben; davon, nach Großem greifen zu wollen, nach dem, was das Herz weitet und den Geist zu erhabenen Dingen wie Wahrheit, Güte und Schönheit, Gerechtigkeit und Liebe erhebt. Die Hoffnung ist kühn. Sie weiß über die persönliche Bequemlichkeit, über die kleinen Sicherheiten und Kompensationen, die den Horizont verengen, hinauszuschauen, um sich großen Idealen zu öffnen, die das Leben schöner und würdiger machen. Schreiten wir voller Hoffnung voran!“
Als Sacro Convento bezeichnen die Franziskaner-Minoriten das Mutterkloster und zugleich geistliche Zentrum ihres Ordens in Assisi, in Umbrien, Italien. Das Gebäude des Klosters ist zusammen mit der Basilika San Francesco, in deren Krypta die Gebeine des Heiligen Franz von Assisi ruhen, am Rande Assisis an die Hänge des Monte Subasio gebaut.
ebd.
ebd. S. 3
ebd. S. 4-6.
ebd. S.5-10.
ebd. S.10-11
ebd. S. 16-17.