Bill Gates über Impfprogramme und Globalismus im Schatten der Coronakrise
Veröffentlicht: 16. Mai 2020 | Autor:
„Ich denke, wir werden in den Jahren nach 2021 aus den Jahren nach 1945 lernen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs schufen führende Politiker internationale Institutionen wie die UNO, um weitere Konflikte zu verhindern.
Nach Covid-19 werden die Staats- und Regierungschefs Institutionen erarbeiten, um die nächste Pandemie zu verhindern.“
Dabei solle es zu einer Mischung aus nationalen, regionalen und globalen Organisationen kommen, denn Viren würden sich nicht „an Grenzbestimmungen halten“, ob uns dies gefalle oder nicht.
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Gastautor
Wenn Historiker das Buch über die Covid-19-Pandemie schreiben, wird das, was wir bisher erlebt haben, wahrscheinlich nur etwa das erste Drittel in Anspruch nehmen. Der Hauptteil der Geschichte wird davon handeln, was als nächstes passiert. Das Coronavirus wird drei große medizinische Durchbrüche beschleunigen. Das ist nur ein Anfang.
In den meisten Teilen Europas, Ostasiens und Nordamerikas wird der Höhepunkt der Pandemie wahrscheinlich bis Ende dieses Monats überschritten sein. Viele hoffen, dass in einigen Wochen alles wieder so sein wird, wie es im Dezember war. Das wird leider nicht geschehen.
Ich glaube, dass die Menschheit diese Pandemie besiegen wird, aber nur, wenn der größte Teil der Bevölkerung geimpft ist. Bis dahin wird das Leben nicht zur Normalität zurückkehren. Selbst wenn die Regierungen die Selbstquarantäne aufheben und die Unternehmen ihre Türen wieder öffnen, bleibt der natürliche Widerwillen der Menschen, sich Krankheiten auszusetzen. Auf den Flughäfen wird es keine großen Menschenmassen geben. Sport wird in quasi leeren Stadien gespielt werden. Und durch eine geringe Nachfrage und die Tatsache, dass die Menschen zurückhaltender Geld ausgeben werden, wird die Weltwirtschaft eine Depression durchleben.
Über den Gastautoren
Bill Gates, geboren 1955, ist ein US-amerikanischer Unternehmer und Mitgründer von Microsoft. Mit seiner Frau unterhält er eine Stiftung, die sich unter anderem für die weltweite Verbesserung der Gesundheitsversorgung und die Bekämpfung von Armut einsetzt.
Sicherheit erst durch Impfstoff
Während sich die Pandemie in den entwickelten Nationen verlangsamt, wird sie sich in den Entwicklungsländern beschleunigen. Deren Erfahrungen werden jedoch schlechter sein. In ärmeren Ländern, wo weniger Arbeitsplätze aus der Ferne erledigt werden können, werden auch distanzierende Maßnahmen nicht so gut funktionieren. Das Virus wird sich schnell ausbreiten, und die Gesundheitssysteme werden nicht in der Lage sein, die Infizierten zu versorgen. Covid-19 überwältigte Städte wie , aber die Daten deuten darauf hin, dass selbst ein einziges Krankenhaus in Manhattan über mehr Intensivbetten verfügt als die meisten afrikanischen Länder. Millionen könnten sterben.
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Im Laufe des nächsten Jahres werden medizinische Forscher zu den wichtigsten Menschen auf der Welt gehören. Glücklicherweise haben sie schon vor dieser Pandemie große Fortschritte in der Impfstoffforschung gemacht. Herkömmliche Impfstoffe lehren den Körper üblicherweise durch das einbringen einer toten oder geschwächten Form des Virus, die Form eines Krankheitserregers zu erkennen.
Errungenschaft wird Geschichte schreiben
Es gibt aber auch eine neue Art der Immunisierung, bei der die Forscher keine Zeit damit verbringen müssen, große Mengen von Krankheitserregern zu vermehren. Diese mRNA-Impfstoffe verwenden den genetischen Code, um den Zellen Anweisungen zu geben, wie sie eine Immunantwort auslösen können. Sie können wahrscheinlich schneller hergestellt werden als herkömmliche Impfstoffe.
Meine Hoffnung ist, dass Einrichtungen auf der ganzen Welt bis zur zweiten Hälfte des Jahres 2021 einen Impfstoff herstellen werden. Wenn das der Fall ist, wird diese Errungenschaft Geschichte schreiben: Die schnellste Zeitspanne, in der die Menschheit je eine neue Krankheit erkannt und sich dagegen immunisiert hat.
Diagnostik und antiviralen Medikamente erleben Fortschritte
Neben den Fortschritten bei Impfstoffen werden sich aus der Pandemie zwei weitere große medizinische Durchbrüche ergeben. Einer wird im Bereich der Diagnostik liegen. Das nächste Mal, wenn ein neuartiges Virus auftaucht, werden die Menschen wahrscheinlich in der Lage sein, sich zu Hause auf dieses Virus zu testen, so wie bei einer Schwangerschaft. Statt jedoch auf einen Teststreifen zu pinkeln, werden sie einen Abstrich in der Nase machen. Forscher könnten einen solchen Test innerhalb weniger Monate nach Feststellung einer neuen Krankheit einsatzbereit machen.
Der dritte Durchbruch wird bei antiviralen Medikamenten erzielt werden. Diese waren bisher ein Zweig der Wissenschaft, in den ungenügend investiert wurde. Wir waren bei der Entwicklung von virenbekämpfenden Medikamenten nicht so effektiv wie bei der Entwicklung von Medikamenten zur Bekämpfung von Bakterien. Aber das wird sich ändern. Forscher werden große, vielseitige Bibliotheken mit antiviralen Medikamenten entwickeln, die sie schnell nach wirksamen Behandlungen für neue Viren durchsuchen können.
Übung gegen Bioterrorismus
Alle drei Technologien werden uns auf die nächste Pandemie vorbereiten, indem sie es uns ermöglichen, frühzeitig einzugreifen, wenn die Zahl der Fälle noch sehr gering ist. Die zugrunde liegende Forschung wird uns aber auch bei der Bekämpfung bestehender Infektionskrankheiten helfen – und sogar dazu beitragen, die Heilung von Krebs voranzutreiben. (Wissenschaftler sind seit langem der Meinung, dass mRNA-Impfstoffe zu einem möglichen Krebsimpfstoff führen könnten. Bis Covid-19 gab es jedoch nicht viele Forschungsarbeiten darüber, wie sie auch massenweise zu nur einigermaßen erschwinglichen Preisen hergestellt werden könnten).
Unser Fortschritt wird nicht nur in der Wissenschaft zu sehen sein. Er wird sich auch in unserer Fähigkeit zeigen, dafür zu sorgen, dass alle von dieser Wissenschaft profitieren. Ich denke, wir werden in den Jahren nach 2021 aus den Jahren nach 1945 lernen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs schufen führende Politiker internationale Institutionen wie die UNO, um weitere Konflikte zu verhindern. Nach Covid-19 werden die Staats- und Regierungschefs Institutionen erarbeiten, um die nächste Pandemie zu verhindern.
Diese werden eine Mischung aus nationalen, regionalen und globalen Organisationen sein. Ich gehe davon aus, dass sie an regelmäßigen "Keimspielen" teilnehmen werden, so wie Streitkräfte an Kriegsspielen teilnehmen. Sie werden uns für das nächste Mal wappnen, wenn ein neuartiges Virus von Fledermäusen oder Vögeln auf den Menschen überspringt. Sie werden uns auch für den Fall vorbereiten, dass ein böswilliger Akteur in einem selbstgebauten Labor eine ansteckende Krankheit erzeugt und versucht, sie zur Waffe zu machen. Indem wir für eine Pandemie üben, wird sich die Welt auch gegen einen Akt des Bioterrorismus wehren.
Global bleiben
Ich hoffe, dass die wohlhabenden Nationen die ärmeren in diese Vorbereitungen einbeziehen, insbesondere, indem sie mehr ausländische Hilfe für den Aufbau ihrer primären Gesundheitssysteme bereitstellen. Selbst die eigennützigste Person – oder die isolationistischste Regierung – sollte dem inzwischen zustimmen. Diese Pandemie hat uns gezeigt, dass Viren sich nicht an Grenzbestimmungen halten und dass wir alle biologisch durch ein Netzwerk mikroskopisch kleiner Keime miteinander verbunden sind, ob es uns gefällt oder nicht. Wenn ein neuartiges Virus in einem armen Land auftaucht, wollen wir, dass seine Ärzte in der Lage sind, es so schnell wie möglich zu entdecken und einzudämmen.
Nichts von all dem ist unvermeidlich. Die Geschichte folgt keinem festgelegten Kurs. Die Menschen entscheiden, welche Richtung sie einschlagen wollen, und können auch falsch abbiegen. Die Jahre nach 2021 mögen den Jahren nach 1945 ähneln. Die beste Analogie für heute könnte aber der 10. November 1942 sein. Großbritannien hatte gerade seinen ersten Landessieg des Krieges errungen, und Winston Churchill erklärte in einer Rede: "Dies ist nicht das Ende. Es ist noch nicht einmal der Anfang vom Ende. Aber vielleicht ist es das Ende des Anfangs."
Dieser Artikel erschien am 23. April 2020 im unter dem Titel "Bill Gates on how to fight future pandemics" und wurde von Cornelia aus dem Englischen übersetzt.