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Ja, auch ich sündige


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Rolf

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Ja, auch ich sündige

 

 

 

 

Ich rauche, trinke und tanze die Nacht durch, dann mache ich Gottesdienst. Denn Rausch ist keine Sünde. Skandalös, sagen manche. Eine Predigt, die ich nie halten könnte.
 
 
Von

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21. November 2017, 20:27 Uhr
 
 

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Ich war schon als Kind nicht so, wie ich sein sollte. Zumindest, wenn es nach Frau S. gegangen wäre. Wenn ich Sonntagmorgens mit meinen beiden Schwestern zum Kindergottesdienst lief, trugen wir schicke Sonntagskleidchen und grüßten alle, die uns begegneten. Also eigentlich alles gut, könnte man meinen. Bis sich Frau S. mir provokativ in den Weg stellte und sagte: "Du weißt wohl nicht, wie ich heiße. Ich bin Frau S. Merk dir das bitte und sprich mich das nächste Mal mit meinem Namen an." Ich fühlte mich ertappt: Ich entsprach nicht dem Ideal der perfekten Pfarrerstochter. Ich war mir sicher, diese Frau würde sich bei meinen Eltern, dem Herrn Pfarrer und seiner Frau, über mich beschweren. Tat sie natürlich auch, aber meinen Eltern war es egal.

 

Jahre später, sobald ich konnte, bin ich weggegangen aus dem Pfarrhaus und aus der Gemeinde, in der ich mich immer beobachtet gefühlt hatte. Ich bin gegangen, weil ich frei sein wollte. Ich wollte Menschen kennenlernen, die mich lieben und so nehmen, wie ich bin. Nicht so, wie sie mich haben wollen. Dass mich mein Weg jemals zurückführen würde in eine Gemeinde, habe ich nicht erwartet.

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Und doch studierte ich unter anderem Theologie. Ich ging ins Vikariat, um "es mal auszuprobieren" und fand irgendwie doch immer wieder Gefallen an dem Beruf und seinen Aufgaben.

 

Ich rauche, trinke, berausche mich

 

Und hier bin ich. Ich sitze in Sitzungen, leite Gemeindegruppen, taufe, traue und beerdige. Ich verwalte, predige, höre zu und kümmere mich um Seelen.

 

Aber meine Predigten entstehen nicht beim Lesen von Belletristik in einer kleinen Arbeitskammer unter dem Kreuz. Ich schreibe sie in den Cafés und Bars meiner Stadt. Ich gehe im Supermarkt spazieren, liege im Bett und schaue den ganzen Tag Shopping Queen, Germany's next Topmodel und alles, was das Internet so an Serien wie Breaking Bad, Black Mirror oder Dexter hergibt. Ich liebe es, zu schreiben, wenn der Bass meiner elektronischen Lieblingsmusik um mich wummert.

 

Jung und Gott

 

Wir reden über alles, außer unseren Glauben. Das wollen wir ändern. Du glaubst an Gott, Allah, eine höhere Macht? Oder gar niemanden? Was macht das mit dir? Erzähl uns deine Geschichte vom Glauben, Zweifeln, Hoffen, Verzweifeln und schick sie uns an

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. Die besten Beiträge veröffentlichen wir in unserer neuen Serie

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Und dann mache ich Feierabend. Ich gehe raus in die Kneipe nebenan. Treffe Freunde, von denen ein Großteil nicht in der Kirche ist, und lerne fremde Menschen kennen. Ich fahre auf Festivals, gehe in Clubs und streune durch die Stadt. Steige in Häuser ein und tanze im Sonnenaufgang auf Wiesen. Lackiere meine Fingernägel und schmiere mir Glitzer ins Gesicht. Rauche und trinke zu viel. Umarme wildfremde Menschen. Liege berauscht auf dem Boden und frage alle, die mir aufhelfen wollen, ob sie sich zu mir legen wollen, weil es hier unten viel lustiger ist. Einige meiner Freunde nehmen Drogen. Ich nicht, denn hier ist meine Grenze, aber es ist meine ganz persönliche, nicht die, die ich anderen vorschreibe.

Und während ich Sonntagmorgens meinen Gottesdienst halte, machen meine Freunde weiter. Manchmal im Club, manchmal auch in meiner Wohnung. Dann komme ich nach Hause und der Tisch ist voller Flaschen und überlaufender Aschenbecher, dazwischen halbleere Kaffeetassen und Klamotten, die sich in der Wohnung verteilen. Und wenn ich meinen Talar aufhängen will, stoße ich auf drei Männer, die sich in meinem Schlafzimmer lieben.

 

 Partys, Alkohol, Drogen sind an sich keine Fehler.

 

Ich wohne nicht im Pfarrhaus, aber wenn ich daran denke, in eines ziehen zu müssen, dann sehe ich die Schlagzeilen der "Gemeindegala" vor mir:

"Pfarrerin verbringt Urlaub in Elektrodrogenhölle"

Was trieben die drei nackten Männer während des Gottesdienstes im Pfarrhaus?

Sie verbringt ihre Tage im Café, anstatt zu arbeiten

Pfarrerin im Rausch der ewigen Finsternis – was ist passiert?

So schlecht sieht sie aus

Im Pfarrhaus herrscht Sodom und Gomorra

Hat sie ein Alkoholproblem?

Ist das ihr Neuer?

Ist ihr Freund ein Ungläubiger?

Wann heiraten sie endlich?

Pfarrerin ist Sünderin

 

Gott ist da für die Unperfekten

 

Ja, ich bin eine Sünderin. Eine, die Fehler macht im Leben und im Glauben. Aber Partys, Alkohol, Drogen sind an sich keine Fehler. Ebenso wenig wie es ein Fehler ist, dass ich Frau S. damals nicht mit Namen gegrüßt habe. Ich bin keine Sünderin, weil ich gegen eine von Menschen festgelegte Moral verstoße. Es macht mich zur Sünderin, wenn ich mich von Gott entferne, von meinen Mitmenschen und mir selbst: Indem ich mich nicht um diese Beziehungen kümmere, sie vergesse, ihnen nicht mehr traue oder meine, irgendetwas anderes sei wichtiger. Aber das kann genauso in einer durchzechten Nacht passieren wie bei einer Morgenandacht unter dem Kreuz. Kein Mensch lebt ohne diesen Fehler und Gott weiß darum.

 

Jesus weiß darum. Er braucht niemanden, der mit dem Finger auf die vermeintlichen Fehler anderer zeigt. Wir müssen andere nicht beäugen und nach unseren Wertvorstellungen verurteilen. Wir müssen nach uns selber schauen.

 

"Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.

 

Denn wie ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden.

 

Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?

 

Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen! – und siehe, ein Balken ist in deinem Auge?" Matt 7,1-4

 

 Auch ich als Pfarrerin bin keine Elite.

 

Die Kirche hat von sich das Bild einer makellosen Moralinstanz geschaffen. Ein Bild, das oft ziemlich altmodisch und realitätsfern ist. Trotzdem ist es immer noch ein Maßstab, nach dem sich leicht urteilen lässt: über das Verhalten seiner Mitmenschen und besonders über Pfarrer und Pfarrerinnen. Dabei macht uns ein Kreuz im Gehaltsbogen bei evangelisch oder katholisch nicht moralisch integer. Es sagt lediglich aus, dass wir Mitglieder der Kirche und getauft sind. Aber deshalb sind wir Christen nicht bessere Menschen als andere. Wir sind keine Elite. Auch ich als Pfarrerin bin keine Elite.

 

 Liebe Gemeinde,

 

ich entspreche nicht euren klischeehaften Idealen eines Pfarrers. Ich bin kein Mann mit Bart. Ich lebe auch nicht keusch, bis ich verheiratet bin, um dann eine Menge Kinder zu bekommen, denen ich biblische Namen gebe. Ich bete nicht zehn Mal am Tag. Ich bin keine immer ansprechbare Alleswisserin, die oberflächliche Vergnügungen ablehnt. Ich kenne nicht mal alle eure Namen. Was auch immer ihr sonst noch so denkt: Ich bin nicht so, wie ihr mich haben wollt. Denn es gibt nicht nur die eine Vorstellung davon, wie ein Pfarrer oder eine Pfarrerin sein sollte. Es gibt genauso viele Ideen davon, wie ich in meinem Beruf sein sollte, wie Menschen auf der Welt. Und niemand kann all diesen Idealen gerecht werden, ohne beliebig zu werden und sich selbst aufzugeben.

 

Ich bin auch nur ein Mensch. Ich bin so normal und unperfekt wie ihr alle. Ich bin nicht besser als ihr und möchte es auch gar nicht sein.

 

 Gott ist da für die Unperfekten.

 

Und doch soll ich Vorbild für andere sein. Ein ehrliches und glaubwürdiges Vorbild kann ich aber nur sein, wenn ihr mich nicht in ein moralisches Korsett zwängt. Als Vorbild muss ich leben. Unbeobachtet, unbeäugt und unbewertet. Ich will eine moderne Pfarrerin sein. Nur wenn ich mich nicht verstellen muss, kann ich mich wirklich angenommen fühlen in einer Gemeinschaft, die von sich selbst sagt, dass alle zu Jesus Christus und zusammen gehören. Egal, was die "Gemeindegala" über sie schreiben würde.

 

Denn ich bin überzeugt: Gott ist da für die Unperfekten, die Zweifler, ja auch für diejenigen, die bei Sonnenaufgang betrunken nach Hause kommen oder die gar keine Beziehung mit ihm wollen. Das ist mein Glaube. Deshalb bin ich Pfarrerin und das möchte ich den Menschen, und zwar allen Menschen, im Glauben und im Leben mitgeben.

 

"Laura Daubt" ist ein Pseudonym. Der Name der Autorin ist der Redaktion bekannt.


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