Zum Inhalt wechseln

Welcome to Irrglaube und Wahrheit
Register now to gain access to all of our features. Once registered and logged in, you will be able to create topics, post replies to existing threads, give reputation to your fellow members, get your own private messenger, post status updates, manage your profile and so much more. If you already have an account, login here - otherwise create an account for free today!
Foto

Darf man Brüder öffentlich kritisieren oder muss man immer..


  • Bitte melde dich an um zu Antworten
Keine Antworten in diesem Thema

#1
Rolf

Rolf

    Administrator

  • Administrator

  • PIPPIPPIP
  • 34022 Beiträge
  • Land: Country Flag

Please Login HERE or Register HERE to see this link!







Darf man Brüder öffentlich kritisieren oder muss man immer schweigen, selbst wenn Gefahr für Gottes Volk droht?






Die meisten Christen würden nichts dagegen einwenden, einen anderen Christen in der Öffentlichkeit lobend zu erwähnen. Wenn es allerdings darum geht, an einem Bruder, der sich Irr- oder Sonderlehren schuldig macht, öffentlich Kritik zu üben, hört man allzu oft die Aussage, dass dies ein unbrüderliches oder gar unbiblisches Fehlverhalten sei. Schnell wirft man mit einigen Bibelstellen um sich, um den kritischen Bruder wegen seiner Kritik zu kritisieren - und tut genau dasselbe, was man dem Bruder vorwirft.

In diesem Zusammenhang werden meistens zwei Bibelverse angeführt, um zu „beweisen,“ dass öffentliche Kritik unter Gottes Volk grundsätzlich zu unterlassen sei.

1. Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet

„Richtet (gr. krino) nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! Denn mit demselben Gericht, mit dem ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit demselben Maß, mit dem ihr [anderen] zumesst, wird auch euch zugemessen werden“ (Mt 7,1-2). John MacArthur kommentiert diesen Vers mit folgenden Worten sehr treffend: „Wie aus dem Kontext hervorgeht, ist das kein Verbot jeglichen Urteilens (V.16). Es gibt ein gerechtes Urteilen, wenn wir sorgfältig und umsichtig vorgehen (Joh 7,24). Überkritische, pedantische, selbstgerechte und sonstige ungerechte Urteile sind verboten. Aber um die folgenden Gebote zu erfüllen, ist es nötig, Hunde und Schweine (V.6) von den eigenen Brüdern zu unterscheiden (V.3-5).1

Jesus sagt in Matthäus 7,1-2 nicht, dass ein Urteil über eine andere Person in jedem Fall unerlaubt sei, sondern er formuliert die Bedingungen, die einzuhalten sind, bevor man kritisiert: „Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders, und den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? Oder wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Halt, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen! – und siehe, der Balken ist in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter aus dem Auge deines Bruders zu ziehen!“ (Mt 7,3-5). „Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge,“ das ist Jesu Vorbehalt, bevor Kritik geübt werden darf. Hat sich jemand selbst geprüft und nun klare Sicht, dann mag er den Splitter aus dem Auge seines Bruders entfernen.

Bei diesem Jesuswort hat unser Herr wohl eher an charakterliche Schwächen und Fehlverhalten gedacht, spricht also folglich im Kontext zwischenmenschlicher Gemeinschaft. Menschen neigen dazu, sehr viel schneller die oft gleichen Fehler, die sie selbst haben, an anderen zu sehen und zu kritisieren. Die einfache Botschaft Jesu lautete: Wenn du Fehler bei einem anderen siehst, prüfe dich erst selbst, bevor du deinen Nächsten ermahnst. Ein selbstgerechtes Richten – „so etwas würde ich nie tun“ – ist auf jeden Fall nicht im Willen des Herrn. Somit scheidet diese erste Bibelstelle im Grunde aus, denn öffentliche Kritik an einer Lehre und der damit verbundenen Person, ist im Grunde weder selbstgerechtes Richten noch Kritik am Fehlverhalten einer Person und stellt keine Herabwürdigung dieser Person dar.

Im Ersten Brief des Paulus an die Korinther spricht der Apostel sogar davon, dass er "ein Urteil gefällt" hat über ein Gemeindemitglied, das in Unzucht lebt (1Kor 5,3) - das griechische Wort für ein Urteil fällen ist das gleiche Wort, das Jesus in Matthäus 7,1 verwendet (gr. krino). Und die Gemeinde zu Korinth ermahnt der Apostel gar, "die zu richten (gr. krino), die drinnen [in der Gemeinde]" sind (1Kor 5,12). Richten im Sinne zu einem Urteil kommen ist in Fragen der Gemeindezucht sogar geboten! Dies zeigt, wie differenziert man die Schriftstellen der Bibel lesen muss, ehe man sie unbedacht auf andere Situationen überträgt.

Weder Matthäus 7 noch 1Korinther 5 sind auf die öffentliche Kritik an abweichenden Lehren von Mitchristen anzuwenden, denn es geht weder darum, den Charakter oder die Motive einer Person an sich anzugreifen, noch ist die Auseinandersetzung mit abweichenden Lehren bestimmter Personen schon eine Angelegenheit der Gemeindezucht. Die Bibel schließt das Richten nicht grundsätzlich aus, sondern formuliert klare Bedingungen, die daran gebunden sind.

Letztlich, zu leichtfertig und gedankenlos wird oftmals nicht mehr zwischen Richten und Prüfen unterschieden. Die Schrift allerdings tut dies ausdrücklich und ruft alle Christen auf: "Prüfet aber alles, das Gute haltet fest!" (1Thes 5,21). Dieses Wort sagt Paulus im Zusammenhang mit Weissagungen in der Gemeinde zu Thessalonich, die es zu prüfen oder beurteilen galt. Es wäre unangemessen gewesen, mit dem Verweis, es sei lieblos, andere zu richten, das Prüfen von Weissagungen zu unterlassen. Die Thessalonicher hatten nämlich mit der Irrlehre, der Tag des Herrn ist schon da, "durch Wort [wahrscheinlich ein "Wort der Erkenntnis" oder eine "Weissagung"] und durch Brief" zu kämpfen (2Thes 2,2). Paulus stellt dieser falschen Lehre sein apostolisches Wort entgegen. Das Prinzip des Prüfens legt einfach Gottes Wort als Maßstab an des Menschen Wort an.

Für uns Christen heute, die sich nicht mehr von Weissagungen sondern alleine von Gottes Wort leiten lassen, besteht dieses Prinzip weiter. Wir müssen den Inhalt einer Lehre oder die Botschaft eines Verkündigers prüfen. Wer solches tut, richtet nicht seinen Bruder, sondern er ehrt Gott, weil er gehorsam ist. Gleichwohl sollte das Prüfen in Liebe geschehen und darf nicht mit rechthaberischer Kritik verwechselt werden. Prüfen heißt ferner niemals, die Motive eines anderen zu richten, denn "verurteilt nichts vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Absichten [Motive] des Herzens offenbaren wird" (1Kor 4,5).

2. Weise ihn zurecht unter vier Augen

Die zweite Bibelstelle, die regelmäßig als „Beweis“ angeführt wird, dass jegliche öffentliche Rüge an den Geschwistern im Glauben unerlaubt sei und zuerst das Gespräch unter vier Augen zu suchen sei, bevor öffentlich Kritik geübt wird, ist Matthäus 18: „Wenn aber dein Bruder an dir gesündigt hat, so geh hin und weise ihn zurecht unter vier Augen. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört er aber nicht, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit jede Sache auf der Aussage von zwei oder drei Zeugen beruht. Hört er aber auf diese nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und ein Zöllner“ (Mt 18,15-17).

Es ist schon erstaunlich, dass mitunter selbst bekannte Theologen, die es eigentlich besser wissen müssten, ausgerechnet diese Bibelstelle völlig aus dem Textzusammenhang reißen und umdeuten. Jesus spricht in diesem Abschnitt über Gemeindezucht und beginnt mit einer Situationsbeschreibung: „Wenn aber ein Bruder an dir sündigt…“ Der Kontext ist eindeutig, es geht um einen Bruder, der sich gegen einen anderen Bruder versündigt. Folglich handelt es sich um persönliches Fehlverhalten und nicht um einen theologischen Irrtum oder Irrlehre. Ersteres gilt es im Gespräch unter vier Augen zu klären; gelingt dies nicht, schalte man ein oder zwei Brüder ein, und scheitert auch dieser Versuch, muss der Fall vor die Gemeinde gebracht werden. Ein Bruder, der schließlich die Ermahnung der ganzen Gemeinde verwirft, muss ausgeschlossen werden.

Man muss zwischen persönlichen und theologischen Fehlern zu unterscheiden wissen. Jesus spricht in Matthäus 18 von privater Sünde in der Gemeinde, wohingegen ein Buch oder eine öffentlich gemachte Aussage immer Öffentlichkeitscharakter hat. Jeder, der ein Buch schreibt oder eine öffentliche Aussage macht, verlässt den privaten Rahmen. In dieser Hinsicht ist Matthäus 18 auf eine solche Situation nicht anwendbar.

Wo Matthäus 18 nicht geboten ist

Ob man aus den Aussagen Jesu bezüglich der Gemeindezucht überhaupt ein „Gesetz“ machen sollte, ist neutestamentlich nur schwer vermittelbar. Paulus beispielsweise widerstand dem Petrus wegen seines Fehlverhaltens sogar öffentlich und scheute sich nicht einmal Barnabas beim Namen zu nennen (Gal 2,11-14) und erwähnt dies noch dazu in einem Brief, der sich nicht an eine Privatperson richtete. Petrus kannte den Beschluss des Apostelkonzils (Apg 15,7-29), der das mosaische Zeremonialgesetz als nicht bindend für die Heidenchristen erklärte (siehe auch Apg 10,10-17). Wider besseres Wissen weigerte sich Petrus, mit den Heiden zu essen und gesellte sich zu den judaistischen Gesetzeslehrern der Gemeinde. Das Handeln des Petrus stand in einem solch starken Gegensatz zur Wahrheit des Evangeliums und der Botschaft der Gnade, dass Paulus kein Gespräch unter vier Augen suchte und auch nicht ein oder zwei Brüder der Gemeinde hinzuzog, um bei Petrus einen Sinneswandel herbeizuführen, sondern er widerstand ihm augenblicklich ins Angesicht. Glücklicherweise hielt sich Paulus auch nicht an das Bibelwort „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet,“ denn sonst würde dieser Teil des Galaterbriefes heute in unserer Bibel fehlen.

Auch führte Paulus mit den Judaisten keine Dialoge, sondern schreibt eher schroff, sie sollen sich doch gleich verschneiden lassen (Gal 5,12). In Apostelgeschichte 15 wurde in der Gemeinde in Jerusalem heftig debattiert – und zwar nicht unter vier Augen. Warum? Weil es eben nicht um die persönliche Schuld eines Einzelnen ging, sondern um Lehrfragen und um die Reinheit des Evangeliums. Bei persönlichem Versagen sollen wir sanftmütig sein (Gal 6,1). Solchen aber, die falsche Lehren vertreten, soll, um Paulus zu zitieren, das Maul gestopft werden (Tit 1,11). Das ist eine deutliche Sprache, ganz im Gegensatz zu unserer pluralistischen Zeit, wo fast alles geduldet wird und die Irrlehrer überhand nehmen (2Petr 2,1). Die Bibel spricht ferner davon, dass man alles prüfen soll (1Thess 5,21-22), und der Herr lobt solche, die die (falschen) Apostel geprüft und erkannt haben (Offb. 2,2).

In Philipper 4,2 erwähnt Paulus Euodia und Syntyche, zwei Schwestern im Herrn, die offenkundig in einen Streit verwickelt waren. Über den Inhalt oder die Gründe der Differenzen schweigt die Bibel. Wie aus Vers 3 zu entnehmen ist, handelt es sich bei beiden Schwestern wohl um einflussreiche Glieder der Gemeinde, denn sie hatten an der Seite des Paulus für das Evangelium gekämpft. Vielleicht handelt es sich bei den zwei Frauen um jene Personen an der Stätte, wo die Juden in Philippi sich gewöhnlich versammelt hatten (Apg 16,13). Paulus ruft die Schwestern auf, sich zu versöhnen und die Einheit zu wahren. Wieder werden zwei Namen genannt in einem Brief, der an eine ganze Gemeinde gerichtet war und heute von allen Christen (und Nichtchristen) weltweit gelesen werden kann.

Paulus erwähnt im 2. Timotheusbrief gleich mehrere Brüder mit Namen. Phygelus und Hermogenes (2Tim 1,15) waren wahrscheinlich Mitarbeiter, die den Heidenapostel Paulus unter dem Druck der Verfolgung verlassen hatten. Hymenäus und Philetus waren von der Wahrheit abgeirrt und lehrten, dass die Auferstehung schon geschehen sei (2Tim 2,16-18). Paulus warnt vor ihnen, da sie den Glauben etlicher Leute umgestürzt hatten. Hätte sich Paulus an Matthäus 18 gehalten, wäre angesichts der Gefahr, die von diesen Irrlehrern ausging, zu viel Zeit verstrichen (vier-Augen-Gespräch…), um die Situation zu klären. Ein schnelles Handeln und eine konkrete Warnung vor Personen war offensichtlich der Lage angemessen. Und schließlich nennt Paulus in Kapitel 4 noch Demas, der die Welt mehr liebte und sich von Paulus und möglicherweise vom Glauben abwandte sowie Alexander, den Schmied, der die Verkündigung des Evangeliums behinderte (2Tim 4,10-15).

Der Apostel Johannes nennt in seinem dritten Brief einen gewissen Diotrephes, der „bei ihnen der Erste sein möchte, und uns nicht annimmt. Darum will ich ihm, wenn ich komme, seine Werke vorhalten, die er tut, indem er uns mit bösen Worten verleumdet; und damit nicht genug, er selbst nimmt die Brüder nicht auf und verwehrt es auch denen, die es tun wollen, und stößt sie aus der Gemeinde hinaus“ (3Joh 9-11). Der Jünger, den Jesus liebte, kündigt im Voraus an, dass er ihm seine Werke vorhalten wird. Auch hier könnte man von Johannes einfordern, er sollte Matthäus 18 beherzigen und das persönliche Vergehen des Diotrephes unter vier Augen zur Sprache bringen usw. Doch nichts dergleichen lesen wir in einem Brief, der vom Heiligen Geist inspiriert ist. Eine mögliche Erklärung, dass Johannes in einem Brief offen die Probleme anspricht und Namen nennt, könnte sein, dass es sich in diesem Fall nicht nur um eine persönliche Fehde zwischen Diotrephes und Johannes handelte, sondern dass die gesamte Gemeinde durch das herrschsüchtige Verhalten einer einzigen Person gefährdet war. Das Böse schien in der Gemeinde Oberhand zu gewinnen (siehe Vers 11), höchste Alarmstufe für Johannes, schnell und entschieden einzugreifen.

Unterscheidungsvermögen fördern

Eine der Aufgaben der alttestamentlichen Priester bestand darin, das geistliche Unterscheidungsvermögen des Volkes zu fördern, "damit ihr unterscheidet zwischen dem Heiligem und dem Unheiligem und zwischen dem Reinen und dem Unreinen“ (3Mo 10,10). Das Volk sollte nicht nur den Unterschied zwischen Heiligem und Unheiligem kennen, sondern auch lernen zu unterscheiden (siehe: Hes 44,23) zwischen Heiligem und Unheiligem. Mit anderen Worten, sie sollten selbst in die Lage versetzt werden, Kriterien anzuwenden, die ihnen zeigten, ob etwas von Gott ist oder nicht. Spurgeon sagte einmal, dass es nicht schwer ist, zwischen dem Wahren und dem Unwahren zu unterscheiden, sondern es ist der feine Unterschied zwischen dem, was wahr ist, und dem, was nahezu wahr ist, der am schwierigsten zu erkennen ist. Wer über die geistliche Frucht eines gesunden Urteilsvermögen verfügt, erkennt schon geringe Abirrungen von der biblischen Wahrheit und weiß, dass diese zunehmen und in Irrlehre münden können.

Eigentlich kommt in dieser Hinsicht den Leitern der Gemeinde eine besondere Aufgabe und Verantwortung in Bezug auf falsche Lehre zu. Sie sollen nicht nur durch Gottes Gnade Sorge tragen, dass die ihnen anvertraute Herde an Urteilsvermögen zunimmt, sondern sie selbst sind in erster Linie gerufen, den Wächterdienst zu verrichten. Leider geschieht heute oft das Gegenteil. Statt Wächter zu sein, werden viele zu Kritikern an jenen, die den biblischen Wächterdienst ernst nehmen. Jesaja beklagt, dass die Wächter Israels „blind sind, sie wissen alle nichts, stumme Hunde sind sie, die nicht bellen können; sie liegen träumend da, schlafen gern“ (Jes 56,9-10). Und über die Hirten sagt Jesaja, dass sie „nicht verstehen aufzupassen; sie alle wenden sich auf ihren eigenen Weg“ (Jes 56,11). Wächter müssen Sehende und Wissende sein, die ihre Stimme erheben, wachsam sind, verstehen aufzupassen und keine eigenen Wege gehen.

Paulus ermahnt die Brüder in der Gemeinde zu Rom: „Gebt Acht auf die, welche Trennungen und Ärgernisse bewirken im Widerspruch zu der Lehre, die ihr gelernt habt, und meidet sie! Denn solche dienen nicht unserem Herrn Jesus Christus, sondern ihrem eigenen Bauch, und durch wohlklingende Reden und schöne Worte verführen sie die Herzen der Arglosen“ (Rö 16,17-18). Die Brüder sollen Acht geben (skopeo) auf diejenigen, die Trennungen bewirken. Das Griechische skopeo bedeutet besonderes Augenmerk richten auf, genau untersuchen. Welchen Sinn soll dieser Vers machen, wenn diejenigen, die Trennungen und Ärgernisse bringen, nicht mit Namen genannt werden dürfen. Wie soll man jemanden meiden, wenn man nicht weiß, um wen es sich handelt?

Wie unrealistisch die Forderung mancher Brüder ist, keine Namen in der Öffentlichkeit zu nennen, zeigt die Kirchengeschichte. Luther hätte schweigen und mit Papst, Bischöfen und Geistlichen der katholischen Kirche das Gespräch unter vier Augen suchen müssen, würde er auf den Ratschlag mancher Brüder von heute gehört haben. Eine Reformation unter diesen Bedingungen ist kaum denkbar. Charles Spurgeon, der Prinz der Prediger, sprach sich gegen die „Puseyiten“ aus. Bei den Puseyiten handelte es sich um die Anhänger Edward Puseys, ein Oxford Professor der Anglikanischen Kirche, der katholisierende Tendenzen in seiner Kirche förderte.

Lektionen aus der deutschen Kirchengeschichte

Auch aus der Geschichte der Evangelikalen in Deutschland kurz vor der Entstehung der Pfingstbewegung könnte man auch heute vieles lernen, sofern man dies wollte. Die aufkommenden Heiligungslehren wurden, angeregt durch Vorträge von L. und C. Bender, auf der Bundeskonferenz der Freien evangelischen Gemeinden im Jahre 1904 in Lüdenscheid diskutiert. L. Heinrichs schrieb im Jahre 1904 über diese Konferenz in der Zeitschrift des Bundes Der Gärtner:

„Die Brüder wiesen mit Ernst darauf hin, ,zu wachen über die Lehre’ (1Tim 4,16), denn da beginne immer der Irrtum. Wir müssen biblisch gesund sein in der Lehre der Versöhnung und Rechtfertigung; die Irrtümer setzen immer auf schiefer Grundlage ein, indem man Gottes Stellung zum Gesetz, zur Sünde, zur Erlösung und Rechtfertigung nicht biblisch fasse und bewahre. Dies bewies uns der Bruder mit Beispielen aus der Schriftauslegung der Irrenden. Man kann auch mit der Bibel in der Hand irren, indem man das Wort in den vorgefassten, falschen Ideenkreis hineinzwingt. Der Irrtum ist umso verfänglicher, weil man vorgibt, Verfechter der Wahrheit zu sein... Wir müssen den Irrtümern mit der Schrift begegnen, dazu gehört aber, dass wir selber darin gründlich zu Hause sind, besonders auch im Römer- und Galaterbrief.“2

Der Wächterdienst unter Gottes Volk ist aus menschlicher Sicht nie ein dankbarer Dienst gewesen. In Gottes Augen jedoch ist es stets ein kostbarer Dienst und ein wertvolles Werkzeug gegen Irrlehre und Glaubensabfall gewesen. August Jung erläutert: „Was mit diesen ‚Gärtner‘-Veröffentlichungen zur Jahrhundertwende, ehe die Pfingstbewegung einbrach, an Abwehrfermenten geliefert wurde, kann man gar nicht hoch genug veranschlagen. Bussemer, der dabei führend war, wurde dadurch gewiss nicht der Liebling der Heiligungsleute aus den Gemeinschaftskreisen, die seine Artikel lasen, wie er die ihren.“3

Auch die Bundeskonferenz der Freien evangelischen Gemeinden in Siegen im Jahre 1905, also ein Jahr vor Entstehung der Pfingstbewegung in Deutschland, setzte sich mit dem Thema „Die Bedeutung der Pfingstverheißung“ auseinander. Der altgediente L. Bender hielt hierzu einen Vortrag. Der Gärtner berichtet über die damalige Aussprache, in der man unter anderem die Lehre der Sündlosigkeit, wie sie später von dem Pfingstführer Jonathan Paul vertreten wurde, verwarf und auf die Fehlentwicklungen der Erweckung in Wales hinwies:

„Die sich anschließende Besprechung beschäftigte sich neben anderem vor allem mit der Erweckung in Wales und der im Referat angeschnittenen Frage nach der Sündlosigkeit. Neben der Anerkennung der großen Dinge, die der Herr in Wales getan hat, wurde doch auf manches menschliche, unbiblische und unnüchterne Moment in der Bewegung hingewiesen; so sehr auf der einen Seite zum anhaltenden Flehen um eine Erweckung auch in Deutschland ermahnt wurde, ebenso sehr wurde auf der anderen Seite vor aller menschlichen Mache gewarnt.
Auch zu der oben genannten Frage (der Sündlosigkeit) äußerten sich einige Brüder. Es zeigt sich dabei, dass bei manchem Führer der modernen Heiligungsbewegung das Leben besser ist als die Lehre. Aber bei aller Hochachtung vor ihrem wahrhaft christlichen Wandel und bei allem Streben, in diesem Stück nicht hinter ihnen zurückzubleiben, müssen doch ihre Irrtümer gerichtet und, wenn sie uns in unseren Kreisen begegnen, bekämpft werden. Ein Christ, der sein Inneres beobachtet und auf alle Vorgänge in seinem Denken, Wollen und Fühlen Acht hat, wird niemals sagen können, ,dass die Sündenwurzeln ihm vernichtet sind.’“4

Hinter den jeweiligen Lehren, die auf der Konferenz diskutiert wurden, standen natürlich bekannte und in vielen christlichen Allianzkreisen geschätzte Personen. Durch deren Vorträge und Bücher waren diese Brüder sehr populär geworden. August Jung merkt dennoch an: „Die zur Bundeskonferenz versammelten Brüder hatten jedoch den Mut, jene ‚Irrtümer zu richten‘ und ‚zu bekämpfen,‘ bei aller ‚Hochachtung vor ihrem wahrhaft christlichen Wandel.‘ Gegen Pastor Pauls Sündlosigkeitstheorien hatte Konrad Bussemer zeitig schon warnend seine Stimme erhoben.“5

Konrad Bussemer war solch ein Wächter, von denen wir heute viel zu wenige haben. Ermutigt von der Bundeskonferenz in Siegen fasste Bussemer den Entschluss, einen prominenten Heilungsprediger aus den USA wegen seiner unbiblischen Lehren zu kritisieren. Es war kein Geringerer als R. A. Torrey, der unter großem Beifall auf der Blankenburger Konferenz der Evangelischen Allianz im Jahre 1905 seine Sicht der Geistestaufe verkündigte. Torrey folgte der Lehre Wesleys, wonach die Geistestaufe als zweite Erfahrung nach der Bekehrung eine höhere Stufe der Heiligung beinhaltete. Bussemer unterzog Torreys Abhandlung der Taufe mit dem Heiligen Geist in dessen Buch Wie bringen wir Menschenseelen zu Christo? einer gründlichen Prüfung, indem er alle angegebenen Bibelstellen prüfte. August Jung berichtet:

„Bussemer hatte in diesem Artikel gewagt, einige der meistgenannten Erweckungs- und Heiligungsprediger seiner Zeit wie Torrey und F. B. Meyer öffentlich zu kritisieren. Grenzte das an Lästerung des Geistes? Oder redete hier ein Prophet, der kurz vor der Katastrophe das Volk Gottes zur Besinnung rief?

Die Geschichte hat Bussemer Recht gegeben: Blankenburg, um bei der freikirchlichen Richtung zu bleiben, achtete nicht auf Bussemers Kritik. Dort galt der Erhalt der Bruderschaft mehr als die Klärung von Lehrfragen. Letzteres hielt man für bruderschaftsgefährdend. Und übrigens: Was bedeutete schon eine so unbedeutende Stimme aus den Reihen der Freien evangelischen Gemeinden? So griff durch Torreys Verkündigung in Blankenburg 1905 der Schwarmgeist um sich – und die ersten ‚Geistestaufen‘ wurden erfahren. Es war nur noch ein kleiner Schritt bis zum Ausbruch der Pfingstbewegung.“6

Bussemer ging beharrlich seinen Weg und versuchte 1905 erneut, die Gemeinde für die gegenwärtigen Gefahren, die durch die Keswick-Bewegung (britische Heiligungsbewegung seit 1875) und die Erweckung in Wales auch die deutschen Bekenntniskreise bedrohten, sensibel zu machen. Er schrieb eine Arbeit über die „Ronsdorfer Sekte“ und hoffte, dass die Gemeinde wachsam genug sein würde, die Parallelen zur damaligen Heiligungsbewegung zu erkennen. Nagel schrieb zur gleichen Zeit in der Zeitschrift Der Gärtner einen Artikel über den schwärmerisch-charismatischen Irvingianismus. Einige Monate später, aber bereits im Jahre 1906, veröffentlichte Der Gärtner einen Artikel mit dem Titel „Prüfet die Geister.“ Darin heißt es: „Auch mit Träumen und Visionen lasst uns vorsichtig sein und nicht gleich alles glauben und ausposaunen, was jemand gesehen und erfahren haben will. ,Ihr Lieben, glaubet nicht einem jeglichen Geiste, sondern prüfet die Geister, ob sie von Gott sind; denn es sind viele falsche Propheten ausgegangen in die Welt’.“7

August Jung sieht in dem nüchternen und wachsamen Theologen Bussemer ein Geschenk Gottes. Bussemer war in den „aufkommenden Stürmen der Pfingstbewegung der Lehrer des Bundes Freier evangelischer Gemeinden. Es waren nur einige Monate im Jahr 1905, in denen er im Blick auf die Waliser Erweckung schwankend war. Dann aber erkannte er die schwärmerischen Nebentöne und schlug Alarm. Es hat wohl keine Kirche und keinen Gemeindebund sonst gegeben, der so gut vorbereitet in die entscheidenden Auseinandersetzungen des Jahres 1907 ging, wie den Bund Freier evangelischer Gemeinden. Darum wohl wurde der Bund Freier evangelischer Gemeinden von der zerstörerischen Wirksamkeit der Pfingstbewegung auch am wenigsten betroffen!“8

Otto Schopf (1870-1913) war ein weiterer Wächter, der als einer der Ersten seine Stimme gegen die Pfingstbewegung in Deutschland erhob. In seiner Schrift „Zur Kasseler Bewegung“ deckte er den Irrtum und den Irrgeist der Pfingstversammlungen in Kassel im Jahre 1907 auf, „zu einer Zeit also, als viele Führer der Gemeinschaftsbewegung noch begeistert waren oder vielleicht auch schon begannen, schwankend zu werden und nicht wussten, was sie von den Dingen halten sollten. Schopfs Schrift traf mitten in die Situation und ist etwas vom Besten, was zur Frage der Zungenrede geschrieben wurde.“9

Kampf um die Wahrheit: Ein großer Teil des Neuen Testaments

Harry Ironside (1876-1951), Pastor der Moody Memorial Church und Bibellehrer, schrieb vor Jahrzehnten: “Oft wird von einigen, die gesund im Glauben sind, der Einwand erhoben, dass das Aufdecken des Irrtums gänzlich negativ sei und keine wahre Erbauung bringt. In letzter Zeit wandte sich der lautstarke Protest gegen jegliche negative Lehre. Aber die Brüder, die eine solche Haltung einnehmen, vergessen, dass ein großer Teil des Neuen Testaments, sowohl die Lehre unseres Herrn selbst als auch die Schriften der Apostel, das Merkmal genau dieses Dienstes aufweist – d.h., er zeigt den satanischen Ursprung und folglich die verwirrenden Früchte der Verkündigung irrtümlicher Lehrsysteme auf, die Petrus in seinem zweiten Brief eindeutig als ‚verfluchte Irrlehren‘ bezeichnet.“10

Ein Wort der Warnung

Trotz der Wichtigkeit des biblischen Wächterdienstes und der Notwendigkeit, das Urteilsvermögen unter Gottes Volk zu schärfen, muss um der Ausgewogenheit willen ein Wort der Warnung ausgesprochen werden. Manche verwechseln den Dienst des Wächters und Apologeten - des Verteidigers des biblischen Glaubens - mit Rechthaberei und Besserwisserei. Jeder, der nicht mit ihrer Sicht der Dinge übereinstimmt, gilt diesen Personen schon als verdächtig oder gar als Irrlehrer. Hier gilt es zu unterscheiden zwischen Apologeten im Geist Christi, die andere Überzeugungen stehen lassen können, aber nichtsdestoweniger bei offenkundigen Abweichungen von den zentralen Lehren des Evangeliums oder dem Eindringen völlig falscher religiöser oder philosophischer Lehren entschieden und deutlich ihre Stimme erheben, und den „Apologeten in eigener Sache,“ die nur ihre theologische Überzeugung gelten lassen und jede andere Sichtweise verwerfen.

Überdies sollte sich jeder Apologet stets der Gefahr bewusst sein, dass Kritik üben und einen kritischen Geist haben oft sehr nahe beieinander liegen. Prüfen oder kritisch sein, ist keine Sünde, solange es in der Liebe geschieht. Ein kritischer Geist hingegen sieht fast alles und jeden sofort kritisch und scheut sich nicht, dem Bruder allzu schnell schlechte Motive zu unterstellen. Ein kritischer Geist findet immer irgendetwas auszusetzen. Wer nur noch lieblos und hart gegen andere polemisiert, wandelt nicht in der Demut Christi. Christus konnte die Händler mit einer Peitsche aus dem Tempel vertreiben, Er konnte aber auch über sein widerspenstiges Volk weinen. Wer nur die Peitsche schwingt, aber keine Träne über die Verlorenheit der Menschen vergießen kann, ist noch weit vom Ebenbild Christi entfernt. Wer aber nur weinen kann und nicht weiß, die Peitsche zu gebrauchen, dem fehlt der geistgewirkte Eifer für das Haus des Herrn und das Wort der Wahrheit.

Schließlich enthält das Neue Testament sowohl eine Reihe von Textstellen, die sehr deutlich zum Ausdruck bringen, dass es allen Gliedern der Gemeinde von Gott her geboten ist, die Verantwortung zur Beurteilung der Lehrer und der Lehren zu übernehmen (1Thess 5,21; 1Tim 1,3; 6,3-5; Tit 1,9-14; Hebr 13,9; 2Petr 2,1 usw.), als auch das Gebot, alles in der Liebe geschehen zu lassen (1Kor 16,14; Kol 3,14).

Nimm einen Stand ein – aber mit Gott an der Seite

Die Behauptung, jemand sei nur dann in der Liebe, wenn er nie prüft, kritisiert, ermahnt oder zurechtbringt, ist nicht haltbar. Letzteres ist nicht Liebe sondern ein verzerrtes Bild der Liebe, wie sie uns in der Bibel vorgestellt wird. Die Bibel spricht mindestens von drei Arten der Liebe. Erstens, die Liebe zu Gott; zweitens, die Liebe zum Nächsten und drittens, die Liebe zur Wahrheit. Der reformierte Pastor und Buchautor Martin Lloyd-Jones war ein Mann, der Gott, die Menschen und die Wahrheit liebte. Auch er war nicht immer bequem, wenn er sich beispielsweise gegen manchen unbiblischen Aspekt der Evangelisationsmethoden Billy Grahams aussprach und eine Debatte unter Evangelikalen einforderte. Martin Lloyd-Jones war wie Luther, Spurgeon, Bussemer, Schopf und Ironside ein Wächter der Wahrheit, der die Brüder auch bei Namen nannte, von denen er glaubte, dass sie von der Wahrheit des Evangeliums abzuirren drohten. "Der Doktor," wie ihn zahllose Christen nannten, schreibt:

„Die Leute sagen, ‚Seid nicht negativ; lasst uns positiv sein; lasst uns wirklich nur das einfache Evangelium predigen.‘ Aber die Bibel ist voll von Negativem, voll von Warnungen und sie weist ständig auf schlimme Dinge hin. Wenn Sie in ihrem Inneren eine Abneigung gegen die Warnungen der Schrift und diese negativen Lehren verspüren, ist es offensichtlich, dass Sie durch die Listen des Teufels übertölpelt worden sind. Sie haben nicht realisiert, in welcher Lage Sie sich befinden…

Eines der ersten Dinge, die Sie in ihrem Christenleben und in Ihrem Glaubenskampf lernen müssen, ist: wenn Sie in der Lehre einen verkehrten Weg einschlagen, dann verlaufen auch alle anderen Aspekte Ihres Lebens falsch…

Mose musste ganz alleine stehen, als er nach seiner Begegnung mit Gott vom Berg herunterkam. Isoliert von den Mitmenschen einen Stand einzunehmen, aber Gott an der Seite, das ist die große Lehre des Alten Testaments in vielerlei Hinsicht. Und auch im Neuen Testament wird dies betont.“11


Anmerkungen

1 John MacArthur, John MacArthur Studienbibel, CLV, Bielefeld, 2004, S.1316.
2 August Jung, Vom Kampf der Väter, Bundesverlag Witten, 1995, S.192.
3 Ebd.
4 Ebd., S.195.
5 Ebd.
6 Ebd., S.198.
7 Ebd., S.199.
8 Ebd., S.200.
9 Ebd., S.202.
10 Dr. Harry Ironside, Exposing Error: Is It Worthwile?
11 Dr. Martyn Lloyd-Jones, Heresies.



  • 0