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Das Konzept "Spiritual Care" als Herausforderung f


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Das Konzept "Spiritual Care" als Herausforderung für die christliche Seelsorge





Michael Utsch


Wer sorgt für die Seele eines kranken Menschen?


Eine schwere Erkrankung betrifft den ganzen Menschen, nicht nur ein Körperteil. Die Rolle der Seelsorge, die früher für Trost, geistliche Unterstützung und Begleitung zuständig war, hat sich mit dem Aufkommen professioneller spiritueller Begleitung verändert. Denn in der Medizin hat sich in den letzten Jahren im Rahmen der Palliativversorgung ein bemerkenswerter Wandel vollzogen. Für diejenigen Menschen, denen kurativ nicht mehr zu helfen ist, sollen durch spezielle palliative Maßnahmen die letzten Lebensmonate und -wochen so angenehm wie möglich gestaltet werden. Standen früher allein das körperliche und psychische Wohlbefinden im Zentrum, beschäftigt sich die Palliativversorgung zunehmend auch mit existenziellen und religiösen Themen. Viele wissenschaftliche Studien haben nämlich unmissverständlich gezeigt, dass die Zufriedenheit von Schwerkranken und Sterbenden insbesondere von der Berücksichtigung und Erfüllung ihrer spirituellen Bedürfnisse abhängt.1

Deshalb werden neuerdings an der Münchener medizinischen Fakultät angehende Ärzte in spiritueller Begleitung ausgebildet. Dort gibt es seit dem Jahr 2010 den bundesweit ersten Lehrstuhl für „Spiritual Care“, den sich ein jesuitischer Psychiater und ein evangelischer Krankenhausseelsorger teilen. Die beiden Lehrstuhlinhaber haben auch die Schriftleitung der neuen Zeitschrift für Spiritualität in den Gesundheitsberufen „Spiritual Care“ inne (www.spiritual-care.online.de). Diese Zeitschrift dient als Publikationsforum der im Jahr 2011 gegründeten Internationalen Fachgesellschaft für Gesundheit und Spiritualität. Die Fachgesellschaft und die Zeitschrift eint das Bemühen, einen „Konsensprozess“ zum Verständnis von Spiritualität im Gesundheitswesen auf den Weg zu bringen und Möglichkeiten der Umsetzung in der täglichen Patientenversorgung zu suchen.


Ausgehend von der Palliativmedizin wird die spirituelle Begleitung von Patienten auch in anderen medizinischen Fachgebieten zunehmend ernst genommen. Verstanden als Sorge für die spirituellen Bedürfnisse Kranker und ihrer Angehörigen entwickelt sich „Spiritual Care“ neben der somatischen, sozialen und psychologischen Behandlung des Patienten zu einer vierten Säule des Gesundheitssystems.

Was bedeutet es für die Seelsorge, wenn sich Gesundheitsfachkräfte – also Ärzte, Pflegekräfte, Psychotherapeuten und Sozial­arbeiter – in spiritueller Begleitung fortbilden? Die Krankenbetreuung und Sterbebegleitung war über viele Jahrhunderte eine zentrale kirchliche Aufgabe. Wenn nun nicht nur die körperliche und psychologische Betreuung durch medizinische Fachleute geleistet wird, sondern diese auch die spirituelle Begleitung übernehmen, muss dann „Spiritual Care“ als weitere Folge des unaufhaltsamen Säkularisierungstrends in den westlichen Gesellschaften verstanden werden? Das Konzept „Spiritual Care“ ist jedenfalls breiter aufgestellt als die klassische Krankenhausseelsorge. Dort werden Patienten durch Vertreter einer einzelnen Religionsgemeinschaft begleitet, deren religiöser Hintergrund transparent ist. Zum Selbstverständnis von „Spiritual Care“ gehört ein interdisziplinärer Ansatz: Pflegende, Sozialarbeiter und Ärzte sind gemeinsam in die spirituelle Begleitung von Patienten eingebunden. „Spiritual Care“ versucht, religionsübergreifend auf die spirituellen Bedürfnisse einzugehen, ohne sich dabei auf ein bestimmtes Bekenntnis festzulegen.


Heilungsangebote der Kirchen

Lange bevor die Medizin sich der spirituellen Dimension des Krankseins zugewandt hat, wurden von den Kirchen die heilenden Wirkungen von Gottesdiensten, Sakramenten und kirchlicher Gemeinschaft praktiziert. In Großbritannien gibt es seit über 100 Jahren eine Heilungsbewegung in den Kirchen, die den Heilungsauftrag Jesu ernst nimmt (vgl. z. B. Matth 10,1.8). In der anglikanischen Tradition existiert seit jeher ein intensiver Dialog zwischen Medizinern und Theologen. Im anglo-katholischen Bereich entstanden Geschwisterschaften des Heilungsdienstes, seit 1915 etwa die „Guild of St Raphael” (www.guild-of-st-raphael.org.uk). In den USA wurde 1932 der „Order of Saint Luke“ gegründet (www.orderofstluke.org). Auch er verfolgt das Ziel, Gesundheitsfachkräfte und Krankenhausseelsorger zu einer ordensähnlichen Fürbitt- und Arbeitsgemeinschaft zusammenzuschließen. Es ging ihm um die Wiederbelebung des urchristlichen Heilungsauftrags der Kirche, dem seine Mitglieder durch Fürbitte für die Kranken und die biblische Handauflegung in enger Zusammenarbeit mit Psychiatern, Ärzten und Psychologen nachkommen wollten. Noch heute ist die Vereinigung in den USA mit über 7500 Mitgliedern aktiv.

Der starke gesellschaftliche Trend zu Gesundheitsoptimierung und Wellness hat die Kirchen weiterhin beschäftigt und angeregt, eigene Initiativen auf den Weg zu bringen. Die Anglikanische Kirche von England beauftragte eine Kommission von Experten aus Theologie, Kirche, Gemeinden und Medizin, eine Dokumentation zum Heilungsauftrag und -dienst der Kirchen zu erstellen, die im Jahr 2000 unter dem Titel „A Time to Heal“ veröffentlicht wurde. Neben theologischen Grundlagen der Heilung werden dort zahlreiche Möglichkeiten und Praktiken kirchlicher Heilungsdienste dargestellt. Diese umfassende ökumenische Studie hat auch in Deutschland Auswirkungen gezeigt.2


Integrationsansätze von Medizin und Seelsorge

Allerdings verläuft die Zusammenarbeit von ärztlicher und pastoraler Betreuung häufig nicht so reibungslos, wie es aus Patientensicht wünschenswert wäre. Lesen Sie weiter in der Printausgabe 9/2012 der Zeitschrift Materialdienst.

Das Materialdienst-Einzelheft 9/2012 ist zum Preis von 3,00 Euro zuzüglich Porto erhältlich und online bestellbar: Bestellen

Anmerkungen

1 Vgl. Harold A. Koenig, Spiritualität in den Gesundheitsberufen. Ein praxisorientierter Leitfaden, Stuttgart 2012.
2 Vgl. Evangelisches Missionswerk (Hg.), Von der heilenden Kraft des Glaubens, Hamburg 2005; Deutsches Institut für ärztliche Mission DIFÄM (Hg.), Die heilende Dimension des Glaubens, Tübingen 2007; DIFÄM (Hg.), Gesundheit, Heilung und Spiritualität. Tübingen 2008; Reinhard Köller/Georg Schiffner (Hg.), Christliche Heilkunde – Zugänge, Aumühle 2011.



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"Spiritual Care" - eine Herausforderung für die Seelsorge?





Eberhard Hauschildt



Ein neuer Begriff ist da

Der Begriff „Spiritual Care“ hat Karriere gemacht. Warum? In ihm bündeln sich zweierlei Anliegen und Erkenntnisse, die in jüngster Zeit merklich an Gewicht gewonnen und Verbreitung gefunden haben.

Einerseits: In der psychosozialen und gesundheitlichen Versorgung sind verschiedene Bedürfnisse zu beachten. In der Palliativmedizin jedenfalls hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Bedarf an Spiritualität und die Fürsorge für diese Dimension eine vierte Säule neben der medizinischen, sozialen und psychologischen Dimension des angemessenen Handelns darstellt. Hier bahnt sich erstmals in einem Teilbereich am Rande des modernen medizinischen Handelns eine integrale Sicht des Menschen an, die auch das Phänomen Religion nicht mehr ausklammert. Hoffentlich bleibt sie im Gesundheitssystem nicht auf die Palliativmedizin beschränkt. Darin verschafft sich eine solche Anthropologie Geltung, wie sie die Theologie schon länger vertritt. Vertreter der Seelsorge registrieren das mit großer Freude.

Andererseits: Die Lage ist inzwischen durch vermehrte religiöse und weltanschauliche Pluralität und religiöse Unbestimmtheit des Erlebens der Individuen gekennzeichnet. Die Rede vom Spirituellen umfasst dann alles, was mit Sinn- und Identitätsfragen2 zu tun hat. Sie lässt offen, ob die gefundenen Lösungen und spirituellen Haltungen einer Religion zugeordnet werden können oder als individuelle Haltungen auch ganz ohne den Kontext Religion auskommen.3 Das Spirituelle benennt hier so etwas wie eine „anthropologische Konstante“4. Alles, was die Funktion der Sinnthematisierung und Ohnmachtsbewältigung erfüllt, also Religion, aber eben nicht nur sie, kann als spirituell gelten.

In dieser Beschreibung ist eine wichtige Weichenstellung vorgenommen: Wenn ein Verständnis von Spiritualität pluralitätskompatibel sein soll, dann bedingt das einen weiten Spiritualitätsbegriff, einen streng funktionalen. In der Debatte um die Spiritualität wird das natürlich nicht von allen so gesehen. Es gibt auch Verständnisse, die Spiritualität enger fassen wollen. Ist nicht wirkliche oder zumindest besonders intensive, also bessere Spiritualität erst da, wo sie sich in bestimmte Praktiken, etwa der Meditation, äußert? Vertritt man diese Ansicht, dann setzt man mit einer solchen Wertung ein normatives Verständnis, auch dann, wenn man es als Angebot an alle Menschen, gleich welcher Religion, präsentiert.5

Eine andere Möglichkeit ist, den Begriff der Spiritualität mit dem der Transzendenz zu verknüpfen und ihn so vom rein Psychischen in der dritten Säule abzugrenzen. Spiritualität wäre dann erst da gegeben, wo Transzendenz erfahren und als Kraft eigener Art gedeutet wird, die eine besondere Ressource darstellt.6 Bestimmt man Spiritualität so, dann tut sich aber auch hier eine Schwierigkeit für die Verwendung als Teil sozialstaatlicher Verantwortungsaufgabe im Gesundheitssystem auf. Denn der Staat darf nicht für eine bestimmte Weltsicht optieren und sie seinen Bürgern aufoktroyieren. Will er sich in der pluralen Gesellschaft terminologisch so weit hervorwagen, dann ist das wiederum nur systemadäquat, wenn er sogleich im Folgeschritt Spiritualität als ein kulturelles Phänomen festschreibt, etwa so: Es wird zwar die Transzendenzvorstellung als inhaltlicher Kern der Spiritualität akzeptiert, doch muss dann offen bleiben dürfen, welche Art von Deutung des Transzendenzphänomens vorgenommen wird. Und das muss einschließen können, dass Beteiligte Transzendenz als nichts anderes als einen übergreifenden kulturellen Zusammenhang und insofern dem Individuen transzendente Größe verstehen, mag diese nun religiös und welttranszendent als „Offenbarung“ oder auch genauso gut materialistisch und weltimmanent als Teil des menschlich gemachten Bewusstseins begriffen sein.

Wenn man, wie es m. E. angesichts der Religionspluralität und der weltanschaulichen Neutralität staatlichen Rahmenhandelns für das Gesundheitssystem angesagt ist, den Begriff des Spirituellen bewusst so weit hält, dann ergibt sich als Ausgangspunkt für die Überlegungen die Einsicht in eine erhebliche Differenz zwischen Spiritualität im Sinne des Spiritual-Care-Konzepts und Religion. Damit legt sich dann nahe, den Begriff „Spiritual Care“ eben nicht von vornherein mit dem der Seelsorge gleichzusetzen. Das ist auch damit kongruent, dass „Seelsorge“ kulturhistorisch als ein Angebot der Kirchen entstanden ist. In ihm drückt sich, anders als in der Einführung von Spiritual Care in das Gesundheitssystem, eine Innenperspektive auf Religion aus. Diejenigen, die als Krankenhausseelsorger bzw. -seelsorgerinnen bezeichnet werden, stehen in Verbindung zu einer Kirche und ihrer konfessionellen Theologie.

In der Praxis der Fürsorge für Menschen geht allerdings beides, Spiritual Care und Seelsorge, oft ineinander. Das erklärt, warum Spiritual Care und Seelsorge faktisch auch als geradezu austauschbare Begriffe verwendet werden. Zu analytischen Zwecken und angesichts der Situation, dass hinter beiden Begriffen durchaus verschiedene gesellschaftliche Akteure stecken, will ich aber hier zunächst von der Verschiedenheit in der Theorie und in der Systemlogik ausgehen, bevor ich Spiritual Care und Seelsorge dann wieder zueinander in Beziehung setze.7 Lesen Sie weiter in der Printausgabe 3/2013 der Zeitschrift Materialdienst.

Das Materialdienst-Einzelheft 3/2013 ist zum Preis von 3,00 Euro zuzüglich Porto erhältlich und online bestellbar: Bestellen


Anmerkungen

1 Vortrag, gehalten am 22.9.2012 auf der Fachtagung „Krankenhausseelsorge oder ‚Spiritual Care’? Der professionelle Umgang mit spirituellen Bedürfnissen im Krankenhaus“, veranstaltet von der Evangelischen Akademie zu Berlin in Kooperation mit der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW). Ein Teil der Überlegungen, teils auch in wörtlicher Übereinstimmung, findet sich bereits in: Eberhard Hauschildt, Seelsorge: Das Altern besprechen, begleiten und ihm Raum geben, in: Thomas Klie/Martina Kumlehn/Ralph Kunz, Praktische Theologie des Alterns, Berlin/New York 2009, 471-496, hier 489-494.
2 Vgl. Eduard Weiher, Spiritualität in der Begleitung alter und sterbender Menschen, in: Susanne Kobler-von Komorowski/Heinz Schmidt (Hg.), Seelsorge im Alter. Herausforderung für den Pflegealltag, Heidelberg 22006, 64-76, hier 72f.
3 Vgl. Traugott Roser, Spiritual Care. Ethische, organisationale und spirituelle Aspekte der Krankenhausseelsorge. Ein praktisch-theologischer Zugang, Stuttgart 2007, 249-252.
4 Auf die Funktion einer solchen Bestimmung wie das Zulassen von verschiedenartigen Füllungen des Begriffs machen Traugott Roser und Eckhard Frick im ersten Heft der neuen Zeitschrift „Spiritual Care“ aufmerksam: „Der Ausgangspunkt bei einem offenen Spiritualitätsbegriff und einer prinzipiellen anthropologischen Kategorie hat eine Schutzfunktion für den Einzelnen, sei er Patient oder Betreuender: Sie bewahrt die Subjekte vor den Übergriffen sowohl des Gesundheitswesens als auch von Religionsgemeinschaften“ (Traugott Roser/Eckhard Frick, Editorial, in: Spiritual Care. Zeitschrift für Spiritualität in den Gesundheitsberufen 1/2012, 3-6, hier 5).
5 Dementsprechend vermarktet die Tertön Sogyal Stiftung, eine Organisation des tibetischen Buddhismus, eine Einrichtung in Saarow bei Berlin, deren Eröffnung für 2014 geplant ist, als „Deutschlands erstes Spiritual Care Center“ (www.spiritualcare-center.de, zuletzt abgerufen am 2.12. 2012).
6 So deute ich die Ausführungen von Monika Renz (vgl. auch ihren Beitrag auf dieser Tagung): „Wenn ich von Spiritualität spreche, so in einem engern Sinn als Erfahrung mit einem ewig Grössern, Unverfügbaren. Spirituelle Erfahrung kann weder gemacht, noch – etwa über Musik – „herbeigeführt“ werden. Spiritualität ist mehr als Bewusstseinserweiterung. Sie ereignet sich gnadenhaft, wo Menschen als „die Frage, die ich bin“ (Karl Rahner) ins scheinbar Leere hinaus aushalten und genau so offen werden auf die Dimension Gott hin. Offenbarungsgeschehen“ (www.monikarenz.ch/de/spiritualitaet.php, zuletzt abgerufen am 31.1.2013).
7 Die Argumentation sollte in sich plausibel sein. Dabei will ich allerdings nicht unterschlagen, dass in einem solchen Verfahren, das ich vorschlage, de facto bei mir auch eine bestimmte konfessionelle Tradition, nämlich hier die protestantische, womöglich in ihrer typisch lutherischen theologischen Fassung, eine Rolle spielt. Als Theologe darf und soll man das ruhig offenlegen. Mir erscheint also die hier beschrittene Argumentation durchaus vertraut von derjenigen Schule des Denkens her, sich die christliche Religion aus der Differenz von Gesetz und Evangelium (und dann auch deren Beziehung) zu erschließen.



Materialdienst 3/2013
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Eberhard Hauschildt



Ein neuer Begriff ist da

Der Begriff „Spiritual Care“ hat Karriere gemacht. Warum? In ihm bündeln sich zweierlei Anliegen und Erkenntnisse, die in jüngster Zeit merklich an Gewicht gewonnen und Verbreitung gefunden haben.

Einerseits: In der psychosozialen und gesundheitlichen Versorgung sind verschiedene Bedürfnisse zu beachten. In der Palliativmedizin jedenfalls hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Bedarf an Spiritualität und die Fürsorge für diese Dimension eine vierte Säule neben der medizinischen, sozialen und psychologischen Dimension des angemessenen Handelns darstellt. Hier bahnt sich erstmals in einem Teilbereich am Rande des modernen medizinischen Handelns eine integrale Sicht des Menschen an, die auch das Phänomen Religion nicht mehr ausklammert. Hoffentlich bleibt sie im Gesundheitssystem nicht auf die Palliativmedizin beschränkt. Darin verschafft sich eine solche Anthropologie Geltung, wie sie die Theologie schon länger vertritt. Vertreter der Seelsorge registrieren das mit großer Freude.

Andererseits: Die Lage ist inzwischen durch vermehrte religiöse und weltanschauliche Pluralität und religiöse Unbestimmtheit des Erlebens der Individuen gekennzeichnet. Die Rede vom Spirituellen umfasst dann alles, was mit Sinn- und Identitätsfragen2 zu tun hat. Sie lässt offen, ob die gefundenen Lösungen und spirituellen Haltungen einer Religion zugeordnet werden können oder als individuelle Haltungen auch ganz ohne den Kontext Religion auskommen.3 Das Spirituelle benennt hier so etwas wie eine „anthropologische Konstante“4. Alles, was die Funktion der Sinnthematisierung und Ohnmachtsbewältigung erfüllt, also Religion, aber eben nicht nur sie, kann als spirituell gelten.

In dieser Beschreibung ist eine wichtige Weichenstellung vorgenommen: Wenn ein Verständnis von Spiritualität pluralitätskompatibel sein soll, dann bedingt das einen weiten Spiritualitätsbegriff, einen streng funktionalen. In der Debatte um die Spiritualität wird das natürlich nicht von allen so gesehen. Es gibt auch Verständnisse, die Spiritualität enger fassen wollen. Ist nicht wirkliche oder zumindest besonders intensive, also bessere Spiritualität erst da, wo sie sich in bestimmte Praktiken, etwa der Meditation, äußert? Vertritt man diese Ansicht, dann setzt man mit einer solchen Wertung ein normatives Verständnis, auch dann, wenn man es als Angebot an alle Menschen, gleich welcher Religion, präsentiert.5

Eine andere Möglichkeit ist, den Begriff der Spiritualität mit dem der Transzendenz zu verknüpfen und ihn so vom rein Psychischen in der dritten Säule abzugrenzen. Spiritualität wäre dann erst da gegeben, wo Transzendenz erfahren und als Kraft eigener Art gedeutet wird, die eine besondere Ressource darstellt.6 Bestimmt man Spiritualität so, dann tut sich aber auch hier eine Schwierigkeit für die Verwendung als Teil sozialstaatlicher Verantwortungsaufgabe im Gesundheitssystem auf. Denn der Staat darf nicht für eine bestimmte Weltsicht optieren und sie seinen Bürgern aufoktroyieren. Will er sich in der pluralen Gesellschaft terminologisch so weit hervorwagen, dann ist das wiederum nur systemadäquat, wenn er sogleich im Folgeschritt Spiritualität als ein kulturelles Phänomen festschreibt, etwa so: Es wird zwar die Transzendenzvorstellung als inhaltlicher Kern der Spiritualität akzeptiert, doch muss dann offen bleiben dürfen, welche Art von Deutung des Transzendenzphänomens vorgenommen wird. Und das muss einschließen können, dass Beteiligte Transzendenz als nichts anderes als einen übergreifenden kulturellen Zusammenhang und insofern dem Individuen transzendente Größe verstehen, mag diese nun religiös und welttranszendent als „Offenbarung“ oder auch genauso gut materialistisch und weltimmanent als Teil des menschlich gemachten Bewusstseins begriffen sein.

Wenn man, wie es m. E. angesichts der Religionspluralität und der weltanschaulichen Neutralität staatlichen Rahmenhandelns für das Gesundheitssystem angesagt ist, den Begriff des Spirituellen bewusst so weit hält, dann ergibt sich als Ausgangspunkt für die Überlegungen die Einsicht in eine erhebliche Differenz zwischen Spiritualität im Sinne des Spiritual-Care-Konzepts und Religion. Damit legt sich dann nahe, den Begriff „Spiritual Care“ eben nicht von vornherein mit dem der Seelsorge gleichzusetzen. Das ist auch damit kongruent, dass „Seelsorge“ kulturhistorisch als ein Angebot der Kirchen entstanden ist. In ihm drückt sich, anders als in der Einführung von Spiritual Care in das Gesundheitssystem, eine Innenperspektive auf Religion aus. Diejenigen, die als Krankenhausseelsorger bzw. -seelsorgerinnen bezeichnet werden, stehen in Verbindung zu einer Kirche und ihrer konfessionellen Theologie.

In der Praxis der Fürsorge für Menschen geht allerdings beides, Spiritual Care und Seelsorge, oft ineinander. Das erklärt, warum Spiritual Care und Seelsorge faktisch auch als geradezu austauschbare Begriffe verwendet werden. Zu analytischen Zwecken und angesichts der Situation, dass hinter beiden Begriffen durchaus verschiedene gesellschaftliche Akteure stecken, will ich aber hier zunächst von der Verschiedenheit in der Theorie und in der Systemlogik ausgehen, bevor ich Spiritual Care und Seelsorge dann wieder zueinander in Beziehung setze.7 Lesen Sie weiter in der Printausgabe 3/2013 der Zeitschrift Materialdienst.

Das Materialdienst-Einzelheft 3/2013 ist zum Preis von 3,00 Euro zuzüglich Porto erhältlich und online bestellbar: Bestellen


Anmerkungen

1 Vortrag, gehalten am 22.9.2012 auf der Fachtagung „Krankenhausseelsorge oder ‚Spiritual Care’? Der professionelle Umgang mit spirituellen Bedürfnissen im Krankenhaus“, veranstaltet von der Evangelischen Akademie zu Berlin in Kooperation mit der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW). Ein Teil der Überlegungen, teils auch in wörtlicher Übereinstimmung, findet sich bereits in: Eberhard Hauschildt, Seelsorge: Das Altern besprechen, begleiten und ihm Raum geben, in: Thomas Klie/Martina Kumlehn/Ralph Kunz, Praktische Theologie des Alterns, Berlin/New York 2009, 471-496, hier 489-494.
2 Vgl. Eduard Weiher, Spiritualität in der Begleitung alter und sterbender Menschen, in: Susanne Kobler-von Komorowski/Heinz Schmidt (Hg.), Seelsorge im Alter. Herausforderung für den Pflegealltag, Heidelberg 22006, 64-76, hier 72f.
3 Vgl. Traugott Roser, Spiritual Care. Ethische, organisationale und spirituelle Aspekte der Krankenhausseelsorge. Ein praktisch-theologischer Zugang, Stuttgart 2007, 249-252.
4 Auf die Funktion einer solchen Bestimmung wie das Zulassen von verschiedenartigen Füllungen des Begriffs machen Traugott Roser und Eckhard Frick im ersten Heft der neuen Zeitschrift „Spiritual Care“ aufmerksam: „Der Ausgangspunkt bei einem offenen Spiritualitätsbegriff und einer prinzipiellen anthropologischen Kategorie hat eine Schutzfunktion für den Einzelnen, sei er Patient oder Betreuender: Sie bewahrt die Subjekte vor den Übergriffen sowohl des Gesundheitswesens als auch von Religionsgemeinschaften“ (Traugott Roser/Eckhard Frick, Editorial, in: Spiritual Care. Zeitschrift für Spiritualität in den Gesundheitsberufen 1/2012, 3-6, hier 5).
5 Dementsprechend vermarktet die Tertön Sogyal Stiftung, eine Organisation des tibetischen Buddhismus, eine Einrichtung in Saarow bei Berlin, deren Eröffnung für 2014 geplant ist, als „Deutschlands erstes Spiritual Care Center“ (www.spiritualcare-center.de, zuletzt abgerufen am 2.12. 2012).
6 So deute ich die Ausführungen von Monika Renz (vgl. auch ihren Beitrag auf dieser Tagung): „Wenn ich von Spiritualität spreche, so in einem engern Sinn als Erfahrung mit einem ewig Grössern, Unverfügbaren. Spirituelle Erfahrung kann weder gemacht, noch – etwa über Musik – „herbeigeführt“ werden. Spiritualität ist mehr als Bewusstseinserweiterung. Sie ereignet sich gnadenhaft, wo Menschen als „die Frage, die ich bin“ (Karl Rahner) ins scheinbar Leere hinaus aushalten und genau so offen werden auf die Dimension Gott hin. Offenbarungsgeschehen“ (www.monikarenz.ch/de/spiritualitaet.php, zuletzt abgerufen am 31.1.2013).
7 Die Argumentation sollte in sich plausibel sein. Dabei will ich allerdings nicht unterschlagen, dass in einem solchen Verfahren, das ich vorschlage, de facto bei mir auch eine bestimmte konfessionelle Tradition, nämlich hier die protestantische, womöglich in ihrer typisch lutherischen theologischen Fassung, eine Rolle spielt. Als Theologe darf und soll man das ruhig offenlegen. Mir erscheint also die hier beschrittene Argumentation durchaus vertraut von derjenigen Schule des Denkens her, sich die christliche Religion aus der Differenz von Gesetz und Evangelium (und dann auch deren Beziehung) zu erschließen.



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