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Letzte Rettung: Exorzismus


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Rolf

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Letzte Rettung: Exorzismus






Eine Theologin hat die Austreibung des Teufels erforscht – und warnt vor seinem Einfluss in der Welt.


Die Theologin Monika Scala


Der Teufel steckt tatsächlich im Detail. Niemand weiß das besser als Monika Scala: Der Satan ist ihr Thema. Sie hat sein unheilvolles Wirken erforscht und auch die einzige Möglichkeit, die Menschen offensteht, ihn zu bannen.

Die 51-jährige Theologin achtet wohl deshalb penibel auf jede Silbe. Sie scheint sich lange vorbereitet zu haben auf dieses Gespräch: Man weiß ja nie, was die säkulare Presse daraus zu machen gedenkt. »Es ist ein heikles Thema, das regelrecht dazu verleitet, es zu missbrauchen«, erklärt die schlanke Frau mit dem wallenden grau melierten Haar. Von den Strümpfen bis zur Bluse ist sie in Weiß gekleidet. Nur ihr Blazer ist pechschwarz. Jenes heikle Thema, das sie meint, umfasst Leidensgeschichten, Geisteskrankheiten, Schmerzensschreie und eine Glaubenslehre: den Exorzismus der katholischen Kirche. In ihrer Doktorarbeit hat die Klosterneuburgerin auf akribische Weise aufgearbeitet, welche Bedeutung Teufelsaustreibungen in der katholischen Liturgie zukommt. Bis heute, über die Jahrhunderte hinweg. Kritiker, die bezweifeln, dass diese Praxis zum katholischen Ritus dazugehöre wie Fronleichnamsprozession oder Erntedanksegnung, würden einem Irrtum unterliegen, meint sie. Exorzismus komme einer normalen Glaubensübung gleich, die bereits von Jesus Christus höchstselbst zur Bekämpfung allerlei körperlicher Leiden und seelischer Bedrängnisse eingesetzt worden sei. Der Messias, Gottes Sohn, ein Exorzist?


»Das Böse ist präsent, das erfahren wir tagtäglich«, sagt Scala. Was, wenn nicht die aktuelle Gewalt in Syrien, sei der beste Teufelsbeweis? Sofort kommen auch Anders Breivik, der norwegische Massenmörder, oder der Amokschütze von Denver in den Sinn. Die kritisch-rationale säkularisierte Gesellschaft der Moderne, meint die Theologin, sei den Dämonen hilflos ausgeliefert. Nur Gebet und Buße seien geeignet, die Menschen vor dem Jammertal zu bewahren: »Es ist einer der größten Irrtümer unserer Zeit, zu glauben, ohne Gebet auskommen zu können.« Und wenn eines Tages gar nichts mehr hilft, bleibe nur mehr die Macht eines Exorzisten, um Luzifer in die Schranken zu weisen.

Mehrere Wundererzählungen aus dem Neuen Testament seien nichts anderes als klassische Darstellungen exorzistischer Rituale. Als Jesus von Nazareth laut Markusevangelium in der Synagoge von Kafarnaum einen Mann traf, der »von einem unreinen Geist besessen war«, befahl Jesus: »Schweig, und verlass ihn!« Woraufhin der unreine Geist den Mann durchgerüttelt und ihn »mit lautem Geschrei« verlassen habe. Erzählungen wie diese seien lediglich metaphorisch zu verstehen, sie sollten eine psychische Befreiung von Zwängen ausdrücken, meinen viele Theologen. Monika Scala sieht das hingegen anders: »Es ist erwiesen, dass Jesus Dämonenaustreibungen gemacht hat.« Ein Abschnitt ihrer Doktorarbeit trägt folgerichtig den Titel Jesu Tätigkeit ist unaufhaltsamer Exorzismus.



Der Tod einer Studentin führte zum "Exorzismus light"

Während unter Johannes Paul II. der Abwehrkampf gegen Dämonen in den Hintergrund zu geraten schien, rückte Benedikt XVI. das Thema wieder in den Fokus der katholischen Aufmerksamkeit. Im Jahr 2005 wurde in Rom an der päpstlichen Hochschule Athenaeum Regina Apostolorum ein eigener Exorzismus-Lehrgang gegründet, eine Kaderschmiede für Exorzisten aus aller Welt. Im vergangenen Jahr lud der Papst zu einer großen Exorzismuskonferenz nach Rom. Die Teufelsaustreibung ist ihm ein persönliches Anliegen. Scala selbst wurde das Thema von ihrem Doktorvater an der Universität Wien vorgeschlagen. Zuvor hatte die zweifache verheiratete Mutter ein Pharmaziestudium abgebrochen.

Ein Exorzist ist ein Priester, der über besondere Fähigkeiten verfügen muss: Von Gott hat er die Gnade und vom Bischof den Befähigungsnachweis. Nur jene Männer, die der Oberhirte für charakterstark und leidensfähig genug erklärt, sind zu diesem Amt zugelassen. Der Teufelsaustreiber müsse nämlich dem Dämon gewachsen sein: Die Autorität seines Befehls, der Dämon solle weichen, müsse den bösen Engel auch tatsächlich einschüchtern können. Die wichtigste Aufgabe beim Exorzismusdienst sei laut Scala die »Unterscheidung der Geister«: Wann ist jemand schizophren, wann aber besessen? Im ersteren Fall verständige man einen Arzt, im letzteren Fall schreite man beherzt zur Tat. Denn eines, so Scala, dürfe nicht passieren: Medizin und Theologie gegeneinander auszuspielen. Zu oft sei das bereits geschehen, auch innerhalb der Kirche habe es bereits Diskussionen zur Genüge gegeben. »Aber ein solcher Streit dient nur jenen Außenstehenden, die sich daran weiden, wenn es der Kirche schlecht geht.«

Einen Höhepunkt öffentlicher Exorzismuskritik gab es nach dem tragischen Tod der 23-jährigen Pädagogikstudentin Anneliese Michel im Jahr 1976. Die junge Deutsche hatte jahrelang unter Anfällen gelitten, Medikamente gegen Epilepsie genommen, aber offenbar nicht vertragen. Trotz Anzeichen einer Schizophrenie wurde sie nie zum Psychiater, dafür aber zum Exorzisten geschickt. Nach zehn Monaten regelmäßiger Exorzismen im Beisein ihrer Eltern starb sie schließlich, nur 31 Kilo schwer, an Entkräftung und einer Lungenentzündung.

Die ganze Welt zeigte sich geschockt, der Fall wurde sogar in dem Film Requiem aufgerollt. Die beteiligten Priester, aber auch die Eltern der jungen Frau wurden in einem aufsehenerregenden Prozess zu bedingten Haftstrafen verurteilt. Der Exorzismus geriet in Verruf. »Die Umstände beim Ableben der Anneliese Michel haben enthüllt, was die katholische Kirche in ihrer jetzigen Gestalt auch ist: eine internationale Firma zur Herstellung von Angst«, kommentierte der kirchenkritische Theologe Adolf Holl das makabere Geschehen. Monika Scala findet das ungerecht: Michel sei nicht an Exorzismus gestorben, sondern an Mangelernährung. Außerdem sei der Fall aus den siebziger Jahren ein negativer Ausreißer. »Man hört nie, wenn Exorzismen gut ausgehen.«

Der Fall Michel rüttelte auch den Vatikan auf. Vor allem die deutschen Bischöfe waren es, die sich in Rom für eine Überarbeitung der Exorzismuslehre aussprachen. Mehr Gebet, weniger Exorzismus im engeren Sinn, und das alles unter strenger medizinischer Überwachung: Die Teufelsaustreiberei »light« wurde eingeführt. Tatsächlich gelten heute strengere Regeln. Priester kooperieren mit Ärzten, wenn sie exorzisieren. Wenngleich die Mediziner des Vertrauens meist fromme Männer mit tiefem Respekt vor dem Dienst des Priesters sind.

Im vergangenen Jahr sorgte Andreas Masching, ein Psychiater am Wiener Spital SMZ Ost, für Aufsehen, weil er mit dem offiziellen Exorzisten der Diözese Wien, dem gebürtigen US-Amerikaner Larry Hogan, zusammenarbeitete. Dieser führt laut Medienberichten rund 50 Austreibungen im Jahr durch, auch bei Katholiken aus anderen Bundesländern. Der »Priester im Befreiungsdienst« der Diözese St. Pölten hat bereits deutlich weniger Arbeit zu erledigen. Die Diözese Linz beschäftigt fünf Exorzisten, deren Namen streng geheim sind. Austreibungen hat es dort in den vergangenen Jahren jedoch keine mehr gegeben. Es stünden nicht einmal in jeder der neun Diözesen geprüfte Exorzisten zur Verfügung, beklagt Scala. Dabei ist das laut Kirchenrecht aber vorgeschrieben.

Dass der Exorzismus einst normiert wurde, geschah nicht ohne Anlass. Das Mittelalter war eine fruchtbare Zeit für ein bunt schillerndes Volksbrauchtum. »Ganze Ställe« seien dem Tier-Exorzisten vorgeführt worden. Maschinen, Landwirtschaftsgerät, sogar Waffen wurden von bösen Geistern gereinigt und der Beelzebub gebannt. Seh- und Hörbehinderte habe man zum Teufelsaustreiber geschickt, da man glaubte, ein Dämon blockiere die Sinnesnerven. Epilepsie, Alkoholismus, Hautausschläge: Wo die altbewährten Hausmittel nicht wirkten, half der Priester.

Auch Nonnen sollen Teufelsaustreibungen vorgenommen haben. »Wildwuchs und Aberglaube« hätten den Volksglauben durchdrungen, erklärt Scala. Doch als die Schäfchen begannen, den Satan als ebenbürtiges Gegengewicht zu Gott anzusehen, wurde es den Hirten zu viel. »Gott hat alles geschaffen, auch die Dämonen«, erklärt Scala. Um diese Lehre ein für allemal festzuschreiben, schuf das Konzil von Trient im 16. Jahrhundert gleichsam eine Art DIN-Norm für die Teufelsaustreiberei. Sie ist bis heute geltender Standard in aller Welt.



Man dürfe Besessene nicht einfach sich selbst überlassen

Dort, wo man es am wenigsten erwarte, lasse sich der Dämon am liebsten nieder, sagt Monika Scala: »In den kleinbürgerlichen Familien, wo scheinbar alles schön ist.« Um nicht in seine Fänge zu geraten, helfe nur das Gebet. »Das ist der beste Schutz gegen Besessenheit.« Wenn er sich aber einmal eingenistet habe, der böse gefallene Engel, dann wehre er sich hartnäckig, aus seinem bequemen Nest in der Menschenseele wieder auszufahren. Mit aller diabolischer Macht verteidige er sein Refugium und verursache krampfhafte Anfälle. Der Besessene reagiere mit aggressiver Abneigung auf religiöse Symbole, mobilisiere übermenschliche Kräfte. Da würden weder Psychopharmaka noch Therapie helfen, nur der energische Befehl eines Priesters an den Dämon: »Weiche!« Kritikern der Dämonenaustreibung wirft Scala vor, hartherzig zu sein: »Diese Menschen sind doch gequält, man darf sie nicht achselzuckend allein lassen.«

Das Ritual selbst sei »sehr anstrengend«, für den Besessenen ebenso wie auch für den ausführenden Priester. Die offizielle Lehre sieht deshalb maximal einstündige Sitzungen vor, die in regelmäßigen Zeitabständen wiederholt werden. Wie viel das koste? Scala schüttelt den Kopf: »Das sind kostenlose Leistungen, welche die katholische Kirche aus Liebe zum Menschen erbringt« und fügt hinzu: »Eben nicht so wie die Psychotherapie, für die man teuer zahlen muss.«


Mittlerweile ist Scala wissenschaftliche Assistentin am Pius-Parsch-Institut für Liturgiewissenschaft in Klosterneuburg, das sich dem Wirken eines Kirchenreformers widmet. Dass den Menschen heute auch der Exorzismus ein Begriff ist, sei vor allem dem Hollywood-Kassenschlager The Exorcist aus dem Jahr 1973 zu verdanken, meint Scala.

Zwei tapfere Jesuiten treiben darin unter Einsatz ihres Lebens sowie damals spektakulärer Spezialeffekte einem geifernden, schreienden und über die Zimmerdecke krabbelnden zwölfjährigen Mädchen den Teufel aus. In ihrer Doktorarbeit befindet Scala, dass kein anderer Film den liturgischen Riten der katholischen Kirche so viel Raum schenke. Erstmals seit der Aufklärung sei es gelungen, einer kritisch-rationalen ungläubigen Öffentlichkeit den Sinn für das Dämonische zu schärfen. Denn eines sei evident, so die Theologin, die ihre Aussagen mit einem Zitat des marxistischen Philosophen Ernst Bloch belegt: »Das Böse ist doch da!«
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