Nachdem wir in unserer Gemeinde drei Paare hatten, die unverheiratet zusammenleben wollten, hab ich dieses Lehrthema als "Pflichtveranstalung für Alle" in unserer Gemeinde gehalten.
“Wir lieben uns auch ohne Trauschein!”
Sexualität und Ehe im Zeitalter des Individualismus
Lehrthema aus unserer Gemeindebibelschule der Freien christlichen Gemeinde Fehmarn
Teil 1
1.1 Einleitung
Im Zusammenhang mit dem Thread "Ehescheidung und Wiederheirat haben wir auch über das Thema "Nichteheliche Beziehungen" gesprochen.
Nachdem wir in unserer Gemeinde drei Paare hatten, die unverheiratet zusammenleben wollten, hab ich dieses Lehrthema als "Pflichtveranstalung für Alle" in unserer Gemeinde gehalten.
In kaum einem zweiten Bereich des Lebens wird der individuelle Entscheidungsraum stärker greif- und erfahrbar als auf dem Gebiet der zwischen-menschlichen Beziehungen, insbesondere der Beziehung zwischen den Geschlechtern.
In seinem Fahrwasser vollzieht sich seit Ende der 60er Jahre ein sozialer und ethischer Bewusstseinswandel, der nicht nur zu einer breiten gesellschaftlichen Infragestellung der Ehe geführt hat, sondern der auch in der christlichen Gemeinschaft.
Ist die Ehe heute noch eine biblische Notwendigkeit, darf man in der Gegenwart Gottes unverheiratet, also eheähnlich zusammenleben, und ist die Bibel in dieser Frage nicht überholt?
In der Politik ist in nahezu allen im Bundestag vertretenen Parteien – mit Ausnahme der CSU – die Ehe als Leitbild für das partnerschaftliche Zusammenleben aufgegeben worden. Es wird nach wie vor wird an der Familie als der wesentlichen Grundform des menschlichen Miteinanders festgehalten.
Sie wird aber nicht mehr selbstverständlich mit der Lebensform der Ehe in Verbindung gebracht, sondern kann sehr unterschiedliche – eben individuelle – Lebensgemeinschaften bezeichnen – in der Welt.
Was vor über 30 Jahren seinen Ausgang in einer studentischen Bewegung linker Provenienz nahm, hat heute nicht nur nahezu alle gesellschaftlichen Schichten erreicht, sondern längst auch Kirche, Gemeinde und – um ehrlich zu sein – auch Pietismus und Evangelikalismus durchdrungen.
Der individualistische Bewusstseinswandel ist so tiefgreifend, dass es für junge und ältere Menschen nicht selten wie eine Relikt aus längst vergangenen Zeiten erscheinen muss, wenn Christen nach wie vor um das Leitbild der Ehe und um eine biblisch verantwortete Sexualethik ringen.
Die Gründe für den zunehmenden Wunsch nachindividueller Gestaltung von Partnerschaften mit unterschiedlichen Verbindlichkeitsgraden sind freilich vielschichtig.
Der wichtigste Faktor für die zunehmende Auflösung der Institution der Ehe ist nicht die zeitgeschichtliche Interpretierbarkeit der Bibel, sondern der geistesgeschichtliche Wandel seit der sogenannten Aufklärung.
In dem Maße, in dem der Mensch nicht mehr Gott und seine Offenbarung, sondern sich selbst als den Mittel- und Bezugspunkt seiner Existenz begriff, war auch die von Gott gesetzte Ordnung der Ehe mit einem Verfallsdatum versehen.
Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der sich selbst bestimmende Mensch dazu überging, sich seine Lebensregeln und Lebensformen nicht mehr von Gottes Wort vorschreiben zu lassen, sondern sie selbst zu bestimmen.
Der Philosophie der Aufklärung entsprechend betrachtete man den Geschlechtsverkehr stets dann als grundsätzlich gerechtfertigt, wenn er auf die freie Entscheidung der Beteiligten zurückgeht und damit dem aufgeklärten Postulat der Freiheit des Individuums entspricht – ganz gleich, ob er in eine kurz- oder langfristige Beziehung mündet.
Dass sich die Ehe noch 250 Jahre nach der Aufklärung bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein eines gesellschaftlichen Grundkonsenses erfreuen konnte, lag deshalb nicht unbedingt an einer biblischen Überzeugung, die zwar noch lange Zeit von breiten Volksgruppen geteilt wurde, sondern eher an einem gesellschaftlichen Konservativismus und vor allem an der sozialen Stützfunktion, die die Ehe für den Einzelnen hatte.
Diese Stützfunktion musste in dem Moment wegfallen, in dem der soziale Wohlstand einen Standard erreicht hatte, der den Verzicht auf eine “Versorgungsgemeinschaft” wie die Ehe erlaubte.
1.2. Sexualethischer Individualismus als Phänomen der “Luxusgesellschaft”
Es wird oft nicht genügend deutlich, dass die Ehe über Jahrtausende hinweg nicht nur die von Gott gesetzte Form der Partnerschaft, sondern auch eine “Überlebensgemeinschaft” war.
Der Lebenserhalt basierte auf der Verbindung von Erwerbs- und Erziehungsarbeit. Während die Erwerbsarbeit das eigene Überleben in der Blüte des Lebens sicherte, diente die Erziehungsarbeit einerseits dem Überleben der Kinder und andererseits aufgrund nicht vorhandener Sozialversicherungen dem eigenen Überleben im Krankheitsfall und im Alter.
Wenn ein Ehepartner früh starb, was angesichts von Seuchen, Epidemien und Hungersnöten bis ins 19. Jahrhundert keine Seltenheit war, bedeutete dies häufig die soziale Verelendung der hinterbliebenen Familie.
Trat der seltene Fall ein, dass eine Ehe geschieden wurde, kam zum sozialen Elend auch noch die gesellschaftliche Ächtung hinzu.
Mit der rechtlichen und sozialen Absicherung durch die Bismarck’sche Sozialgesetzgebung Ende des 19. Jahrhunderts und dem wachsenden sozialen Wohlstand in der Nachkriegszeit, nahm umgekehrt die Plausibilität der Ehe und Familie als Sozialver-sicherung ab.
Eine Scheidung oder Trennung bedeutete auch mit Kindern nicht mehr den Schritt ins soziale und gesellschaftliche Abseits, da familienunabhängige Sicherungen als soziales und rechtlich verbürgtes Netz fungierten.
Gleichzeitig stieg dadurch auch die Bereitschaft, sich den Belastungen einer Partnerschaft durch Trennung zu entziehen.
Der Individualismus, die Beliebigkeit der Beziehungen stellt deshalb im Blick auf Sexualethik und Lebensformen ebenso wie der Toleranzgedanke ein Phänomen der “Luxusgesellschaft” dar (“Die Freiheit nehm’ ich mir!”).
Den Luxus individueller Lebensgestaltung ebenso wie den Luxus individueller Glaubensbekenntnisse konnten sich in der Geschichte eigentlich nur Könige, Genies und Narren leisten.
Wenn dieser Luxus heute in den westlichen Gesellschaften von der breiten Volksmasse in Anspruch genommen wird, darf nicht vergessen werden, dass er auf einer weitreichenden Sozialgesetzgebung und umfassendem Rechtsschutz im Falle von Trennungen beruht, die wiederum nur durch das vergängliche Gut sozialen Wohlstands ermöglicht werden.
1.3. Sexualethischer Individualismus als “Pillenphänomen”
Ein weiterer kaum zu überschätzender Faktor ist die seit den 60er Jahren möglich gewordene Form der Schwangerschaftsverhütung durch die Pille und andere neue Verhütungsmethoden, die eine höhere Sicherheit vor ungewollten Schwangerschaften mit sich brachten.
Durch das auf ein Minimum reduzierte Schwangerschaftsrisiko vollzog sich ein fundamentaler Bewusstseinswandel im Blick auf den Sexualakt als solchen.
Zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit fielen Lust und Pflicht bzw. Gabe und Aufgabe im Zusammenhang der geschlechtlichen Vereinigung auseinander.
Das Ergebnis ist eine problematische Veränderung des menschlichen Lebens – und Sexualbewusstseins.
Was für die Ende der 60er Jahre revoltierende Studentenbewegung eine wesentliche Grundlage für die von ihr propagierte sexuelle Eman-zipation von überkommenen bürgerlichen und kirchlichen Moralvorstellungen bedeutete, ist aus biblischer Sicht eine Entstellung der von Gott geschaffenen Sexualität.
Denn durch die Isolierung des Sexualakts von den ihm schöpfungsgemäß zugeordneten Voraussetzungen der Verantwortung, der Verbindlichkeit und des Vertrauens wird Sexualität zum Konsumartikel abgewertet und auf ihren Befriedigungswert begrenzt.
1.4. Sexualethischer Individualismus als Ausdruck postmodernen Denkens
Versucht man das überaus komplexe Phänomen dieses antibiblischen Denkens auf eine knappe Formel zu bringen, so bieten sich die folgenden vier Charakteristiken an:
Der säkularisierte Mensch zeichnet sich dadurch aus, ...
(1) ... dass er sich zunächst einmal nicht um die Zukunft der Menschheit, sondern um seine kleine Welt kümmert (Individualismus, Institutionenkritik).
(2) ... dass er nicht nach ewigen und zeitlosen Wahrheiten fragt und auch nicht nach einer allgemeingültigen Ethik bzw. nach dem, was “man” tut, sondern “durstig” ist nach aktuellen Erlebnissen und Erfahrungen und tut, was ihm gefällt (radikale Diesseitigkeit, Traditionsabbruch, Beliebigkeit,
(3) ... dass er möglichst kurzfristig entscheidet und dabei möglichst wenig Bindungen und Verbindlichkeiten eingeht und das nur für eine begrenzte überschaubare Frist (Un- bzw. Kurzzeitverbindlichkeit, “Last-minute”-Mentalität).
(4) ... dass er sich nur noch für Angebote entscheidet, die ihm möglichst wenig Zeit abverlangen und ihm möglichst schnell möglichst viel bringen (unmittelbare Effizienz und Plausibilität).
Werden diese vier “Formeln ” auf den Lebensbereich der Sexualethik und Ehe angewandt, dann ist unschwer zu erkennen, dass die Auflösung der Ehe auf der einen und Phänomene wie “One-night-stands” (Intimbeziehungen für nur eine Nacht), “Lebensabschnittspartner” und “Patch-work-families” (Familien mit Partnern und Kindern aus unterschiedlichen Beziehungen) auf der anderen Seite Folgeerscheinungen eines denkens sind, das mit der Bibel nicht das Geringste zu tun hat.
Die von Gott für das gesamte Menschenge-schlecht gesetzte Institution der Ehe basiert dagegen auf völlig anderen Grundwerten als das postmoderne Denken unserer Zeit.
Von daher erscheint es nur folgerichtig, dass die Ehe in die “Krise der Institutionen” hineingezogen wird, wie sie auch Parteien, Kirchen, Gewerkschaften usw. erleben.
Denn alle Institutionen leben von Menschen mit einem überindividuellen Interesse und der Bereitschaft über eine lange Frist hinweg persönliche Opfer zur Durchsetzung einer bestimmten Wahrheit zu erbringen.
Es ist bezeichnend für unsere Zeit, dass Politik und Wirtschaft nicht mehr funktionieren. Unsere antigöttliche Gesellschaft funktioniert nicht mehr, weil der Mensch seine individuelle Freiheit zum höchsten Gut erklärt hat und Werte wie Verbindlichkeit, Treue, Wahrheit und Allgemeinwohl auf der Strecke bleiben.
Meine Überzeugung ist, dass es zwischen dem, wie wir beliebig miteinander umgehen und dem Zustand der westlichen Welt einen kausalen Zusammenhang gibt.
Wir haben Gottes gute Ordnungen verlassen und dabei unsere Beziehungen weitgehend zerstört.
Davon erzählt heute jede zweite Scheidung und eine halbe Million Abtreibungen im Jahr, von Kindern, die durch permanente Grenzüber-schreitung gezeugt wurden, und denen die individuelle Freiheit des Menschen das Recht auf Leben abspricht.
Es gibt weitere Auswirkungen, z.B. auf die Arbeitswelt, etc., aber ich wollte das heute nur anreißen, denn ich möchte dahin, dass wir verstehen, was es nach der Bibel mit der Ehe auf sich hat.
Fortsetzung folgt