Das Selbstverständnis als Volkskirche aufgeben?
02.02.2021
v. l.: Der Pfarrer und Publizist Jochen Teuffel und der Referent des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes für Neugründung und Neubelebung, Oliver Ahlfeld. Fotos: Privat
Wetzlar (IDEA) – In der evangelischen Kirche wird neu über den Begriff „Volkskirche“ diskutiert. Anlass ist ein Impulspapier des Ständigen Theologischen Ausschusses der rheinischen Kirche unter dem Titel „Lobbyistin der GOTT-Offenheit“. Darin heißt es, der Mitgliederschwund entleere den Begriff „Volkskirche“.
Soll sich die Kirche von diesem Selbstverständnis verabschieden? Dazu äußern sich zwei Theologen in einem Pro und Kontra für die Evangelische Nachrichtenagentur IDEA (Wetzlar).
Pro: Volkskirche reduziert das Evangelium auf den kleinsten gemeinsamen Nenner
Der Pfarrer und Publizist Jochen Teuffel (Vöhringen/Iller) hält es für „gut, wenn der Begriff ‚Volkskirche‘ aus dem kirchlichen Vokabular verschwindet“. Es seien nicht nur die fortschreitende Entkirchlichung in der Bevölkerung und der zunehmende Anteil von Menschen mit fremdstämmiger Herkunft, die einen Identitätsanspruch von Kirche und Volk haltlos machten.
Die Kirche Jesu Christi als auserwähltes „Volk Gottes“ lasse sich nicht ethnisch bestimmen bzw. national voneinander abgrenzen. Vom Evangelium her gelte Kirche als die versammelte „Gemeinde von Schwestern und Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt“ (These 3 der Barmer Theologischen Erklärung).
Teuffel zufolge führt ein „volkskirchlicher“ Inklusionsanspruch dazu, „dass die Gottesbotschaft des Evangeliums semantisch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner des allgemein zumutbar Bedeutsamen ausgedünnt wird“. Eine solche Verkündigung könne keine nachhaltige Resonanz bei Gläubigen finden und verliere sich im Konzert selbstgefälliger Lebensbotschaften.
Kontra: Was im lebendigen Glauben geschieht, hat eine Menge Kraft
Die Gegenmeinung vertritt der Referent des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes für Neugründung und Neubelebung, Oliver Ahlfeld (Kassel). Wie er schreibt, ist die „Erosion von Volkskirche“ zwar unbestreitbar, aber in dieser entstünden auch Aufbrüche. Sie resultierten aus „visionär-verheißungsorientierten Herzen“ und einem fröhlichen „ora et labora“ (bete und arbeite).
Ahlfeld verweist etwa auf neue Formen von Kirche – die „Erprobungsräume“ in Mitteldeutschland – sowie das „leider beendete“ Projekt „kirche²“ in Niedersachsen. Was dort auf den Weg gebracht worden sei und was an vielen kleinen Orten in den Landeskirchen und Gemeinden „im lebendigen Glauben“ geschehe, habe eine Menge Kraft.
Ahlfeld: „Eine von der Mehrheit der Bevölkerung getragene Volkskirche mag es schon länger nicht mehr geben.“ Aber wo sich Kirche dagegen nicht allein über Zahlen definiere oder einfach nur irgendwie vorhanden sei, sondern in konkreter Gestalt „Salz und Licht“ werde, sei immer beides: Gegenwart und Zukunft.