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"Die Kirchentür bleibt offen"


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Rolf

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"Die Kirchentür bleibt offen"
 
 
 
Der Evangelische Kirchenkreis Berlin Stadtmitte hat in den vergangenen Jahren Briefe an alle Menschen in seinem Bezirk geschrieben, die aus der Kirche ausgetreten sind. Der Kirchenkreis wollte von diesen circa 9.000 Ausgetretenen die Gründe dafür wissen, warum sie der Kirche den Rücken gekehrt haben. Ungefähr 1.600 Menschen haben per Fragebogen geantwortet. Im Interview fasst der Berliner Pfarrer und Projektleiter Alexander Brodt-Zabka die wichtigsten Erkenntnisse zusammen und beschreibt auch, wie diese zukünftig die Arbeit des Kirchenkreises beeinflussen können.
 

Können Sie die wichtigsten Ergebnisse der Befragung in Kurzform erläutern?

 

Alexander Brodt-Zabka: Bei der Untersuchung der Fragebögen, bei denen Mehrfachnennungen möglich waren, hat sich gezeigt, dass mit gut 60 Prozent finanzielle Aspekte am häufigsten als Grund für den Kirchenaustritt genannt wurden. Gut 30 Prozent der Befragten begründen ihren Austritt damit, dass sie mit dem christlichen Glauben nichts mehr anfangen können und rund 20 Prozent wollen mit ihrem Austritt gegen kirchliche Äußerungen zu politischen oder anderen Fragen des öffentlichen Lebens protestieren. Beispielsweise haben sich AfD-nahe Menschen von der Kirche distanziert. Mit circa 8 Prozent wurde deutlich seltener als Anlass für den Kirchenaustritt negative persönliche Erlebnisse mit einer Pfarrerin oder einem Pfarrer oder einem anderen kirchlichen Mitarbeiter genannt, hier gilt es natürlich, sehr differenziert hinzuschauen.

 

 

Gab es bei den Antworten der Ausgetretenen für Sie überraschende Aspekte?

 

Brodt-Zabka: Die zurückgesendeten Fragebögen tragen oft auch einen persönlichen Kommentar. Mich hat dabei häufig das Nicht-Wissen der Menschen erschreckt. Beispielsweise begründen Menschen ihren Kirchenaustritt damit, dass sie homosexuelle Liebe für gleichwertig wie die Liebe zwischen Mann und Frau halten. Genau das ist ja auch die Haltung der Evangelischen Kirche. Doch anscheinend wissen das viele Menschen nicht. Außerdem haben mich Rückmeldungen zum Nachdenken gebracht, in denen Menschen geschrieben haben, dass der Brief mit Fragebogen anlässlich ihres Austritts der erste Kontakt mit der Evangelischen Kirche seit vielen Jahren gewesen sei. Das finde ich schlimm. Ich denke, mindestens einmal im Jahr sollte jedes Gemeindemitglied auf ganz altmodische Weise den Gemeindebrief im Briefkasten finden.

"Evangelisch sein ist kein wichtiger Bestandteil mehr ihrer Identität"

 

Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Ergebnissen?

 

Brodt-Zabka: Ich sehe den Grund für Austritte vor allem darin, dass viele Menschen immer stärker ihre Bindung an unsere Kirche verlieren. Dieser gesellschaftliche Prozess wird sicherlich nicht aufzuhalten sein, doch hier müssen wir ansetzen. Auch wenn die Menschen "finanzielle Gründe" am häufigsten für ihren Austritt nennen, heißt das für mich übersetzt, dass ihnen die Kirchenmitgliedschaft einfach das Geld nicht mehr wert ist. Die Menschen fragen, was bringt mir das? Und ihre Antwort ist: Nichts. Evangelisch sein ist kein wichtiger Bestandteil mehr ihrer Identität.

 

 

Wie könnte der Kirchenkreis denn diese Erkenntnis nutzen?

 

Brodt-Zabka: Ein wichtiger Punkt ist die Mitgliederpflege. Ich stelle mir das so vor, dass die Gemeinden mindestens zu Ostern und Weihnachten einen schriftlichen Gruß an ihre Mitglieder schicken sollten. Außerdem müssen die Menschen persönlich angesprochen werden, und zwar nicht nur im Gottesdienst.

 

Können Sie dazu konkrete Beispiele aus Ihrem Kirchenkreis nennen?

 

Brodt-Zabka: Beispielsweise geht es darum, dass wir auf Straßenfesten präsent sind. Zum Beispiel auf dem Motz-Straßenfest in Schöneberg, da habe ich schon viele Jahre am Stand der Evangelischen Kirche gestanden. Häufig bin ich dabei mit Menschen ins Gespräch gekommen, teilweise habe ich dann sogar als Seelsorger vor Ort gearbeitet. Ich habe dort viele Menschen getroffen, die das Bedürfnis hatten, einem Pfarrer von ihrem Leben, ihren Sorgen zu erzählen. Ein anderes Beispiel sind Besuchsdienstkreise. Gewöhnlich werden häufig nur Senioren besucht, ich fände es wichtig, auch auf die jüngeren Menschen zuzugehen, beispielsweise zu ihrem 18. Geburtstag. Mehr als zwei Drittel der Ausgetretenen in unserem Kirchenkreis sind jünger als 40 Jahre alt. In den Fragebögen haben viele die Konfirmation als wichtiges Lebensereignis genannt, aber danach bricht die Bindung zur Kirche häufig weg.

 

 

Mit welchen Angeboten oder Aktionen wollen Sie gerade bei Menschen im mittleren Alter die Kirchenbindung erhöhen?

 

Brodt-Zabka: Auch und vielleicht gerade hier in der Großstadt spüre ich bei den Menschen eine tiefe Sehnsucht nach Sinn und Lebensdeutung, Spiritualität und Kontemplation. Um diesem Bedürfnis nachzukommen, braucht es Pfarrer und Pfarrerinnen, die mit den Menschen darüber sprechen und entsprechende Angebote machen. Heute ist das Pfarramt arg belastet durch Verwaltungstätigkeiten. Wenn kleiner werdende Gemeinden zusammengelegt werden, entsteht oft die Möglichkeit, einen Geschäftsführer oder eine Geschäftsführerin einzustellen, der oder die die Verwaltungstätigkeiten übernimmt. Ich begrüße solche Entwicklungen, da dann den Pfarrern und Pfarrerinnen mehr Raum und Zeit für geistige Arbeit bleibt.

 

Auf welche Weise könnte die Kirche zudem das Bedürfnis der Menschen nach Spiritualität stillen?

 

Brodt-Zabka:  Eine Möglichkeit ist es, Angebote allein durch die Präsenz unserer wunderbaren Kirchengebäude zu schaffen, hier kann das Bedürfnis nach Kontemplation gestillt werden. Es geht beispielsweise darum, den Altarraum als "heiligen Raum" wahrzunehmen, dort eine Atmosphäre zu gestalten, die zu Stille und Einkehr einlädt. Wir haben in unserem Kirchenkreis beschlossen, dass alle Kirchen als Gebäude erhalten bleiben. Wenn die Mitgliederzahl zu klein wird, um eine Kirche noch weiterhin mit Leben zu füllen, schauen wir, dass das Gebäude auf andere Weise möglichst mit geistigem Leben erfüllt werden kann.

 

 

Können Sie dazu ein Beispiel nennen?

 

Brodt-Zabka: Da gibt es beispielsweise den "

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". Der Konvent hat ein Kirchengebäude vitalisiert, die frühere Reformationskirche. Christen und Christinnen aus Süddeutschland, die sich zu einer selbstständig organisierten Gemeinschaft zusammengeschlossen haben, haben die nicht mehr genutzte Kirche gesehen und sich überlegt: Die wollen wir für unsere geistliche Arbeit haben. Es war ein langer Prozess, doch heute werden dort wieder Gottesdienste gefeiert, es gibt eine Kita mit über 100 Plätzen, eine interkulturelle Theatergruppe, bald soll ein Café eröffnet werden. Der Ort strahlt Vitalität aus und erreicht die Menschen im Kiez. Ein anderes Beispiel ist das "

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" in der Schönhauser Allee. Als die Kirche nicht mehr genutzt werden konnte, ist der dortige Pfarrer auf die Suche gegangen, eine evangelische Kommunität zu finden, die die Räume übernehmen will. Das ist geglückt. Heute gibt es in dem Stadtkloster Seminare, Gästezimmer, jeden Sonntagabend Gottesdienste, die AbendbeSINNung und sogar der Turm wird gerade neu saniert. Außerdem finden regelmäßig christliche Kontemplations-Workshops statt, ich selbst leite dort manchmal christliche Schweige-Meditationen an.

 

Wie wird der Kirchenkreis die Ergebnisse an die Pfarrer/innen kommunizieren?

 

Brodt-Zabka: Das ist bereits passiert. Die Ergebnisse wurden verbreitet und wir haben lange darüber beim Pfarrkonvent diskutiert und sind weiterhin regelmäßig im Gespräch.

 

Warum finden Sie persönlich das Projekt mit der Befragung zum Kirchenaustritt wichtig?

 

Brodt-Zabka: Auf jeden Fragebogen, der ausgefüllt zurückkommt, antworte ich noch einmal. Die Menschen bekommen eine Karte, auf der eine halboffene Kirchentür zu sehen ist, symbolisch soll dies bedeuten, dass die Tür zur Kirche nie ganz zu ist. Außerdem schreibe ich häufig auch noch einen persönlichen Gruß dazu. Ich finde es ganz wichtig, dass die Menschen, die ausgetreten sind, nicht als letztes Wort zu ihrem Kirchenaustritt auf dem Amt hören "das macht dann 31 €" sondern, dass ihr letzter Kontakt mit der Kirche ein Gruß von einem Geistlichen ist.

 


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