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ZEUGEN JEHOVAS


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Rolf

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DER SPIEGEL 30/1961




ZEUGEN JEHOVAS





Väterchen Frost

SEKTEN


Tausend Zimmerleute, Installateure und Erdarbeiter - sämtlich freiwillige, unbezahlte Helfer - verwandeln in diesen Tagen die große Festwiese des Hamburger Stadtparks in einen "Königreichsaal unter freiem Himmel".
In diesem windigen Lokal will eine religiöse Sekte tagen, die insgesamt über 700 000 Mitglieder zählt, in der zivilisierten Welt aber nicht auftreten kann, ohne belächelt oder verfolgt zu werden: die Zeugen Jehovas.
Missionseifrigpredigen die inAmerika heimischen Sektierer, daß sich Gott vor der Welt rechtfertigen müsse, weil er Luzifer erlaubt habe, Menschen, Staaten und Kirchen, einschließlich des Papstes in Rom, zu vergiften.
In dem hansestädtischen Saal ohne Dach wollen die Zeugen vom 18. bis zum 23. Juli einen internationalen Kongreß mit Delegierten aus 50 Ländern abhalten. Für die Tage der Erbauung werden 75 000 Stühle aufgestellt, Proviant -Zelte errichtet und 12 000 Blumen eingepflanzt.

Inmitten dieser Bühnenflora wird sich dem Jehova-Publikum eine Dreieinigkeit darbieten, bestehend aus
- dem Chef der weltweiten Organisation, Mister Nathan Homer Knorr aus Brooklyn (New York),
- dem Chef des deutschen Zeugen -Jehova-Zweiges, "Zweigdiener" Konrad Franke aus Wiesbaden, und
- dem Vorgänger Frankes, Erich Frost.

Der sechzigjährige Frost gilt in diesem Triumvirat als ideologische Autorität: Er leitet die Wiesbadener Wachtturm-, Bibel- und Traktat-Gesellschaft, die geistige Zentrale der deutschen Zeugen Jehovas, und ist außerdem verantwortlicher Redakteur des "Wachtturms".
Väterchen Frost, wie er wegen seiner Leutseligkeit in vertrautem Kreis genannt wird, will den würdigen Rahmen unter anderem nutzen, um der 2000 Opfer aus der Zeit des Hitler -Regimes zu gedenken, die seine Sekte zu beklagen hat.

Die Rolle, die Frost selbst auf diesem Leidensweg der Zeugen Jehovas gespielt hat, wird allerdings in überlieferten Gestapo-Akten anders dargestellt, als in einem Aufsatz, den der frühere Leipziger Caféhaus-Musikus Frost noch vor dem Hamburger Kongreß im "Wachtturm" unter dem Titel "Befreiung von
totalitärer liquisition durch Glauben an Gott" veröffentlichte.
Frost bekleidete in der NS-Zeit, als die Zeugen Jehovas in Deutschland nur untergründig wirken konnten, das Amt des sogenannten Reichsdieners. Der Reichsdiener war der oberste Jehova -Funktionär; ihm unterstanden die Bezirksdiener, diesen wiederum die Kreis - und Ortsdiener.
Da die Diener Jehovas sich tapfer gegen das Dritte Reich auflehnten und behaupteten, auch Hitler-Deutschland sei Luzifers Werk, ereilte sie nach 1933 des Führers Auflösungs-Dekret: Büros und Traktat-Druckereien wurden geschlossen, die Vereinsgelder der NS-Volkswohlfahrt übereignet und sämtliche Schriften beschlagnahmt.

Die Zeugen ließen sich aber durch derartige Schikanen nicht unterkriegen. Als 1936 ein Jehova-Kongreß in Luzern beschloß, in Deutschland eine große Flugblatt-Aktion wider das Verbot der Sekte zu starten, konnte Frost alsbald den prompten Vollzug melden. Am 12. September 1936, zwischen 17 und 19 Uhr, wurden in fast allen größeren Städten des Reiches die Flugblätter mit der sogenannten Luzerner Resolution - insgesamt 300 000 Exemplare - unbemerkt in Briefkästen und Türschlitze gesteckt. Außerdem schickten die ausländischen Zeugen Jehovas 20 000 Protest-Telegramme an "Exzellenz Hitler, Deutschland".

Die Jehova-Zeugen verweigerten im Hitler-Deutschland - wie auch weniger gefahrvoll in allen anderen Staaten - den Militärdienst, und zwar sogar in Friedenszeiten und als Sanitäter.

Die aus den USA und aus der Tschechoslowakei ferngesteuerten deutschen Bibelforscher enthielten sich überdies couragiert des Deutschen Grußes. Die Folge: Viele Zeugen Jehovas wanderten im Dritten Reich in die Gefängnisse und Konzentrationslager.

Aber selbst nach einer großen Verhaftungswelle im Jahre 1936 arbeitete die Organisation noch exakt, weil der oberste Funktionärskörper nach wie vor anonym blieb. Das änderte sich erst, nachdem es der Geheimen Staatspolizei 1937 gelungen war, des Reichsdieners Frost habhaft zu werden. Erinnert sich Frost:

Am 21. März, um 2 Uhr morgens, dröhnen heftige Schläge und Fußtritte gegen die Wohnungstür. Binnen weniger Sekunden lasse ich ein dünnes Papierröllchen mit wichtigen Aufzeichnungen in der Matratze der Bettcouch verschwinden, und schon treten zehn Mann der Geheimen Staatspolizei ein: "So, ziehen Sie sich an, Frost. Das Spiel ist aus!"
Nach dieser drehbuchreifen Story seiner Sistierung ist es Frost damals gelungen, die Liste seiner Getreuen vor der Gestapo zu verstecken. Als Frost später vernommen wurde, habe er am "zornigen Wortschwall" der Inquisitoren erkannt, daß "die Brüder... nicht in das Netz geraten (waren), das die Polizei gelegt hatte".

Frost flehte damals, wie er jetzt im "Wachtturm" schildert, tagelang Jehova um Hilfe an, "damit ich um der Brüder willen schweigen könnte". In seiner Leidensgeschichte erweckt Frost denn auch den Eindruck, daß er seinen Vernehmern tatsächlich "wie Daniel in der Löwengrube" widerstand.
Im Haftbuch Nr. 292 des Geheimen Staatspolizeiamtes in Berlin, Dienststelle II B 2, steht es freilich anders. Nach den noch vorhandenen Verhör -Protokollen, die von Frost unterschrieben sind, hat nämlich der Jehova -Reichsdiener am 2., 15., 20., 21., 24., 26. und 29. April 1937 ausführlich über seine Gefolgsleute berichtet.

Frost schilderte - laut Verhör-Protokoll - detailliert die Tätigkeit seiner Organisation und verriet auch zwei Treffpunkte seiner Funktionäre: "der (Berliner) Stadtbahnsteig Alexanderplatz" und "bei Reiche in Zeuthen -Niersdorf, Lange Straße 5".
Schließlich nannte er - laut Verhör -Protokoll - den Gestapo-Leuten auch noch die Namen seiner Bezirksdiener
- Artur Nawroth (Ostschlesien, Grenzmark),
- August Fehst (Westschlesien, Teile
Sachsens),
- Otto Dauth (Berlin, Mark Brandenburg),
- Fred Meier (Westsachsen, Anhalt),
- Walter Friese (Thüringen, Harzgebiet,
Hannover),
- Heinrich Ditschi (Schleswig-Holstein,
Oldenburg, Westfalen, Ruhrgebiet),
- Albert Wandres (Rheinland, Baden
und Württemberg) und
- Karl Siebeneichler (Bayern).

Von diesen Funktionären war damals lediglich Fehst bereits in Polizeigewahrsam, die anderen verloren - wie heute der Frost-Nachfolger. Zweig-Diener Franke, bestätigt - erst später ihre Freiheit; Bezirksdiener Siebeneichler sei sogar im KZ Sachsenhausen gestorben.
Frost selbst durfte nach seinen Verhören durch die Gestapo die Haftzelle mit einer Zwangsarbeitsstelle im Emslandmoor vertauschen, wurde entlassen, kam im Krieg zeitweilig in das Konzentrationslager Sachsenhausen, und "schließlich landeten wir als... SS -Baubrigade auf der (Frankreich vorgelagerten) Felseninsel Alderney".

Auf dieser Kanal-Insel, so schreibt Frost jetzt in seinem "Wachtturm" -Artikel, beobachtete er "in einer sternklaren Nacht... die Invasion der Alliierten".

Zum Schluß des Frost-Berichts - die "Wachtturm"-Ausgabe wird jedem Teilnehmer des Hamburger Kongresses zum besseren Verständnis der Frost-Gedanken in die Hand gedrückt - zitiert der ehemalige Reichsdiener unvermittelt den schwedischen Journalisten Björn Hallström, der über die Leiden der Jehova -Zeugen unter Hitler sagte: "Durch ihren Glauben an Gott gelang es ihnen besser als allen anderen, die Dinge zu überleben."
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