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Nie wieder Harry Potter!


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Nie wieder Harry Potter!






Rüdiger Suchsland 14.07.2011


Möge die Macht mit ihm sein: Götterdämmerung, Fantasy und Aufklärung

Harry Potter kommt zurück! Oder war es doch Karl Theodor zu Guttenberg? Und Sophokles lebt. Oder Wagner. Oder Euripides. Der antike Tragödiendichter schrieb ein Stück, das den Titel "Die Kinder des Herakles" trägt. Und so könnte auch die ganze Harry-Potter-Chose heißen. Irgendwie ist es doch ein merkwürdiges Phänomen, das eine ganze Generation Erwachsener ihren Kindern die Bücher wegnimmt, um sich daran zu ergötzen, dass alles in den Satz mündet: "Alles war gut". Und sich dann gemeinsam einzureden, es handle sich um große Literatur. Eine kollektive Spinnerei, die künftigen Kulturwissenschaftlern einigen Stoff geben wird, wenn sie dereinst den geistigen Verfall des Westens erklären müssen.

"Ist das wirklich real? Oder findet alles nur in meinem Kopf statt?" - Eine gute Frage, die Harry Potter da stellt; aber auch eine gute Antwort, die er bekommt: "Natürlich findet es in Deinem Kopf statt. Aber heißt das, dass es nicht real ist?" Leider nicht.

Menschen, die sonst nie über Kinofilme schreiben, fühlen sich nun berufen, kommen auf antike Tragödien und russische Autorenfilmer, aufs Katastrophenkino... Mythomanie der professionellen Kritik. Oder sie reden in der Sprache der Gläubigen, wie jener critic.de-Autor: "Wer Harry Potter bisher noch nicht begegnet ist, wird diesem Abschluss der Saga nichts abgewinnen können ... Den Wissenden bietet er keinen grandiosen, aber doch würdigen Abschluss der Geschichte." Lustig, wäre es nicht traurig. Es gibt nichts Infantileres als wenn sich Erwachsene heranwanzen an ihre Brut, sie überbieten wollen in den Fächern Herzigkeit und Begeisterung.

Wenn zum Beispiel in der "Welt" ein Vater und eine Tochter schreiben, natürlich nur begeisternd über "Harry Potter", dann ist es naturgemäß der Vater, der den Kindern attestiert, dass "sie zu bedeutenden Gestaltungen des Todesbewusstseins griffen, ohne das Pubertät nicht gelingt". Und es ist die Tochter, die altklug daherredet, auf die "Antigone" des Sophokles kommt, weil sie in Tübingen "Internationale Literaturen" studiert:


Die Radikalität der Ideen von Liebe, Tod und Gerechtigkeit, die in "Harry Potter" aktualisiert werden, erschreckt und fasziniert uns - uns, die wir hineingeboren sind in eine Welt des Postidealismus. Die großen Theorien sind tot, und wir sind Kinder sentimentaler, resignierter Eltern. "Harry Potter" aber lesen wir, gerade wegen der Ideen.

Das ist immerhin mal eine These. Jetzt wüssten wir nur noch gern, wie die junge Frau der "Entzauberung der Welt" trotzen möchte und werden auf ihrer Seite stehen, wenn sie die Resignation der Eltern durch etwas anderes ersetzen will - solange es dann aber bitte nicht gerade Harry Potter ist.

"Alles war gut"

Sieben Bücher, acht Filme in zehn Jahren, 6.3 Milliarden Dollar Umsatz bisher - mit Harry Potter und die Heiligtümer des Todes 2 ("Harry Potter and the Deathly Hallows Part 2") geht jetzt die finanziell einträglichste Serie der Kinogeschichte zu Ende. Weltweit wurden über 400 Millionen Bücher verkauft, lediglich die Bibel und die Mao-Bibel haben Harry Potter überboten. Übersetzt wurden die Bände in 70 Sprachen. Jetzt endet die Serie - in einer Götterdämmerung wagnerianischer Art.

1997 kam der erste "Harry Potter"-Band der britischen Autorin Joanne K. Rowling in Deutschland heraus: "Harry Potter und der Stein der Weisen". Seitdem erschienen "Harry Potter und die Kammer des Schreckens", "Harry Potter und der Gefangene von Askaban", "Harry Potter und der Feuerkelch", "Harry Potter und der Orden des Phönix", "Harry Potter und der Halbblutprinz", "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes". Der erste Band hatte 336 Seiten, der siebte 768. Immer größer, dicker, breiter, fetter.

Mit dem Erfolg dieser Bücher kam eine weltweite Renaissance der Fantasy-Literatur: Die ganze Welt war plötzlich bevölkert von Vampiren, Werwölfen, Drachen, Engeln. Man durfte wieder... einfach sein. Und heute darf man Rowlings Bücher sogar mit Sophokles vergleichen. Der Aufstieg der Fantasy seit den 1990er Jahren geht einher mit dem Aufstieg des Fernsehens als "Blöd-Maschine" (Georg Seeßlen).

"Harry Potter und der Stein der Weisen" kam vor zehn Jahren in die Kinos (die ursprüngliche Zeitangabe war falsch, die Dreharbeiten zum Film begannen im Oktober 2000; Anm. d.Red.) - zwei Jahre nach "Matrix" - und hat wesentlichen Anteil an der Umformung des Kinos ins gegenwärtige "Franchising": Fantasy-Stoffe, die in erster Linie Kinder und Jugendliche ansprechen sollen; Geld, das - nicht weniger als mit Kinokarten - mit Computerspielen und Spielfiguren verdient wird.

Häßlichkeitsarmeen im Stile eines apokalyptischen Kriegsfilms

Schon im ersten Teil des letzten Teils wurde der britische Zauberlehrling zum Antifa-Kämpfer (siehe Harry Potter und der Anfang vom Ende). So geht es nun weiter - die Fans wird hier nichts mehr überraschen, wie immer schon geht es in diesem "Harry Potter" darum, auf der Leinwand zuzugucken, wie die Ideen-Skizzen der Autorin fein säuberlich ausgemalt werden.

Harry muss sterben lernen, wie alle guten Philosophen, und wir ertragen eine Literaturverfilmung, die als Kino enttäuschend ist: Wie in jedem dummen X-beliebigen Blockbuster kämpfen zwei Armeen, wogt das Schicksal hin und her, und am Ende gewinnen die Guten. Das sieht schon gigantomanisch und monumental aus, und ist gigantomanisch uninteressant.

Alles in graublaufastschwarz gemahnt an den "Herren der Ringe" mit seinen wüsten Hässlichkeitsarmeen, guten Steinrittern, die in der literarischen Vorlage gar nicht vorkommen, und bösen Voldemort-Männern. David Yates inszenierte seine Abschlussfilme im Stile eines apokalyptischen Kriegsfilms: "Der durch die Hölle geht", "Apokalypse Now".

Im Unterschied zu diesen wird der Tod hier allerdings als sinnstiftend verstanden. Er beendet die Terrorherrschaft Voldemorts. Das ändert nichts daran, dass ganz Hogwarts am Schluss aussieht wie Berlin nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Alles hat seinen Preis, und nur wo die Gefahr groß ist, kann auch das Rettende seine Größe beweisen. Ein epischer Zusammenstoß von Gut und Böse, dramatisch, emotional und romantisch.

Zugleich dominiert alles eine Sehnsucht nach dem Zauberhaften. Sehnsuchtsbilder, und zwar Anrufungen des Mittelalters britischer Färbung mit Gothic-Touch findet man hier und einen interessant-schillernden Schurken-Doppelagenten, nicht gerade eine Shakespeare-Figur, aber gut: Severus Snape (Alan Rickman) enthüllt sein wahres Wesen immerhin am Ende in einer wahnwitzigen Montage, die nochmal bedauern lässt, dass er in allen Filmen zusammen insgesamt kaum mehr als zehn Minuten zu sehen ist.

Ansonsten wird Harry zu Herakles oder Luke Skywalker, das heißt ein messianischer Langweiler. Überwiegend sieht man hier also flache Handlung, viel Action, haufenweise Kitsch, eindimensionale Figuren und ein pseudorelogiöses Spektakel. Rowling glaubt nicht an Gott, immerhin. Aber sie glaubt an Geister, an Kommunikation mit Toten und ein Leben nach dem Tod. Es ist eine esoterische Welt voll unausgegorener Gedanken.

Es ist auch eine Retrowelt, die die "Harry Potter"-Bücher in der Zauberschule Hogwarts unserer Wirklichkeit gegenüberstellen. Es gibt da allerlei Dinge, die längst aus der Mode geraten sind, wie Kutschen, Bibliotheken und Dampfloks. Was es dafür nicht gibt, ist Humor.

Seichter Trost

Lassen wir also doch einfach den Harry Potter im Dorf. Freuen wir uns an einem seichten Unterhaltungsfilm, in den man nicht mehr hineininterpretieren muss, als was er ist: Flucht und Trost in der anstrengenden Moderne, Revolte gegen die neue Unübersichtlichkeit. Nicht mehr. That's it.

Am Ende der Franchise, der Bücher wie der acht Filme, ist Harry Potter erwachsen geworden, so kann man jetzt allerorten lesen. Mag sein. Aber was ist eigentlich mit dem Kino geschehen? Das Kino, so glaubt man zu sehen, hat sich verzaubern lassen, ist irgendwo am Bahnsteig 9 3/4 im Bahnhof King’s Cross abgebogen und zur Kinderveranstaltung geworden. Und, was weitaus schlimmer ist, die Erwachsenen machen mit. Nothing is well.


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