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Die Natürliche Gemeindeentwicklung nach Christian A. Schwar


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Rolf

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Die Natürliche Gemeindeentwicklung nach Christian A. Schwarz




- Eine kritische Analyse -



Wilfried Plock & Bernd Kälber
Konferenz für Gemeindegründung (KFG)


1996 veröffentlichte Christian A. Schwarz, der Leiter
des früheren Ökumenischen Gemeinde-Instituts Emmelsbüll
(Nordfriesland), in seinem Buch ‘Die natürliche
Gemeindeentwicklung’ Ergebnisse des größten
Gemeindeaufbau-Forschungsprojektes der Christenheit.
1994 hatten er und seine Mitarbeiter begonnen,
1188 Gemeinden in 32 Ländern auf fünf Kontinenten
nach bestimmten Kriterien zu untersuchen. Insgesamt
wurden 34.314 Personen befragt und mehr als
vier Millionen Antworten in einen Computer eingegeben.

Die neu gewonnenen Erkenntnisse lauteten:
”Viele Gemeindewachstums-Dogmen sind nichts als
Mythen.” Und: ”Gemeindewachstum geschieht anders,
als bisher vermutet wurde.” Das Buch ‘Die natürliche
Gemeindeentwicklung’ ist bereits jetzt ein
Mega-Bestseller. Es ist inzwischen in 42 Ländern und
20 verschiedenen Sprachversionen erhältlich.1 1997
erschien ein Folgebuch unter dem Titel ‘Die Praxis der
natürlichen Gemeindeentwicklung’.2

Mitte Januar dieses Jahres nahmen wir in der Nähe
von Stuttgart an einem ‘Seminar für natürliche
Gemeindegründung’ teil, in dem Christian Schwarz
seine Thesen vortrug. Das Treffen wurde vom Gießener
‘Institut für Gemeindeaufbau’ veranstaltet, das
die Schwarz’sche Sichtweise bereits völlig übernommen
hat und sie via ‘Kirche-für-morgen’-Trainer verbreitet
und dabei übrigens auch vor katholischen Kirchengemeinden
nicht Halt macht.3 Das Seminar fand
in den Räumen der ”charismatisch” ausgerichteten
Gemeinde ‘Treffpunkt Leben’ statt.

Wir möchten uns in diesem Artikel kritisch mit der
Natürlichen Gemeindeentwicklung auseinandersetzen
und begründen, warum wir dem Gesamtkonzept
von Christian Schwarz nicht zustimmen können.

I. Was bedeutet ‘Natürliche Gemeindeentwicklung’?

1. Das herkömmliche Denkmuster der Gemeindewachstumsbewegung

Christian Schwarz, der in Bochum, Bethel, Wuppertal
und Mainz Theologie studierte, absolvierte
1986 ein zusätzliches Studiensemester am Fuller
Theological Seminary in Pasadena, USA. Er wurde
insbesondere von Donald McGavran, Peter Wagner
und Win Arn in die Philosophie der Gemeindewachstumsbewegung
eingeführt. Während McGavran das
Wort Gottes noch als Ausgangspunkt seiner Forschung
sah4, entwickelten Wagner und Arn zunehmend
eine Theorie von Gemeindewachstum, die im
Wesentlichen von folgenden Faktoren bestimmt war:
einem oberflächlichen Pragmatismus, einer statischen
Ursache-Wirkung-Logik, einer starken Fixierung auf
Quantität, der Einbeziehung von manipulativen Marketingmethoden
und einer fragwürdigen Machbarkeitsmentalität.5

Zudem war und ist dieser Ansatz
stark modellorientiert. Oft werden erfolgreiche Megagemeinden
als Modell präsentiert und mehr oder
weniger zur Nachahmung empfohlen: ”Macht es wie
wir, und ihr werdet den gleichen Erfolg erleben.”
2. Die natürliche Gemeindeentwicklung
Nachdem erste Studien darauf hindeuteten, daß
sich viele von der amerikanischen Gemeindewachstumsbewegung
gelehrte Theorien empirisch nicht verifizieren
ließen (die Schwarz aber zuvor als gültig
übernommen hatte), startete Christian Schwarz 1994
das umfassendste Forschungsprojekt über Gemeindewachstum,
das je durchgeführt wurde. Als im November 1996 die ersten Ergebnisse der Studie vorlagen,
korrigierte er einige eigene Positionen und
nannte sein ‘Ökumenisches Gemeinde-Institut’ konsequenterweise
in ‘Institut für natürliche Gemeindeentwicklung’
um.

Den Kernpunkt seiner neuen
Sichtweise faßte der Autor ausgehend von Markus
4,26-29 wie folgt zusammen: ”Die natürliche Gemeindeentwicklung
will Gemeindewachstum nicht
‘machen’, sondern ist allein darauf ausgerichtet, die
Wachstumsautomatismen, mit denen Gott selbst seine
Gemeinde baut, freizusetzen.”6

Diese neue Sicht gewann Schwarz nach eigenen
Angaben durch empirische Untersuchungen, durch
Beobachtung der Natur und durch das Studium biblischer
Texte. Schwarz verwarf den modellorientierten
Ansatz der Gemeindewachstumsbewegung und postulierte
in der natürlichen Gemeindeentwicklung
den prinzipienorientierten Ansatz. Anstatt sich auf
ein Modell zu beschränken, werden hier viele Gemeinden
untersucht, um die allgemeingültigen Prinzipien
des Gemeindewachstums herauszufinden. Diese
mittels Abstraktion gewonnenen Grundsätze werden
dann in einem zweiten Schritt auf die konkrete
Situation einer anderen Gemeinde angewandt.

Acht Qualitätsmerkmale

Die Schwarz’schen Untersuchungen sollen beweisen,
daß es acht universale Qualitätsmerkmale für
wachsende Gemeinden gibt (sie beweisen nicht, ob
es wirklich nur acht sind). Wie kam er zu diesen acht
Merkmalen?

McGavran und Arn beschrieben in ihrem Buch
‘Ten Steps for Church Growth’7 bereits 1977 zehn
relevante Faktoren für Gemeindewachstum. Einige
Jahre später sprach Peter Wagner von ‘Sieben lebenswichtigen
Kennzeichen einer gesunden Gemeinde’.

8 Ein Jahr nach seinem Studienaufenthalt am Fuller
Seminary in Pasadena propagierte Schwarz bereits
seine ”Acht Basisprinzipien wachsender Gemeinden”
9, die inzwischen – etwas modifiziert – zu den
”Acht Qualitätsmerkmalen” mutierten (wir sind schon
gespannt, wie sie im nächsten Buch heißen werden).
Wir möchten diese acht Merkmale anführen und
bereits hier einige kritische Anmerkungen machen.


Merkmal 1: Bevollmächtigende Leitung

Schwarz führt aus, daß es einen gravierenden Unterschied
macht, ob ein Leiter vollmächtig oder bevollmächtigend
dient. Bevollmächtigende Leiter investieren
einen Großteil ihrer Zeit in Jüngerschaft, Delegation
und Multiplikation. So wird Gottes Energie
zum Wachstum der Gemeinde freigesetzt. Diesem
Punkt stimmen wir voll und ganz zu.

Merkmal 2: Gabenorientierte Mitarbeiterschaft

”Das Entdecken und Einsetzen von geistlichen
Gaben ist die einzige Möglichkeit, das reformatorische
Konzept des ‘allgemeinen Priestertums’ praktisch
werden zu lassen.”10 Auch hier hat Schwarz absolut
recht. Die Gemeinde ist der Leib des Christus,
der aus vielen, mit Geistesgaben beschenkten Gliedern
besteht. Diese Gaben sollen aktiv in den Aufbau
der Gemeinden eingebracht werden.

Merkmal 3: Leidenschaftliche Spiritualität

Der Autor führt hier aus, daß wachsende Gemeinden
von Hingabe, Elan, Feuer und Begeisterung
geprägt sind. Dem können wir zustimmen. Schade
nur, daß Christian Schwarz der positiven Leidenschaft
pauschal eine gesetzliche Orthodoxie gegenüberstellt.
Mit anderen Worten: Wenn eine Gemeinde
nicht die inzwischen weitverbreitete
”Lobpreisatmosphäre” anstrebt, ist sie bei Schwarz
von vornherein dogmatisch, gesetzlich und orthodox11.
Hier fehlt eine sorgfältige Differenzierung.

Merkmal 4: Zweckmäßige Strukturen


Darunter versteht Schwarz Strukturen, die eine
fortwährende Multiplikation der Arbeit ermöglichen.
Beispiel: Leiter sind nicht nur dazu da, zu leiten, sondern
um weitere Leiter hervorzubringen. Schon in der
Formulierung dieses Merkmals wird hier allerdings
die Gefahr des Pragmatismus erkennbar. Schwarz
wörtlich: ”Was diesem Anspruch nicht gerecht wird,
wird geändert bzw. abgeschafft.”12 So kann er nur
argumentieren, weil Gemeinden, die sich im Blick auf
Strukturen am Neuen Testament orientieren wollen,
für ihn von vornherein ”technokratisch” sind.13

Merkmal 5: Inspirierender Gottesdienst

Der Autor stellt hier die These auf, daß es nicht
entscheidend ist, wie ein Gottesdienst gestaltet wird,
sondern ob der Besuch des Gottesdienstes für die Besucher
eine ‘inspirierende Erfahrung’ ist. Gottesdienst
soll ‘Spaß machen’.

Dieser Ansatz ist ebenfalls zutiefst pragmatisch14
und außerdem extrem anthropozentrisch. Es wird
nicht gefragt: Was ist wahr?, sondern: Was ist wirksam?
Nach unserem Verständnis geht es im neutestamentlichen
Gottesdienst um die Verherrlichung
Gottes, um die Erbauung der Gläubigen und um ihre
Zurüstung zum Dienst (1. Korinther 11-14). Damit
wollen wir ausdrücklich nicht sagen, daß die Teilnehmer
einer solchen Versammlung mit Trauerminen
dasitzen müssen.

Merkmal 6: Ganzheitliche Kleingruppen

Christian Schwarz legt dar, daß die fortwährende
Multiplikation von Kleingruppen das entscheidendste
allgemeine Wachstumsprinzip überhaupt sei. Unter
‘ganzheitlich’ versteht er, daß die Teilnehmer einer
solchen Gruppe wirklich die Möglichkeit haben, sich
mit ihren Fragen und Anliegen aktiv einzubringen.

Merkmal 7: Bedürfnisorientierte Evangelisation

”Schlüssel für den Gemeindeaufbau ist, daß die
Gemeinde ihre evangelistischen Angebote ganz auf
die Fragen und Bedürfnisse der Nichtchristen einstellt.”
15 Dieser Ansatz ist wiederum durch und durch
anthropozentrisch und pragmatisch. Dazu paßt der
Originalton Christian Schwarz: ”Ich würde mich dort
anschließen, wo Gästegottesdienste angeboten werden,
ganz gleich um welche Denomination es sich
handelt.”16 Deutlicher kann er kaum zum Ausdruck
bringen, wie wenig ihm die biblische Lehrausrichtung
und andere schwerwiegende Aspekte neutestamentlichen
Gemeindelebens in der Praxis bedeuten. Systematische
Lehre und Dogmatik riechen bei Schwarz
von vornherein nach ”technokratischem Denken”.17

Merkmal 8: Liebevolle Beziehungen

Es versteht sich von selbst, daß glaubwürdig gelebte
Liebe eine große Ausstrahlungskraft besitzt. Ob
sich der ”Liebesquotient” allerdings so messen läßt,
wie Schwarz es meint, ist eine andere Frage.

Die Minimumstrategie

Im zweiten Teil seines Buches (S. 49-60) führt der
Autor aus, daß eine Gemeinde an allen acht (sind es
wirklich nur acht?) Qualitätsmerkmalen arbeiten sollte,
in der Priorität aber mit dem schwächsten Punkt –
14 ebd. S. 100-102 Es ist nur schwer verständlich, wie Christian
Schwarz unter der Überschrift ‘Warum Pragmatismus
in die Sackgasse führt’ auf Seite 100-102 in sehr
scharfsinniger Weise ‘Sechs Gefahren des Pragmatismus’
anführen kann, aber auf der anderen Seite offensichtlich
pragmatisch denkt und argumentiert.

Minimumfaktor genannt – beginnen sollte. Diese
Methodologie belegt Schwarz mit Analogien aus
dem Bereich der landwirtschaftlichen Mineraliendüngung.
In seinem Buch ‘Praxis des Gemeindeaufbaus’
hatte Christian Schwarz 1987 noch die Ansicht vertreten,
daß sich eine Gemeinde eher auf ihre Stärken
konzentrieren sollte.18 Wie kam es zu diesem bemerkenswerten
Sinneswandel? Schwarz machte offensichtlich
Anleihen bei der ‘Kybernetischen Managementlehre’
(EKS) von Wolfgang Mewes. Was der
Biologe und Chemiker Justus von Liebig im Bereich
der landwirtschaftlichen Düngung entdeckte, wandte
Mewes auf wirtschaftliche und soziale Systeme an.

Er nannte sein Prinzip ‘Engpaß-konzentrierte Strategie’
(EKS). Den Begriff ‘Minimumfaktor’ übernahm
Schwarz wortwörtlich von Mewes.19 Wenn die Schrift
nicht alleinige Grundlage ist, müssen andere Quellen
herhalten – selbst wenn es in einen ”gemeindlichen
Natur-Darwinismus” führen sollte.20

Bleibt die Frage offen, warum Schwarz Gedanken,
Begriffe und Skizzen aus der suspekten Karriere- und
Managementlehre von Mewes übernimmt, ohne deren
Quelle anzugeben. Die Seiten 54-55 in der Natürlichen
Gemeindeentwicklung von Schwarz gleichen
den Seiten 20-21 in Mewes’ Pamphlet wie ein
Ei dem anderen. Wo bleibt hier der wissenschaftliche
Anspruch?

Biotische Prinzipien

In Teil 3 des Buches (S. 61-82) entfaltet der Autor
sechs biotische Prinzipien, nämlich Vernetzung, Multiplikation,
Energieumwandlung, Mehrfachnutzung,
Symbiose und Funktionalität. Zu jedem dieser Begriffe
müßten Anmerkungen gemacht werden; aber
das würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.

II. Kritische Anfragen und grundsätzliche Bedenken

1. Das statistische Material

Mark Twain schlug einmal folgende Steigerungsformen
des Lügens vor: ”Erstens: nobel gemeinte
Notlügen; zweitens: gewöhnliche Lügen und drittens:
Statistik.”21 Was Twain spaßhaft verstanden

wissen wollte, hat durchaus eine ernste Seite. Die
plakative Betonung der gigantischen Zahlen – 1000
Gemeinden in 32 Ländern der Erde auf fünf Kontinenten
– fasziniert zunächst stark. Es entsteht der
Eindruck, daß es sich doch wohl um eine exakte, wissenschaftliche
Untersuchung handeln muß. Überprüft
man jedoch die Vorgehensweise genauer, entstehen
erhebliche Zweifel an der Objektivität der Studie.

Vor allem die Größenordnung des Zahlenmaterials
läßt an der Aussagekraft des Projekts zweifeln.
Nach statistischen Gesichtspunkten, ist für die Aussagekraft
eines Mittelwertes, eine Datenmenge von
mindestens 30 Daten die absolute untere Grenze. Bei
weniger Daten ist es wissenschaftlich indiskutabel,
von Signifikanz zu sprechen. Genaugenommen
spricht man erst ab 100 Daten von echter Signifikanz.

Damit meint man, daß sich der Mittelwert
nicht merklich verschieben würde, wenn man noch
mehr Daten erheben würde,. Beispiel: Werden in einer
Gemeinde 30 Mitglieder befragt, und ergibt die
Auswertung der Fragen für ein Qualitätsmerkmal einen
bestimmten Mittelwert, dann ist dieser Wert
nicht besonders aussagekräftig, denn es ist nicht unwahrscheinlich,
daß wenn man 100 Personen gefragt
hätte, der Mittelwert sich deutlich verschieben könnte,
was für die Aussage über die Qualität der Gemeinde
in diesem Merkmal natürlich einen echten
Unterschied machen würde.

Genauso steht es mit
der Standardabweichung (die besagt, daß wenn man
eine Stichprobe machen würde, mit 68,3 % Wahrscheinlichkeit
das Ergebnis innerhalb von Mittelwert
plus / minus Standardabweichung liegen würde).

Die suggerierte ‘Mächtigkeit’ des Projekts steht unter diesem
Gesichtspunkt in einem ganz anderem Licht dar.
Es wurden pro Gemeinde 30 Personen befragt. Pro
Land waren teilweise deutlich unter 30 Gemeinden
beteiligt. Nur in Deutschland und den USA waren es
über 30 Gemeinden.22 Das heißt, die Mittelwerte
(jeweils für ein Qualitätsmerkmal), die man für eine
Gemeinde bestimmt, und der Mittelwert für ein Land
sind in ihrer Aussagekraft bei weitem nicht in der
Weise wissenschaftlich hoch signifikant, wie Schwarz
das in seinen Büchern und Seminaren verkauft.23

Innerhalb der sozialwissenschaftlichen Methode
ist es zum Teil an der Tagesordnung, mit kleinem Datenmaterial
zu arbeiten – oft einfach aus Kostengründen.
Die Mängel, die daraus entstehen, versucht
man dann durch mathematische Verfahren auszu-
gleichen. Man sollte sich aber vergegenwärtigen, daß
diese Verfahren auf Annahmen der Psychologie und
Sozialwissenschaft beruhen, deren sich die Öffentlichkeit,
die mit den scheinbar rein wissenschaftlichen
Resultaten konfrontiert wird, zum großen Teil nicht
bewußt ist.

Schwarz und Schalk realisieren anscheinend nicht,
daß auch in den Köpfen vieler Christen ‘Wissenschaftsgläubigkeit’
herrscht. Es geht uns nicht um
Unmündigkeit, sondern wir wollen die Frage stellen,
wieso sie kein Wort über die Grenzen der Methode,
die kritische Menge des Datenmaterials und die
Grenzen der Darstellung verlieren. Christoph Schalk
auf eine Frage bezüglich der Schaubilder in dem
Buch ‘Die natürliche Gemeindeentwicklung’: ”Das ist
Illustration und keine Wissenschaft”.24

2. Die tendenziöse Auswahl der 1000 Gemeinden

Auf die Frage, nach welchen Kriterien er die Gemeinden
ausgewählt habe, antwortete Christian
Schwarz folgendermaßen: ”Es mußten evangelikale
Gemeinden sein, die aber offen sind für charismatische
Elemente, oder charismatische Gemeinden, die
wiederum die Bereitschaft haben, von evangelikalen
Gemeinden zu lernen.”25

Wir sind uns darüber im Klaren, daß ein großer
Teil der heutigen Christenheit in diesen Rahmen paßt.
Aber eben nur ein Teil. Die großartigen Gemeindegründungsbewegungen,
die der Herr beispielsweise
in den letzten zwanzig Jahren in Belgien oder im
Salzburger Land geschenkt hat, sind somit den Selektionskriterien
zum Opfer gefallen.

Hinzu kommt die Tatsache, daß in jeder Gemeinde
(ob sie nun zweihundert oder zweitausend Glieder
hat) nur 30 Glieder an der Befragung teilnehmen
durften. Wer garantiert, daß auf eine ausgewogene
Zusammensetzung dieser Gruppe geachtet wurde?
Judith Bork kommentiert diesen Sachverhalt folgendermaßen:
”Nimmt nur ein kleiner Prozentsatz an der
Befragung teil, so besteht die Gefahr, daß man die
‘Qualität’ bzw. den ‘Stand’ einer kleinen ‘Elite’ der
Gemeinde mißt und kein umfassendes Bild von der
Gesamtgemeinde bekommt.”26

3. Die Reduktion des Gemeindewachstums auf acht Merkmale

Wir betonten bereits, daß Christian Schwarz in
der Beschreibung dieser acht Bereiche sehr wertvolle
Gedanken entfaltet hat. Aber warum reduziert er das
komplexe Geschehen des Gemeindewachstums bereits
in der einseitigen Ausrichtung der Fragebögen
auf acht Bereiche?

Mir fehlen da einige unverzichtbare
Faktoren: Spielt etwa das Vorhandensein einer gesunden,
systematischen Lehre und Verkündigung für
Gemeindewachstum keine Rolle? Ist ein Netz gut
ausgebildeter Seelsorger etwa unwesentlich? Sollte
die Komponente von bewußt praktizierten Jüngerschaftsbeziehungen
etwa nur als Unterkategorie auftauchen?

Müßten nicht auch die Faktoren ‘Gebet’
und ‘Gelebte Verbindlichkeit’ als Extra-Bereiche geführt
werden? Wird Gemeindewachstum letztlich
nicht auch durch äußere Umstände wie Religionsfreiheit
begünstigt oder beispielsweise durch Verfolgung
behindert? Könnte es nicht sein, daß eine ganze Reihe
von weiteren Faktoren für Gemeindewachstum signifikant
sind, und daß diese in der Schwarz’schen
Untersuchung nicht vorkommen, weil sie seinem
theologischen Vorverständnis zum Opfer fielen?

Zu einer ähnlich Einschätzung kommt auch Helge
Stadelmann. Unter der programmatischen Überschrift:
”Nehmt den Bibelfaktor ernster!” schreibt er:
”Die acht Basisprinzipien wachsender Gemeinden,
wie immer sie zustande gekommen sein mögen, sind
ergänzungsfähig. Wenn ich Gemeinden – und wenn
es Tausende sind – wissenschaftlich genau auf diese
acht Prinzipien hin befrage, werde ich auch nur Antworten
zu diesen acht Punkten (und ihrem jeweiligen
Minimumfaktor) bekommen.”27

Judith Bork, die sich im Rahmen einer Wissenschaftlichen
Hausarbeit mit Christian Schwarz befaßte,
kommt in ihrer Untersuchung im Blick auf die
damaligen ‘Acht Basisprinzipien wachsender Gemeinden’
des Vorgänger-Modells ‘Der Gemeinde-
Test’ zu dem exakt gleichen Ergebnis: ”Die von
Schwarz durchgeführten Umfragen per Fragebogen
dienten nicht dazu, die Merkmale einer gesunden,
und damit wachsenden Gemeinde, umfassend zu erfassen,
sondern lediglich, die vorhandenen Prinzipien
zu bestätigen und zu verfestigen.”28

Dr. Ken Hemphill beschreibt in seinem Buch ‘Der
Antiochia-Effekt’ ebenfalls acht hoch effektive Merkmale
wachsender Gemeinden, aber interessanterweise
sind es andere Kennzeichen als bei Christian
Schwarz. Hemphill nennt folgende:

1. Übernatürliche Kraft; 2. Christus verherrlichende
Anbetung; 3. Kraftvolles Gebet; 4. Dienende Leiter;
5. Familiäre Beziehungen in der Gemeinde; 6. Eine
gottgemäße Vision; 7. Leidenschaft für Verlorene;
8. Das Hinführen der Gläubigen zur Reife (Jünger-
schaft).29


Kam Hemphill etwa zu einem unterschiedlichen
Ergebnis, weil er andere Fragen stellte?

4. Die einseitige Fragestellung auf den Fragebögen

Es ist hier nicht der Raum, um die Fragebögen in
jeder Hinsicht systematisch zu besprechen. Damit ein
sogenanntes Gemeindeprofil erhoben werden kann,
müssen ein Fragebogen vom Pastor und maximal 30
Exemplare von Mitarbeitern der Gemeinde ausgefüllt
werden. Bezeichnenderweise beziehen sich von 91

Fragen keine einzige auf Lehrinhalte der Gottesdienste,
Kleingruppen oder Sonntagsschulgruppen, wohl
aber ein Großteil der Fragen auf soziologische Aspekte.
Etwa 15 mal wird danach gefragt, wie sich der
Mitarbeiter in bestimmten Gruppen fühlt, wie er gewisse
Veranstaltungen erlebt, was ihm Spaß macht
und ob er etwas spürt.30 Wen wundert es, daß bei
dieser Akzentuierung der Fragen die Ergebnisse so
aussehen, wie sie aussehen!

5. Die Einstichstelle des Zirkels

Obwohl Schwarz auf der einen Seite den Ansatz
der Gemeindewachstumsbewegung ‘Wie bekommen
wir mehr Menschen in den Gottesdienst?’ als pragmatisch
bezeichnet,31 und quantitative Wachstumsziele
in einem Kapitel des Buches sogar untauglich
nennt,32 verfällt er doch bei der Bestimmung des
Außenkriteriums seiner Untersuchung in den gleichen
Fehler: er wählt willkürlich das Wachstum der
Gottesdienstbesucherzahl, obwohl es ihm sonst erfreulicherweise
oft um die Qualität die Gemeindelebens
geht. Schwarz begründet seine Vorgehensweise
wie folgt: ”Was wir am Anfang brauchten war ein einigermaßen
objektiv feststellbares Außenkriterium,
ähnlich wie bei der Entwicklung des Intelligenzquotienten
etwa die Schulzensuren als Außenkriterium
herangezogen werden. Dadurch sollte verhindert
werden, daß wir aufgrund unseres Bibelverständnisses
selbst festlegen, was wir für die Qualität einer
Gemeinde halten...”33

Die Qualitätskriterien einer Gemeinde sollten nach
Schwarz ganz bewußt nicht vom Neuen Testament
her bestimmt werden (unser Bibelverständnis könnte
ja ”spiritualistisch” oder ”technokratisch” gefärbt
sein34). Aber zum Glück gibt es ja die empirische So-
zialforschung des Christian A. Schwarz, die uns nun
endlich mit wissenschaftlicher Genauigkeit zeigen
kann, was die universell gültigen Qualitätsmerkmale
einer christlichen Gemeinde sind. Diese Sicht ist nicht
nur falsch, sondern auch im höchsten Grade anmaßend.

Außerdem gilt es zu bedenken, daß es sich bei
Schwarz um einen Theoretiker handelt, der sich nie in
der rauhen Wirklichkeit des Gemeindeaufbaus seine
Sporen verdienen mußte.

Weiterhin sehen wir in der Wahl des Gottesdienstbesucherwachstums
ein unbewußtes Rudiment
der pragmatisch-geprägten Gemeindewachstumsbewegung.
Warum wird der Zirkel bei der quantitativen
Steigerung der Besucherzahlen eingestochen und
nicht vielmehr bei der Zunahme der verbindlichen
Glieder (oder Mitglieder) einer Gemeinde? Wir sind
davon überzeugt, daß eine Gemeinde letztlich mit
verbindlichen Gliedern gebaut wird – nicht mit Besuchern.

Menschen sollen zuerst für Christus gewonnen
werden und dann in einem Prozeß der Jüngerschaft
getauft, gelehrt und zur Mitarbeit zugerüstet werden.
Das ist qualitatives Wachstum. Weil Christian
Schwarz aber den Zirkel bei einem quantitativen Faktor
einsticht, ergibt sich unseres Erachtens a priori eine
ganz erhebliche Akzentverschiebung. Die Jacke ist
– in einem anderen Bild gesprochen – von vornherein
falsch geknöpft.

6. Unsere größte Sorge

Erst auf den letzten Seiten wird deutlich, worauf
das Buch beim Leser abzielt. Wenn sich eine Gemeinde
entschließt, ein Schwarz’sches Gemeindeprofil
zu erheben, dann ist das keine einmalige Sache.

Es wird empfohlen diesen Test im Abstand von
sechs Monaten mehrmals zu wiederholen, um die
Tendenz abschätzen zu können. ”Natürliche Gemeindeentwicklung
ist keine einmalige Aktion mit einem
statischen Anfangs- und Endpunkt. Vielmehr
geht es um einen Prozeß, der das gemeindliche Leben
langfristig prägt.”35 Dieser Umstand ist zur Beurteilung
des Gesamtkonzepts nicht unerheblich.

Am Ende des Seminars in Stuttgart-Ditzingen
fragten wir Christian Schwarz öffentlich, ob er nicht
die Gefahr sehe, daß die Gemeinden, die sich auf
sein Programm einlassen, in einem schleichenden
Prozeß von den Maßstäben des Neuen Testaments
weggeführt werden könnten – hin zur Optimierung
eines Computer-Ergebnisses. Wir fragten, ob nicht
die Heilige Schrift unbewußt und sukzessive durch
die Normen menschlich-selektiver Kriterien ersetzt
wird. Und schließlich wollten wir wissen, ob jene
Gemeinden durch die intensive Zusammenarbeit mit
dem Institut für natürliche Gemeindeentwicklung
nicht gar in eine gewisse Abhängigkeit zu den Machern
eines sozial-empirischen Forschungsprogramms
geraten. Auf diese dringenden Fragen konnte
Christian Schwarz keine befriedigende Antwort
geben. Übrigens, unsere Bibeln hätten wir an jenem
Tag zu Hause lassen können; sie wurden nicht gebraucht.



Schlußfolgerung

Damit wir nicht mißverstanden werden: wir sind
voll und ganz für Gemeindegründung, Gemeindeaufbau
und Gemeindewachstum – nach den Grundsätzen
des Neuen Testaments. Wir wollen Christian
Schwarz nicht sein aufrichtiges Anliegen sprechen. Er
möchte sicherlich den Gemeinden zum Wachstum
verhelfen. Viele seiner Aussagen mögen richtig sein.

Mündige Christen, die Literatur nach biblischen Kriterien
zu beurteilen imstande sind (Apg.17,11), können
aus den Büchern über ‘Die natürliche Gemeindeentwicklung’
gewiß manche gute Anregung entnehmen.

Die ehrliche Motivation des Autors schützt allerdings
nicht vor Irrtümern und Akzentverschiebungen.
Der Leser wird sich selbst entscheiden müssen zwischen
einem Gemeindebau nach neutestamentlichen
Grundsätzen oder nach der sozial-empirischen Statistik-
Forschung des Christian Schwarz. Aus den genannten
Gründen halten wir es für nicht zu verantworten,
seine Publikationen uneingeschränkt zu
empfehlen.

Jede Gemeinde hat das Recht, das Angebot ihres
Büchertisches selbst zu bestimmen. Allerdings halten
wir es für alarmierend, daß die Publikationen aus
dem C & P Verlag auf immer mehr Büchertischen bibeltreuer
Gemeinden und Konferenzen zu finden
sind. Wir wünschten vielen Gemeinden mehr Wachsamkeit
und eine ”paradigmatische Blockade” gegenüber
dem Gesamtkonzept von Christian A.Schwarz.

KFG-Redaktion
Internet:

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Literaturverzeichnis

1 C & P Infobrief Nr. 1, Herbst 1997
2 Christian A. Schwarz / Christoph Schalk: Die Praxis der
natürlichen Gemeindeentwicklung, C & P Verlag Emmelsbüll
1997
3 Infobrief des Instituts für Gemeindeaufbau vom Mai
1998, S. 3
4 Donald A. McGavran: Gemeindewachstum verstehen
Wolfgang Simson Verlag Lörrach, 1990, S. 24: ”Der Ansatz,
gültig über Gemeindewachstum nachzudenken, ist
theologischer Natur.... Die Wurzeln der Theologie des
Gemeindewachstums bestehen in unerschütterlichen
theologischen Grundüberzeugungen.”
5 Christian A. Schwarz: Die natürliche Gemeindeentwicklung,
C & P Verlag Emmelsbüll 1996, S. 14
6 Christian A. Schwarz: Die natürliche Gemeindeentwicklung,
C & P Verlag Emmelsbüll 1996, S. 14
7 Donald McGavran & Winfield C. Arn: Ten Steps for
Church Growth, Harper & Row, San Francisco 1977,
S.13 zitiert bei Judith Bork: Die acht Basisprinzipien
wachsender Gemeinden, Wissenschaftliche Hausarbeit
der Freien Theologischen Akademie, Gießen 1995, S. 53
8 Peter C. Wagner: Your Church Can Grow: Seven Vital
Signs of a healthy Church, überarb. Aufl. (Ventura: Regal
Books, 1984), S. 48 zitiert ebd. S. 55
9 Christian A. Schwarz: Der Gemeindetest: kybernetisch
Gemeinde bauen, C & P Verlag Emmelsbüll 1991
10 Christian A. Schwarz: Die natürliche Gemeindeentwicklung,
C & P Verlag Emmelsbüll 1996, S. 24
11 ebd. S. 26-27
12 ebd. S. 28-29
13 ebd. Teil 4 – Ein neues Denkmodell – S. 83-102 Technokratisch
ist bei Schwarz antithetisch zu ‘spiritualistisch’.
Die Synthese heißt ‘biotisch’ (früher: kybernetisch).
15 Christian A. Schwarz: Die natürliche Gemeindeentwicklung,
C & P Verlag Emmelsbüll 1996, S. 35
16 Christian Schwarz wörtlich beim Seminar in Stuttgart /
Ditzigen am 17.1.98
17 Christian A. Schwarz: Die natürliche Gemeindeentwicklung,
C & P Verlag Emmelsbüll 1996, S.83-102
18 Christian A. Schwarz: Praxis des Gemeindeaufbaus: Gemeindetraining
für wache Christen, Schriftenmissions-
Verlag Neukirchen-Vluyn 1987, S. 176
19 Wolfgang Mewes: Die kybernetische Managementlehre
(EKS), W. Mewes Verlag, Frankfurt a.M. 1985, S.20
20 Zu Christian Schwarz’ historisch-kritischem Schriftverständnis
vgl. die Buchrezension ”Die dritte Reformation
– Paradigmenwechsel in der Kirche” in ‘Gemeindegründung’
Nr. 46, S. 26-29
21 Igor Uszczapowski: Optionen und Futures verstehen,
Beck-Wirtschaftsberater im dtv, 1995 S.24
22 Eine Nachfrage bei Christoph Schalk ergab: ”Nicht alle
Länder haben die notwendige Größe der Stichprobenanzahl
von 30; so weit sind wir noch nicht...” (Telefonat
29.4.98)
23 Zu diesem Aspekt haben wir mehr Material gesammelt,
als hier abgedruckt werden kann. Es ist über unsere Geschäftsstelle
erhältlich oder per eMail kostenlos unter:
bkaelber@mail.urz.uni-heidelberg.de
24 Während eines Telefongesprächs am 29.04.98
25 Beim Seminar in Ditzingen / Stuttgart am 17.1.98
26 Judith Bork: Die acht Basisprinzipien wachsender Gemeinden,
Wissenschaftliche Hausarbeit der Freien
Theologischen Akademie, Gießen 1995, S. 91
27 Dr. Helge Stadelmann in Praxis (dessen Schriftleiter Christian
Schwarz damals noch war), Heft 61, 2/95, S.9
28 Judith Bork: Die acht Basisprinzipien wachsender Gemeinden,
Wissenschaftliche Hausarbeit der Freien
Theologischen Akademie, Gießen 1995, S. 77
29 Dr. Ken Hemphill: The Antioch Effect, Broadman +
Holman Publishers Nashville, TN 1994
30 Gemeindeprofil – Fragebogen für Mitarbeiter, C & P
Verlag, Emmelsbüll
31 Christian A. Schwarz: Die natürliche Gemeindeentwicklung,
C & P Verlag Emmelsbüll 1996, S. 15
32 ebd. S. 44-45
33

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vom 25.
März 1998
34 siehe Fußnote Nr. 12
35 Christian A. Schwarz / Christoph Schalk: Die Praxis der
natürlichen Gemeindeentwicklung, C & P Verlag, Emmelsbüll
1997, S. 23



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