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Der Engel


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Rolf

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Der Engel





>Weiblich, blond und atemberaubend schön sind sie, die Engel in der Werbung. Mit den echten Engeln haben sie nichts zu tun. Schon gar nicht sind sie weiblich. Die Boten Gottes wurden in den ersten Jahrhunderten der alten Kirche als bärtige Mannsbilder ohne Flügel dargestellt.

Ein besonders freundliches Image hatten sie auch nicht. Es war schließlich der Engel mit dem Flammenschwert, der Adam und Eva für immer aus dem Paradies warf. Das hat den Mittlern zwischen Himmel und Erde nicht geschadet. Sogar Martin Luther, der der Engelverehrung in der evangelischen Kirche ein Ende setzte, predigte über Michael, neben Gabriel und Raphael einer der drei berühmtesten Engel. Von Luther ist auch der Spruch überliefert: "Wo zwanzig Teufel sind, da sind auch hundert Engel. Wenn das nicht so wäre, dann wären wir schon längst zugrunde gegangen.

Engel überbringen Botschaften im Auftrag Gottes. Sie sind dienstbare Geister. In Zeiten, in denen es weder Telefon noch Fax noch schnelle Verkehrsmittel gab, konnten Nachrichten nur von Boten übermittelt werden. Sie waren gern gesehen, weil sie weit gereist waren und viel zu erzählen wußten. Entsprechend würdig wurden sie empfangen und bewirtet. So ähnlich stellte man sich die Engel vor, als Zwischenwesen, die den Abstand zu Gott überbrücken. Die Bibel ist voller Geschichten, in denen Menschen Besuch von Fremden bekommen, die erst im nachhinein als Boten Gottes erkannt werden. Engel kündigen Wunder an - Abraham und Sara zum Beispiel, daß sie im hohen Alter noch ein Kind bekommen werden. Und Engel retten Leben: Einer weckt Joseph nachts und befiehlt ihm, mit Maria und dem kleinen Jesus nach Ägypten zu fliehen, weil König Herodes alle neugeborenen Knaben umbringen läßt.

Seither versiegen die Geschichten vom Schutzengel nicht mehr, auch wenn viel profanere Gründe eine Rolle gespielt haben mögen: Da hat einer schlicht den Wecker überhört. Die Gondel zur Sternwarte schwebt ohne ihn los - und stürzt ab. Niemand überlebt. Da bleibt einer stehen, obwohl die Ampel grün zeigt, und Sekunden später brettert ein Amokfahrer über die Kreuzung. Da ärgert sich einer schwarz über den verpaßten Zug - es ist der ICE, der in Eschede zerschellt.

Einer, der sich unentwegt mit Engeln beschäftigt, ist Uwe Wolff. Schon Anfang der neunziger Jahre sagte der evangelische Religionspädagoge die Rückkehr der Flügelwesen voraus, schreibt Bücher über sie, hält Vorträge. Mal kommen zehn, mal 350 Zuhörer, im Norden mehr als im Süden, auch mehr Frauen als Männer. Engelerfahrungen kann man nicht beweisen. Männer tun sich mit solcherlei Dingen schwer. Uwe Wolff nicht. Sein Schutzengel griff ein, als er vier war. Da fiel ein Starkstromkabel auf ihn herab, aber eine unsichtbare Kraft riß ihn zurück. Wie sehen sie wirklich aus, die Engel? Wie Raphael, der sich besonders um die Kinder kümmert, wie Michael, der Heilkundige, wie die Putten in den Barockkirchen? Neckisch, mächtig, schelmisch, streng? Alles ist richtig, sagt Wolff, aber nichts ist beliebig. Wir malen und malen, und doch sind Engel nicht abbildbar. "Sie sind ein Spiegel der eigenen Existenz und Vorstellungskraft. Sie tummeln sich im Bereich der unzensierten Phantasie. Dabei sollten wir's belassen", sagt Wolff. "Wer sie verabsolutiert, zerstört das, wofür sie da sind, für die Menschlichkeit Gottes. Ein Engel ist kein Schmetterling. Schmetterlinge sind zu zart. aufspießbar und zu untersuchen." Wie viele andere in der Kirche bedauert auch er das Verschwinden von Mythen. Es ärgert ihn, daß "90 Prozent der Pastoren beim Thema Engel die Hände hochnehmen und auf diese Untergötter nichts geben". Sie sollten, findet er, sich einlassen auf die "Streetworker Gottes", die in Erscheinung treten, wenn die Kirche in die Krise gerät. Der Glaube bricht dann noch lange nicht ab. Die kreative Kraft, sich auf Engel einzulassen, traut Wolff am ehesten dem Kirchentag zu. Sein Optimismus ist ungebrochen: "Kommt alles", sagt er. "Der liebe Gott läßt es schon nicht zu, daß die Engel immer nur an der Kirche vorbeifliegen."

Hans-Albrecht Pflästerer
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