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Von der Kunst zwei Meinungen zu managen


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Rolf

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Von der Kunst zwei Meinungen zu managen





21.10.2008



Tine Winkler




Endlich! Wir haben es geschafft. Nach einigen Wochen (einer gefühlten Ewigkeit) steht auch der letzte Schrank an seinem Platz. Klar, hier und da fehlt noch immer eine Fußleiste, von der Deko ganz zu schweigen, doch die neue Wohnung beginnt unser Zuhause zu werden.

Unsere erste gemeinsame Wohnung aufzugeben war gar nicht so leicht. Doch ein Altbau ist eben alt – antik, lauwarm und teuer. Nicht unbedingt das Richtige für ein junges Studentenpaar, das sich neben Studiengebühren schließlich auch noch ein paar Lebensmittel finanzieren können muss. So ist unsere neue Wohnung ein bisschen kleiner und ohne Erker, dafür aber mit Terrasse.

Noch darüber nachdenkend, an welche Stelle auf der Fensterbank ich die Blumenvase mit den neuen Dekoblumen stelle, platzt Christian heraus: „Wir sollten umziehen.“ Äh, bitte was? Ich versuche einfach hochkonzentriert auszusehen und jede Reaktion zu vermeiden. Doch er bleibt hartnäckig: „Ehrlich, ich kann in dem Zimmer nicht schlafen, es ist zu laut. Wir müssen Schlaf- und Arbeitszimmer tauschen.“ Mein erstes Gefühl: tiefe Erleichterung. Es geht nur um eine wohnungsinterne Umsiedlung. Doch dann wird mir klar, was mein Mann da eigentlich sagt: Auf geht’s, Schränke ausräumen, Kisten packen, alles abbauen, umräumen, aufbauen, auspacken... Hilfe! Wir hatten das Chaos doch gerade erst beseitigt.

Und außerdem waren wir uns doch einig gewesen, was die Zimmeraufteilung angeht. Klar, ich hatte die Möglichkeit eingeräumt, dass wir die Räume tauschen könnten, wenn sich das Zimmer an der Straße doch nicht als schlaffördernd erweisen würde. Aber die Zimmertauschaktion sollte doch nur eine Möglichkeit darstellen. Ein Konjunktiv.

Schnell ist die Diskussion im Gange. Er erklärt: „Die Autos sind zu laut, die Schränke passen nicht ins jetzige Schlafzimmer, mein Schreibtisch kann so nicht stehn ...“ Wild entschlossen, die momentane Zimmeraufteilung zu verteidigen, entgegne ich, die Nische im Schlafzimmer sei aber doch so schön, außerdem hätte mich noch nie ein vorbeifahrendes Auto beim Schlafen gestört.

Wieder einmal müssen wir feststellen, dass wir nicht immer einer Meinung sind.

Auch nach zwei Jahren Ehe stellen wir fest, dass wir uns noch immer in der Zusammenraufphase befinden - und fragen uns, ob diese jemals aufhören wird. Das mit dem 'ein Fleisch sein' hat sich bei uns noch nicht auf alle Lebensbereiche ausgedehnt –da wird die Vermutung langsam zur Gewissheit, dass wir Zeit unseres Lebens Meinungsverschiedenheiten aushalten müssen. Schließlich sind wir zwei ganz individuelle Persönlichkeiten mit ganz individuellen Vorstellungen. In der Praxis scheint es sich zu bewahrheiten, dass wir an uns und unserer Beziehung ein Leben lang arbeiten müssen, damit das Projekt Ehe funktionieren kann.

Und wieder einmal fordert mich die Ehe heraus, etwas für jemand anderen aufzugeben. Ein großes Arbeitszimmer zu haben ist herrlich. Aber deshalb Christian nachts vorbeiratternde LKWs statt Schafe zählen zu hören, ist vielleicht nicht die richtige Alternative. Trotzdem fällt es mir gerade schwer, das einzusehen.

Ich habe mich mit meiner Hochzeit für ein Stück Selbstaufgabe entschieden. Dazu will ich stehen. „Achte einer den anderen höher als sich selbst“. Solange dieser Satz nur eine Floskel bleibt, kann Beziehung nicht funktionieren. Doch sobald wir beide Paulus’ Hinweis ernst nehmen, können wir erleben, wie bereichernd es ist, dem anderen zu dienen – und gleichzeitig ein Bedienter zu sein.

Auch wenn mir die neue Zimmeraufteilung noch nicht vollkommen gefällt, so kann ich mich doch daran gewöhnen. Zumindest habe ich jetzt einen glücklichen Ehemann, der gut schlafen kann...und im neuen Arbeitszimmer einen direkten Platz am Fenster.

Hauptsache, wir tauschen nicht nächste Woche Küche und Badezimmer.
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