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Adel und sexueller Missbrauch


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1.Kor.1,30

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Ein Adliger sein? Es ist die Hölle!

Edward St. Aubyn, Spross des englischen Hochadels, schreibt sich die Schrecken seiner Kindheit vom Leib: Sein Vater hat ihn jahrelang sexuell missbraucht. Nun rückt Aubyn den Snobs des englischen Hochadels mit der scharfen Klinge des Witzes zuleibe.

"Sie wollen die Fakten? Meine Familie ist die Sorte Familie, die im tausend Jahre alten Domesday Book steht. Ein paar der Äcker, die sie damals besaß, besitzt sie noch heute.“ Edward St. Aubyn klingt nicht einmal garstig, wenn er das sagt – mit 47 Jahren ist er über ein bloßes Rebellentum hinaus. Er hat die gepflegten Hände in den Schoß gelegt, die Beine übereinander geschlagen, er spricht sehr leise und hält sich im Zaum.

Edward St Aubyn
Foto: pa/dpa Schriftsteller Edward St. Aubyn - ein Adliger der gegen den Snobismus anschreibt.

Sobald er jedoch von seiner Familie erzählen muss, wirkt er wie einer, der sich gleich in eines jener Erdlöcher verkriecht, in die sich Waldbrandbekämpfer ducken, bevor die große Feuerwalze kommt. Darüber zu sprechen, dass sein Vater ihn als Kind jahrelang missbraucht hat, ist ihm mit Sicherheit auch nicht angenehm, dennoch fällt es ihm offenbar leichter.

Vom Vater missbraucht

St. Aubyn fühlt sich als Schriftsteller aus Leidenschaft, und wenigstens an der Kultivierung seines Talents habe ihn der grausame Vater nicht hindern können. Seine Herkunft hingegen – englischer Hochadel – sei ein enormer Nachteil gewesen und habe seine Schriftstellerwerdung ernsthaft bedroht.

Man kann ihn verstehen. Schließlich ist es so lange nicht her, dass die traditionell zähnefletschende britische Boulevardpresse ihn jagte wie die Meute den Fuchs. Immerhin wohnt St. Aubyns Cousin, der Lord St. Levan, bis heute auf St. Michael’s Mount, dem Gegenstück des Mont-Saint-Michel im Norden Frankreichs – große Teile Cornwalls haben der Familie einst gehört.
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Pate von Prinzessin Dianas Neffen

Nach dem Eroberungszug der Normannen, so steht es in einem von St. Aubyns mittlerweile sechs Romanen, habe sie eben auf der Siegerseite gestanden. Zu allem Überfluss ist Edward St. Aubyn auch noch der Pate von Earl Spencers Sohn Louis, dem Neffen Prinzessin Dianas. Lässt man so einen in Großbritannien ungestört Schriftsteller sein? Zumal, wenn er womöglich „saftige“, jedenfalls recht unverhüllt autobiografische Romane schreibt?

Unter den Bedingungen der Mediengesellschaft ist es tatsächlich ein Wunder, dass Edward St. Aubyn seinen Weg von den Klatschspalten der Boulevardpresse in die Literaturbeilagen seriöserer Blätter und von den Literaturbeilagen seriöserer Blätter bis auf die Shortlist des einflussreichen Booker-Preises gefunden hat. „Wenn die Leute mich fragen“, sagt er, „lüge ich nicht. Aber die Betonung des autobiografischen Gehalts meiner Romane deprimiert mich ein bisschen. Schließlich ist doch nicht die Erfahrung, sondern ihre Transformation interessant.“

Kritiker wollen hinter den Roman sehen

Die Kritiker, sagt er, versuchten ständig, hinter den Roman zurückzukommen, auf irgendeine ursprüngliche autobiografische Erfahrung. „Was immer das dann sein soll, Literaturkritik ist es nicht.“ St. Aubyn kann da sehr formal argumentieren: Wie könne, fragt er beispielsweise, seine Schöpfung er selber sein?

Mit der Schöpfung ist Patrick Melrose gemeint, über den St. Aubyn zum ersten Mal in seinem 1992 erschienenen, jetzt ins Deutsche übersetzten Debüt „Schöne Verhältnisse“ schrieb und vom dem er seitdem nie mehr recht gelassen hat. Auch die Romane „Bad News“ (ebenfalls 1992 erschienen) und „Some Hope“ (1994) erzählen von Patrick und ergeben zusammen, so sagt es St. Aubyn, sein „Porträt des Künstlers als junger Mann“. „Die Art von Roman“, fügt er auf seine manchmal unterkühlte Art noch an, „die die meisten Schriftsteller als Erstes schreiben.“

Patrick heißt Edward St. Aubyns Schöpfung

„Schöne Verhältnisse“ spielt in den Sechzigern und zeigt Patrick mit fünf; in „Bad News“ ist er 22 und im Übrigen so schwer drogenabhängig, wie es auch sein Schöpfer war. Zu seinem Examen, so wird erzählt, sei St. Aubyn mit einem Kugelschreiber voller Heroin erschienen – er bestand es als Schlechtester seines Jahrgangs. „Some Hope“ schließlich, der dritte Roman, zeigt Patrick mit 30, da ist er endlich soweit, von den Schrecken, die ihm widerfahren sind, zu erzählen – wenigstens in privatem Rahmen.

Edward St. Aubyn, sozusagen Patricks Stellvertreter im Realen, ließ es dabei nicht bewenden. Vielleicht eben weil sein Vater ihm für den Fall, dass er den Missbrauch öffentlich machen sollte, mit dem Tod gedroht hatte, musste sein Befreiungsschlag vor aller Augen stattfinden. „Ich habe das erste Kapitel im Oktober 1988 geschrieben“, erzählt er, „hatte dann aber den Eindruck, dass es mich zu sehr mitnahm. Andererseits hatte ich das Gefühl, weitermachen zu müssen. Also begann ich im Oktober 1989 aufs Neue. Es war ein schwieriges Buch.“ Tatsächlich, so hat er andernorts erzählt, wollte er sich damals das Leben nehmen, sollte der literarische Exorzismus misslingen.

Den Missbrauch objektivieren

„So leicht kommst du mir nicht davon“, lässt St. Aubyn seinen Patrick in „Bad News“ sagen, da ist der Vater gerade in einem New Yorker Hotelzimmer gestorben. Und noch in „Mother’s Milk“, St. Aubyns Erfolgsroman aus dem Jahr 2006, dem manch einer den Booker-Preis gewünscht hätte, begegnet der Leser einem Patrick, den die Gewohnheit gewordene Angst zu zerfressen droht. Allerdings sieht St. Aubyn seiner Figur dabei nicht mehr zu, als wäre die ein Fremder. Es sei „befreiend“ gewesen, „Schöne Verhältnisse“ zu schreiben, sagt St. Aubyn. „Ich hatte das Gefühl, objektiviert zu haben, was zuvor erdrückend subjektiv gewesen war und lange Zeit gänzlich geheim und verborgen.“

Anders als in „Mother’s Milk“ sieht Edward St. Aubyn dem kindlichen Alter ego in seinem Debütroman noch wie aus einem ungekehrten Fernglas zu – was die Verlassenheit des Jungen in den Augen des Lesers letztlich nur größer werden lässt. Auf einem Brunnenrand im südfranzösischen Lacoste, der Heimat des Marquis de Sade, sieht man den Jungen zunächst selbstvergessen mit seinem Leben spielen, spätabends bleibt er dann, vom Vater geschlagen und missbraucht, ungetröstet auf einer Treppenstufe hocken. „Als er während der Schläge erkannte, dass sein Vater ihm so weh tun wollte, wie er nur konnte“, heißt es im Roman, „weigerte er sich, es zu glauben.“

Von den Bluthunden des Bewusstseins gejagt

Tatsächlich ist „Schöne Verhältnisse“ so etwas wie ein außerkörperlicher Roman, in dem die verheerenden Folgen einer traumatischen Erfahrung Poethologie geworden sind. Als der Vater seinen Sohn zum ersten Mal missbraucht, hat Patrick, so steht es im Roman, das Gefühl, „da oben zu sein und mit einigem Abstand die Bestrafung eines kleinen Jungen durch einen Fremden zu betrachten“. Ein Motiv, das häufig wiederkehrt. „Bad News“ etwa erzählt von einem New Yorker Dealer, der seinen Körper acht Jahre lang für ein lebloses Ei hielt und dankbar aus ihm verschwand. Patrick, den, wie es heißt, „die Bluthunde des Bewusstseins“ jagen, bewundert ihn hemmungslos dafür.

Doch trotz aller Distanz: Die Schrecken des Romans wären ohne sein maliziöses Gelächter für Autor wie Leser unerträglich. Und so kommt „Schöne Verhältnisse“ auf eisig unterkühlte Art formal fast als Komödie daher. Die Einheit von Ort und Zeit bleibt gewahrt, der stete Perspektivwechsel sorgt für die nötigen Auf- und Abgänge eines an allen Nerven kranken Personals. Szene Nummer eins zeigt den Vater David Melrose beim genüsslichen Ersäufen von Ameisen, Szene Nummer zwei bringt Mutter Eleonore auf die Bühne, die „mit der Eindringlichkeit einer ausgeraubten Touristin“ auf das Konsulat ihres amerikanischen Straßenkreuzers zuhält – den Faradayschen Käfig, der sie vor den rituellen Demütigungen durch ihren sadistischen Gatten schützt. „Unterm Fahrersitz lag, in ein Kissen gewickelt, eine kleine Flasche Bisquit Cognac. In der Handtasche hatte sie die gelben Tabletten zum Wachhalten und die weißen zum Schutz vor den Furcht- und Panikattacken, die von den Wachmachern verursacht wurden.“

Scharfer Witz gegen Snobismus

Wer auch immer die Bühne des Romans betritt – er verlässt sie gedemütigt, denn St. Aubyn rückt den Snobs des englischen Hochadels mit ihren eigenen Waffen zuleibe. Durchaus standesgemäß führt er die scharfe Klinge des Witzes und übt sich wie sie in der Kunst der Verachtung. „Die Miene, auf die man ein Anrecht zu haben glaubt, wenn man aus einem kalten englischen Salon auf seinen Grundbesitz starrt“, schreibt er in vollendeter Bosheit, „hatte sich über fünf Jahrhunderte störrisch eingegraben und in Davids Zügen vervollkommnet.“ Und weiter: „Eleanor begriff nie ganz, warum die Engländer es für so vornehm hielten, lange Zeit an ein und demselben Ort nichts getan zu haben, aber David ließ keinen Zweifel daran, dass dem so war.“

„Ich arbeite sehr hart an meinen Sätzen“, sagt St. Aubyn, „weiß aber nicht, woher kommt, was mir gefällt. Mein Wunsch nach Knappheit, Klarheit, Einheit und Eleganz ist schlicht in mir.“ Letztlich ist ihm wohl auch das verdächtig. „Er war besessen davon“, heißt es in „Mother’s Milk“ über den jungen Vater Patrick Melrose, „das Gift nicht von einer Generation an die andere weiterzugeben, aber er spürte schon, dass ihm das misslungen war.“

Eine der eindringlichsten Szenen von St. Aubyns Debüt übrigens handelt von einem echten Fluchtversuch. Eine junge Frau, nicht verwandt und nicht verschwägert, packt ihren Koffer und verlässt kurz entschlossen die Hölle der Melroses. Doch die Hoffnung währt nicht lang. Bald stolpert auch dieses Opfer zurück, „den Koffer hinter sich herschleifend“.

Edward St. Aubyn: Schöne Verhältnisse. A. d. Engl. v. Ingo Herzke. Dumont, Köln. 188 S., 17,90 Euro.

aus: www.welt.de/kultur/literarischewelt/article894360/Ein_Adliger_sein_Es_ist_die_Hoelle.html

Es ist schon nicht so einfach mit der Welt des Adels: Missbrauch, Lug und Trug,................ Wie dringend brauchen diese armen Menschen die Erlösung in Jesus Christus.
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