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Erlöst oder verführt ?


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#1
Rolf

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Nils Johan Lavik



Erlöst oder verführt ?



Teil 1

Über "Gehirnwäsche" und psychologische Beeinflussung in neu-religiösen Sekten

Die Entstehung von neu-religiösen Sekten mit besonderem Ansprechen der Jugend ist eine Erscheinung, die auch in unserem Land einen gewissen Umfang angenommen hat, und dies hat unter anderem zu einer erneuerten Diskussion über den Begriff "Gehirnwäsche" geführt. Der Psychiater Nils Johan Lavik versucht in diesem Buch zu erklären, was beim Beitritt zu einer Sekte geschieht - mit dem "Tempel des Volkes" in Guyana als dem extremsten Beispiel. Er sieht dies von einem psychologisch/psychiatrischen Gesichtspunkt aus im Zusammenhang mit dem Suchen der Menschen, besonders junger Menschen, nach Identität. Und er sieht das Ganze in einem größeren Zusammenhang: Sekten blühen in Zeiten mit kultureller Verwirrung und fehlenden Normen auf.

Lavik diskutiert auch darüber, wie die Zurückführung in ein "normales" Leben erfolgen kann - mit Zwang oder freiwillig. Das Buch gibt keine direkten Rezepte oder Lösungen, wird aber für Psychiater, Gesundheitspersonal, Lehrer, Priester und andere, die mit Jugendlichen zu tun haben, nützlich sein.

Nils Johan Lavik, geb. 1931, Professor für Medizin (Psychiatrie) an der Universität Oslo. Er hat klinisch und in der Forschung über psychische Probleme bei Jugendlichen gearbeitet. Er hat unter anderem die Bücher "Die geistige Gesundheit der Jugend" und "Eine gesunde Seele in einer kranken Gesellschaft" veröffentlicht.

Titel des Originals: Frelst eller forført ?
Om "hjernevask" og psykologisk påvirkning i ny-religiøse sekter
Gyldendal Norsk Forlag, Oslo 1985




Vorwort.

Das vorliegende Buch wurde sowohl aus praktischen als aus theoretischen Gründen verfaßt.

Die praktische Seite ist die, daß Psychiater, Gesundheitspersonal, Lehrer, Priester und andere, die mit Jugendlichen zu tun haben, in den letzten Jahren mit konkreten Fällen konfrontiert wurden. Der Beitritt und eventuell der Abfall von Jugendlichen zu/von neu-religiösen Sekten hat für sie selbst und für ihre Familien in solchen Maße Konsequenzen bekommen, daß sie professionelle Unterstützung gesucht haben. Das Buch gibt keine unmittelbaren Rezepte, wie eine solche Unterstützung gegeben werden soll, aber seine Hintergrundinformation kann hoffentlich eine gewisse Hilfe sein.

Das Buch wurde in erster Linie von einem psychologisch-psychiatrischen Gesichtspunkt aus geschrieben. Es muß daher als eine Ergänzung zu und nicht als ein Ersatz für historische, philosophische und theologische Annäherungen an das Thema gesehen werden.

Wie verbreitet die neu-religiösen Sekten in Norwegen heute sind, kann man schwer mit Sicherheit sagen. In den USA sind sie zahlreich, und in den letzten Jahren waren sie Gegenstand für großes öffentliches Interesse und Diskussionen sowohl in den Massenmedien als auch in der Fachpresse. Dies führte unter anderem zu einer erneuten Debatte über "Gehirnwäsche" - eine Diskussion, die in den 1950-er Jahren nach dem Koreakrieg stark im Vordergrund stand. Ich sah es daher als zweckmäßig an, zur klassischen Studie des amerikanischen Psychiaters Robert J. Lifton über "Gehirnwäsche" eine Erklärung abzugeben, bevor ich mich mit neueren Untersuchungen aus den letzten 10 - 15 Jahren befaßte. Mit Rücksicht auf Genauigkeit und Glaubwürdigkeit wird über diese Studien relativ ausführlich mit Literaturhinweisen berichtet, sodaß der speziell interessierte Leser selbst die Quellen heranziehen kann.

Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, hat sich zuletzt die norwegische Psychiatrie ernstlich mit einem entsprechenden Thema beschäftigt, als 1942 der Oberarzt Hans Eversen seine Schrift "Prophetenschicksale im Licht der Gerichtspsychiatrie" herausgab. Er hatte da Material über vermeintlich geisteskranke "Propheten" aus vielen Jahren gesammelt. Er schreibt, daß solche Vorfälle nun seltener geworden seien, da "der Glaube an den Eingriff übernatürlicher Kräfte in die Ereignisse des täglichen Lebens mit der zunehmenden Aufklärung seine frühere Macht über das Bewußtsein verloren habe". Die Psychiater müssen zur Kenntnis nehmen, daß Eversens optimistische Hypothese über den nützlichen Einfluß der zunehmenden Aufklärung leider nicht standhält. Das muß man tun, ohne jemandem einen Vorwurf zu machen. Die Aufgabe der Psychiater und der ärztlichen Wissenschaft ist es zu versuchen, die Menschen zu verstehen und ihnen zu helfen, wie sie nun einmal sind.

Oslo, im März 1985.
Nils Johan Lavik.

1. Die Entstehung moderner Religiosität.

Im letzten Jahrzehnt gab es ein Aufblühen moderner religiöser Bewegungen in vielen Ländern der Erde. Es ist nicht ganz zutreffend, das Wort "modern" zu verwenden, denn viele dieser Bewegungen sind deutlich von den traditionellen Weltreligionen Christentum, Buddhismus und Islam inspiriert.

Wenn man sie dennoch mit gewissem Recht "modern" nennen kann, so aus mehreren Gründen. Die Repräsentanten dieser Bewegungen stellen sich insofern als neu dar, als sie zusätzlich zu altem Gedankengut auf neue Erfahrungen und Offenbarungen von oft namentlich genannten und zeitgenössischen Propheten und Gurus hinweisen. Sie behaupten gewöhnlich, eine neue Botschaft zu haben, die besser und aktueller ist als die der traditionellen Religionen, von denen sie sich häufig distanzieren und über die sie herabsetzend sprechen. Es scheint auch klar zu sein, daß die etablierten Religionen und Kirchengemeinschaften viele der modernen religiösen Bewegungen nicht als Erweiterung ihrer eigenen Wirksamkeit akzeptieren. Ganz im Gegenteil wollen sie ihrerseits diese Bewegungen als Ausdruck von Verwirrung und Irrlehre auffassen, von denen man sich distanzieren muß.

Es ist nicht ganz leicht, den Umfang der neuen religiösen Bewegungen abzuschätzen. Dies hängt natürlich auch davon ab, wie genau man sie definiert. Einzelne sensationelle Berichte in Massenmedien haben vielleicht dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit so auf sie zu lenken, daß man ihnen größere Bedeutung zumißt, als sie verdienen. Andererseits kann es auch viele Familien geben, die von ihnen betroffen wurden, die es aber vermeiden, darüber zu sprechen, weil sie es als schwieriges Thema erfahren.

Der Religionsforscher Arild Romarheim schätzt, daß es allein in Skandinavien etwa 30 verschiedene Bewegungen mit nichtchristlichem Hintergrund gibt (1). Dies zeigt etwas von der Vielfalt. In den USA sind sowohl die Verbreitung als auch die Anzahl bedeutend höher (2). Dort gibt es offenbar zehntausende Familien, die erlebten, daß ihre Jugendlichen sich solchen Bewegungen anschlossen. Sowohl das Neuheitsbild als auch die öffentliche Diskussion und das fachliche Engagement waren bedeutend größer.

Es gibt sowohl Vielfalt als auch Ähnlichkeiten, was diese Bewegungen betrifft. Beiden Dingen muß man Beachtung schenken.

Was die Vielfalt betrifft, so kann man versuchsweise 5 Gruppen unterscheiden (3):

· Okkultismus, unter anderem Spiritismus, Satansverehrung und Hexenkult

· hinduistisch inspirierte Bewegungen, unter anderem Hare-Krischna, Divine Light Mission undTranszendentale Meditation.

· buddhistisch inspirierte Bewegungen, unter anderem tibetanischer tantrischer Buddhissmus und Zen-Meditation

· islamisch inspirierte Bewegungen, unter anderem Subud und Baha'i

· christlich inspirierte Bewegungen, unter anderem die Kinder Gottes und die Vereinigte Familie

Es gibt ohne Zweifel Bewegungen, bei denen es schwierig ist, sie innerhalb dieser Traditionen zu plazieren, zum Beispiel die Scientology. Selbst wenn man eine gewisse Inspiration vom Buddhismus ins Treffen führt, so scheint es vielen, daß doch keine Übereinstimmung herrscht.

Die Vielfalt bezieht sich nicht nur auf die Arten von Glaubensinhalten und historischer Tradition. Sie bezieht sich auch auf die Größe, Organisationsform und Wirkungsweise.

Im Gesamten gesehen bedeutet also die große Vielfalt, daß allgemeine Charakteristika die Gefahr beinhalten, Stereotypen dessen zu schaffen, was man vor sich hat.

Auf der anderen Seite gibt es auch klare Ähnlichkeiten, und wenn man darauf nicht achtet, verliert man etwas von der Übersicht.

Die größte Ähnlichkeit ist die, daß alle eine moderne religiöse Alternative als Weltanschauung und als Rahmen für das Leben bieten. Sie vereinen sich in ihrer klaren Herausforderung und Fronststellung gegenüber dem, der die Welt mit Erfahrung oder Vernunft zu verstehen sucht. Sie wenden der säkularen Welt und dem rationalen Menschen den Rücken. Die traditionellen Religionen, besonders das Christentum, haben viel Zeit und Kräfte benötigt, um zu einem Verständnis zwischen Glaube und Wissenschaft, zwischen religiöser Erfahrung und Vernunft zu gelangen. Das sind keine Themen, an denen die modernen religiösen Bewegungen besonders interessiert zu sein scheinen. Sie verkünden aufs Neue eine religiöse Weltanschauung, unabhängig von dieser Problematik.

Die modernen religiösen Bewegungen haben die Annahme entkräftet, daß die sogenannte Säkularisierung der Gesellschaft sich weiter fortsetzen wird.

Dies hat in gewissem Maß die Herausforderung für die traditionellen Religionen und Kirchengemeinschaften verändert. Vor einigen Jahrzehnten lautete die große Frage, wie man der ständig größeren Säkularisierung widerstehen könne. Heute lautet die Frage, wie man sich all der Irrlehren erwehren soll, die der modernen Religiosität gefolgt sind.

Gemeinsam für diese Bewegungen ist es, daß sie versuchen, auf die grundlegenden existenziellen Fragen, welche sich die Menschen stellen, eine religiöse Antwort zu geben: "Was ist der Zweck des Lebens ?", "Woher komme ich ?" und "Wohin gehe ich ?" Es ist schwierig, eine einfache historische Erklärung dafür zu geben, warum diese Fragen wieder eindringlicher erlebt werden und die religiösen Antwortalternativen wieder attraktiver sind. Ein unmittelbarer psychologischer Eindruck könnte sein zu sagen, daß "der rationale Mensch" die sezierende Analyse des Daseins zu weit getrieben hat. Es hilft nichts, daß man den Weltraum erobern kann, das biologische Wesen des Menschen wie nie zuvor versteht oder Informationsmengen enormer Größe handhaben kann, solange das Dasein und das Leben in allen Richtungen Sprünge aufweist. Da entsteht ein starkes Bedürfnis nach etwas, was das Leben zusammenhalten kann, damit die Persönlichkeit nicht gesprengt wird. Für viele junge Menschen, die an der Schwelle stehen, der modernen Welt zu begegnen, werden die Eindrücke vielleicht so überwältigend, daß es leichter ist, sich einem Propheten oder Guru mit Autorität und irrationaler Botschaft anzuschließen, als auf hundert liberale Rationalisten mit zu nichts verpflichtenden Ansichten zu hören.

2. Die Sekte - eine abgegrenzte Gruppe mit Einfluß auf das Verhalten.

Die neu-religiösen Bewegungen werden nicht nur durch den Glaubensinhalt und die Ideologie, welche sie vertreten, gekennzeichnet. Oft stellen sie sich als eine Erscheinung dar, die man gewöhnlich "Sekte" nennt. Dies ist weit mehr als eine Gruppe von Individuen, welche dieselbe Weltanschauung vertreten.

"Sekte" kann man nicht leicht mit einigen wenigen Worten definieren. Es kommt vom lateinischen secta, das Partei oder Anhängerschar bedeutet. Gewöhnlich wird es für eine religiöse Gruppe gebraucht, die sich von einer anderen religiösen Gruppe getrennt hat.

Die Grenze zwischen Sekte und Religion bzw. Kirchengemeinschaft ist mitunter schwierig zu ziehen. Man kann sagen, daß viele Religionen als Sekte begonnen haben, bevor sie groß und mächtig wurden. Sie können auch als Sekte enden, wenn sie an Einfluß verlieren.

Das Wort "Sekte" hat einen klaren sprachlichen Beigeschmack. Es deutet an, daß es sich um eine Gruppe handelt, die klein ist, "extreme" Anschauungen hat, daß die, welche der Sekte angehören, für Gegenvorstellungen wenig zugänglich sind, und daß sie ein abgegrenztes und abgeschlossenes Dasein am Rande der großen und "eigentlichen" Gesellschaft führen. Das Wort wird auch meist von einer religiösen Mehrheit gebraucht, um eine Minderheit zu bezeichnen, der etwas Minderwertiges oder "Nicht-Seriöses" anhaftet. Diese negative Belastung des Wortes zeigt klar den Machtcharakter der Sprache auf religiösem Gebiet.

Es ist übrigens wohlbekannt, daß "Sekte" ganz analog auch dann gebraucht wird, wenn es sich um politische und weltliche ideologische Bewegungen handelt. Sowohl die Geschichte des Marxismus als auch die der Psychoanalyse sind voll von "Sektenproblematik".

Die Gefahr beim Gebrauch des Wortes "Sekte" ist also, daß man dazu beitragen kann, Minderheitsgruppen zu marginalisieren und zu stempeln.

Auf der anderen Seite kommt man nicht darum herum, daß "Sekte" eine historische, soziale und psychologische Realität umfaßt. Sie besteht aus einer Gruppe von Menschen, die sowohl formell als auch informell in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis besonderer Art leben. Wie noch später davon die Rede sein wird, ist das Charakteristischste daran, daß es etwas vom Loyalitätsband und von der Atmosphäre der Familie mit dem Anspruch vereinigt, eine ganzheitliche gesellschaftliche Existenz darzustellen. Dies ist die Fähigkeit der neu-religiösen Sekten, von dieser Position ausgehend das Verhalten der Menschen zu beeinflussen, die auf sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gezogen hat.

Solange die neu-religiösen Bewegungen ein rein theoretisches Vorhaben bleiben, erwecken sie weniger Aufmerksamkeit. Wenn ein junger Mensch in einer Familie mit anderen Religionen zu sympathisieren beginnt, werden viele aufgeklärte Familien dies nicht so schwer nehmen, wenn derjenige nur den Kontakt mit der Familie aufrecht erhält und seine Ausbildungspläne weiter verfolgt. Für oppositionelle Meinungen gibt es heute große Toleranz, und ein wenig "Salon-Radikalismus" ist in guten bürgerlichen Familien immer akzeptiert worden. So lange die Auffassungen keine Folgen für das Verhalten zeigen, ist dies nichts, was Aufregung verursacht.

Wenn aber ein Junge oder ein Mädchen nach dem Kontakt mit einer Sekte den Kontakt mit der Familie einschränkt oder abbricht, die Ausbildungs- und Arbeitspläne aufgibt und sich vielleicht in der Sekte verheiratet, werden die Reaktionen ganz anders. Vielen Eltern gelingt es nicht, dies zu akzeptieren, und sie strengen sich sehr an, "ihre erwachsenen Kinder zurückzugewinnen".

Es ist selbstverständlich, daß dies Streit und Konflikte erzeugt. Junge Menschen haben ein Recht, über ihr eigenes Leben zu bestimmen. Viele, die sich einer Sekte anschließen, werden gerade behaupten, daß dies für sie von großer Bedeutung war, eine Art Rettung von etwas, was schwierig war.

Hier sind wir beim praktischen und psychologischen Kern der Sache. Eine Sekte hat große Fähigkeiten, ein Lebensmuster aufzubrechen, so daß Gedanken, Gefühle und Verhalten verändert werden. Aber dieser "Aufbruch" wird ein Kampf, denn mehrere Partner sind darin involviert. Es ist ein Eingriff in die grundlegenden Loyalitätsbande zueinander. Werden diese aufgerissen und neu geknüpft, so geschieht es mit Schmerzen. Es sind mehrere Partner auf der Szene, und dies bewirkt, daß es oft schwierig ist, sich einen objektiven Eindruck darüber zu verschaffen, was eigentlich geschieht. Zuerst einmal sind es die, welche für die Sekte gewonnen werden - meist junge Menschen. Dann sind es die verantwortlichen Leiter für die Bewegung, die für die Rekrutierung zuständig sind. Ferner sind es die Familie und die Freunde, welche erleben, daß mit einem ihrer Nächsten etwas geschieht. Endlich ist es natürlich die Öffentlichkeit, die Medien und eventuelle Fachleute, die zur Hilfe geholt werden (Psychologen, Psychiater, Juristen, Seelsorger). Einander widersprechende Berichte, bei denen die Interessen deutlich durchscheinen, je nachdem wer die Sache darstellt, waren deshalb eine Seite des Neuheitsbildes und der öffentlichen Diskussion darüber, besonders in den USA.

Zwei Illustrationen

Im Folgenden werden zwei Beispiele für den Beitritt junger Menschen zu einer Sekte berichtet. Sie sind weder repräsentativ noch objektiv. Der Zweck ist, zu zeigen, wie ein solches Erlebnis Gedanken, Gefühle und Verhalten verändern kann, und wie die Reaktionen der nächsten Verwandten ausfallen können.

Aus Gründen der Verschwiegenheit werden keine authentischen Fälle aus Norwegen berichtet. Eine der vielen "Sektengeschichten" wurde in einem Film im norwegischen Fernsehen im Mai 1985 gezeigt (der Film "Die Sekte", hergestellt von der Make Peace Production). Die Geschichte war folgendermaßen:

Ein junger, augenscheinlich unauffälliger Bursch um die 20 reist in den Sommerferien in den USA umher, um sich umzusehen. Auf der Straße in San Francisco wird er von einem jungen Mädchen angesprochen, die ihm freundliche Aufmerksamkeit widmet. In seiner etwas einsamen und planlosen Situation nimmt er eine Einladung an, ihre Wohngemeinschaft zu besuchen, wo angeblich daran gearbeitet wird, das Verhältnis der Menschen zueinander und zur Umwelt zu verbessern. Hier trifft er eine Gruppe von Leuten, die ihm alle positive Aufmerksamkeit und Zuwendung erweisen. Gleichzeitig wird er in eine verstärkte und programmierte Aktivität mit Spiel, Tanz, Gesang, Versammlungen und Vorträgen hineingezogen. Die, welche die Tätigkeiten leiten, machen den Eindruck, daß sie eine sehr gute Gemeinschaft und eine wichtige Botschaft für das Leben haben. Er wird nach und nach eindringlich befragt, sodaß er unsicher, verwirrt und zweifelnd darüber wird, was bisher seine Lebensgrundlage war. Er bekommt keine Möglichkeit, sich zu selbständiger Reflexion zurückzuziehen, und von seinem Wunsch, wegzufahren und seine Eltern zu treffen, wird geschickt abgelenkt. Es zeigt sich, daß dies die "Vereinigte Familie" oder die Moon-Sekte ist, mit der er in Kontakt kam. Wie es sich weiter entwickelt, gibt es keine Gelegenheit für kritische Fragen, und nach einem ersten "Einführungsseminar" ist er so fasziniert, daß er sich der Gemeinschaft anschließt. Nun wird er selbst dafür eingesetzt, Neuankömmlinge zu bearbeiten. Er entscheidet sich, in der Sekte zu bleiben, und wird nach und nach ein fleißiger und disziplinierter Mitarbeiter. Er ist jetzt randvoll von Klischees und identifiziert sich ganz und voll mit dem übergeordneten Ziel der Sekte. Die Welt draußen wird als feindlich aufgefaßt und der Kontakt mit den Eltern ist abgebrochen. Jede Kommunikation und Zusammenarbeit geschieht im Rahmen der Sekte.

Aber seine Eltern arbeiten im Verborgenen. Sie haben herausgefunden, was mit ihm geschah, und eines Tages entführen sie ihn von der Straße weg, während er dort wirbt. Er wird in ein Auto gebracht, wo der Anwalt der Familie ihm sagt, daß er nach einem bestimmten Gesetzesparagraphen unter vorübergehende Vormundschaft gestellt wurde. Er wird zu einer bewachten Wohnung geführt, wo ihn seine Mutter erwartet, aber zu allererst wird er der intensiven Überredungskunst (sogenanntem Deprogramming) durch zwei gleichaltrige junge Menschen ausgesetzt. Es sind zwei ehemalige Sektenmitglieder, die selbst deprogrammiert wurden. Sie halten ihm die irrationale Grundlage der Sekte vor und zeigen auf, wir er ausgenützt und hinters Licht geführt wurde. Zu Beginn verschließt er sich, leistet Widerstand und antwortet auf den Zuspruch mit Zitaten und Klischees. Er nennt sogar seine Mutter ein Werkzeug des Satans. Nach einigen Tagen bricht jedoch seine Verteidigung zusammen. Er versteht, daß er ausgenützt wurde. Die Sekte versucht, ihn wieder zu entführen, aber es gelingt ihm, in einer Gegenüberstellung zu erklären, daß er sich von ihnen distanziert. Nach einiger Zeit weiterer Hilfe und Überlegung beginnt er das Leben von neuem mit dem Gefühl, daß er durch eine Periode hindurchging, in der er sehr ausgenützt wurde.

Die berichtete Geschichte ist von amerikanischen Verhältnissen geprägt. Sie ist klarerweise von den Eltern und von den "Abgefallenen" aus gesehen. Dies zeigt sich besonders bei der Beschreibung der geglückten "Deprogrammierung". Das Hauptmodell für das Verständnis der Sekte ist das, daß ein unschuldiger junger Mensch zum "Opfer" für jemanden wird, der zynisch Gehirnwäsche betreibt. Sowohl juristisch als auch psychologisch und ethisch ist die Sache komplizierter, als sie dargestellt wurde. Dennoch hat die Geschichte eine gewisse Glaubwürdigkeit, wenn es darum geht, die faktische Änderung im Lebensmuster eines jungen Menschen darzustellen, und die Reaktionen, die er in seiner Umgebung damit weckte.

Die folgende Illustration wurde auf der Basis von Bruchstücken der Erfahrungen vieler Personen konstruiert. Der Zweck ist, herauszuarbeiten, wie die Erfahrung mit Sekten manchmal mit psychischen Symptomen und Problemen vermischt wird:

Ein 22 Jahre alter Mann aus einer Stadt in Norwegen hatte nach der Beendigung der weiterführenden Schule gelegentliche Jobs. Er trank, war ein starker Raucher und hatte auch mit Haschisch experimentiert. Er war an Meditation und Literatur interessiert, fühlte sich durch ostasiatische Religionen angezogen, und war ein halbes Jahr auf einer Indien-Tour gewesen. Er war etwas passiv, aber gleichwohl in Opposition zu seinen Eltern, die einen akademischen Beruf und eine liberale humane Weltanschauung hatten. Er war in seiner Jugend wenig religiös beeinflußt worden, hatte wenige Freunde, und war eine Zeitlang im Gymnasium mit einem Mädchen zusammengewesen, die aber das Verhältnis dann gelöst hatte.

Während einer Interrail-Tour in Europa kam er in Deutschland mit der Hare-Krishna-Sekte in Kontakt. Nach einigen Wochen schloß er sich dort an und kam ganz unter den Einfluß seines Leiters (Gurus), machte mit allen Genußmitteln und Rauschgiften Schluß und schrieb in einem Brief an seine Eltern, daß es ihm psychisch besser denn je gehe. Er geht nun ganz in der Lebensform, der Daseinsweise und den Ritualen der Sekte auf. Er beachtet genau ihre Vorschriften bezüglich Nahrung, und Fleisch ist nun verbannt. Er ist dabei bei all dem Tanz, Gesang und dem rituellen Herleiern der Worte, das damit verbunden ist (Hare-Krishna, Hare-Rama - - -). Er ist mehrmals täglich bei diesen rituellen Übungen mit dabei.

Die Eltern des Burschen sind verzweifelt und besorgt. Der Vater sucht ihn einmal in Deutschland auf, aber hat Probleme, mit ihm in Kontakt zu kommen. Er ist für Gegenvorstellungen unzugänglich und noch etwas abweisender und aggressiver als früher.

Nach ein paar Jahren, während denen die Eltern hie und da von ihm hörten, kommt er unerwartet nach Hause. Es ist deutlich, daß er mit der Sekte und insbesondere mit seinem Berater in Konflikt kam. Er wirkt niedergedrückt und abwesend und will sich von der Umwelt isolieren. Die Eltern suchen Verbindung mit einem Psychiater, welcher den Zustand des jungen Mannes so alarmierend findet, daß er in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wird.

Nach einiger Überredung erklärt er sich freiwillig damit einverstanden. Er wird als klar psychotisch empfunden, mit Wahnvorstellungen und haluzinatorischen Erlebnissen. Nach psychotherapeutischen Gesprächen beruhigt er sich, wird nach einigen Wochen entlassen und ist nun nicht mehr psychotisch. Er besorgt sich eine Wohnung und eine vorübergehende Arbeit. Nach einigen weiteren Monaten ist er aktiver geworden und beginnt, für seine weitere Ausbildung konkrete Pläne zu schmieden.

Die vorhergehende Geschichte zeigt, wie einige psychische Symptome und problematisches Verhalten beim Anschluß an eine Sekte sich zunächst bessern. Später verschlechtert sich die Situation jedoch und bringt neue Zeichen psychischer Symptome mit sich, die jedoch vorübergehenden Charakter haben.

Der Zweck dieses Berichtes ist es, auf eine sehr umstrittene Frage hinzuweisen, nämlich, ob der Beitritt zu einer Sekte eine schädliche oder eine heilende Wirkung auf Menschen mit etwas unstabilem Seelenleben hat. Dies kann man nicht ganz eindeutig beantworten. Die Geschichte zeigt auch, wie ein Mensch eine Sekte auf eigenen Wunsch verlassen kann, weil er die fortgesetzte Mitgliedschaft als Problem erlebt.

Diese zwei Illustrationen zeigen, wie erwähnt, wie der Beitritt zu einer Sekte das Leben eines Menschen beeinflussen kann. Andere Beispiele würden andere Aspekte zeigen und das Bild nuancierter machen. Trotz der Vielfältigkeit scheint es klar zu sein, daß man in der Arbeitsweise der neu-religiösen Sekten folgende psychologische gemeinsame Züge sehen kann.

Direkte Eroberung der Identität.

Die Sekte richtet ihr Bestreben direkt auf das Zentrum der Persönlichkeit. Wenn sie neue Mitglieder werben will, so nimmt sie es als vorgegeben, daß Menschen nach einem tieferen Sinn im Leben suchen, ohne ihn gefunden zu haben. Sie fragen danach, was der Mensch ist, wohin er gehört, und sie haben auch die Antwort bereit. Nirgendwo anders kann dies besser beantwortet werden als bei der Sekte selbst. Sie heizen die Zweifel, die Unsicherheit, die Verwirrung der Menschen an, während gleichzeitig ihre eigene Botschaft die Lösung verspricht. Die Sektenführer haben eine starke intuitive Erkenntnis, wie wichtig identitätssuchende Kräfte beim Menschen sind. In einzelnen Situationen und Phasen des Lebens wird der Wunsch nach Zugehörigkeit und Sinn vor dem Bedarf nach Freiheit, Unabhängigkeit und rationaler Beurteilung von Information Priorität haben. Dann ist der Augenblick der Bekehrung gekommen.

Eine Abkürzung wird für diese tieferen und frustrierten Schichten des Menschen etabliert. Diese Abkürzung kann überraschenderweise alle die Schichten überwinden, die Erziehung, Unterricht und kultureller Einfluß dem Menschen in der modernen Gesellschaft beigebracht haben. Wenn plötzlich Moons spezielle Offenbarungen über Gott oder die Wiedergeburt als Wahrheiten von der Jugend der westlichen Welt akzeptiert werden, ist dies oft für die Eltern und die Umgebung eine Art Kulturschock. Die starke Unterströmung des identitätssuchenden Bedürfnisses ist plötzlich durchgebrochen und hat eine augenscheinliche Bestätigung erhalten.

Jugend im Brennpunkt.

Die Sekten sind nicht die einzigen, welche die Jugend als wichtigste Zielgruppe für ihre Tätigkeit haben. Die Altersstufen von der Pubertät bis zum Ende der 20er-Jahre waren immer die wichtigsten Werbeempfänger für religiöse und politische Bewegungen.

Dies hängt natürlich damit zusammen, was im vorhergehenden Abschnitt erwähnt wurde. Jugend und Identitätsbildung gehören zusammen. Unabhängig davon, in welcher Kultur man aufgewachsen ist, trifft man auf Fragen, wer man ist, was man werden soll oder wohin man gehört. In vielen Kulturen hat das einzelne Individuum institutionelle Hilfe von der Gesellschaft bekommen, um sich durch solche Fragen durchzuarbeiten. Dies war in den sogenannten Initiierungsritualen festgelegt, die früher eine weit größere Bedeutung hatten. Die traditionelle Jugendarbeit, welche von religiösen, humanistischen oder politischen Bewegungen verschiedener Art betrieben wird, erreicht auch nicht alle, und es ist gerade diese Gruppe ohne Zugehörigkeit, wo die Sekten ihre Chance haben.

Kompetenz in Überredungsstrategie.

Die Rekrutierungarbeit ist davon geprägt, daß die Sektenleitung großen intuitiven Sinn dafür hat, die identitätssuchenden Signale von relativ unbehüteten Jugendlichen aufzufangen. In diesem psychologischen Kraftfeld wird eine Aktivität und Kommunikation entwickelt, welche die Aufmerksamkeit des Einzelnen beschlagnahmen, sie in Atem halten und kritische Fragen verhindern kann. Wenn dies gelingt, so werden die Angehörigen und Freunde sich sagen, daß die Jugendlichen hier einer besonders qualifizierten Überredungskunst aufgesessen sind. In früheren Zeiten würde soetwas oft als Zauberei oder Hexerei aufgefaßt worden sein. Die Leute wissen heute, daß es eher wissenschaftliche und weltliche Überredungsstrategien gibt, welche die bewußten und rationalen Schichten im Menschen überwinden können, wie Suggestion, Hypnose und "Gehirnwäsche". Besonders der letztgenannte Begriff wurde als Erklärungsmodell für den Werbeerfolg einzelner Sekten herangezogen. Dieser Begriff hat allerdings einen bestimmten historischen und psychologischen Inhalt, der auf die Jahre nach der Revolution in China zurückgeht. Wenn dieser Inhalt nicht genau bekannt ist, kann die Anwendung des Begriffes "Gehirnwäsche" eher einen verschleiernden als einen erklärenden Charakter haben.

3. Neue Herausforderung für die Religionspsychologie und Psychiatrie.

Die psychologischen und psychiatrischen Fragen, die mit der religiösen Beeinflussung und Sektentätigkeit verbunden sind, entstanden natürlich nicht mit der modernen Religiosität. Alle Religionen zielen darauf, durch Verkündigung, Erziehung, Kult und Ethik auf die Gedanken, Gefühle und Handlungen der Menschen einzuwirken. Religion und Ideologie spielen sich immer in einem psychologischen und sozialen Raum ab, wo sowohl durch den Verkünder der Botschaft als auch durch deren Empfänger Prozesse in Gang gesetzt werden.

Dies kann besonders der Grund dafür sein, zu unterstreichen, daß sowohl die traditionellen Religionen als auch die Ideologien die Jugend gerne als ihre erste Zielgruppe ansahen. Oft wird eine besondere Unternehmung gestartet, um die Jugend dazu zu bringen, sich mit ihrer Glaubensgrundlage zu identifizieren. Themen, die oft in eine solche Beeinflussung Eingang finden, sind gerade die Versprechung eines sinnvollen Lebens und der Kampf zwischen dem Bösen und dem Guten. Belohnung und Strafe, Freude und Angst, Verantwortung und Schuld sind die Elemente, die Verkünder und Agitatoren auszuspielen wissen, und die sowohl individuellen als auch gruppenmäßigen Resonanzboden haben.

Wenn man die psychologischen Aspekte dessen betrachtet, so heißt das natürlich nicht, daß man es für suspekt hält, wenn religiöse und ideologische Beeinflussung solche Elemente beinhaltet. Keine religiöse oder ideologische Tätigkeit kann in einem psychologischen oder sozialen Leerraum vor sich gehen.

Wenn ich im Folgenden versuchen will, die psychologischen und psychiatrischen Aspekte von neu-religiösen Sekten zu beleuchten, so geschieht dies deshalb von einem phänomenologischen Gesichtspunkt aus. Ich sehe es nicht als Aufgabe, den historischen und philosophischen Wahrheitsgehalt zu beurteilen. Es steht Theologen und Parteiideologen zu, den eventuellen Grad von Irrlehre und Verirrung zu beurteilen.

Der Gesichtspunkt, der hier zugrundegelegt wird, ist, daß sowohl Psychiatrie als auch Psychologie ihre Grenzen, aber auch ihre Berechtigung haben, wenn es darum geht, zum Verständnis der neu-religiösen Sekten beizutragen.

Das Bewußtsein der Begrenztheit wird hoffentlich das verhindern, was oft der psychologische Reduktionismus genannt wird, d.h. daß man religiöse und ideologische Fragen auf "nur" psychologische Erscheinungen zurückführt. Beispiele eines solchen banalen Reduktionismus sind, wenn man Gottesvorstellungen ein "Farbsubstitut" oder die Ausübung religiöser Rituale eine "kollektive Zwangsneurose" nennt. Die Berechtigung liegt darin, daß weder Religion noch Ideologie einen Anspruch darauf haben, psychologischer und eventuell psychiatrischer Beurteilung entzogen zu werden.

Religion und Ideologie etablieren sich in einem psychologischen und sozialen Raum und tun auf mehreren Ebenen etwas mit den Menschen. Wenn Gedanken, Gefühle und Verhalten mobilisiert werden, kann die Psychologie versuchen, dies zu beschreiben und zu verstehen. Wenn solche Prozesse auch psychologische Symptome und Leiden hervorrufen oder bessern, hat die Psychiatrie berechtigten Grund, sich dafür zu interessieren, was da geschieht.

Weil die "Gehirnwäsche" in Verbindung mit den neu-religiösen Sekten eine vielbesprochene Erscheinung wurde, kann es zweckmäßig sein, als nächstes einen psychiatrischen Beitrag auf diesem Gebiet von Robert J. Lifton (1) zu erwähnen. Dabei muß man zurück zum historischen und kulturellen Zusammenhang, wo dieser Begriff entstand.


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4. "Gehirnwäsche" - Mythos und Realität.

Das Wort "Gehirnwäsche" wurde zum ersten Mal vom amerikanischen Journalisten Edward Hunter gebraucht, der 1951 das Buch "Brainwashing in Red China" herausgab (1). Das Wort wurde von einem chinesischen Ausdruck übersetzt, das von seinen Informanten gebraucht wurde, als sie von der zwangsmäßigen ideologischen Umschulung erzählten, der sie nach der Machtübernahme der Kommunisten im Jahre 1949 ausgesetzt waren. Der Begriff wurde rasch volkstümlich und verschwommen. Er wurde bald für alles gebraucht, was Kommunisten und Linksradikale unternahmen, um politische Prozesse zu beeinflussen. Er wurde auch in anderen Zusammenhängen fleißig gebraucht, wo Individuen aufeinander einwirken, wie Verkündigung, Unterricht und Erziehung. Besonders wurde er verwendet, um Beeinflussungen von Ideologien oder Personen zu charakterisieren, die man selbst mißbilligte und vor denen man warnen wollte, und wenig als ein kritischer selbstprüfender Begriff. Dieser verschwommene Gebrauch sollte gleichwohl nicht Zweifel daran entstehen lassen, daß er seinen Ursprung in einer historischen und psychologischen Realität hatte, nämlich dem Umschulungsprogramm, das die Kommunistische Partei in China nach der Revolution entwickelte und durchführte.

Das offizielle Wort, das die Chinesen selbst gebrauchten, um dieses Programm zu beschreiben, wurde mit "Gedankenreform" übersetzt. Es scheint klar zu sein, daß die Idee einer ideologischen Gedankenreform von der obersten Leitung der Kommunistischen Partei entwickelt wurde. Dies beinhaltet die Anerkennung der menschlichen Gedanken und Gefühle als eine wichtige Grundlage zur Umgestaltung der Gesellschaft. Das intellektuelle Leben mußte von den Fehlmeinungen der Vergangenheit befreit und von dem neuen und übergeordneten Ziel der Partei gelenkt werden. Das Programm wurde zu allererst mit dem Gedanken an internen Gebrauch in China an Schulen und Universitäten entwickelt, wurde aber auch in kleinerem Maßstab auf Ausländer angewendet, die nach 1949 gefangen oder in Arbeitslagern interniert waren. Dies konnten Kriegsgefangene, Missionare, Geschäftsleute oder Intellektuelle sein, die aus verschiedenen Gründen nach der Machtübernahme zurückgehalten wurden.

Es entstanden verschiedene Berichte und Literatur, welche die Gedankenreform behandeln. Die gründlichste Arbeit von psychiatrischer Seite ist das schon erwähnte Buch von Robert J. Lifton (2). Dem liegt Material von 25 Personen aus dem Westen (Missionare, Geschäftsleute, Intellektuelle) und 15 Chinesen (im wesentlichen Studenten) zugrunde, welche die Gedankenreform in China durchgemacht hatten. Sie wurden freigelassen oder es war ihnen gelungen, nach Hongkong zu flüchten. Hier nahm Lifton umfassende psychiatrische Tiefeninterviews in 15 bis 25 Sitzungen von zwei- bis dreistündiger Dauer für jede Person vor. Die Interviews fanden vom Zeitpunkt an unmittelbar nach der Freilassung statt und erstreckten sich von dort an über Wochen und Monate. Auch einige Jahre später wurde etwas nachuntersucht. Zusätzlich zur Basis des Interviewmaterials zieht er auch historische und kulturelle Perspektiven in seine Diskussion hinein. Das Folgende ist eine Zusammenfassung von einigen von Liftons Hauptgesichtspunkten.

Im allgemeinen drehte sich die Gedankenreform um die fundamentalen Grundsätze der Bekehrung, Tod und Wiedergeburt, und um die zwei Prozesse, die damit verbunden sind, nämlich Geständnis und Neu-Schulung (re-education). Beide Prozesse geschahen unter Zwang von physischer, sozialer und psychologischer Art. Systematischer Gebrauch von psychischen und physischen Zwangsmitteln, um Geständnisse zu erpressen, sind von vielen Regimen bekannt, welche Tortur benützt haben.

Historische Beispiele von raffiniertem Gebrauch von Zwangsmitteln mit ideologischem Zweck sind die Inquisition und die Moskau-Prozesse. Da konnte es Bekenntnisse geben, die bei weitem das überschritten, was in Wirklichkeit begangen wurde. Die chinesische Gedankenreform unterschied sich klar von diesen historischen Vorläufern. Die physischen Zwangsmittel in Form von Tortur waren weit weniger hervortretend, und vor allem war die Wiedergeburt oder die Neu-Schulung der wichtigste Teil des Prozesses. Das Ziel war nicht das Geständnis der sündigen Vergangenheit und die nachfolgende Strafe. Das Ziel war ein neuer Mensch, bereit zum ideologischen Einsatz für die Gesellschaft.

Lifton behauptet, daß die Methodik der Gedankenreform im Wesentlichen ein chinesisches Produkt war. Er weist Spekulationen zurück, daß die Methode von den Sowjets importiert war. Weder den Moskauprozessen noch der russischen psychologischen Theorie, inspiriert von Pavlovs experimenteller Auslösung von Tier-Neurosen, wird besondere Bedeutung zugemessen. Er behauptet dagegen, daß der Einfluß von Konfuzius von Bedeutung ist. Dies kann paradox erscheinen, denn es war nicht zuletzt die konfuzianische Ethik und Lebensform, welche die Gedankenreform bekämpfen wollte. Die Loyalität gegenüber der Vergangenheit und der Familie waren wichtige Elemente in Konfuzius' Lehre. Die Kommunisten hatten zwar nicht vor, das Loyalitätsgefühl selbst aufzuheben, machten jedoch den Versuch, dieses von Eltern und Ahnen auf Partei und Staatsmacht zu übertragen. Die Manipulation der Loyalität und die Erzeugung von Schuld und Scham wurden deshalb wichtige Elemente, Geständnisse hervorzurufen und die Unterwerfung unter die neue Parteiautorität zu etablieren. Es scheint, daß die Gedankenreform unter den Parteikadern in militärischen Trainingslagern in der Yenan-Provinz während des Bürgerkrieges entwickelt und erprobt wurde. Als die Machtübernahme ein Faktum war, hatte die Partei deshalb eine Strategie, nicht nur die Gesellschaft materiell umzugestalten, sondern auch den Menschen umzugestalten.

Lifton unternimmt, ausgehend von seinem Material, eine umfassende Systematisierung des Geständnis- und Neuerziehungprozesses. Er tut dies in zweifachem Zusammenhang. Er teilt den Prozeß ein in ganze 12 Stufen, welche zeigen, wie die Identität zuerst durch Schuldgefühl erzeugende Prozeduren unter starkem sozialem und physischem Zwang zerstört wird, um dann jedesmal mit positiven Signalen fortzusetzen, wenn das Individuum Zeichen dafür zeigt, zur neuen Autorität Zutrauen zu fassen (3).

Am Schluß seiner Arbeit sammelt er die Elemente der Gedankenreform in 8 Hauptpunkten, von denen er meint, daß sie die charakteristischen Züge der Gedankenreform und der psychologischen Beeinflussungsmechanismen allgemein in totalitären Systemen sind (4).

Es sind besonders diese Elemente, die in der späteren Diskussion über Beeinflussungsmechanismen in den neu-religiösen Sekten im Vordergrund standen, und deshalb sollen diese näher erläutert werden.

Acht Kennzeichen der Gehirnwäsche.



1. Milieukontrolle.

Dies beinhaltet in erster Linie Steuerung der Kommunikation des Individuums mit der Umwelt. Alles, was man sieht, liest, schreibt, ausdrückt und ausführt, wird von einer übergeordneten Leitung begrenzt und gesteuert. Dies beinhaltet nicht nur, daß Information von außen abgeschirmt und verhindert wird, sondern auch, daß der ganze Tag mit der Aktivität programmiert wird, welche die Leitung bestimmt. Schlaf, Ruhe, Nahrung, sogar der Zeitpunkt für natürliche Funktionen wurden unter der chinesischen Gedankenreform genau reguliert, oft in einer solchen Weise, daß das Individuum erschöpft und frustriert war. Die Möglichkeit, sich zu selbständiger Reflexion zurückzuziehen oder frei mit anderen zu diskutieren, war so gut wie nicht vorhanden. Das Individuum wurde dadurch in eine Situation der Machtlosigkeit hineingepreßt, die bedrohlich und schmerzvoll war.

Das Ernsteste ist vielleicht, daß die Möglichkeit genommen war, die Realität selbständig zu erproben, etwas, das auf lange Sicht notwendig ist, um seine eigene Identität von der Umgebung unterscheiden zu können. Die Gefahr für Verwirrung und psychotische Ausbrüche wuchs und die Versuchung, vor den Bedingungen der Umwelt zu kapitulieren, wurde größer und größer. Mehrere von Liftons Informanten wurden durch rücksichtslose physische Behandlung, Störung des Tagesrhythmus, Entzug von elementaren Bedürfnissen, kombiniert mit eindringlichen Fragen in Gruppen, auf die man unmöglich antworten konnte, in diese Situation gebracht. Dies verwandelte durch Wochen und Monate hindurch intellektuelle und charakterlich wohlfunktionierende Menschen zu verwirrten und hilflosen Kleinkindern.

2. Mystische Manipulation.

Die mystische Manipulation bedeutet, daß die Leitung signalisiert, eine höhere Einsicht in das Ziel und den Sinn des Lebens zu besitzen. Andere haben nicht die Voraussetzungen, diese Einsicht zu erfassen, aber sie können an dieser teilhaben, indem sie sich unterwerfen und zu den Bedingungen der Leitung mitgehen. Die Milieukontrolle bahnt für diese mystische Manipulation den Weg. Ein Individuum, dem die Möglichkeit des selbständigen Denkens genommen ist und das in den Zustand der Erschöpfung und Machtlosigkeit gebracht wurde, hat Sehnsucht nach einer höheren Wahrheit. Bei der Gedankenreform in China war die Partei der Träger dieser höheren Einsicht. Widerstand dagegen, diese anzuerkennen, wurde systematisch als moralischer Fehltritt, Selbstsucht und mangelnde intellektuelle Fähigkeit, die Wahrheit zu begreifen, erklärt.

3. Forderung nach Reinheit.

Während der Gedankenreform wurde eine unbedingte Forderung nach Reinheit (purity) vermittelt. Dies bedeutete ein konsequentes Schwarz/Weiß-Denken, welches besagt, daß die Welt in zwei Teile geteilt wird. Im aktuellen ideologischen Zusammenhang in China bedeutete dies, daß man entweder auf der Seite des Volkes und der Partei war, oder daß man zu den Feinden des Volkes in Form von Kapitalisten und deren Lakaien gehörte. Diese Forderung nach Zweiteilung des ganzen Daseins wurde gestellt sowohl wenn es die Zustände in der Gesellschaft als auch die im Leben des einzelnen Menschen betraf. Alles in der Vergangenheit wurde unerbittlich in diesem Licht gesehen. Jeder einzelne mußte Rechenschaft darüber ablegen, was er unternommen hatte und ob er in allen möglichen Situationen auf der Seite des Volkes gestanden oder ein Feind des Volkes gewesen sei.

Die Forderungen waren so streng, daß es unmöglich war, sie zu erfüllen. Deshalb kamen ständig Situationen und Ereignisse vor, wo man das Volk im Stich gelassen, einen Fehler begangen und auf der Seite des Feindes gewesen war. Dies bedeutete wieder, daß die Schuldgefühle sich anhäuften. Nun ist es so, daß jeder Mensch eine gewisse Bürde von existenzieller Schuld und Scham über Fehltritte trägt, die er begangen haben kann, und über das, was er nicht getan hat.

Durch die Kopplung dieses Potentials für existenzielle Schuldgefühle, das alle Menschen haben, mit der Reinheitsideologie der Gedankenreform konnte die Leitung innerhalb der Persönlichkeit des Individuums selbst Fuß fassen.

Wenn dies gelingt, so hat sie in einer wichtigen Sache Oberhand gewonnen. Eine solche Allianz mit dem Potential eines Menschen für Schuldgefühle ist auf viele Weise dasselbe, was Ingald Nissen als die psychopathische Herrschertechnik beschrieb. Jemand außerhalb einer selbst erhält die Kontrolle über das, was man auf dem Schuldkonto des Lebens angesammelt hat, und auferlegt ihm seine eigenen Rückzahlungsbedingungen. Die Allianz mit dem Schuldgefühl eines anderen Menschen ist und war immer der Königsweg der psychologischen Manipulationstechnik.

4. Der Kult des Geständnisses.

Die Reinheitsforderung mobilisierte Schuld und Scham und rief einen inneren und äußeren Druck hervor, die Fehltritte und Sünden der Vergangenheit zu gestehen. Diese kamen auf laufendem Band in dem Maß, als die Gedankenreform voranschritt. Der Druck wurde so groß, daß die Geständnisse oft die Grenzen der Wirklichkeit sprengten. Viele nahmen die Phantasie zu Hilfe und erfanden Sünden, die sie nie begangen hatten, um das Gefühl zu bekommen, sich selbst zu reinigen und die Leitung zufriedenzustellen.

Während der Gedankenreform war es allerdings mit den ersten Geständnissen nicht getan. Diese wurden selten akzeptiert. Das Individuum mußte hören, daß sie nicht gut genug waren, daß sie zu wenig konkret waren, etc. Sie mußten ständig in neuen und besseren Versionen sowohl mündlich als auch schriftlich vorgebracht werden. Ein wichtiger Zug war, daß das Geständnis nicht nur für einen selbst gelten sollte. Es sollte auch die Familie, frühere Freunde und Organisationen beinhalten, für die man gearbeitet hatte. Auch Kritik in allgemeinen Formulierungen war nicht genug. Es wurde verlangt, daß jene, denen gegenüber man früher loyal gewesen war, heruntergezogen und konkret kritisiert werden sollten.

Diese erzwungene Verräterei an Familie, früheren Freunden und Organisationen und Ideen war besonders schmerzlich und für die persönliche Identität auflösend. Zum Beispiel wurde von einem betagten katholischen Pater und Missionar verlangt, die Fehler und Mängel seiner früheren Vorgesetzten aufzuzählen und zuzugeben, daß der ganze Missionseinsatz der katholischen Kirche in China nichts anders gewesen sei als Lakaientätigkeit für den Imperialismus. Der Kult des Geständnisses beinhaltet daher eine Entleerung der Gedanken, Gefühle und Ideen, die das Individuum früher für wertvoll angesehen hatte, und ein Zerschneiden der Loyalitätsbande, die das Leben in einen sinnvollen Zusammenhang mit der Umgebung gebracht hatten.

5. Die sakrale Wissenschaft.

Jede totalitäre Ideologie umgibt ihre grundlegenden Dogmen mit einer Aura von Heiligkeit. Das übergeordnete Ziel darf nicht diskutiert werden, sondern ihm muß mit ehrerbietigem Respekt begegnet werden. Hier gibt es wichtige Tabugrenzen, und werden diese überschritten, ist es wie "in der Kirche fluchen". Im kommunistischen China stellte die Leitung ihre Dogmen als wissenschaftliche Wahrheiten vor. Dadurch wurde auch die Grenze zwischen Glauben und Wissen verwischt und der Unterschied zwischen dem Sakralen und dem Profanen aufgehoben. Die, welche uneins waren, kritisierten oder protestierten, begingen daher eine Entheiligung und waren gleichzeitig unwissenschaftlich.

Die sakrale Wissenschaft bietet sich auch als eine verlockende Synthese für den an, der während der Gehirnwäsche erschöpft und zerspalten wurde. Wenn sie anerkannt und angenommen wurde, erhielt das Individuum positive Signale zurück. Während der Gedankenreform wurde eine solche Anerkennung durch Erleichterung des physischen und sozialen Zwanges und psychologische Anerkennung und Unterstützung belohnt. Die Möglichkeit des Überlebens wurde auf diese Weise damit verbunden, daß man neue Ideen intellektuell und gefühlsmäßig anerkannte. Die Versuchung, seine frühere Identität und kritische Rationalität aufzugeben, wurde dadurch sehr groß.

6. Die Bedeutungverschiebung in der Sprache.

Dies beinhaltet eine konsequente Verwendung von stereotypen, gefühlsbetonten Klischees für die Beschreibungen aller Erscheinungen der Wirklichkeit. Einer begrenzten Zahl von Adjektiven und Substantiven wurde ein Metainhalt zugelegt, der das Gute und das Böse symbolisierte. Feine Unterschiede und sachentsprechende Ausdrücke verschwanden. Beispiele von der chinesischen Gedankenreform waren Adjektive wie "progressiv" und "reaktionär" und Substantive wie "Volk", "Imperialisten" und "Lakaien". Solche Wörter und Begriffe können wohl in bestimmten historischen Situationen sachentsprechende Gültigkeit haben. Aber in der Gedankenreform begannen sie, ein Eigenleben zu führen, und standen die ganze Zeit der Leitung als eine Art Stempel zur Verfügung, dessen sie sich immer dann bedienen konnte, wenn es Erscheinungen gab, über welche sie die Kontrolle haben wollte. Der Gebrauch von Klischees durch die, welche der Gedankenreform ausgesetzt waren, wurde als ein Zeichen dafür betrachtet, daß die Veränderung in die richtige Richtung ging.

Für machtlose, unsichere und verwirrte Individuen wurden solche Klischees eine gefühlsmäßige und intellektuelle Erleichterung. Sie trugen dazu bei, daß Zweifel und Hilflosigkeit aus dem Weg geräumt werden konnten, wenn es um die eigene Neuorientierung und die der anderen ging. In der Gedankenreform, wie in allen ideologischen Bewegungen, waren es vielleicht die Neubekehrten, welche die eifrigsten Benützer von Klischees wurden.

7. Doktrin über der Person.

Die klischeemäßige Bedeutungsverschiebung in der Sprache ist ein Zeichen dafür, daß die feinen Unterschiede verschwinden und das selbständige Urteilsvermögen aufgehoben wird. Die persönlichen und individuellen Eigenheiten werden ausgelöscht und bleiben weg, und diese werden in der neuen Gemeinschaft nicht vermißt, denn die Doktrin ist nun dem Menschen übergeordnet. Dessen Aufgabe ist es nun nicht mehr, sich nach seinen eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu entfalten, sondern eine neues Werkzeug für ein übergeordnetes Ziel zu sein. Der gefühlsmäßige Gewinn dieser Aufgabe der Selbständigkeit ist, daß der Sicherheits- und Zugehörigkeitsbedarf offensichtlich gedeckt sind. Das Ziel der Gedankenreform war, das Individuum zu einem Glied in einer Massenbewegung zu machen, welche die Gesellschaft und die Geschichte umformen sollte. Da bekamen viele persönliche Sorgen, Fehler und Mängel untergeordnete Bedeutung. Niemand weiß, wieviele dies wirklich auf diese Weise erlebten, aber es gibt keinen Zweifel darüber, daß solche Gefühle dem Individuum in einzelnen Augenblicken ein Erlebnis geben konnten, mit der Welt eins zu sein.

8. Aufhebung der Existenz.

Damit ist gemeint, daß eine Grenze gezogen wird zwischen den Menschen, die im neuen Weltbild anerkannt werden sollen, und jenen, denen die Existenzberechtigung aberkannt wird.

Die totale Identität muß sich auf Vorstellungen begründen, daß es auch einen äußeren Feind gibt, der Haß und Unversöhnlichkeit verdient. In der chinesischen Gedankenreform wird "Volk" ständig in der Bedeutung gebraucht, daß es alle bezeichnet, die in der neuen Gesellschaft das Heimatrecht besitzen. "Die Feinde des Volkes" waren die, die außerhalb standen, und eine variierende Anzahl Personen und Institutionen konnten dazugehören. Diese unversöhnliche Unterscheidung könnte jedoch auch in der totalitären Psychologie Probleme schaffen. Die unbeantwortete Frage ist, wer die Grenzen von welchen Voraussetzungen aus ziehen soll. Dies kann Angst und Unsicherheit darüber erzeugen, daß die Feinde des Volkes in der nächsten Umgebung, ja sogar in der eigenen Seele auftauchen könnten. Deshalb gilt es, gegen einen möglichen Verrat auf der Wacht zu sein. Angst, Unsicherheit und Denunziantentum sind daher die Folgen des neuen Lebens.

Politische und historische Voraussetzungen für Chinas Gedankenreform.

Auch wenn Lifton versucht, die Erfahrungen von Chinas Gehirnwäsche auf totalitäre Systeme zu verallgemeinern, muß man mit zu weitgehenden Parallelen vorsichtig sein. China in den Fünfzigerjahren bot ganz andere politische und historische Voraussetzungen als die heutige westliche Gesellschaft, wo die meisten neu-religiösen Sekten entstanden sind. Die chinesische Gesellschaft nach der Revolution von 1949 war totalitär. Die Macht war in Staat und Partei konzentriert, welche das Volk in Gedanken, Gefühlen und Handlungen einheitlich ausrichten wollten. Die chinesische Gedankenreform wurde sozusagen den Menschen über den Kopf gestülpt. Es gab wenig Möglichkeiten, zu entkommen.

Die neu-religiösen Sekten haben wenig oder keine äußere Macht, auf die sie sich stützen könnten. Sie entstanden und entwickelten sich in Nischen der Gesellschaft. Hier wurden sie von potentiellen Mitgliedern freiwillig aufgesucht, und physischer Zwang im eigentlichen Sinn konnte kaum ausgeübt werden.

Die Gedankenreform in China hatte auch zum Ziel, die Gesellschaft umzuformen. Die Menschen sollten ideologisch geeigneter werden, hier und jetzt materielle Aufgaben nach der Vorschrift der Partei zu lösen. Die meisten neu-religiösen Sekten haben nicht das Ziel, die Gesellschaft im weltlichen und historischen Sinn umzuformen. Ihre Zielsetzung ist eher das Gegenteil. Die Utopie lautet, die wenigen Auserwählten aus der Macht und Verdrießlichkeit dieser Welt zu retten. Es ist deshalb nicht Welteroberung, sondern Weltflucht, welche sie kennzeichnet.

Chinas Gehirnwäsche entstand auch in einer ideologisch überhitzten Gesellschaft. Ein langwieriger Bürgerkrieg und eine siegreiche Revolution waren zu Ende. Die Menschen waren durch langdauernde politische, ideologische und militärische Kämpfe abgehärtet. Eine arme und erschöpfte Gesellschaft sollte nun aufgebaut werden, und alle Lebenstätigkeiten sollten diesen Aufgaben sinnvoll untergeordnet werden.

Die heutige westliche Gesellschaft ist auf diesem Gebiet ganz anders. Sie ist ideologisch unterkühlt, sie hat eine lange Periode mit starker Entwicklung zum Wohlstand hinter sich. Die politischen Problemstellungen bezogen sich oft auf den Kampf um die Verteilung des Überflusses und verschärften sich, wenn dieser weniger wurde. Das Leben ist für die Jungen nicht randvoll mit Sinn, sondern ein Vakuum. Stark vereinfacht kann man deshalb sagen, daß die heutige westliche Gesellschaft historisch und kulturell ein Gegenpol zum China der Fünzigerjahre ist. Bedeutet dies, daß die psychologischen Prinzipien, welche Lifton auf der Basis der chinesischen Gehirnwäsche auszuwerten versuchte, für die heutigen neu-religiösen Sekten ohne Interesse sind ? Dies hieße, zu weit zu gehen. Ein Teil der Erscheinungen, die Lifton beschreibt, kommen in modernen Sekten in verändertem Maße vor.

Die Gehirnwäsche in neu-religiösen Sekten.

Mehrere Verfasser haben früher die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der chinesischen Gedankenreform und der psychologischen Beeinflussung in modernen religiösen Sekten erörtert (5). Es scheint Einigkeit darüber zu bestehen, daß der wichtigste Unterschied der ist, daß die Sekten keinen physischen Zwang ausüben. Es wird auch darauf hingewiesen, daß der Geständnisprozeß und der Angriff auf die frühere Identität weniger hervortreten, da die Jugendlichen, welche den Sekten beitreten, noch wenig Identität aufgebaut haben, die man angreifen könnte. Das ist gerade einer der Gründe, warum sie der Sekte beitreten.

Was die Ähnlichkeiten betrifft, so kann man folgendes betonen:

Eine Sekte kann in begrenztem Maß Milieukontrolle mit sozialen und psychologischen Mitteln ausüben. Von dem Augenblick an, wenn ein Mensch mit der Sekte in Kontakt kommt, wird oft die Aufmerksamkeit und die Beweglichkeit indirekt kontrolliert. Er oder sie wird davon abgehalten, die Familie zu besuchen, wird normalerweise daran gehindert, sich zu Selbstreflexion zurückzuziehen, und erhält nicht ohne weiteres Zugang zu Information aus den Massenmedien. Es wird eine soziale Struktur geben, die sehr programmiert ist und die verhindert, daß kritische Erörterungen laut werden. Die Sekte hat hingegen keine Zwangsmittel, den Betreffenden zurückzuhalten, und ein Mitglied kann sowohl physisch als auch juristisch austreten, wenn es dies will.

Man kann weiters sagen, daß in einer Sekte eine mystische Manipulation in dem Sinn stattfindet, daß die Sektenführer den Eindruck erwecken, eine höhere und besondere Offenbarung zu besitzen, welche Uneingeweihten verborgen ist. Andere können daran durch die Anerkennung des besonderen Status des Sektenführers Anteil erhalten. Dies beinhaltet, daß eigene rationale Beurteilung zugunsten der höheren Weisheit, die man selbst nicht kontrollieren kann, aufgegeben werden muß. Dies sind Elemente, die man in den meisten größeren Religionen findet, und berühren die grundlegende Frage, wie der Mensch überhaupt die größte Wahrheit im Leben finden kann. In den modernen Sekten werden jedoch mehr reflektierte Überlegungen und die gegenseitige Begrenzung der religiösen und wissenschaftlichen Erkenntnis verworfen. Sowohl die Dogmen der Kirche als auch marxistische Thesen und humanistische Ideale werden alle zugunsten einer mystischen Wahrheit verworfen, die Glaube und Wissen vereinigt und die sich in den privaten Offenbarungen der Sektenführer verbirgt.

Die Forderung nach Reinheit und der Kult der Geständnisse können in den neu-religiösen Sekten viele Formen annehmen. Sie werden kaum so dramatisch sein wie während der Gedankenreform, da man selten eine starke Persönlichkeit vor sich hat, die die Fehler und Mängel der Vergangenheit verantworten soll. Es ist eher so, daß die Erkenntnis der eigenen Verwirrung und Unsicherheit und das Eingeständnis entsteht, daß man etwas Neues braucht. Auch dies mobilisiert das existentielle Schuldgefühl, das mit der Frage verbunden ist, ob man das Leben weggeworfen hat oder nicht. Diese Allianz bietet die Grundlage dafür, daß er/sie leichter manipuliert wird.

Eine sakrale Wissenschaft und eine Bedeutungsverschiebung in der Sprache sind auch Elemente in modernen Sekten. Die Ideologie der Sekte ist oft eine Mischung von besonderen Offenbarungen, die als gegeben angenommen werden, und scheinbar rationalen Schlußfolgerungen aus diesen Voraussetzungen. Die Bedeutungsverschiebung in der Sprache mit Klischees ist oft in Wort und Schrift festzustellen. Diese wird besonders in Erscheinung treten, wenn man mit neubekehrten Sektenmitgliedern spricht.

Die Doktrin über der Person und die Aufhebung der Existenz wird als die schließliche Bestätigung dafür kommen, daß man sich der Sekte angeschlossen hat. Gedanken, Gefühle und Lebensführung werden dem übergeordneten Ziel der Sekte untergeordnet. Andere Menschen interessieren im Wesentlichen als mögliche Proselyten und als wirtschaftliche Beitragsleister für die Sekte. Wie es mit der Gesellschaft außerhalb und mit anderen Menschen geht, ist mehr oder weniger gleichgültig, wenn nur die Sekte besteht und sich entwickelt.

Man kann daher sagen, daß Liftons Kriterien in gewissem Grad auf einer allgemeinen Ebene das beschreiben, was in modernen Sekten geschieht. Aber das psychologische Verständnis kann nicht dabei stehenbleiben. Hier wie anderswo ist es nicht genug, Begriffe anzuwenden, die aus anderen historischen Konstellationen genommen sind. Die Sekten beanspruchen, durch eigene Studien verstanden zu werden. In den folgenden Kapiteln sollen einige durchgeführte empirische Untersuchungen erörtert werden.



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Nils Johan Lavik



Erlöst oder verführt ?



Teil 3



5. Psychiatrie und "Prophetenparanoia"



Die Psychiater hatten schon lange bemerkt, daß Führer oder Mitglieder von extremen religiösen Sekten abweichende Persönlichkeitszüge und krankhafte Symptome aufweisen können. Die Bezeichnung "Prophetenparanoia" findet sich noch in Lehrbüchern, besonders in älteren. Dieser Ausdruck bezieht sich auf Menschen mit krankhaften Zwangsvorstellungen über eigene Größe und die Berufung, eine neue Lehre oder Religion zu verkünden. Oft war dies mit anderen Symptomen und abweichenden Persönlichkeitszügen verbunden. Es ist richtig zu sagen, daß die Psychiatrie im großen und ganzen diesen Begriff vorsichtig angewandt und ihn für Fälle reserviert hat, wo man klare krankhafte Symptome wirklich dokumentieren konnte.

Von Zeit zu Zeit machten Psychiater Versuche, bekanntere Persönlichkeiten mental zu erörtern. Ein interessantes und umstrittenes Beispiel ist die Serie von Oberarzt Johan Scharffenberg im "Arbeiderbladet" vom Sommer 1933, wo er zu dokumentieren versuchte, daß Hitler an Prophetenparanoia litt. Die Gesichtspunkte von Scharffenberg stießen auf Widerstand, nicht nur von Menschen, die mit dem Nationalsozialismus sympathisierten, sondern auch von anderen, die meinten, dies wäre eine Entgleisung und eine Psychiatrisierung von politisch-ideologischen Fragen. Spätere Studien über den Nationalsozialismus und seine Führer haben indessen gezeigt, daß viele psychopathologische Züge vorhanden waren, und daß es ein Nachteil war, daß diese Dinge nicht zu einem frühen Zeitpunkt ernst genommen wurden.

Übrigens zeigte Johan Scharffenberg durch seinen Einsatz während des Krieges und der Besetzung, daß seine Erkenntnis von der Psychopathologie des Nationalsozialismus kein Hindernis für eine hervorragenden politische und philosophische Analyse waren.

Eine systematischere Darstellung des Themas in Norwegen wurde von Hans Evensen vorgenommen, der im Jahre 1942 "Prophetengestalten im Lichte der Rechtspsychiatrie" herausgab (1). Die Arbeit ist eine Fallsammlung von geisteskranken Prophetengestalten, die im Laufe des letzten Jahrhunderts medizinisch beobachtet oder von der Justiz bearbeitet wurden. Die Darstellung dreht sich nicht nur um die individuellen Fälle, sondern beleuchtet auch die Versuche von stattgefundenen lokalen Gemeindebildungen und die Reaktionen, die daraus im Lokalmilieu entstanden. In der Einleitung begründet Evensen seine Arbeit u.a mit folgendem:

Propheten sind heutzutage selten, und dies macht es für den einzelnen schwierig, genügend Erfahrungen über deren seelische Voraussetzungen und Geisteszustand zu sammeln.

Dies ist auch seine Begründung für die Arbeit, nämlich daß eine "Zusammenstellung von Fällen für den nützlich sein kann, der es mit solchen Fällen zu tun hat". Evensen hat weiters eine Hypothese, warum es heutzutage so wenige Prophetengestalten gibt:

Die Seltenheit beruht teilweise darauf, daß der Glaube an das Eingreifen übernatürlicher Kräfte in die Alltagsereignisse mit der zunehmenden Aufklärung seine frühere Macht über das Bewußtsein verloren hat.

Evensen zeigt hier den rationalistischen Entwicklungsoptimismus, der für seine Zeit typisch war. Hätte er die letzten Jahrzehnte verfolgen können, so hätte er reichlich Zugang zu neuen Erfahrungen gehabt, aber er hätte vermutlich auch seine Auffassung revidieren müssen, daß die zunehmende Aufklärung vermehrte Macht über das Bewußtsein erlangt habe.

6. Psychopathologie in großen Gruppen - ein extremes Beispiel.

Der amerikanische Psychiater Marc Galanter hat betont, daß ein Großgruppengesichtspunkt wichtig ist, um die psychologischen Prozesse und das sichtbare Verhalten in neu-religiösen Sekten zu verstehen. In einem Leitartikel im American Journal of Psychiatry (1) betont er, daß eine Sekte immer durch folgende Umstände geprägt wird:

1. Ein Glaubenssystem, worüber unter den Sektenmitgliedern Einigkeit herrscht.

2. Eine starke innere Gemeinschaft.

3. Umfassende Einflüsse auf das Verhalten und die Lebensführung der Mitglieder.

Es gibt viele Weisen, auf welche sich diese Kennzeichen zeigen. Das extremste Beispiel aus moderner Zeit für den Einfluß einer Sekte auf das Verhalten ist vermutlich der "Tempel des Volkes". Hier geschah eine enorme Mobilisierung von destruktiven Gefühlen, die sich so auswirkte, daß 911 Personen im Regenwald außerhalb von Jonestown in Südamerika kollektiven Selbstmord begingen. Davor war ein Meer von primitiven Gefühlen in der Gruppe hochgepeitscht worden, Angst, Verzweiflung, vereinigt mit starker Abhängigkeit vom Sektenführer, Jim Jones. Die Gruppe scheint in einer Art kollektivem Trancezustand gewesen zu sein, wo die Fähigkeit zu eigener Realitätserprobung vollständig aufgehoben war.

Der "Tempel des Volkes" wurde von Journalisten, Psychologen und früheren Sektenmitgliedern beschrieben. Ein eigenes Untersuchungsteam lieferte auch einen umfassenden Bericht an das amerikanische Außenministerium (2). Das vorgelegte Material hat auch zu einer neuen Debatte über massenpsychologische Erscheinungen geführt. Ullmann und Abse (3) versuchen mit Ausgangspunkt in Freuds klassischer Arbeit von 1921, Group Psychology and the Analysis of the Ego (4), eine psychoanalytische Perspektive dessen zu geben, was sich ereignet hatte. Freud postulierte eine historische Entwicklungsperspektive und daß der Mensch einst in primitiven Horden lebte. Hier gab es einen Leiter, der als Vaterfigur für die ganze Gruppe fungierte. Diese gab ihr eigenes Ego-Ideal auf und folgte dem Leiter durch Dick und Dünn. Die Psyche des Leiters selbst und das Zusammenspiel, das zwischen dem Leiter und den Mitgliedern der Gruppe etabliert wurde, wurde für das Gefühlsleben und die Handlungsweise der Gruppe entscheidend.

Durch diese Dynamik können Fähigkeiten, Gefühle und Handlungen zum Leben erweckt werden, die das überschreiten, was Einzelmenschen allein vermögen. Aber diese Tendenzen können sowohl ein konstruktives als auch ein destruktives Gepräge haben. Wenn der Gruppenleiter selbst voll Angst, Aggression und Unsicherheit ist, wird dies übertragen und sich in der Gruppe verbreiten. Gerade deswegen, weil diese ihr eigenes Ego-Ideal aufgegeben hat und ohne kritische Gegenvorstellungen ist, werden sich solche destruktiven Gefühle enorm ausbreiten können. Es scheint, daß sich Freud über die destruktiven Resultate klar war, zu denen dies führen konnte. Er schreibt unter anderem:

Wenn Individuen in einer Gruppe zusammenkommen, werden alle ihre individuellen Hemmungen wegfallen und die grausamen, brutalen und destruktiven Instinkte, die im Individuum als Überreste einer primitiven Periode gesammelt liegen, werden aufgeweckt und frei, um befriedigt zu werden.

In einer solchen Gruppe geschieht daher das, was man eine Regression nennt, sowohl auf individueller wie auch auf kollektiver Ebene. Das bedeutet, daß Gefühle und Handlungen primitiverer und kindlicherer Art zum Ausdruck kommen. Die starke Identifikation zwischen Leiter und Gruppenmitgliedern wird bewirken, daß die gefühlsmäßigen Schwingungen des Leiters bei den Mitgliedern Resonanz hervorrufen und diese sehr rasch in Aufruhr bringen. Wenn die gleichen Gefühle auf einmal in einer großen Gruppe entstehen, erfolgt eine "Kondensierung", die gewaltsame Ausbrüche zur Folge haben kann, die niemand steuern kann. Ullmann und Abse behaupten, daß es dies war, was die Entwicklung im "Tempel des Volkes" bedingte. Die aggressiven und destruktiven Gefühle des Leiters verpflanzten sich auf die Mitglieder, die an ihn in tiefer und hilfloser Abhängigkeit gebunden waren.

Überlebenden zufolge war die letzte Botschaft des Sektenführers Jim Jones an die Mitglieder im "Tempel des Volkes" ungefähr folgende: "Wenn ihr mich so sehr liebt, wie ich euch liebe, müssen wir alle sterben, oder wir werden von außen vernichtet". Wenn man versucht, den Symbolwert dieser Botschaft zu analysieren, und zu analysieren, wie dies in der aktuellen Gruppendynamik zu den umfassenden destruktiven Handlungen führen konnte, kann man folgende Elemente im Prozeß andeuten:

Die Botschaft betont und ruft hervor eine Inflation der starken von Liebe geprägten Abhängigkeitsbande, die bereits zwischen dem Sektenführer und den Mitgliedern existierten: "Wenn ihr mich so sehr liebt, wie ich euch liebe". Man kann sagen, daß der Sektenführer mit diesem Ausspruch die Liebesbande auf die Probe stellt. Die Mitglieder in der Gruppe werden gezwungen zu zeigen, ob sie seiner Liebe würdig sind. Die Bedingungen sind jedoch hart und kommen im nächsten Teil der Botschaft vor: "Wir müssen alle sterben oder werden von außen vernichtet". Vom psychologischen Gesichtspunkt kann man sagen, daß dieser zweite Teil eine enorme Mobilisierung von Aggression in zwei Richtungen gleichzeitig enthält. Es geschieht ein Einwurf in Richtung Selbstvernichtung und Selbstmord (wir müssen alle sterben) und gleichzeitig erfolgt eine Projektion, eine Unterstreichung, daß es etwas außerhalb gibt, daß kommen und sie vernichten wird (oder wird werden von außen vernichtet).

Wenn ganze 911 Sektenmitglieder von dieser Botschaft auf solche Weise gefangen wurden, daß die Aggression nach innen in Selbstmord überschlug, ist dies der Beweis dafür, daß die Abhängigkeit groß und die eigene Fähigkeit zum Testen der Realität, wo es doch das eigene Leben galt, vollständig suspendiert war.

Der "Tempel des Volkes" ist eine extreme Variante der neu-religiösen Sekten. Man kann schließlich sagen, daß seine Tragik eine verschärfte Illustration der psychologischen Prozesse ist, die ausgelöst werden können. Auf diese Weise kann es den Sinn dafür schärfen, wie zerbrechlich der einzelne Mensch in großen Gruppenzusammenhängen ist, wie stark die Regression werden kann, und wie destruktive Impulse durchbrechen und sein Verhalten formen können. Es ist glücklicherweise selten, daß das Resultat so arg wird.

7. Entwicklungsphasen der Sektenzugehörigkeit.

Für viele junge Menschen wird der Kontakt mit einer religiösen Sekte ein Prozeß mit mehreren Entwicklungsstufen. Es beginnt mit der Rekrutierung, wo man aus vielen Gründen sich bewirbt oder davon angezogen wird, was die Sekte vertritt. Dieses Stadium beinhaltet eine Erprobung der Umstände, die für einige zu einer Bekehrung zum Glauben und zur Lebensform der Sekte führen. Dies kann dramatisch oder langsam geschehen. Das Resultat wird eine Neu-Orientierung auf der inneren und der äußeren Ebene sein, mit Veränderungen in den Gedanken, Gefühlen und dem Verhalten, und gewöhnlich einem Wechsel der Loyalitätsbande und der sozialen Verpflichtungen.

Wer bekehrt wurde, tritt in eine Sektenmitgliedschaft auf Zeit ein. Nun wird sich die neue Lebensführung in der Praxis erweisen. Diese Periode kann von einigen Tagen bis zum ganzen Leben dauern. Für einige Mitglieder von neu-religiösen Sekten dauert sie auf jeden Fall einige Jahre. Nicht so wenige verlassen indessen die Sekte - und da kommen sie in das letzte Stadium - den Abfall. Dies kann auf eigenen Wunsch geschehen, weil ein Mitglied Konflikte zwischen sich und den Normen und der Lebensführung der Sekte erlebt - oder es kann mit mehr oder weniger Zwang geschehen, der gewöhnlich von der Familie des Mitgliedes ausgeübt wird. Wie später erörtert wird, ist dies ein kontroversielles Thema, sowohl ethisch und gefühlsmäßig als auch juristisch.

Die Psychiater haben, ausgehend von klinischen Erfahrungen und systematischen Studien, versucht, sich von dem ein Bild zu machen, was in den verschiedenen Stadien geschieht. Es ist natürlich wichtig, sich darüber klar zu sein, daß es viele Typen von Sekten gibt. Die gesamte klinische Erfahrung und Forschung ergibt daher bei weitem kein eindeutiges Bild. Man muß auch sagen, daß es keine Einigkeit unter Psychiatern, Psychologen und Gesellschaftswissenschaftlern gibt, wie man psychologisch und mentalhygienisch das beurteilen soll, was in den verschiedenen Stadien geschieht. Dies kommt teils davon, daß die Erfahrung von verschiedenen Sekten stammt, aber auch davon, daß die Grundhaltung verschieden ist.

Einigen scheint, daß der Beitritt zu einer Sekte eine normale Variante ist, wie ein junger Mensch seine Identität erprobt - und meinen, daß man dies weder dramatisieren noch abweichend oder krankhaft nennen sollte. Eine solche Haltung ist oft mit einer liberalen und toleranten Auffassung darüber verbunden, daß ein junger Mensch das Recht haben muß, den religiösen Glauben und die Lebensform zu suchen, die er wünscht, wenn er auch noch so von dem abweicht, was die Eltern und die übrige Gesellschaft vertreten.

Andere Psychiater, die vielleicht mit großen Problemen sowohl beim Beitritt zur Sekte als auch beim Abfall konfrontiert wurden, bewerten die Sache ernster. Oft wird auch eine familienpsychiatrische Perspektive angelegt, wie man sich gegenüber der Verzweiflung der Eltern und dem zerbrochenen Loyalitätsband zur Familie verhalten soll.

Es ist nicht leicht, diese Perspektiven ohne weiteres zu vereinen. Auf viele Arten können zumindest zwei Parteien in der Angelegenheit entstehen: der junge Mensch, der behauptet, in der neuen Lebensform etwas Positives gefunden zu haben - und die Eltern/die Familie, die behaupten, daß der junge Mensch verführt wurde und sein eigenes Bestes nicht verstehe.

In einer solchen Perspektive sollte die Psychologie und Psychiatrie mit der Beilegung oder "Harmonisierung" von religiösen und ideologischen Gegensätzen auf oberflächlichen Voraussetzungen vorsichtig sein. Wenn die Eltern liberale Humanisten sind, werden sie notwendigerweise in ideologischem Konflikt mit einem Kind sein, das sich einer extremen religiösen fundamentalistischen Sekte angeschlossen hat.

Wenn die Eltern Christen sind, werden sie in Konflikt mit einem Kind sein, das sich zum Beispiel einer hinduistischen oder buddhistischen Sekte angeschlossen hat. Wenn man in einer solchen Situation vermittelt, daß es nun gälte, zu allererst tolerant zu sein und die gegenseitigen Gesichtspunkte zu verstehen - wird man kaum eine Hilfe sein. Beide Partner werden vermutlich fühlen, daß man es nicht ernst nimmt.

Was die Psychiatrie und Psychologie beitragen kann, ist es, klarzumachen, wie Gedanken, Gefühle und Handlungen aufeinander einwirken, wenn man in Entwicklungskrisen im Leben steht. Im folgenden sollen einige Studien aus den USA wiedergegeben werde, wo man versucht hat, klarzumachen, was mit den Menschen in den verschiedenen Stadien des Sektenbeitrittes geschieht.

Rekrutierung.

Wenn ein junger Mensch sich einer Sekte anschließt, werden natürlich die Familie und andere Bekannte versuchen, Erklärungen zu finden. Diese können davon ausgehen, daß der Betreffende unglücklich oder kontaktlos war, Probleme hatte oder daran ist, verrückt zu werden. Wo man keine vernünftige Erklärung findet, wird die Umgebung oft meinen, daß der Betreffende ungehöriger Beeinflussung oder Gehirnwäsche ausgesetzt wurde.

Ich will im folgenden etwas von einigen dieser systematischen Untersuchungen der Rekrutierungsgrundlage berichten, die erschienen sind:

Professor Marc Galanter in den USA hat solche Studien in Zusammenarbeit mit mehreren Sekten durchgeführt, die daran interessiert waren, ihre Tätigkeit zu entmystifizieren. Die Fragen, die man zu beleuchten versuchte, waren unter anderem: Aus welchem Milieu und welchen sozialen Schichten kommen die Sektenmitglieder ? Sind sie von psychischen Symptomen und Problemen geprägt, zum Beispiel Drogenmißbrauch ? Wie sind die Familienverhältnisse und die soziale Anpassung im allgemeinen ?

Die meisten Studien scheinen zu bestätigen, daß die, welche rekrutiert werden, junge Menschen aus der Mittelklasse und der höheren Mittelklasse sind, sie haben gute Ausbildung, sind gewöhnlich Schüler und Studenten. Was das Vorkommen von gefühlsmäßigen Problemen und psychischen Symptomen betrifft, wurde in einer repräsentativen Auswahl von 237 Individuen, die sich der "Vereinigten Familie" angeschlossen hatten, festgestellt, daß 39 % gefühlsmäßige Probleme hatten, unter denen sie vor dem Beitritt zur Sekte litten, 30 % hatten psychiatrische Hilfe benötigt und 6 % waren in psychiatrische Institutionen eingeliefert worden. Außerdem hatten 23 % ernste Probleme mit Drogenmißbrauch (1).

Ausgehend davon, was man von anderen Untersuchungen weiß, kann man sagen, daß diese Zahlen ein etwas, aber nicht viel höheres Auftreten von psychischen Symptomen zeigen, verglichen mit dem, was in der Durchschnittsbevölkerung normal ist.

In einer anderen Untersuchung von 119 Mitgliedern der Sekte "Divine Light Mission" waren der Großteil Jugendliche um die 20, und 76 % hatten College-Ausbildung. Hier fand man, daß 38 % vor dem Sektenbeitritt psychiatrische Hilfe benötigt hatten, 9 % waren in psychiatrische Kliniken eingeliefert worden, und 29 % waren einmal eingesperrt gewesen. Ganze 92 % hatten irgendwann Marihuana verwendet, 68% Halluzinogene und 14 % Heroin (2).

In einer Studie aus Kanada wurden 107 Jugendliche, die sich einer Reihe verschiedener Sekten angeschlossen hatten, in umfangreichen Interviews von Levin Salter untersucht (3). Das Alter variierte von 17 bis 30 Jahre mit einem Durchschnitt von 21,5 Jahren. Es waren 55 Männer und 51 Frauen. Der soziale Hintergrund war Mittelklasse und höhere Mittelklasse, fast alle hatten die High School absolviert, und der Großteil hatte wenigstens irgend eine Form von Universitätsausbildung. Die meisten kamen aus Familien, wo die Eltern weiterhin verheiratet waren, und sie behaupteten, daß sie vor dem Beitritt zur Sekte ein allgemein gutes Verhältnis zu den Eltern gehabt hatten. Ihre Familien waren jedoch alle negativ zur Sekte eingestellt. Der Verfasser gibt kein Vorkommen von konkreten Symptomen an, aber 46 % behaupteten, daß sie sich vor dem Sektenbeitritt allein, einsam, traurig und ohne Zugehörigkeit gefühlt hätten, und 43 % gaben an, daß es ihnen nicht so schien, daß das Leben einen Sinn habe. Die Hauptschlußfolgerung war, daß es sich um Jugendliche aus ziemlich gutem sozialen Hintergrund handelte, aber mit bedeutenden existentiellen Frustrationen.

Untersuchungen von einzelnen anderen Sekten haben starkes Vorkommen von psychischen Problemen unter denen gezeigt, die rekrutiert wurden. Dies gilt nicht zuletzt für kleinere örtliche Sekten mit kürzer dauerndem und vorübergehendem Charakter.

Deutsch (4) beschreibt eine solche Sekte, die 1973 in New York um einen Guru entstand, der aus Indien zurückkam. Er nannte sich Baba und begann, in einem Park in New York Menschen um sich zu sammeln. Er verkündigte die Notwendigkeit, sich von der Welt abzuwenden und seinen Anweisungen zu folgen. Er gewann beim ersten Mal 30 Anhänger. Nach einiger Zeit wuchs die Sekte auf über 100, und sie zogen aus der Stadt und ließen sich auf einer Anhöhe in einer der Ost-Staaten nieder. Nach und nach wurde der Sektenführer offenbar psychotisch mit Halluzinationen und Grimassen. Er nahm viele merkwürdige Handlungen vor, kaufte eine elektrische Badewanne, die unbrauchbar war. Er wurde Mitgliedern gegenüber sadistich und mißbrauchte mehrere Frauen sexuell. Trotzdem schlossen sich die Mitglieder für lange Zeit fest um ihn und meinten, seine Handlungen könne man damit erklären, daß er göttlich inspiriert sei. Bei näherer Überprüfung derer, die in der Sekte verblieben, fand man ein großes Übergewicht von Menschen mit großen früheren psychischen Problemen in Form von sozialer Isolation, Drogenmißbrauch und psychischen Symptomen. Der Beitritt zur Sekte schien also diesen eine Art vorübergehender Stütze für ihre Handlungen und inneren Konflikte zu geben.

Andere Studien (5) unterstreichen, daß Jugendliche, die sich Sekten angeschlossen hatten, in der Regel eine Kombination folgender Züge haben: Sie haben keine befriedigenden gefühlsmäßigen Beziehungen zu ihren Nächsten, sie sind unreif und abhängig und erleben die Welt der Erwachsenen als bedrohliches Chaos. Das kombinieren sie gerne mit einem ideologischen Hunger danach, etwas zu finden, an das sie glauben können. Wenn diese Konstellation da ist, fallen sie leicht wie reife Früchte dem Einfluß tüchtiger Sektenführer zum Opfer.

Die Bekehrung zu dubiosen Religionssystemen

Der Religionspsychologe William James beschrieb schon 1902 die Bekehrung oder Konversion als einen psychologischen Prozeß, wo ein "gespaltener, unterlegener und unglücklicher Mensch ganz mit sich eins und glücklich wurde" (6).

Die Psychiatrie war sich immer darüber klar, daß die Bekehrung bedeutende Wirkungen auf die Gedanken, Gefühle und auf das Verhalten des Menschen haben kann. Hingegen wurden wenige systematische Studien durchgeführt. Das Erfahrungsmaterial, auf dem man aufbaute, waren gewöhnlich fallweise Beschreibungen von Patienten, die in psychiatrischer Behandlung waren und dort über ihre religiösen Erlebnisse berichteten, und die Analysen von biographischem Material bekannter religiöser Persönlichkeiten durch Psychiater.

Mehrere der Untersuchungen, über die in Verbindung mit der Rekrutierung zu Sekten berichtet wurde, haben auch systematisch versucht, die unmittelbaren Folgen der Bekehrung zu analysieren und zu beschreiben.

In Galanters Studie über die 237 Personen, die sich der "Moon-Sekte" angeschlossen hatten, wurden nervöse Leiden in einem Fragebogen in 8 Punkten registriert. Die Informanten sollten hier den Grad der Leiden vor und nach der Bekehrung angeben. 91 % der Informanten gaben eine durchschnittliche Besserung von 30 % bei solchen Leiden an. Die Besserung war bei denen am stärksten, die sich gleichzeitig am stärksten religiös engagiert hatten. Die meisten machten auch viele andere positive Aussagen über ihre neue Lebenssituation. Einige wenige gaben keine Veränderungen an und ganz wenige sprachen von einer Verschlechterung (7).

In Galanters Studie über die 119 Personen, die sich der Sekte "Divine Light Mission" angeschlossen hatten, wurde eine deutliche Besserung psychischer Symptome festgestellt, als der Beschluß fiel, sich der Sekte anzuschließen. Sowohl inner-psychische Symptome wie Angst und Depression als auch die Abhängigkeit von Alkohol und Drogen (Hasch) nahmen ab. Die Besserung war besonders stark bei denen, die angaben, nach der Bekehrung eine starke Gruppenzugehörigkeit zu fühlen. In dieser Sekte spielt Meditation eine wichtige Rolle, und es wurde auch festgestellt, daß die Besserung mit dem Umfang und der Intensität der Meditation zunahm.

Galanter führte auch eine Studie aus, wo er von Beginn an (prospektiv) 104 "Rekruten" verfolgte, die ein Einführungsseminar (workshop) von 21 Tagen durchmachten, das von der "Moon-Sekte" veranstaltet wurde (8). Das Ganze begann mit einer Wochenend-Versammlung von zwei Tagen mit Vorträgen, Aktivitäten und Gruppendiskussionen. Wer fortsetzen wollte, machte dann ein neues Programm von einer Woche mit weiteren intensiven Aktivitäten, Vorträgen und Diskussionen durch. Danach wurde wieder das Resumée gezogen, und die, welche weiter fortsetzen wollten, machten in der letzten Periode mit fortgeschrittenen Tätigkeiten weiter. Dies umfaßte unter anderem externe Tätigkeiten wie Geld einsammeln und Zeugnis ablegen. Dieses Einführungsseminar zeugt vom relativ hohem Organisationsniveau der "Moon-Sekte" und davon, daß die Mitglieder mehr nach einem genau geplanten Programm als durch spontane Tätigkeiten geworben werden.

In diesem Projekt wurden alle "Rekruten" systematisch vor dem Start und später mehrmals im Laufe der 21-tägigen Periode getestet. Man konnte dadurch herausfinden, was die auszeichnete, welche sich endgültig der Sekte anschlossen, verglichen mit denen, die nach zwei bzw. sieben Tagen ausstiegen.

Es wurden jedesmal vier Testbatterien für allgemeines psychisches Wohlbefinden (general well-being scales), Zugehörigkeit und Gemeinschaftsgefühl (cohesion-scales), Glaube (creed-scales) und für Sinn und Zweckmäßigkeit (sense and purpose scales) angewandt.

Vor dem Anschluß an die Sekte war das Niveau des allgemeinen psychischen Wohlbefindens bei den Rekruten etwas schlechter als in einer Vergleichsgruppe von normalen Jugendlichen. Es war auch etwas schlechter bei denen, die in der Sekte blieben, verglichen mit denen, die im Laufe der Rekrutierungsperiode wieder ausstiegen. Dies stützt die Annahme, daß die, welche Sektenmitglieder werden, etwas mehr Probleme und Erlebnisse der Unzufriedenheit haben als andere Jugendliche. Aber unterwegs - im Laufe der 21-Tages-Periode - verbesserten alle ihre Resultate auf diesen Skalen.

Wenn man nun weiters die, welche in einer frühen Phase des Programms ausstiegen, mit denen verglich, die sich der Sekte anschlossen und 21 Tage dort blieben, so fand man auch in den anderen Testbatterien Unterschiede. Die, welche früher ausstiegen, wiesen, wie man sich erwarten konnte, auf der Glaubens-Skala niedrigere Werte auf. Die Unterschiede waren jedoch auf der Skala der Zugehörigkeit und des Gemeinschaftsgefühls am stärksten. Hier wurde ein Unterschied gemacht zwischen Kontakt und Gemeinschaftsgefühl mit Personen außerhalb der Sekte (Angehörige und Freunde) und Kontakt und Gemeinschaftsgefühl mit Mitgliedern der Sekte. Diejenigen, welche nicht ausgestiegen waren, zeichneten vor allem niedrige Werte bei den Tests für Gemeinschaftsgefühl mit Angehörigen und Freunden außerhalb der Sekte aus.

Diese Untersuchung weist an und für sich keine aufsichtserweckenden Resultate auf. Sie bestätigt die große Bedeutung, welche die gefühlsmäßigen Bindungen dafür haben, was da geschieht. Es ist dies jedoch eine der äußerst wenigen Studien, die systematisch und prospektiv (also vor dem Beginn) Material für die Analyse gesammelt haben. Damit vermeidet man die Fehlerquellen, die immer mit retrospektiver (d.h. zurückschauender) Information verbunden sind.

Die Resultate erhärten und bestätigen die Auffassung, daß der fruchtbare Boden für Rekrutierung und Bekehrung die Jugendlichen sind, die eine Kombination von mangelndem psychischen Wohlbefinden mit wenig Gefühl für Zugehörigkeit zu ihrer normalen Umgebung und einem starken Bedürfnis für Sinn im Leben haben.

Zusätzlich zu dem, was sich aus den systematischen Fragebögen und Testbatterien ergibt, ist die Bekehrung oft von vielen komplexen psychologischen Erlebnissen begleitet.

In Galanters Studie über die 119 Personen, die sich der "Divine Light Mission" anschlossen, waren es 30 %, die angaben, sie hätten in Verbindung mit der Bekehrung vorübergehende Bewußtseinsstörungen und Halluzinationen gehabt (9).

In den letzten Jahren wurden auch mehrere Untersuchungen des Bekehrungsprozesses in fundamentalistischen charismatischen christlichen Milieus wie der "Jesus-Bewegung", in einigen Milieus der Pfingst-Bewegung und in der Sekte "Kinder Gottes" durchgeführt. (Die letztere wird von den etablierten Kirchen nicht als christliche Sekte anerkannt) (10). Ein Modell davon, was während der Bekehrung geschieht, wurde 1965 von Lovland und Stark beschrieben, basierend auf einer eingehenden Studie einer kleineren Sekte (11). Mehrere spätere Studien bauten auf diesem Modell in modifizierten Formen auf. Das Modell skizziert sieben Punkte, die man am besten die Aktivierungsstufen im Bekehrungsprozeß nennen kann. Die drei ersten werden prädisponierende Faktoren und die vier nächsten die Situationsfaktoren genannt, da sie die Bekehrung auslösten. Es sind die folgenden Punkte:

Prädisponierende Faktoren:

1. Erlebnis von starkem Streß, Angespanntheit, Verlassenheit und Frustration.

2. Besitz einer "religiösen", rhetorischen problemlösenden Perspektive ( im Gegensatz zu einer politischen und psychologisch/therapeutischen Perspektive, die beide weltliche Lösungsmodelle für Konflikte und Probleme sind).

3. Selbstdefinition als "religiös Suchender" gleichzeitig mit Zurückweisung traditioneller Religion und weltlichen Auswegen.

Situationsfaktoren:

4. Man naht sich einem "Wendepunkt" - frühere Handlungsweisen sind nicht mehr "operativ" und der Kontakt zu Sektenmitgliedern wird hergestellt.

5. Heranbildung von gefühlsmäßigen Bindungen zwischen dem "Vor-Bekehrten" und Sektenmitgliedern (ernstes Überdenken der Sektenideologie beginnt ).

6. Relativ schwache oder neutrale gefühlsmäßige Bindungen zu Personen und dem Milieu außerhalb der Sekte. (Und eventuell positive Bindungen zu anderen "Suchenden", die verstärken und zu fortgesetztem Kontakt ermuntern ). Dies kulminiert in einer "Verbalbekehrung".

7. Intensive (gemeinschaftliche) Interaktion mit anderen Sektenmitgliedern, was zu einer "Totalbekehrung" führt, und die Person wird für die Sekte als Zeuge und Agent benützbar.

Wie daraus hervorgeht, legt dieses Modell Gewicht auf die gleichen Phänomene, die sich bei den berichteten empirischen Untersuchungen ergaben - gefühlsmäßige Unzufriedenheit kombiniert mit existentieller Frustration und Zurückweisung von traditionellen religiösen oder weltlichen Lösungen. Mangelhafte gefühlsmäßige Bindungen zu Menschen außerhalb der Sekte und Sich-Einlassen mit anderen Sektenmitgliedern beschleunigen den Prozeß.

Der Reifegrad der Persönlichkeit und die Fähigkeit zu Selbständigkeit wurden in anderen Untersuchungen beurteilt.

Simmonds nahm sich das Abhängigkeitsbedürfnis von 96 Mitgliedern vor, die sich der Jesus-Bewegung anschlossen (12). Aus den Testbatterien ergaben sich starke Abhängigkeitsbedürfnisse vor und nach der Bekehrung. Umfangreiche Interviews ergaben, daß die Untersuchten ihr Abhängigkeitsbedürfnis, ihre Ohnmacht und ihre Unfähigkeit, die Frustrationen des Lebens selbst zu bewältigen, ohne weiteres zugaben. Vor der Bekehrung waren sie größtenteils von Drogen abhängig. Nun waren sie von "Jesus" und dem neuen Milieu, dem sie sich angeschlossen hatten, abhängig geworden.

Die Verfasser behaupten, daß dieser Wechsel der Autorität ein Ausdruck für eine gesunde mentalhygienische Anpassung von den gegebenen persönlichen Voraussetzungen aus ist. Wenn ein Mensch ein starkes Abhängigkeitsbedürfnis hat, ist es wichtig, daß dieses zufriedengestellt wird, nicht in destruktiven Formen, sondern in Milieus, die für das Leben positive Perspektiven haben.

Abhängigkeitsbedürfnisse finden sich bei allen Menschen, auch im Erwachsenenalter - und sie können bei Lebenskrisen stärker hervortreten. Soll einem dabei geholfen werden, so setzt dies die Fähigkeit voraus, sich durch eine Regression zu diesen Abhängigkeitsbedürfnissen zu bekennen.

Die Regression ist ohne Zweifel ein wichtiger Teil im Bekehrungsprozeß. Ist die Regression stark und dramatisch, so kann sie von einem geänderten Bewußtseinszustand und halluzinatorischen Erlebnissen begleitet werden.

Die Bekehrung ist vielleicht der dramatischeste Punkt im Sektenerlebnis. Aber auch die neuen religiösen Sekten kommen an dem alten Wort nicht vorbei, daß "man den Baum an den Früchten erkennen wird". Dies führt zur nächsten Frage. Wie funktioniert die Sektenmitgliedschaft über die Zeit und welche Verhaltensweisen bringt sie mit sich ?

Sektenmitgliedschaft

Die meisten, die zu einer Sekte bekehrt werden, bleiben dort eine kürzere oder längere Periode. Die Studien, über die berichtet wurden, haben auch versucht, die Langzeitwirkungen aufzuzeigen.

Aus Galanters Untersuchung über die 237 Personen, die sich der "Moon-Sekte" angeschlossen hatten, ergab sich, daß die Besserung nervöser Leiden nicht nur eine vorübergehende Erscheinung war. Nach durchschnittlich drei Jahren Sektenmitgliedschaft waren die Leiden noch immer geringer als vor der Bekehrung (13). Es ergab sich auch, daß jene die beste dauernde Linderung der Symptome aufwiesen, die am stärksten glaubensmäßig engagiert waren und die höchste Aktivität zeigten.

Eine einleuchtende Erklärung dafür ist, daß die Sekte ihnen Struktur, Konfliktfreiheit und Möglichkeiten verschaffte, Energie in eine bestimmte Richtung zu kanalisieren. Damit wurden ihnen sowohl innere Spannungen als auch Auseinandersetzungen mit anderen Menschen erspart.

In Galanters Untersuchung über die 119 Personen, die sich der "Divine Light Mission" angeschlossen hatten, wurde auch nachgewiesen, daß die Linderung der Symptome zwei Jahre nach der Bekehrung andauerte. Auch hier wurde die stärkste Besserung bei denen gefunden, die religiös am aktivsten waren und bei denen die Meditations-Rituale am meisten Anklang fanden (14). Die Mitgliedschaft in der Sekte bedeutet für die meisten ein neues Leben in vielen wichtigen Bereichen. Oft zeigt sich gebietsweise ein Bedürfnis, sich von der Umwelt zu isolieren. Sektenmitglieder wohnen gerne in Kollektiven oder in anderen Formen von abgeschirmtem Dasein. Dies trägt zur Entwicklung eines starken Gruppengefühls und oft einer intimen Familienatmosphäre bei. Der Vorteil dabei ist, daß die Bedürfnisse für Zugehörigkeit befriedigt werden. Der Preis dafür ist, daß man eine starke direkte oder indirekte Kontrolle in Kauf nehmen muß. Dies gilt sowohl für die Kommunikation als auch für das Verhalten.

Ein hervorstechender Zug in mehreren Sekten ist die starke Kontrolle der Sexualität. Dies kann man zum Teil als eine allgemeine Reaktion auf die zunehmende sexuelle Freiheit in den 1960-er-Jahren verstehen. Wenn es auch mehrere Ausnahmen gibt, werden doch viele Sektenideologien sexuelle Aktivität als etwas Negatives definieren und versuchen, diese Energie für ihre eigenen Zwecke in Beschlag zu nehmen.

Konkret zeigt sich dies in einer strengen Regelung des Verhältnisses der beiden Geschlechter, um sexuelle Annäherungen zu verhindern. In einzelnen Sekten findet eine Institutionalisierung statt, indem Ehen von der Leitung festgelegt und vermittelt werden. Unter anderen ist die "Moon-Sekte" dafür bekannt.

Es gibt besonders bei kleineren Sekten Beispiele dafür, daß der Sektenleiter auf sexuellem Gebiet Rechte und Privilegien besitzt, die zur Ausnützung anderer Sektenmitglieder führen. Dies war unter anderem bei dem obenerwähnten Guru "Baba" der Fall und wird auch vom "Tempel des Volkes" berichtet. Manchmal kann ein solches Verhalten in der Allmacht des Sektenführers begründet sein, oder es kann eher in Okkultismus und Satansverehrung ideologisch verankert sein.

Es scheint Einigkeit darüber zu geben, daß die wichtigste Ursache für die Stabilität der Sektenmitgliedschaft über längere Zeit das starke Gefühl von Gruppenzugehörigkeit und das starke Beherrschen aller Aktivität in- und außerhalb der Sekte sind. Es gibt ständig rituelle Handlungen, wo die Mitglieder kollektiv ihre Glaubensgrundlage in Form von Gebet, regelmäßigen Kehrreimen, Gesang und Tanz bekräftigen. Nach außen hin wird die Tätigkeit vor allem im Geldsammeln und in Versuchen bestehen, Proselyten zu werben. Oft ist der Tag sehr lang und anstrengend.

In Galanters Studie wird z. Bsp. über eine durchschnittliche Arbeitswoche von 67 Stunden für die vollen Sektenmitglieder berichtet. Ein solches Aktivitätsniveau zeugt davon, wie starke menschliche Kräfte man bei Jugendlichen mobilisieren kann, wenn sie innerhalb einer festen Struktur arbeiten und innere sowie äußere Konflikte von ihnen ferngehalten werden.

Auch wenn viele eine geraume Zeit in der Sekte verbleiben, so gibt es auch viele, die zu irgend einem Zeitpunkt die Sekte selbst verlassen haben oder durch die Angehörigen oder sonst jemand herausgeholt wurden. Man muß daher sagen, daß, wenn auch die modernen Sekten neueren Datums sind, sich auch über Abfall und Nachwirkungen schon bedeutende Erfahrungen angehäuft haben.

Abfall

Es war nicht möglich, eine zahlenmäßige Übersicht über den Abfall von Sekten zu finden. Gleichwohl gibt es keinen Zweifel, daß viele - vermutlich die meisten - die Sekten nach kürzerer oder längerer Zeit wieder verlassen. Dies kann auf eigenen Wunsch, durch Ausschluß oder durch Zwang von außen (am häufigsten durch die Angehörigen) geschehen. In der Zeit danach werden viele bedeutende Rehabilitierungprobleme haben, wenn sie in die Gesellschaft zurückkehren sollen.

Es ist besonders die Frage bezüglich Zwang und nachfolgender "Deprogrammierung", die natürlich starke Diskussionen in den USA verursacht hat.

Die Ursache dafür ist, daß zwei wichtige Grundsätze der amerikanischen Gesellschaft miteinander in Konflikt stehen. Dies ist auf der einen Seite das Recht zur freien Religionsausübung und auf der anderen Seite das Recht zur Sorge für seine Nächsten, wenn sie Übergriffen ausgesetzt sind. Die Angelegenheit hat sowohl ethische als auch psychologische und juristische Aspekte.

Das obenerwähnte Beispiel berichtete von einem Knaben, der mit Gewalt aus einer Sekte herausgeholt wurde. Die juristische Rechtfertigung dafür ist das Gesetz über Conservatorship (Vormundschaft). Dieses bietet die Grundlage für die rechtsgültige Ernennung eines Vormundes, der die Sorge für eine Person übernimmt, die wegen Krankheit oder "mental weakness or for any other cause is likely to be deceived or imposed upon by artful or designing persons" (15). In mehreren Staaten haben Eltern und die gegen die Sekten gerichtete öffentliche Meinung versucht, Gesetze zu erreichen, die speziell die Rechtfertigung zur Errichtung der Vormundschaft ermöglichen, um Jugendliche aus Sekten zu entfernen. The New York State Assembly hat zum Beispiel zweimal ein solches Gesetz beschlossen, aber beide Male hat der Gouverneur dagegen ein Veto eingelegt. Der Widerstand kommt besonders von der American Civic Liberal Union, welche behauptet, daß ein solches Gesetz dem Prinzip der Religionsfreiheit, wie es im "First Amendment" niedergelegt ist, widerspricht.

Die ideologischen und sozialen Gruppen hinter diesem juristischen Konflikt sind auf der einen Seite die Eltern und die gegen die Sekten gerichtete öffentliche Meinung, die mit Erschrecken, Besorgnis und Schuldgefühlen darauf eingestellt sind, ihre Kinder aus der Sektenmitgliedschaft zu retten. Auf der anderen Seite stehen Liberale und Intellektuelle, die aus prinzipiellen Erwägungen bezüglich des Rechtsstaates gegen solche Gesetze sind und meinen, daß man Sektenmitgliedschaft und ihren Problemen mit anderen und offenen Mitteln begegnen muß.

Dieser Konflikt ist einen deutliche Parallele dazu, was man auf anderen kontroversiellen Gebieten sieht, wo man über Zwang zum Beispiel bei drogenabhängigen Jugendlichen diskutiert. In den USA und in anderen Erdteilen wurde eine wachsende Mobilisierung der Elternverantwortung und eine Stärkung der Elternautorität gegenüber Teenagerproblemen beobachtet. Dies wurde oft von starken Wünschen begleitet, die Behörden mögen beschützend eingreifen. Oft standen diese neuen Elterngruppierungen in einem gewissen Gegensatz zu Teilen des professionellen Behandlungsapparates. Selbst wenn die Meinungen unter den letzteren geteilt sind, so blicken viele mit Skepsis und Widerwille auf jedwede Form von Zwang gegenüber solchen Problemen.

Besonders in der Nachphase der Sektenmitgliedschaft wurden die Psychiater konsultiert, denn viele Jugendliche geraten in Schwierigkeiten, wenn sie in die Gesellschaft zurückkehren sollen. Die Initiative zum Kontakt mit Psychiatern und Psychologen kommt teilweise von früheren Sektenmitgliedern selbst und teilweise von den Angehörigen. Über Erfahrungen von solcher Rehabilitierungsarbeit soll berichtet werden.

In einer Studie über 66 frühere Mitglieder der "Moon-Sekte" fand man, daß 36 % bedeutende gefühlsmäßige Symptome in der Periode danach hatten, und 24 % professionelle Hilfe suchten (16). Ihre Probleme bestanden in Schuldgefühlen gegenüber der Sektenleitung und Unsicherheit im Kontakt mit anderen. Aber die Häufigkeit von Drogenmißbrauch blieb z. Bsp. bedeutend niedriger als vor der Rekrutierung zur Sekte. Von den 66 waren 9 mit Gewalt entfernt und deprogrammiert worden. Diese hatten ein negatives und feindliches Bild von der Sekte und klagten sie an, sie mißbraucht zu haben. Die, welche die Sekte auf eigenen Wunsch verlassen hatten, hatten nuanciertere Ansichten. Die Ursache, warum sie die Sekte verlassen hatten, waren Konflikte mit dem unmittelbaren Vorgesetzten und eine wachsende Erkenntnis, daß die Normen und Gesetze der Sekte ihren eigenen Bedürfnissen widersprachen.

Einige von ihnen konnten gleichwohl zugeben, daß die Periode in der Sekte ihnen viel Positives gegeben hatte, und konnten zum Teil behaupten, daß diese Zeit eine Art notwendiger Entwicklungsphase in ihrem Leben war, die nun der Vergangenheit angehörte.

Es gibt mehrere Untersuchungen, die zeigen, daß die Art und Weise, wie man die Sekte verläßt, für die folgende Rehabilitierungsphase von Bedeutung ist. Ungerleider und Wellich untersuchten 50 Mitglieder und frühere Mitglieder aus mehreren Sekten mit Interviews und psychologischen Tests (17). Sie wollten besonders über die Bedeutung der Deprogrammierung etwas erfahren, und das Material wurde in vier Gruppen geteilt.

· 22 waren weiterhin Sektenmitglieder, aber fürchteten sich vor Entführung und Deprogrammierung;

· 11 waren deprogrammiert worden, waren aber später zur Sekte zurückgekehrt;

· 9 waren deprogrammiert worden und hatten die Sekte verlassen (6 davon leiteten nun selbst Deprogammierungsarbeit);

· 8 hatten die Sekte auf eigenen Wunsch verlassen.

Aus den Resultaten ging hervor, daß zum Zeitpunkt der Untersuchung niemand psychotisch war und alle für voll zurechnungsfähig angesehen wurden mit Rücksicht darauf, daß sie für sich selbst Entscheidungen treffen konnten. Was die zwangsweise Entführung mit nachfolgender Deprogrammierung betraf, so glückte dies im Großen und Ganzen nur, wenn die Mitgliedschaft kürzer als ein Jahr gewesen war. Die, welche weiterhin Mitglieder waren, unterschieden sich von denen, welche die Sekte verlassen hatten, dadurch, daß sie größere Probleme hatten, innere aggressive Impulse zu beherrschen. Sie hatten auch ein stärkeres Gefühl der Einsamkeit und schienen in größerem Maß die Regeln und die Struktur der Sekte zu "brauchen". Die Gruppe, welche die Sekte aus eigenen Stücken verlassen hatte, war am wenigsten durch solche Impulse geprägt und schien die Sekte gerade deshalb verlassen zu haben, weil die äußere Gruppenstruktur mit den eigenen Bedürfnissen in Konflikt geraten war.

Die Studie zeigt, daß, wenn es auch gemeinsame Züge bei Jugendlichen gibt, die sich Sekten anschließen, es auch wichtige Unterschiede gibt. Darauf muß man achten, wenn man jemandem in der Rehabilitierungsphase beistehen soll.

Dies ist in einer anderen Studie von Maleson betont (18). Er nahm einen Vergleich vor, basierend auf Erfahrungen aus der Psychotherapie von Patienten, welche die Sekte freiwillig verlassen hatten, und anderen, welche deprogrammiert worden waren. Die, welche die Sekte freiwillig verlassen hatten, litten besonders an Isolationstendenzen und Depressionen. Nach mehreren Stunden Stütztherapie besserte sich dies in der Regel sehr. Patienten, die deprogrammiert worden waren, waren unreifer und ambivalenter. Das Eingreifen der Eltern durch die Deprogrammierung hatte neue Probleme im Verhältnis zur Autorität geschaffen, die schwierig zu lösen waren. Der Verfasser unterstreicht die Wichtigkeit dessen, daß der, welcher zu helfen versucht, genügend Kenntnis der Sektenideologie und Praxis hat und sich nicht zu sehr mit dem Deprogrammierungsversuch der Eltern identifiziert.

In einzelnen Staaten der USA hat therapeutische Arbeit mit früheren Sektenmitgliedern ein größeres Ausmaß erreicht. Singer hat von einem Programm für kombinierte Individualtherapie und Gruppentherapie für frühere Sektenmitglieder berichtet, das 250 Personen umfaßt (19). Von den Problemen, die in der Rehabilitierungsphase bearbeitet werden mußten, werden folgende genannt:

· Die Sektenmitglieder habe eine Tendenz, auf alle Probleme und Frustrationen einfache Antworten zu erwarten. Sie müssen in größere Toleranz für Zweifel und Unsicherheit eingeübt werden.

· Man muß ihnen helfen, nach der strukturierten, harten und rituellen Betätigung, die sie in der Sekte erlebt hatten, eigene Initiative und Findigkeit zu entwickeln.

· Sie müssen Mangel im Denken und in der Kommunikation überwinden. Der Gebrauch von Reflexion und nuancierter Ausdrucksform war längere Zeit hindurch versäumt worden.

· Die Sektenmitglieder hatten eine Tendenz, "auszuflippen", so daß alles zu "schwimmen" begann, wenn man mit ihnen sprach. In vielen Therapiesitzungen, sowohl einzeln als auch in Gruppen, gaben sich die Patienten oft einem solchen träumenden, "schwimmenden" Geisteszustand hin, wenn sie auf Herausforderungen und Schwierigkeiten stießen.

· Viele litten an einem ausgesprochenen "Aquariumsgefühl". Das war ein Erlebnis, als ob sie ein Fisch in einem Aquarium wären, wo alle Leute sie von allen Seiten sehen konnten, und daß sie in keiner Situation eine abgeschirmte Stelle finden konnten. Dies hing damit zusammen, daß alle ihnen mit Fragen begegneten - Eltern, Freunde und frühere Sektenmitglieder. Diese dauernde fragende Haltung der Umgebung führte zu einer dauernden Unsicherheit.

Der Leiter dieses Therapieprogrammes unterstreicht, daß trotz dieser Schwierigkeiten die Resultate auf längere Sicht gut waren.

Es gibt bei Fachleuten deutliche Uneinigkeit darüber, wie man die Sektenerfahrung von Menschen in psychologischem Zusammenhang bewerten soll. Einige sehen dies einseitig negativ und unterstützen Deprogrammierung als geeignetes Mittel, den Kontakt zur Sekte zu unterbrechen (20). Andere Fachleute gehen fast in das andere äußerste Extrem. Sie versuchen, den Beitritt zur Sekte als eine Art "kulturellen Abstecher" um der Selbstfindung willen zu erklären. Levine, der mit Sekten sowohl als Forscher wie als Therapeut gearbeitet hat, vertritt diese Ansicht in seinem Buch "Radical departures" (21). Er stellt hier die Sektenperiode fast wie eine entwicklungspsychologische Stufe dar. Sektenmitglieder werden wie normale Jugendliche angesehen, die jedoch in einem so nahen Verhältnis zu den Eltern leben, daß sie keine Möglichkeit haben, durch gewöhnliche soziale Betätigung zu reifen. Er behauptet auch, daß die meisten die Sekte innerhalb von zwei Jahren verlassen und daß sie zur Gesellschaft ohne wesentliche Anpassungsschwierigkeiten zurückfinden.

Er schwächt die Bedeutung von psychiatrischen Problemen sowohl bei der Rekrutierung als auch beim Abfall von den Sekten stark ab. Man kann vielleicht kritisch bemerken, daß seine Forschung mit Sektenmitgliedern etwas wenig repräsentativ ist.

Wenn auch die meisten die Sekten verlassen, so gibt es doch viele, die nachher das Gefühl haben, einen Teil ihres Leben weggeworfen zu haben. Nun ist das Erlebnis der verlorenen Möglichkeiten - "lost options" - etwas, das alle Menschen als ein existentielles Problem trifft. Es gibt mehr Jugendliche als die, welche mit Sekten in Berührung kamen, die nachher über Dinge trauern, die sie falsch gemacht haben, oder über verspielte Möglichkeiten. Es gibt auch andere und destruktivere Wege, seine Identität zu suchen, als sich Sekten anzuschließen. Die Fähigkeit, zurückzuschauen und zu erkennen, daß man einige Male das Falsche gewählt hatte, und den Schmerz zu erleben, den das mit sich bringt, ist ein Teil des Wachsens und der Entwicklung im Leben.



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Rolf

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Nils Johan Lavik



Erlöst oder verführt ?



Teil 4



Zusammenfassung des Entwicklungsverlaufes.



Die berichteten Untersuchungen geben ein nuanciertes und vielgestaltiges Bild von den Erlebnissen von Menschen in den verschiedenen Entwicklungsstadien verschiedener Sekten. Dennoch kann man etwas schematisch einzelne Hauptzüge im Entwicklungsverlauf skizzieren.

Die weit meisten, die zu Sekten rekrutiert werden, sind Jugendliche in den 20-er Jahren. Sie stammen oft aus der Mittelklasse und haben eine höhere Ausbildung oder stehen vor einer solchen. Im allgemeinen haben sie etwas, aber nicht viel, mehr psychische Symptome und Verhaltensprobleme im Vergleich zu Gleichaltrigen. Man kann aber nicht sagen, daß dies sehr ausgeprägt ist, und daher gibt es wenig Anhaltspunkte dafür, daß Rekrutierung zu Sekten auf mentale Störungen zurückzuführen ist. Man kann hingegen behaupten, daß sich unter denen, die zu Sekten rekrutiert werden, mehrere befinden, welche die Entwicklungskrisen, die normalerweise zu diesem Alter gehören, in verstärkter Form erlebt haben. Dies kann damit begründet werden, daß einzelne Untersuchungen zeigen, daß sie einen etwas schlechteren Kontakt mit ihren Nächsten als andere aufweisen und daß sie gleichzeitig an einer Art "ideologischem Hunger" nach etwas, an das sie glauben können, leiden.

Anders gesagt ist dies der Ausdruck für ein verstärktes Identitätsbedürfnis. Bei der Begegnung mit der Sekte geschieht eine Art "Einschnappen" zwischen diesem verstärkten Identitätsbedürfnis und der Botschaft und dem Milieu, das die Sekte bietet. Die gefühlsmäßigen Seiten bei dieser Begegnung bedeuten dabei soviel, daß rationale Erwägungen ihre Bedeutung verlieren.

Die Bekehrung zur Sekte wird eine Art Höhepunkt in einem Prozeß, der sich während der Rekrutierungsperiode aufgebaut hat. Dieser kann sich in einem akuten Erlebnis herauskristallisieren - eventuell mit einer vorübergehenden Einengung des Bewußtseins, Regression und manchmal halluzinatorischen Erlebnissen - oder kann mehr allmählich stattfinden. Das Individuum erlebt eine Art existentiellen Wendepunkt, wo eine entscheidende Wahl getroffen wird. Es erfolgt gleichzeitig eine innere und äußere Neuorientierung. Dies zeigt sich dadurch, daß lästige psychische Krankheiten verschwinden und problematische Verhaltensweisen wie Narkotikagebrauch sich ändern können.

Der, den es betrifft, wird oft spontan eine gehobene Grundstimmung und starke Gefühle des eigenen Wertes und mehr Energie und Lebenslust verspüren. Nach außen hin entstehen sichtbare und für andere schmerzliche Veränderungen der Loyalitätsbande und der sozialen Verpflichtungen. Die Bekehrung ist daher rein psychologisch ein vielverschlungener Prozeß und findet auf vielen Gebieten gleichzeitig statt.

Die Untersuchungen, welche über länger dauernde Sektenmitgliedschaft gemacht wurden, zeigen, daß bei vielen die Änderungen in den Symptomen und im Verhalten, die bei der Bekehrung eintraten, fortdauern. Die neuen etablierten Loyalitätsbande und ihre regelmäßige Verstärkung durch rituelle Handlungen tragen dazu bei, daß das Individuum die neue Lebensführung beibehält. Dies zeigt, in wie hohem Maß psychologische Prozesse auf der Ebene der Großgruppe imstande sind, die Gedanken, Gefühle und Handlungen der Menschen zu formen. Wenn Menschen, die sich Sekten angeschlossen haben, wieder Angehörige oder alte Freunde treffen, so sind diese oft überrascht, ratlos und eventuell entsetzt darüber, wie groß die Veränderungen sind und wie hartnäckig das Individuum an seiner neuen Lebensführung festhält. Die meisten Sekten stellen hohe Ansprüche an das Individuum in Bezug auf Erfüllung der Normen und Arbeitseinsatz. Es kann überraschend sein zu sehen, in welche Unterordnung und Disziplin im Verhältnis zu früher sich junge Menschen dareinfinden .

Wie erwähnt, kann Abfall auf zwei Arten geschehen. In den USA fand eine Mobilisierung von Eltern statt, die mit dem Gesetz in der Hand versucht haben, ihre Kinder zu "kidnappen". Darauf folgt eine "Deprogrammierung", die häufig von ehemaligen Sektenmitgliedern ausgeführt wird. Man kann sagen, daß diese Methode hauptsächlich in der Ansicht gründet, daß das Individuum eine Art Opfer der "Gehirnwäsche" wurde, die man mit einem entsprechenden Gegengift heilen sollte. Es gibt ohne Zweifel mehrere Beispiele dafür, daß eine solche "Deprogrammierung" offensichtlich erfolgreich war, besonders bei jungen Menschen, die noch von einer äußeren Autorität abhängig sind, um sich im Leben zurechtzufinden. Hingegen gehen die kontroversiellen Seiten dieser Methode auch deutlich aus den amerikanischen Erfahrungen hervor. Es dreht sich hier um schwierige Integritätsfragen, bei denen mehrere Partner involviert sind und wo traditionelle Lösungsmodelle für ethische, juridische und familiäre Konflikte nicht ohne weiteres anwendbar waren.

Die meisten, welche eine Sekte verlassen, tun dies hingegen auf eigenen Wunsch, weil früher oder später Konflikte zwischen ihren Bedürfnissen und Wünschen und denen der Sektenleiter und dem Lebensstil der anderen entstehen. Ein solcher Abfall ist in erster Linie für den Betreffenden problematisch. Widerstreitende Gefühle kommen oft zum Vorschein. Auf der einen Seite ein Wunsch nach Befreiung von der Bindung an die Sekte - auf der anderen Seite Schuldgefühle, weil man die Sekte verläßt. Oft ist das Individuum unsicher und schwankt einige Zeit hin und her. Dies kann dazu führen, daß der Betreffende zum Schluß ausgestoßen und exkludiert wird und auf diese Weise um die eigene Entscheidung herumkommt. In einer solchen Phase wird das Individuum oft an großer Unsicherheit leiden, weil sein eigenes Urteil lange ausgeschaltet war und durch das kollektive Ego der Sekte ersetzt wurde.

Psychiatrische Behandlung mit Rehabilitation früherer Sektenmitglieder zeigt auch, daß die Fähigkeit, Beschlüsse zu fassen, recht und schlecht neu geübt werden muß. Der Abgefallene muß seine Loyalitätsbindungen wieder verändern. Aber jetzt ist die Situation oft schwieriger, weil man nicht ohne weiteres auf frühere Freunde oder die Angehörigen zurückgreifen kann. Dies wäre oft eine Prestigeniederlage, und außerdem ist das Leben weitergegangen, sodaß die Dinge nicht mehr so sind wie früher. Die Psychologie des Abgefallenen ist daher oft mit Leere, Depression und Apathie erfüllt, und außerdem mit der besonderen existentiellen Unsicherheit, die im "Aquariengefühl" liegt, wo einen alle sehen können, und man keinen abgeschirmten Platz hat.

Gleichwohl zeigen die meisten Erfahrungen, daß dies vorübergehende Erscheinungen sind und daß sich der Abgefallene nach einiger Zeit erholen und mit oder ohne Hilfe in die größere Gemeinschaft zurückfinden wird.

8. Sekten in kultureller und psychologischer Perspektive

Im Vorhergehenden wurde über mehrere Einzelstudien berichtet, die Teile einer zusammengesetzten Wirklichkeit zeigen. In diesem Kapitel soll versucht werden, eine ganzheitliche Sicht in vier Punkten zu erstellen.

Erstens gibt es offenbar historische Voraussetzungen für das Aufblühen von Sekten. Diese entstehen in kulturellen Umbruchzeiten - besonders da, wo die Zukunftshoffnung unsicher ist und die glaubwürdigen Utopien verschwinden.

Das Zweite ist das Vorhandensein von Sektenführern, die besondere Persönlichkeitszüge und dadurch spezielle Voraussetzungen haben, in verstärkter Form Lösungsversuche für zeittypische gefühlsmäßige Konflikte zu erleben und anzubieten. Ohne Guru - keine Sekte.

Das Dritte ist eine wachsende Nachfrage nach Zugehörigkeit und Sinn von seiten einzelner Menschen, die sich bemühen, ihre Identitätsprobleme zu lösen. In überwiegendem Maß sind das Jugendliche, denn diese Frage steht in dieser Lebensphase ganz oben auf der Tagesordnung.

Wenn das Angebot des Guru von identitätssuchenden Jugendlichen angenommen wird, ist die Voraussetzung für die Sektenbildung gegeben. Dann entsteht das, was im vierten Punkt behandelt wird - nämlich ein neuer Satz von psychologischen Spielregeln, der in der Regie der Sekte benützt wird. Für die Außenstehenden sieht es wie eine Art kollektive Irrationalität aus, welche das Individuum in eine psychologische und soziale Gefangenschaft bringt, aber für die Eingeweihten ist es in höchstem Maße sinnvoll.

Kulturelle Umbruchszeit

Religiöse Sekten sind keine neue historische Erscheinung. Sie erblühten auch früher in unruhigen Zeiten mit starken politischen und kulturellen Veränderungen. Das 16. Jahrhundert war in Europa von der großen Zeitenwende der Renaissance und Reformation geprägt. Im Kielwasser von Luther und Calvin entwickelten sich viele Sektenbewegungen, die in Lehre, Organisationsform und praktischer Tätigkeit mit dem Herkömmlichen viel radikaler brachen als die Reformatoren.

Sie glaubten an Jesu baldige Wiederkehr und die Errichtung des tausendjährigen Reiches auf Erden, und kümmerten sich wenig um die Autorität der Kirche und der Bibel, aber verließen sich umso mehr auf ihre eigene Auslegung derselben. Einige von ihnen wurden militant und wurden eine wesentliche Inspiration für den "Bauernaufstand", den u.a. Luther bekämpfte. Ein besonders markanter Fall entwickelte sich in Münster in Westfalen, wo der Bäckergeselle Jan van Leiden mit seinen Anhängern "Gottes Reich auf Erden" mit der Waffe in der Hand errichtete. Sie praktizierten Vielweiberei und Eigentumsgemeinschaft und regierten die Stadt autoritär und hart, bis sie von außen erobert wurde (1).

Religionssoziologische Übersichten über Sekten in moderner Zeit haben auch unterstrichen, wie kulturelle Verwirrung und rasche soziale Veränderungen wichtige Bedingungen für ihr Entstehen sind. Die Sekten wurden ein Reintegrationsversuch in eine neue Gemeinschaft, die auf ihre Weise die klassische religiöse Frage beantwortet: "Was soll ich tun, damit ich erlöst werde ?" (2).

Die Sekte befreit sich von der Gelehrtheit, von der Orthodoxie und auch von der weltlichen Opposition zur Kirche. Es sind "religiöse Amateure", die auf die Frage mit neuer Frische losgehen, ohne an die Durcharbeitung der religiösen Frage gebunden zu sein, welche die große Religionsgemeinschaft anbieten kann (3).

Die Sekten erlebten in den letzten Jahrzehnten auch in viele Entwicklungsländern eine Blüte. Sozialanthropologische Studien behaupten die gleiche Ansicht: soziale Veränderungen und Rollenverwirrung veranlassen besonders besorgte, unsichere und unterdrückte Gruppen von Menschen, sich nach dieser Alternative umzusehen.

Eine umfassende Darstellung aus diesem Gesichtspunkt wurde u.a. von Lanternari in seinen Buch "The Religion of the Oppressed" gegeben (4).

Es besteht daher Grund zu unterstreichen, daß die psychologischen Prozesse, welche die Sekten auslösen und befördern, sich nicht in einem historischen Leerraum ereignen. Das Suchen der Jugendlichen nach Identität und das Auftreten von neuen Großgruppen muß man von der heutigen kulturellen Situation aus verstehen.

Es ist nicht einfach, direkte Verbindungslinien von den großen Problemen der Gesellschaft zu den Gedanken und Gefühlen und zum Verhalten des Individuums zu ziehen. Aber durch viele Glieder von der kulturellen Arena im weitesten Sinn durch das soziale Netzwerk hin bis zur eigenen Familie pflanzen sich Impulse, Haltungen und Stimmungen fort, die für die Entwicklung des einzelnen Menschen entscheidend werden. Es ist schwierig zu beweisen, aber es gibt viele Anzeichen dafür, daß solche "Fortpflanzungslinien" zwischen den großen Weltproblemen und den Gedanken, Gefühlen und dem Verhalten des einzelnen Individuums bestehen. Unter den heutigen übergeordneten historischen Rahmenbedingungen sind es sowohl die Atomgefahr als auch die Ungerechtigkeit und die Konflikte der Welt, die für die aufwachsende Generation besonders deutlich sichtbar sind. Dieses Bewußtmachen und starke Medienpräsenz der großen Probleme kombiniert mit zu wenig glaubwürdigen und übersichtlichen Lösungen erzeugt Ohnmachtsgefühl und Verwirrung. Viele Jugendliche gelangen daher nicht zur Versöhnung und Akzeptanz der großen Gesellschaft als Arena für ihr zukünftiges Wirken.

Die kulturelle Umbruchszeit, in der wir heute leben, zerstört die Glaubwürdigkeit sowohl der traditionellen meinungstragenden Institutionen als auch vieler weltlicher oppositioneller Bewegungen. Große Gruppen von Jugendlichen glauben weder an die bestehende noch an die klassenlose Gesellschaft hier auf Erden. Dies schafft eine Erweiterung des "Weltanschauungsmarktes".

Der Guru - Kristallisationspunkt zwischen individuellen und historischen Impulsen.

Alle Sekten entstehen rund um eine Person, die behauptet, höhere Einsicht und Wahrheit zu besitzen und vermitteln zu können - ohne Prophet oder Guru keine Sekte. Was ist es, das einen Sektenführer oder Guru auszeichnet und ihn von anderen unterscheidet ? Eine Sache für sich ist, daß es mit äußerst wenigen Ausnahmen ein Mann ist - sehr selten eine Frau. Man kann natürlich sagen, daß dies nur ein Abbild der allgemeinen Gleichberechtigungsproblematik ist und daß Frauen auch auf diesem Gebiet auf höchster Ebene schwach vertreten sind. Es ist hingegen wahrscheinlich, daß die besonderen Beziehungen, die man oft in Sekten zwischen dem Guru und den Mitgliedern bezüglich z. Bsp. Macht und teilweise Kontrolle der Sexualität findet, etwas Besonderes über das männliche Machtbedürfnis aussagen. Ein Sektenführer hat eine extreme Autoritätsstellung, die von wenigen Frauen angestrebt wird, und die eine Rolle beinhaltet, von der sich feministische Ideologie im großen und ganzen distanzieren wird.

Was ist es, das die Persönlichkeit eines Sektenführers besonders auszeichnet ? Wie schon erwähnt, hat die traditionelle Psychiatrie versucht, ihren Beitrag zum Verständnis im Wesentlichen auf zwei Wegen zu leisten. Man hat offenbar geisteskranke und grob pathologische Fälle studiert, die zu psychiatrischer Beobachtung und Behandlung gekommen sind (5). Die Schwäche dieser Methode ist, daß sie nur eine kleine und nicht repräsentative Auswahl von "Propheten" erfaßt. Die andere Methode ist die, daß man sich biographisches Material über historische oder zeitgenössische einflußreiche Personen vorgenommen hat, die zusätzlich Tendenzen zu Großmannssucht oder Wahnvorstellungen aufwiesen, zum Beispiel Scharffenbergs Analyse von Hitler. Diese Methode kann einigermaßen erklären, wie Kindheit, Jugend und Lebensumstände bekannte Persönlichkeiten geformt haben. Gleichwohl hat auch diese Methode ihre Schwächen. Wenn die "Prophetentendenzen" im Einklang mit anderen psychischen Erscheinungen gesehen werden, verschwindet etwas vom Wichtigsten.

Ein Guru entwickelt besondere Beziehungen zwischen ihm selbst, historischen Impulsen und anderen Menschen - und die Art dieser Beziehungen muß in die Analyse selbst einbezogen werden. Ein solches umfassenderes "psycho-historisches" Verständnis wird von psychoanalytisch inspirierten Verfassern hervorgehoben.

Erikson versucht in seinen Biographien von Luther und Gandhi eine doppelte Sicht der Entwicklung zugrundezulegen. Sein Bestreben ist zu zeigen, wie individuelle Konflikte und Probleme zeittypische Erscheinungen in der Gesellschaft sowohl widerspiegeln als auch beeinflussen. Luther und Gandhi hatten nach Erikson dies gemeinsam, daß sie ungelöste Konflikte und Frustrationen in ihren Entwicklungsphasen als Kinder und Jugendliche hatten. Diese wurden nicht innerhalb der Familie, des Berufes oder des existierenden sozialen Systems gelöst. Luther fand keinen Frieden im Kloster und Gandhi fand keine Ruhe im Kastensystem.

Auf Grund der persönlichen Stärke, Sensibilität und dem Bedürfnis nach dem Austragen der Konflikte blieben sie nicht bei der Resignation oder bei gewöhnlicher neurotischer Symptombildung stehen. Sie trugen ihre Konflikte und ihre Lösungsversuche in der gesellschaftlichen Arena aus. Luthers Thesen blieben nicht bei ihm selbst, in der Familie oder im Klostermilieu, sondern wurden an der Kirchentüre angeschlagen, sodaß die Papstkirche zerbarst. Gandhis Einsicht und Erfahrung blieb nicht Weisheit für die Eingeweihten, sondern führte zu nach außen gerichteten Aktionen, welche die indische Kronkolonie vom Imperium sprengten.

Das psycho-historische "Analysemodell" wurde auch auf andere als die heroischen Prophetengestalten angewandt. Ein frisches Beispiel aus der Zeitgeschichte ist "The Mind of Watergate" des amerikanischen Psychoanalytikers Leo Rangell (7). Durch eine Kombination der biographischen Daten der Hauptperson und der Botschaften, welche durch die Massenmedien nach und nach in dem Maße vermittelt wurde, als man die Sache aufrollte, versucht der Verfasser zu zeigen, wie ein Komplex von Unehrlichkeit und Irrationalität rund um die Hauptperson organisiert wurde. Eine große Gruppe von Menschen wurde durch ein Netz von sichtbaren und unsichtbaren Loyalitätsbanden zusammengehalten.

Man kann daher sagen, daß "Propheten" und Führergestalten im allgemeinen eine besonders große Fähigkeit haben, die Konflikte und Probleme zu erfassen und zu erleben, die allgemeines Eigentum des Kollektivs sind, und ihre Lösungsversuche sichtbar für andere zu artikulieren. Dies gründet wieder in einer möglichen Verstärkung von narzistischen und exhibitionistischen Persönlichkeitszügen. Die narzistische Seite zeigt sich in einer Tendenz, sich selbst in die "Poleposition" zu plazieren und die Welt als einen Tummelplatz für eigene Ideen und Projekte zu erleben. Andere Menschen werden da leicht Mittel oder Nebenpersonen, die danach beurteilt werden, ob sie sich ihm anschließen oder nicht. Die exhibitionistische Seite zeigt sich im Bedürfnis, sich vor anderen zu entblößen und im historischen Drama möglichst eine Hauptrolle zu spielen.

Die Führer von mehreren der neu-religösen Sekten müssen sich mit einer etwas bescheideneren und nebensächlicheren Rolle abfinden als die großem Helden und Schurken in der Geschichte. Sie kommen mehr auf Nebengeleisen hinzu, verglichen mit den Konflikten und Problemen, die sich innerhalb der kulturellen Haupttradition abspielen. Sie liegen im Ausgangspunkt oft mehr abseits und vermögen es nicht, ihre Konflikte und Gefühle in konventioneller Sprache und ebensolchen Handlungen zu artikulieren. Gleichzeitig sind ohne Zweifel sowohl das narzistische als auch das exhibitionistische Bedürfnis in gleich hohem Maß vorhanden. Oft sind es Individuen, die in wichtigen Entwicklungsphasen isoliert waren und sich vielleicht extrem ausgeschlossen erlebten. Dies erzeugt frustriertes Kontaktbedürfnis und Suchen nach besonderen Wegen, um den Kontakt mit der Welt wieder herzustellen. Manche glauben, daß ihnen dies gelingt, wenn sie besondere Offenbarungen erleben, die oft den Inhalt haben, daß sie auserwählt oder zu einer einzigartigen Aufgabe berufen sind. Dann ist der Kern im Guruerlebnis grundgelegt und der nächste Schritt ist, dies anderen mitzuteilen. Aber oft ist dieses Erlebnis so speziell, daß man es nicht auf gewöhnliche Art verstehen oder vermitteln kann. Die Schüler müssen zu teilweise heimlichen Einweihungsritualen versammelt werden. Je extremer der Guru und die Sekte sind, desto stärkere Kontrolle und Mystifizierung wird oft rund um die Mitgliederwerbung entwickelt.

Ob es Gurus mit extremen Persönlichkeitszügen gelingt, Anhänger zu sammeln, hängt davon ab, ob die kulturelle Situation günstig ist. Meist sind es junge Menschen, nach denen der Guru aus ist. Wenn die kulturelle Situation größere Gruppen von Jugendlichen erzeugt, die nach ihrer Identität suchen, ist die Zeit gekommen.

Ein Versuch, das Identitätsproblem zu lösen

Die Behauptung, daß die Beschäftigung junger Menschen mit Sekten ein Versuch ist, das Identitätsproblem zu lösen, kann man als Fortsetzung einer wohlbekannten jugendpsychologischen Theoriebildung verstehen. Erik Homburger Eriksons Begriffe von Identitätsbildung (8) wurden von Marcia als ein Prozeß in mehreren Stadien beschrieben (9):

1. Foreclosure (Abschließen)

2. Moratorium (Wartezeit)

3. Erlangung der Identität

4. Identitätsdiffusion (Auflösung der Identität)

Die Stadien sind nicht notwendigerweise chronologisch. Man muß sie auch nicht als pathologisch oder irreversibel auffassen. Es sind eher Bestandteile, die man in der Entwicklung jedes Jugendlichen finden kann.

Die Identitätsprobleme in den Jugendjahren beginnen beim Eintreten der Pubertät. Der Körper wächst, der Aktionsradius weitet sich, die Kinderidentität wird zu eng und muß gesprengt und erweitert werden. Dies bringt "Wachtumsschmerzen" mit sich. Angst, Unsicherheit und Verwirrung kann leicht eintreten, wenn alle neuen Eindrücke ein kleines und unsicheres Ich überschwemmen. Dies kann zu einer foreclosure (Abschließen) führen, die beinhaltet, daß man sich gegen die Umwelt verschanzt und sich gerne an eine äußere Autorität bindet. Das kann die Bande sein, ein(e) liebste® Kamerad/Freundin oder eine Organisation. Das können auch die Eltern sein, und dann oft eine quengelnde Mischung aus Festhalten und Opposition.

Ein solches Abschließen ist nicht notwendigerweise abnormal. Man kann es als eine vorläufige Station betrachten, eine "Hilfsautorität", auf dem Wege weiter zum nächsten Stadium: dem Moratorium (der Wartezeit).

Dies ist keine passive Periode, wo man nur sitzt und wartet, daß etwas geschehen soll. Sie beinhaltet eine aktive Erprobung und Erforschung der Umwelt, nicht nur intellektuell, sondern auch in sozialer und physischer Beziehung. Dies bringt Erfahrungen und Erlebnisse mit sich, daß die Welt nicht nur einfach ist und daß man auf Widerstand und Niederlage stoßen kann. Aber wenn etwas glückt, dann wird man sich stufenweise zum nächsten Stadium weiterbewegen - dem Erlangen der Identität.

Dies bedeutet nicht, daß alles nun auf dem rechten Platz steht, sondern daß man sich selbst als arbeitender und liebender Mensch definiert, der in der Gesellschaft beheimatet ist, wo er existiert.

Es gibt mehrere Gründe, warum der Prozeß nicht zum Endstadium weiterläuft. Man kann bei der foreclosure (Abschließen) stehenbleiben oder dorthin zurückkehren, um etwas noch Schlimmeres zu verhindern - die Identitätsdiffusion (Auflösung der Identität).

Die Jugend hat es heute materiell besser als früher. Gleichwohl ist dieser Prozeß heute problematischer - aus folgenden Gründen.

Die Jugendzeit ist länger geworden als früher. Das Eintreten der Pubertät, die den Beginn markiert, startet durchschnittlich zwei Jahre früher als vor einigen Generationen. Der Abschluß ist später und unscharf und hängt mit dem Abschluß der Ausbildung zusammen.

Die Werteimpulse aus der Gesellschaft sind mannigfaltig, verschieden und teilweise gegensätzlich. Das Erbe aus der Familie begegnet Impulsen von der Schule, dem Freizeitmilieu, den Massenmedien und der Kultur im weitesten Sinn. Gedanken, Gefühle und Verhaltensmuster spielen in einen starken Aufbruchsprozeß hinein, wo es für den einzelnen Menschen schwierig ist, die Zusammenhänge zu überblicken.

Es gibt keine Übergangsriten mit Autorität mehr, wie man sie in früheren Zeiten hatte.

Die Übergangsriten waren eine Art institutionelle Lösung des Identitätsproblems, denn es war die Methode der Großgesellschaft, die Jugendlichen über entscheidende Schwellen zu lotsen.

Die Jugendzeit bietet deshalb heute mehr Herausforderungen und reichere Entfaltungsmöglichkeiten als früher. Die, welche guten inneren Rückhalt haben und ihn auszunützen verstehen, entwickeln rascher als früher Reife, Sicherheit und eine selbstbehauptende Kompetenz. Vielleicht sind wir dabei, eine neue Jugendelite zu erhalten, die früh auf einen Weg zu den Machtpositionen der Gesellschaft hinzielt. Aber die vielen Entfaltungsmöglichkeiten werden auch Fallgruben für die Unsicheren mit Konflikten und wenig unterstützendem Milieu. Deshalb nimmt der Problemumfang unter den Jugendlichen in Form von Selbstmorden, Narkotikamißbrauch und psychischen Leiden zu. Die kulturoffene Gesellschaft, die sich in der Nachkriegszeit herbildete, hat ein neues ethisches Problem geschaffen. Die Entwicklung, die für einige gut ist, ist zugleich schlecht für andere. Es sind die Stärksten, welche überleben. Dieses "neodarwinistische Dilemma" ist der springende Punkt in der heutigen Situation der Jugend (10). Die Untersuchungen, über die berichtet wurde, zeigen, wie Jugendliche, die sich Sekten anschließen wollen, nach ihrer Identitätsentwicklung streben. Kombinationen von Problemen, fehlende Zugehörigkeit und ideologischer Hunger verstärken ihre an und für sich normalen Probleme mit dem Erlebnis, daß das Dasein leer und zerbrechlich ist. Sie vertragen das Moratorium oder die Wartezeit nicht mehr, und der Anschluß an eine Sekte wird daher der Ausdruck für eine Art drastischen Abschließens. Die Struktur und Autorität der Sekte ist attraktiver als das bedrohende Chaos.

Der Vorteil des Anschlusses an die Sekte ist in erster Linie eine Linderung der Symptome. Innere Spannungen, das Leeregefühl und die Konflikte mit der Umwelt verschwinden bei der Übergabe an die Ideologie der Sekte. Der Preis ist hingegen, daß die Erprobungen der Möglichkeiten der Wartezeit mit den Erfahrungen und dem Wachsen, die damit verbunden sind, ausbleiben.

Wie man die mentalhygienische Rechenschaft dieses Abschließens bewerten soll, kann man kaum allgemein sagen.

Für einige wird es zu einer vorläufigen Hilfsautorität, die zur Verhinderung destruktiver Fallgruben beiträgt. Für andere kann es eine Entgleisung werden, worin sie verlieren. Hier wie auch sonst in der Psychologie und Psychiatrie sollte man deshalb vorsichtig damit sein, eine theoretische Auffassung den einzelnen Fällen über den Kopf zu stülpen. Die Erfahrung und die Empirie soll die Theorie korrigieren - und nicht umgekehrt.

Gefangen in kollektiver Irrationalität

Wenn ein Mensch unter den Einfluß einer Sekte gerät, so werden neue psychologische Spielregeln geschaffen. Die neue Großgruppe erhält einen übergeordneten Einfluß und hebt zum Teil die Einflüsse auf, die persönlicher und familiärer Hintergrund früher auf Gedanken, Gefühle und Verhalten hatten.

Die neuen psychologischen Spielregeln beziehen sich auf die Mittelstellung der Sekte zwischen Familie und Gesellschaft und darauf, daß eine kollektive Regression eintritt.

Die Mittelstellung der Sekte gibt ihr den Charakter einer Art Großfamilie mit ihren Mutter- und Vaterfiguren und mit einer erweiterten Brüder- und Schwesternschaft. Das wird von den Teilnehmern als eine gute, natürliche und bereichernde Erweiterung der Familiengemeinschaft aufgefaßt werden. Gleichzeitig ist man bei etwas dabei, das näher und persönlicher ist als die Gesellschaft als ganze. Die Hauswärme reicht dazu aus, das neue Versammlungshaus zu füllen, aber würde verdunsten, wenn sie sich auf der Straße ausbreiten müßte.

Für viele, die sich den neu-religiösen Sekten anschließen, wird dieser Übergang sehr angenehm, denn sie erleben die Großgesellschaft als kalt und einige hatten auch vielleicht ein abgekühltes Verhältnis zu ihrer Familie.

Wenn die heutigen "ideologischen Clochards" in die Wärmestube der Sekte hineinkommen, werden die unterernährten Seiten der Persönlichkeit durch das neue Leben stimuliert. Hier werden einem eine liebevolle Autorität, verpflichtende Bande zu anderen Menschen und das Teilen intimer und persönlicher Erlebnisse angeboten. Dies erweckt unerlöste Bedürfnisse der Hingabe zum Leben. Von einer psychoanalytischen Betrachtung ausgehend kann man sagen, daß das libidinöse Liebesband einen neuen Aktionsradius und neue Festpunkte in den anderen Sektenmitgliedern erhält. Es besteht auch Grund zur Annahme, daß diese Stimulation des intimen Liebesbandes, kombiniert mit der strengen Sexualmoral, welche die meisten Sekten praktizieren, den Energieüberschuß schafft und kanalisiert, den viele Sektenmitglieder während des langen Arbeitstages und der unermüdlichen Aktivität für die Ausweitung und das Bestehen der Sekte aufweisen.

Der Umstand, daß die Sekte die intimen Loyalitäts- und Hingabegefühle beansprucht, kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß die Bande zu den biologischen Eltern abgebrochen und eingeschränkt werden. Gleichzeitig achten die Sektenleitungen meist darauf, daß das Engagement sich nicht auf die Gesellschaft im allgemeinen ausweitet. Hier unterscheiden sich die Sekten von den expansiveren Ideologien und Religionen, welche gegenüber der Gesellschaft als ganze Sorge und Verpflichtung fühlen. Die neu-religiösen Sekten demonstrieren wenig Solidarität mit anderen Gruppen zu den Bedingungen der anderen. Humanitäre Hilfsarbeit oder diakonale Tätigkeit kommen kaum vor. Ureigenes Interesse für soziale, kulturelle oder politische Probleme gibt es nicht. Sorge für die Welt und ihre historische Entwicklung wird oft durch Zufriedenheit darüber ersetzt, daß die wenigen und auserwählten Mitglieder der Sekte auf die eine oder andere Weise überleben werden.

Die kollektive Regression ist eine andere wichtige Voraussetzung, um die neuen psychologischen Spielregeln zu verstehen, die im Zusammenhang mit der Sekte gültig sind. Dieser Ausdruck gibt das wieder, was mit dem einzelnen Menschen und mit der Sekte als ganze geschieht.

Regression bedeutet für das einzelne Individuum, daß es sich gefühls- und verhaltensmäßig zu einem infantileren Stadium zurückbewegt. Für die Sekte als ganze bedeutet dies, daß sie ein primitiveres Gruppenverhalten aufweist.

Regression beinhaltet für das einzelne Individuum, daß der Sektenführer das neue "Ich-Ideal" wird. Die Identifikation damit wird oft so stark, daß die eigenen Normen des Individuums für Recht und Unrecht und die Fähigkeit zum Testen der Realität aufgehoben werden. Dieser Mechanismus liegt zugrunde, wenn Sektenmitglieder plötzlich ihren früheren Freunden und Angehörigen gegenüber ein neues Weltbild vertreten und augenscheinlich selbst jede Urteilskraft verloren haben. Die Regression entsteht in einem intimen Zusammenspiel zwischen den Bedürfnissen des einzelnen Individuums und den Prozessen, die auf der Ebene der Großgruppe unter der Regie der Sektenführung ausgelöst werden. Es ist hier wichtig, daß man sich darüber klar ist, daß diese Prozesse nicht nur durch ein persönliches Zusammenspiel zwischen dem einzelnen Sektenmitglied und dem Leiter erklärt werden können. Es ist die Gruppenatmosphäre, welche in entscheidender Weise mit dabei ist, die Bedingungen für das Geschehen zu setzen.

Freud war sich über diese Regression auf Gruppenebene klar und versuchte, sie in einer entwicklungsgeschichtlichen Schau in der selben Weise zu erklären, wie er das einzelne Individuum aus seiner persönlichen Vorgeschichte zu erklären versuchte: "Auf dieselbe Weise wie der primitive Mensch als eine Möglichkeit in jedem Individuum überlebt, kann auch die Urhorde in einer Außenseitergruppe wieder auferstehen; in dem Maße, wie Menschen gewöhnlich durch Gruppenbildung beeinflußt werden, sehen wir, daß die Urhorde in ihnen überlebt" (11).

Freuds Ansicht ist also die, daß eine Gruppe von einem zivilisierten und differenzierten organisatorischem Niveau zu einem primitiveren Haufen von Menschen regressieren kann, wo die Gefühle rasch mobilisiert werden.

In solchen Zusammenhängen können unbewußte Bedürfnisse rasch Gefühle und Spannungen erzeugen, die wiederum Handlungen sowohl in konstruktiven als auch in destruktiven Richtungen auslösen können. Die unbewußten Impulse gehen oft von den Führern aus, verbreiten sich durch "Ansteckung" und Resonanzeffekte durch die Gruppe und führen manchmal zu raschen und gewaltigen Ausbrüchen.

Es ist dieses unbewußte und irrationale Netzwerk, welches das Einzelindividuum in die neuen psychologischen Spielregeln einbindet. Wenn dieser Zusammenhang nicht erkannt und erforscht wird, wird das Verständnis dessen, was im Zusammenhang mit der Sekte geschieht, unvollständig sein.

Die Ganzheitsschau, die im Vorhergehenden skizziert wurde, gibt keine unmittelbaren Rezepte oder konkreten Ratschläge dafür, wie man Menschen begegnen soll, die von Sekten betroffen sind, sei es die Person selbst oder weil jemand in seiner Familie diesen Weg gewählt hat.

Aber sie drückt eine allgemeine Grundhaltung aus, nämlich daß die etablierte Gesellschaft den neu-religiösen Sekten nicht nur mit Entsetzen, Entrüstung und Lächerlichmachen begegnen kann.

Das Suchen des Menschen nach Sinn ist kein Luxusbedürfnis, sondern ein Grundbedürfnis. Auch in Bezug zu diesem Grundbedürfnis muß die Jugend auf dem Weg zum Erwachsensein lernen, daß es viele Frustrationen gibt und daß einfache Lösungen und Rezepte in der Regel nicht zum Ziel führen. Aber die Jugend hat ein Recht darauf, etwas zu finden. Deshalb sind realistische Zukunftshoffnung und glaubwürdige Utopien auf lange Sicht die beste Garantie gegen die konkurrierenden Lösungen des Sektenlebens.


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Rolf

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Nils Johan Lavik



Erlöst oder verführt ?



Teil 5



Nachwort

Lifton erzählt, daß, als er seine Studien über Chinas Gedankenreform vorlegte, dies oft Fragen folgender Art auslöste. Gibt es nicht überall Gehirnwäsche ? Was ist mit der Verkündigung in vielen Kirchen ? Was ist mit der politischen Propaganda ? Was ist mit der Beeinflussung, die in Erziehung und Unterricht angewandt wird ? Was ist mit dem Einfluß der Massenmedien ? Was ist mit psychiatrischer Behandlung und Rehabilitation ? Therapeutische Gemeinschaften waren oft die beste Methode, um Erfolge zum Beispiel bei Alkohol- oder Narkotikamißbrauch zu erzielen. In solchen therapeutischen Gemeinschaften werden sowohl Milieukontrolle als auch mehrere andere Bestandteile angewandt, die auch bei der Gehirnwäsche verwendet werden.

Es kann daher etwas an den Haaren herbeigezogen wirken, das Augenmerk gerade auf die extremen neu-religiösen Sekten zu richten.

In einer internationalen globalen Sicht wird auch die Besorgnis des Westens wegen des Einflusses von sogenannten "kulturfremden" Sekten - mit eventueller Gehirnwäsche - , gelinde ausgedrückt, eine ziemlich nebensächliche Frage. Der Kulturimperialismus war jahrhundertelang den entgegengesetzten Weg gegangen. Religion und Wissenschaft wurden vom Westen in die Dritte Welt exportiert - mit oder ohne Gehirnwäsche in großem Stil. Wenn hier nun zarte Anläufe zu Impulsen in der Gegenrichtung kommen, so muß die europäische Kultur dies vertragen - wenn sie noch lebendig ist.

Trotz dieser Einwände wurde dieses Buch geschrieben, ausgehend von theoretischem Interesse und mit der Hoffnung, daß es denen eine Grundlage geben kann, die aus praktischen Gründen auf die Probleme gestoßen sind - seien es nun Jugendliche, ihre Familien oder andere, die involviert wurden.

Eine steigende Zahl von Jugendlichen kommt trotz allem auch in unserem Land mit Sekten in Kontakt. Wie berichtet, bringt dies große Veränderungen in Erlebnis und Verhalten für den Betreffenden mit sich, und es verändert das Verhältnis zur Familie und zu der früheren Umgebung in hohem Grad. Wenn dies zu größerem Verständnis und zu Diskussion über psychologische Beeinflussung auch in anderen Zusammenhängen anregen kann, so ist das nur positiv.

In diesem Buch wurde versucht, konsequent einen phänomenologischen Standpunkt anzuwenden und sich nicht auf eine Beurteilung des philosophischen oder ideologischen Inhaltes der verschiedenen Sekten einzulassen. Dazu würde man ein weiteres Buch schreiben müssen. Dies würde ein Buch sein darüber, wieweit Sekten dem Menschen zu einem guten Leben dienen, nachdem man vorerst erklärt hat, worin das gute Leben besteht. Das Buch hat diese für das Menschenleben wichtigen übergeordneten Ziele nicht behandelt. Es war ein Buch über die Mittel, die psychologischen Mittel, um solche Ziele zu erreichen. Im Thema selbst liegen jedoch Normfragen verborgen, zum Beispiel, ob man ethische Grundsätze dafür aufstellen kann, wie psychologische Beeinflussung des Menschen geschehen kann und soll. Die Konflikte und Diskussionen über die Deprogrammierung in den USA zeigten, daß man es hier in hohem Maß mit Ethik zu tun hat. Die Deprogrammierung wurde damit begründet, daß die Sektenmitglieder einer ethisch verwerflichen Einflußnahme ausgesetzt wurden, vor der man sie retten müsse. Die Gegner gingen davon aus, daß man das Recht eines anderen verletzt habe, über sein eigenes Leben zu bestimmen.

Es ist kaum eine ethische Lösung, ein Ideal darin zu sehen, daß religiöse und ideologische Beeinflussung nur zwischen reifen Menschen geschehen soll, die auf ebenbürtiger Grundlage Ansichten über Dinge austauschen. So ist das Leben nicht, weder auf religiösem, noch auf politischem, noch auf alltäglichem Gebiet. Die Beziehungen der Menschen zueinander bestehen existentiell aus Macht, Ohnmacht, Abhängigkeit, Liebe, Haß, Hingabe, Angst und Schuld. Alle diese Gefühle versuchen Institutionen und Massenbewegungen auf dem politischen und religiösen Gebiet zu mobilisieren. Es sind daher nicht nur die neu-religiösen Sekten, welche der Jugend die Lösung ihrer Identitätsprobleme mit Hilfe von großgruppen-psychologischen Methoden anbieten.

Die Erkenntnis, daß unbewußte psychologische Beeinflussungsprozesse existentiell und universell sind, beinhaltet gleichwohl nicht, daß die eine Gehirnwäsche genau so gut wie eine andere sein muß. Auch wenn es eine breite Grauzone gibt, wo es schwierig zu sagen ist, was annehmbar und was verwerflich ist, so kann man vermutlich doch Beispiele von psychologischer Beeinflussung anführen, die so integritätsverletzend sind, daß sie ethisch verwerflich sind.

Es ist immer leichter, solche Erscheinungen bei ideologischen Bewegungen zu erkennen, die man selbst nicht liebt. Deshalb ist es wichtig, auch Erscheinungen im eigenen Land einer selbstkritischen Prüfung zu unterziehen. Für keine religiöse oder politische Bewegung gibt es ohne weiteres einen Weg zum Heil, der dazu berechtigt, daß der Zweck die Mittel heiligt. Dies gilt auch für die psychologischen Mittel, die im Menschen und zwischen den Menschen Schwingungen erzeugen.

Anmerkungen

Kap. 1: Entstehung moderner Religiosität

(1) Arild Romarheim, Moderne religiøsitet (Moderne Religiosität), Oslo 1979

(2) K. Smorlove et al., "The strange world of cults", Newsweek, Jan 14 1984, p. 40-45

(3) Romarheim, op.cit.

Kap. 3: Neue Herausforderung für Religionspsychologie und Psychiatrie

(1) Robert J. Lifton, Thought reform and the Psychology of Totalitarism. A study of "Brainwashing " in China, New York 1961

Kap. 4: "Gehirnwäsche" - Mythos und Realität

(1) Edward Hunter, Brainwashing in Red China, New York 1951

(2) Lifton, op.cit.

(3) ibid., Seite 65-85

(4) ibid., Seite 419-437

(5) J.T. Richardson. M. Harder, R.B. Simmonds, "Thought reform and Jesus Movement", Youth and Society 1972 Dec, 185-202;

und R.D. Zablocki, The joyful Community, Baltimore 1971

Kap. 5: Psychiatrie und "Prophetenparanoia"

(1) Hans Evensen, Profetskikkelser i lys av rettspsykiatrien. Tillegg til Den rettsmedisinske kommisjons beretning for året 1942 (Prophetengestalten im Lichte der Rechtspsychiatrie. Zusatz zum Bericht der rechtsmedizinischen Kommission für das Jahr 1942)

Kap. 6: Psychopathologie in großen Gruppen - ein extremes Beispiel

(1) M. Galanter, "Charismatic Religious Experience and Large-Group Psychology", Am. J. Psychiatry 1980:137:1550-52

(2) D.L. Blakey, "Affidavit Re: The treat and possibility of mass suicide by members of the Peoples Temple", in: The Assassination of Representative Leo J. Ryan and the Jonestown Guyana Tragedy. Report of a staff investigative group to the committee on Foreign Affairs, U.S. House of Representatives, May 15 1979, U.S. Government Printing Office, Washington D.C. 1979

(3) R.B. Ullman, D.W. Abse, "The Group Psychology of Mass Madness: Jonestown ", Political Psychology 1983:4:637-661

(4) Sigmund Freud, Group Psychology and the Analysis of the Ego (1931), in J. Strachey, The Standard Edition of the Complete Psychological Works by Sigmund Freud, The Hogarth Press, London 1973

(5) J. Smorlove et al., op.cit.

Kap. 7: Entwicklungsphasen der Sektenzugehörigkeit

(1) M. Galanter, R. Babkin, J. Babkin, A. Deutsch, "The Moonies": A Psychological Study in Conversion and Membership in a Contemporary Religious Sect", Am. J. Psychiatry 1979:136:165-170

(2) M. Galanter, P. Buckley, "Evangelical Religion and Meditation: Psychoterapeutic Effects", J. Nerv. Ment. Disease 1978:166: 685-691

(3) S.V. Levine, N.E. Salter, "Youth and Contemporary Religious Movements: Psychosocial Findings", Can. Psychiatr. Assoc. J. 1976:21:411-420

(4) A. Deutsch, "Observations on a Sidewalk Ashram", Arch. Gen. Psychiatry 1975:32.166-175

(5) J.T. Ungerleider, D.K. Wellich, "Coercive Persuasion (Brainwashing), Religious Cults and Deprogramming", Am. J. Psychiatry 1979:136:279-282

(6) W. James, The Varieties of Religious Experience, New York Modern Library 1929

(7) M. Galanter, "Psychological Introduction into the Large-Group: Findings from a Modern Religious Sect", Am. J. Psychiatry 1980: 137:1574-79

(8) ibid.

(9) siehe oben, Anm. 2

(10) J.T. Richardson, M. Stewart, "Conversion Process Models and the Jesus Movement", Am. Behavioral Scientist 1977:20:819-838; und

R. Davis, J.T. Richardson, "The Organization and Functioning of the Children of God", Soc. Analysis 1976:37:321-339

(11) J. Lofland, R. Stark, "Becoming a World-Saver: A Theory of Conversion to a Deviant Perspective", Amer. Soc. Rev. 1965: 30:862-874

(12) R.B. Simmonds, "Conversion or Addiction", Amer. Behavioural Scientist 1977:20:909-924

(13) siehe oben, Anm. 1

(14) siehe oben, Anm. 2

(15) M. Galanter, "Charismatic Religious Sects and Psychiatry. An Overview ", Am. J. Psychiatry 1982:139:1539-1548

(16) M. Galanter, "Unification Church ("Moonie") Dropouts. Psychological Readjustment After Leaving a Charismatic Religious Group", Am. J. Psychiatry 1983:140:984-989

(17) siehe oben, Anm. 5

(18) F.G. Maleson, "Dilemmas in the Evaluation and Management of Religious Cultists", Am. J. Psychiatry 1981:138:925-929

(19) M.T. Singer, "Therapy with Ex-Cult Members", J. National Assoc. Private Hosp. 1984:9:14-18

(20) J.G. Clark, "Cults", JAMA 1979:242:279-281; und E.M. Levine, "Deprogramming without Tears", Society 1980:17:34-38_

(21) S.V. Levine, "Radical Departures", Psycholgy Today 1984, 18. Aug. 21-27

Kap. 8: Sekten in kultureller und psychologischer Perspektive

(1) N. Cohn, Pursuit of the Millenium, London 1957

(2) B. Wilson, Religious Sects, London 1970

(3) H. Fallding, The Sociology of Religion, London 1974

(4) V. Lanternari, The Religion of the Oppressed. A Study of Modern Messianic Cults, London 1963

(5) Hans Evensen, op.cit.

(6) E.H. Erikson, Life History and the Historical Moment, New York 1975

(7) L. Rangell, The Mind of Watergate: An Exploration of the Compromise of Integrity, New York 1980

(8) E.H. Erikson, Identity: Youth and Crisis, New York 1968

(9) J.E. Marcia, "Development and Validation of Ego Identity Status", J. Personal Soc. Psychol. 1966:8:551-558

(10) N.J. Lavik, En sunn sjel i et sykt samfunn ( Eine gesunde Seele in einer kranken Gesellschaft), Oslo 1984

(11) Sigmund Freud, Group Psychology..., op.cit.

Literatur

D.L. Blakey, "Affidavit Re: The treat and possibility of mass suicide by members of the Peoples Temple", in: The Assassination of Representative Leo J. Ryan and the Jonestown Guyana Tragedy. Report of a staff investigative group to the committee on Foreign Affairs, U.S. House of Representatives, May 15 1979, U.S. Government Printing Office, Washington D.C. 1979

J.G. Clark, "Cults", JAMA 1979:242:279-281

N. Cohn, Pursuit of the Millenium, London 1957

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E.H. Erikson, Identity: Youth and Crisis, New York 1968

E.H. Erikson, Life History and the Historical Moment, New York 1975

Hans Evensen, Profetskikkelser i lys av rettspsykiatrien. Tillegg til Den rettsmedisinske kommisjons beretning for aaret 1942 (Prophetengestalten im Lichte der Rechtspsychiatrie. Zusatz zum Bericht der rechtsmedizinischen Kommission für das Jahr 1942)

H. Fallding, The Sociology of Religion, London 1974

Sigmund Freud, Group Psychology and the Analysis of the Ego (1931), in J. Strachey, The Standard Edition of the Complete Psychological Works by Sigmund Freud, The Hogarth Press, London 1973

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M. Galanter, "Charismatic Religious Experience and Large-Group Psychology", Am. J. Psychiatry 1980:137:1550-52

M. Galanter, "Charismatic Religious Sects and Psychiatry. An Overview ", Am. J. Psychiatry 1982:139:1539-1548

M. Galanter, "Unification Church ("Moonie") Dropouts. Psychological Readjustment After Leaving a Charismatic Religious Group", Am. J. Psychiatry 1983:140:984-989

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W. James, The Varieties of Religious Experience, New York Modern Library 1929

V. Lanternari, The Religion of the Oppressed. A Study of Modern Messianic Cults, London 1963

N.J. Lavik, En sunn sjel i et sykt samfunn ( Eine gesunde Seele in einer kranken Gesellschaft), Oslo 1984

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S.V. Levine, N.E. Salter, "Youth and Contemporary Religious Movements: Psychosocial Findings", Can. Psychiatr. Assoc. J. 1976:21:411-420

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J. Lofland, R. Stark, "Becoming a World-Saver: A Theory of Conversion to a Deviant Perspective", Amer. Soc. Rev. 1965:30:862-874

F.G. Maleson, "Dilemmas in the Evaluation and Management of Religious Cultists", Am. J. Psychiatry 1981:138:925-929

J.E. Marcia, "Development and Validation of Ego Identity Status", J. Personal Soc. Psychol. 1966:8:551-558

L. Rangell, The Mind of Watergate: An Exploration of the Compromise of Integrity, New York 1980

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J.T. Ungerleider, D.K. Wellich, "Coercive Persuasion (Brainwashing), Religious Cults and Deprogramming", Am. J. Psychiatry 1979: 136:279-282

B. Wilson, Religious Sects, London 1970

R.D. Zablocki, The joyful Community, Baltimore 1971


(Übersetzung aus dem Norwegischen: Friedrich Griess)


Ende!

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