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Wenn's offen nicht klappt, geht man eben hintenrum


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Rolf

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Wenn's offen nicht klappt, geht man eben hintenrum


Erfahrungen mit Mobbing in der Kirche


von Ingrid Ullmann


in: evangelische aspekte, Die Zeitschrift der Evangelischen Akademikerschaft in Deutschland, 2004, Heft 3, S. 17 ff.


Mobbing beschreibt negative kommunikative Handlungen, die gegen eine Person gerichtet sind (von einer oder mehreren anderen) und die sehr oft über einen längeren Zeitraum hinweg vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer kennzeichnen. Die sozialen, physischen und psychischen Folgen von Mobbing sind heute wissenschaftlich erwiesen und als Faktum anerkannt. Das öffentliche Problembewusstsein wird aufgeschreckt durch spektakulären Fälle wie der Freitod einer jungen Polizistin in München. Doch zwischen Suizid und Krankheit, Abwehr und Resignation, Verstörung und Depression, gibt es ein sprachloses Heer von Betroffenen, die oft nachhaltig sozial, materiell und psychisch geschädigt werden. Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen geht von 10% der Erwerbstätigen aus, die schon einmal körperlichen oder seelischen Belästigungen am Arbeitsplatz ausgesetzt waren.

Mobbing in der Kirche hat noch einmal eine besondere Problematik. Oft geschieht es unter dem Deckmantel der Nächstenliebe oder einer pharisäerhaften Selbstgerechtigkeit und ist deshalb besonders schwer zu benennen und aufzudecken. Der Ruf des Betroffenen wird demontiert. Wenn dann die Kirchenleitung noch um der Ruhe und der Kirchensteuerzahler willen gemeinsame Sache mit den Mobbern macht, ist es für das naive Bewusstsein als habe Gott selbst gesprochen. Verleumdungen und Verzerrungen werden so zu unerschütterlichen Tatsachen.

Ein Missbrauchsinstrument: der "Ungedeihlichkeitsparagraf"

Nach den Erfahrungen von D.A.V.I.D. e.V. ist der sogenannte "Ungedeihlichkeitsparagraf" ein weit geöffnetes Einfallstor für Mobbing an Pfarrerinnen und Pfarrern. Darunter versteht man ein Prozedere, das in vielen Landeskirchen angewendet wird, wenn sich in den Gemeinden ein Konflikt anbahnt. In der EKHN Pfarrergesetz § 35a, Absatz 1 lautet er z.B.: "Ein Pfarrer kann abweichend von § 35 ohne seine Zustimmung aus seiner Stelle versetzt werden, wenn... eine gedeihliche Führung seines Amtes als Inhaber der Stelle nicht mehr zu erwarten ist; die Versetzung ist auch dann zulässig, wenn die Gründe nicht in der Person des Pfarrers liegen." In anderen Landeskirchen gibt es ähnliche Regelungen. Im Klartext heißt der Sinn salopp gesprochen: ... die Versetzung ist auch dann zulässig, wenn einigen Leuten im Kirchenvorstand seine/Ihre Nase nicht passt. Denn den Antrag auf die Anwendung dieses Paragrafen mit seinen traurigen Folgen kann ein Kirchenvorstand stellen, doch wer kontrolliert den Kirchenvorstand?

In der Realität kommt es jedoch oft nicht einmal zu einer Versetzung, sondern die Betroffenen gehen in den sogenannten Wartestand und oft danach in den vorzeitigen Ruhestand. Vor allen Dingen dann, wenn sie das Verbrechen begehen, sich gegen die drohende Wartestandsversetzung zu wehren. Es wäre eine interessante Frage zu prüfen, wie viele Gelder die Evangelische Kirche für diese Form der "Entsorgung" ihrer unbequemen Hauptamtlichen ausgibt und schon ausgegeben hat.

Soziale Entwurzelung, Erwerbsminderungen, Verzweifeln an der Kirche, ja selbst am Glauben sind die traurigen Folgen. Nicht einer von den Betroffenen, die sich D.A.V.I.D. e.V. anvertraut haben, der nicht gesagt hätte: "Aber ich war doch mit Leib und Seele Pfarrer". Und in vielen Fällen soweit es sich um Pfarrer handelt , - haben sich auch die Pfarrersfrauen über Jahre hinweg unentgeltlich für die Gemeinde eingesetzt, ehrenamtliche Aufgaben übernommen, über das Gemeindebüro den Kontakt zu den Gemeindegliedern gehalten, als erste Anlaufstelle für Gemeindeglieder gedient, bei Gottesdiensten mitgewirkt. Das alles wird wie nichts vom Tisch gefegt.

Eine letztlich theologisch begründete Institution, von der der Einzelne ein gewissenhafteres Streben nach Ausgleich und Gerechtigkeit erwartet als in der übrigen Gesellschaft, duldet Mobbing aus Gründen der Anpassung oder auch der Personalregulierung oder Vermeidung von aufwendigeren Disziplinarverfahren.

Mobbing isoliert

In der Regel erleben Pfarrerinnen und Pfarrer zum ersten Mal Mobbing, wenn sie selbst davon betroffen sind. Zumeist gehen sie dann einen langen und mühevollen Weg allein. Vielleicht hatten sie so etwas Ähnliches schon in ihrem Berufsumfeld schon beobachtet, aber man hatte ihnen gesagt, dass diese Person ganz unmöglich sei, aus allen Rastern herausfalle, ja, dringend psychologischer Beratung und Behandlung bedürfe. Von Ferne nehmen wir diese verstoßene Person wahr: Sie hat ein unsichtbares Schild auf der Stirn. Darauf steht geschrieben: "Untauglich für den Beruf der Pfarrerin oder des Pfarrers für alle Zeiten." Obwohl das Schild unsichtbar ist, kennen und respektieren es alle, besonders die "Mitschwestern" und "Mitbrüder" in den Pfarrkonventen. Und wo er oder sie auch immer hingeht, da geht dieser Ruf voraus. Und wenn das glücklicherweise noch nicht an allen Stellen so ist, dann spätestens, wenn ein Kirchenvorstand arglos die Stelle an den Betroffenen vergeben möchte. Dann melden sie sich die allmächtigen Entscheider in der Kirchenhierarchie und sorgen dafür, dass es keine neue Chance gibt.

Aber wie geht es den Betroffenen damit? Sie haben ihre Examen abgelegt, ihr Vikariat absolviert und die eine oder andere Pfarrstelle gehabt. Ständig lernen sie neue Menschen in neuen Situationszusammenhängen kennen, stehen vor neuen Herausforderungen, vor unbekannten Erwartungen. Manchmal werden sie von Gemeindegliedern ausdrücklich gelobt, von anderen vielleicht auch schon mal kritisiert. Sie haben Ambitionen (vielleicht für Kirchenmusik oder Jugendarbeit), sie haben Aversionen (möglicherweise gegen Verwaltungsarbeit oder zu starke Einbeziehung in örtliche Vereinsstrukturen in die Gemeinde), kurz: sie haben Stärken und Schwächen, Vorlieben und Abneigungen. Doch es gibt jemanden in der Gemeinde, der hätte alles anders und insbesondere besser gemacht. Dieser Mensch, nennen wir ihn hilfsweise "Pfarrerhasser", verzeiht nur seine eigenen Fehler, aber nicht die der anderen.

Die Informanten sammeln emsig

Und in diesem Moment beginnt der Leidensweg seiner Zielperson, denn jetzt werden geringschätzige Botschaften in Umlauf gesetzt und Vorgesetzte informiert. Der Pfarrer oder die Pfarrerin wird ständig beobachtet. Das Ziel der Observation ist es, tatsächliche oder vermeintliche Fehler aufzuspüren. Diese tatsächlichen oder vermeintlichen Fehler werden aufgebauscht und wichtig gemacht. Die Vorgesetzten sind in der Regel auf der Seite der Informanten. Sie sprechen mit seinen Widersachern und den Kirchenjuristen über den angegriffenen Pfarrer, die angegriffene Pfarrerin, aber nicht mit ihm oder mit ihr selbst. Oder wenn doch, dann mit latenten Drohungen. Sie sind nur daran interessiert, auftretende Konflikte wie einen beginnenden Steppenbrand auszutreten. Was unter dem Fuß zermalmt wird, ist ihnen egal. Hauptsache, es herrscht wieder Ruhe in der Kirche. Oft geben sie ihr erprobtes Wissen über die Anwendung des sogenannten Ungedeihlichkeitsparagraphen gern an die "Pfarrerhasser" weiter, damit das Schicksal möglichst schnell seinen Lauf nimmt.

Neutrale Mediatoren oder Konfliktmanager lehnen die Entscheider in der Kirchenbürokratie ab. Denn bei der Kirche muss man sich doch nicht in seine Kommunikations- und Rechtsanwendungskarten gucken lassen. Nein, wenn es in einer Gemeinde zu Unruhe kommt, ist unter allen Umständen der Pfarrer/die Pfarrerin verantwortlich! Denn dieser Berufsstand muss der Erwartung entsprechen, immer so zu agieren, dass es jedem, aber auch wirklich jedem Recht ist.

Eigene Akzentuierungen in den Gemeinden, Gewissensentscheidungen sind kaum mehr möglich, es sei denn, man folgt damit gerade dem Mainstream. Dieser Druck tritt noch verstärkter in den neuen Bundesländern auf. Ein einzelner Pfarrer muss hier mit drei oder sogar vier Kirchenvorständen zusammen arbeiten. Was das eine Gremium für gut oder akzeptabel hält, kann in dem nächsten zur Stolperfalle werden. Wir nennen diese Anforderung, die jetzt nach und nach auch in den alten Bundesländern einzieht, einen kommunikativen Überforderung. Eine Konformität, die nicht einmal in einer kleinen Familie möglich und auch erstrebenswert ist, soll nach dem Willen der Kirchenleitungen auf dem unterschiedlichen Terrain einer Kirchengemeinde, die zudem oft unscharfe Grenzen zur Ortsgemeinde hat, lückenlos möglich sein.

Seit Jahren schon versucht D.A.V.I.D. e.V. und versuchen andere Mitstreiter, die Gesetzmäßigkeit dieses Malstromes zu erkennen, der die Anwendung des Ungedeihlichkeitsparagraphen auslöst und letzten Endes meistens dazu führt, dass die Betroffenen kalt gestellt werden. Das heißt im Klartext: keine Chance mehr bekommen, eine neue berufliche Herausforderung innerhalb der zuständigen Landeskirche zu erhalten. Diese Entscheidungen der Kirchenbürokratie, die auf das Wohlmeinend der Kirchensteuerzahler aus ist, bedeuten für die Betroffenen und ihre Familien massive existentielle Nöte, soziale Ausgrenzung, Diffamierung, Vernichtung von Lebenszielen, massiver Bruch der Lebenszuversicht ganzer Familien, Krankheit, postraumatische Stresssymptome, materielle Verluste, Verbote der Kirche für berufsnahe Aktivitäten (Freikirchliche Tätigkeit, Taufen, Beerdigungen). Wohlgemerkt, das alles kann passieren, ohne dass disziplinarrechtlich relevante Verfehlungen begangen wurden! Das wäre eine ganz andere Schiene.

Das Kirchenrecht

Jeder in solche Prozesse nicht Eingeweihte müsste normalerweise denken, dass es bei derartig schwerwiegenden Eingriffen in die Existenz eines ordinierten Pfarrers oder einer ordinierten Pfarrerin ohne schuldhaftes Verhalten doch nicht mit rechten Dingen zuging beziehungsweise zugeht! Meistens verlaufen die Gedanken der Außenstehenden aber in die gegenteilige Richtung: Irgend etwas Schlimmes muss doch vorgefallen sein, wenn die Kirche so etwas tut! Die Kirche würde doch niemals... wenn nicht... Tatsächlich geht es nicht mit rechten Dingen zu! Aber nicht auf Seiten der Pfarrer, sondern in den Kirchenverwaltungen. Sowie hier die Bereitschaft besteht, Menschen fallen zu lassen, und diese um ihre Existenz, ihren guten Ruf zu kämpfen beginnen, wird das Kirchenrecht aktiv außer Kraft gesetzt. Es wird degradiert vom Maßstab zur Konfliktlösung zum Mittel für den Vertreibungszweck. Eine solche Handhabung des Kirchenrechtes produziert nicht nur Verlierer, sondern bedeutet eine tiefe Erschütterung eines - nennen wir es - kirchlichen Urvertrauens. Davon betroffen ist nicht nur der Einzelne selbst, sondern sein gesamtes soziales Umfeld. An diesem - man ist fast versucht zu sagen "Kriegsschauplatz", verliert die Kirche viele Anhänger, die nicht nur Kirchensteuer gezahlt, sondern sich auch tatkräftig für sie engagiert haben. Aber in ihrer unnahbaren und scheinbar unangreifbaren Überheblichkeit, will sie es nicht wahrhaben.

Die Missachtung und die willkürliche Manipulation des Kirchenrechtes bilden die wesentlichen Elemente dieser Tragödie. Würden sich die zuständigen Landeskirchen gewissenhaft an ihrem eigenen Codex und seinem geistlichen Hintergrund orientieren, wäre der Verlauf vieler Verfahren ganz anders.

Dies ist dreifach schmerzlich:
Erstens: in der verfassten Kirche hängen Theologie und Recht eng zusammen, sie bedingen sich gegenseitig. Aus diesem Grund dürfen wir, müssen wir als Menschen auf dem Weg zum Christsein argumentieren, dass die gängige Verletzung von Kirchenrechten und Ordnungen in solchen Fragen eine Missachtung unserer theologischen Grundüberzeugungen bedeutet. Und dies nicht nur hinsichtlich des Rechtes, sondern auch weil der Pfarrer/die Pfarrerin Teil, Glied der Gemeinden sind und als solche ebenfalls Anspruch auf Schutz und Zuspruch der Gemeinden haben. Das ist ein gegenseitiger Prozess, in dem wir auf einander angewiesen sind.
Zweitens: Beschädigt die Institution Kirche ihr eigenes Recht, ihre eigene gesetzte Ordnung, wie Max Weber sagen würde, die sie als Privileg im Vertrauen auf ihre besondere Stellung, ihre besondere Aufgabe in der Gesellschaft erhalten hat, müsste es das höchste Anliegen der Institution Kirche selbst sein, das Vertrauen in das Kirchenrecht zu rechtfertigen oder wiederherzustellen.
Drittens: die Konsequenzen für die Betroffenen, die sich aus der Missachtung des Kirchenrechtes - Geist wie Buchstaben - ergeben, sind so weitreichend, dass man sie teilweise nur als die Verletzung von Persönlichkeits- und Grundrechten beschreiben kann. Damit tangieren sie auch die bürgerlichen Rechte, die uns unsere Verfassung gewährleistet. Das staatliche Vertrauen in die Institution Kirche darf nicht dazu führen, dass die Grundrechte unserer demokratischen Verfassung unterlaufen werden.

Der Begriff der Angst spielt heute in dem Berufsstand der Pfarrer eine große Rolle. Sie ist eine mächtige, zähe Kraft mit enormem Anpassungsdruck. Wenn alle zusammen stehen, müsste es möglich sein, zu einem Kolloquium unter Mitwirkung des betroffenen Berufsstandes zu kommen, um die beschriebenen Verhaltensweisen zu ächten und neue Wege der Konfliktklärung zwischen Pfarrern und Gemeinden, auch der Personalführung zu finden. Dazu gehört als erster Schritt genau hin zu sehen, was hier passiert. Ebenso besteht die absolute Notwendigkeit, die Betroffenen zu rehabilitieren und sie materiell für Anwalts-, Berufs- und Rehabilitationskosten zu entschädigen! Erst dann kann eine neue Ära evangelischen Gemeindelebens beginnen, das auf Einheit gegründet ist.



Eine Reaktion
in: evangelische aspekte 2005, Heft 1, S. 31 ff.
von Jörg Winter




"Hintenrum" geht gar nichts
Der kirchenrechtliche Umgang mit Konfliktfällen in Gemeinde




Professor Dr. Jörg Winter ist Oberkirchenrat in Karlsruhe und Honorarprofessor für Kirchen-und Staatskirchenrecht der juristischen Fakultät der Universität Heidelberg sowie Dozent für diese Fächer am Predigerseminar der Evangelischen Landeskirche in Baden.

Der Pfarrer hatte offensichtlich Probleme mit dem Alkohol. Seit Jahren war das in der Gemeinde ein offenes Geheimnis. Gelegentlich darauf angesprochen, verwahrte sich der Pfarrer vehement gegen diesen Vorwurf. Maßnahmen der Dienstaufsicht wurden nicht ergriffen. Sexuell anzügliche Bemerkungen gegenüber Konfirmandinnen, die schon öfter vorgekommen waren, veranlassten schließlich eine couragierte Mutter, sich an die Kirchenleitung zu wenden und dafür zu sorgen, dass den Vorwürfen in einem ordentlichen Verfahren nachgegangen wurde. Es muss sehr viel passiert sein in einer Gemeinde, bis sich Gemeindeglieder trauen, Missstände in der Amtsführung einer Pfarrerin oder eines Pfarrers an "höherer Stelle" anzuzeigen. Der Pfarrer ist ja schließlich eine "Respektsperson", gegen die man doch nichts unternehmen darf. Im Übrigen ist es ja auch viel bequemer, sich in solchen Fällen aus der Gemeinde zurückzuziehen oder vielleicht gleich ganz aus der Kirche auszutreten. Am Ende muss ich noch gegen den Pfarrer aussagen und handle mir den Vorwurf ein, ihn gemobbt zu haben. Den Ärger kann ich mir ersparen. Soll die Kirche doch selbst zusehen, wie sie mit ihrem hauptamtlichen Personal klarkommt. Ich jedenfalls will mit meiner Kirchensteuer solche Zustände nicht mehr unterstützen. Da gebe ich mein Geld doch lieber für einen vernünftigen Zweck an Greenpeace oder Amnesty International.

Ein ganz anderes Bild zeichnet Ingrid Ullmann in ihrem Beitrag, in dem sie über "Erfahrungen mit Mobbing" in der Kirche berichtet {evangelische aspekte 3/2004, S. 17ff.). Da tritt der "Pfarrerhasser" auf, der im finsteren Komplott mit den Vorgesetzten die Betroffenen um ihren guten Ruf bringt und nach nichts anderem trachtet als sie möglichst bald mitsamt ihrer Familie ins soziale Elend zu stürzen. Die Kirchenleitungen machen das mit, weil sie nur "auf das Wohlmeinen der Kirchensteuerzahler" aus sind und um der "Ruhe" in der Kirche willen massive existentielle Nöte, soziale Ausgren-zung, die Vernichtung von Lebenszielen und andere schreckliche Folgen zumindest in Kauf zu nehmen bereit sind. Nun lässt sich gegen "Erfahrungen" schlecht argumentierten, zumal dann nicht, wenn man zu der von Frau Ullmann geschmähten Gruppe der Kirchenjuristen gehört, die sich aktiv daran beteiligen, das Kirchenrecht außer Kraft zu setzen, es willkürlich zu manipulieren und in Konfliktfällen die positiven Leistungen der Pfarrer und ihrer in der Gemeinde engagierten Frauen "wie nichts vom Tisch" zu fegen. Auch lässt sich nicht bestreiten, dass es auch in der Kirche Erscheinungsformen gibt, die man heute unter dem Begriff "Mobbing" zusammenzufassen pflegt. Gleichwohl zeichnet der Beitrag von Frau Ullmann nichts anderes als ein völliges Zerrbild, das den Schwierigkeiten bei der Bewältigung von Konflikten, wie sie zwischen Pfarrerinnen und Pfarrern und ihren Gemeinden immer wieder auftreten können, in keiner Weise gerecht wird, zumindest aber eine ganz einseitige Sichtweise darbietet, die dringend der Korrektur bedarf.

Es gibt kaum einen anderen Beruf, in dem Person und Amt so sehr miteinander identifiziert werden wie in dem des Pfarrers und der Pfarrerin. Der Beruf ist nicht ein "Job", sondern im guten Sinne "Berufung". Pfarrer und Pfarrerin kann man tatsächlich nur "mit Leib und Seele" sein.

Pfarrer-Sein mit Leib und Seele

Dabei kann man Frau Ullmann zunächst folgen, wenn sie die Gefühlslage der Pfarrerinnen und Pfarrer beschreibt, die doch "mit Leib und Seele" ihren Beruf ausüben wollen. Es gibt kaum einen anderen Beruf, in dem Person und Amt so sehr miteinander identifiziert werden wie in dem des Pfarrers und der Pfarrerin. Diese sind "in der Ausübung ihres Dienstes an den Auftrag der Kirche gebunden, das Evangelium von Jesus Christus in Wort und Tat zu bezeugen", so heißt es zum Beispiel im Pfarrdienstgesetz der Evangelischen Landeskirche in Baden. Das fordert die ganze Person. Der Beruf ist nicht ein "Job", sondern im guten Sinne "Berufung". Pfarrer und Pfarrerin kann man tatsächlich nur "mit Leib und Seele" sein. Freilich hat das auch Kehrseiten. Eine davon ist die häufig anzutreffende Unfähigkeit, eine sachliche Kritik als solche zu akzeptieren und entsprechend damit umzugehen. Wer die Sonntagspredigt des Pfarrers kritisiert, stellt ihn als Person in Frage. Die Kritik trifft nicht die Predigt, sondern sie stellt den Prediger in seiner ganzen theologischen und persönlichen Existenz in Frage. So wird es jedenfalls von ihm empfunden. Die andere Kehrseite sind die hohen Erwartungen, die an diesen Berufsstand gestellt werden. Er genießt auch heute noch, wie diverse Umfragen zeigen, eine vergleichsweise hohe soziale Wertschätzung. Pfarrerinnen und Pfarrer sind gesellschaftliche Vorbilder, die die ganze Kirche und ihr Wertesystem repräsentieren. Vorbilder aber haben keine Schwächen und machen keine Fehler. Solche Erwartungen führen leicht zu Überforderungen, zu Überforderungen in den eigenen inneren Ansprüchen an sich selbst und in der Erwartungshaltung der Gemeinde und der allgemeinen Öffentlichkeit, die von außen kommt. Solchen Überforderungen gilt es zu wehren.

Deshalb fügt das Pfarrdienstgesetz in Baden der Verpflichtung für die Pfarrerinnen und Pfarrer zu einer ihrem Amt angemessen Lebensführung den Satz hinzu: "Wie alle Glieder der Gemeinde stehen sie unter dem Anspruch des Evangeliums, bedürfen seines Zuspruchs und leben aus der Gnade der Vergebung". Mit anderen Worten: Auch Pfarrerinnen und Pfarrer sind keine "Übermenschen", sie haben Stärken und Schwächen, sie haben Fehler und dürfen auch welche machen, ohne dass deshalb ihre berufliche Qualifikation in Frage gestellt wird. Das Pfarrdienstrecht räumt ihnen deshalb gegenüber der Gemeinde eine starke Rechtsposition ein. Gemeindepfarrerinnen und Gemeindepfarrer sind nämlich gegen ihren Willen grundsätzlich nicht versetzbar, eine Tatsache, die Frau Ullmann geflissentlich verschweigt. Eine Versetzung auf eine andere Pfarrstelle ist deshalb nur in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen möglich. Dass es zulässig wäre, einen Pfarrer oder eine Pfarrerin zu versetzen, nur weil "einigen Leuten im Kirchenvorstand seine/ihre Nase nicht passt", wie es von Frau Ullmann suggeriert wird, ist deshalb eine völlig unhaltbare Behauptung. Auch die Bestimmung, nach der eine Versetzung auf eine andere Pfarrstelle möglich ist, wenn eine gedeihliche Wahrnehmung des Dienstes in der bisherigen Gemeinde nicht mehr möglich ist, ist dafür keineswegs ein "weit geöffnetes Einfallstor".

Sicher ist es richtig, dass die Anwendung dieser Bestimmung nicht den Nachweis eines Verschuldens der Pfarrerin oder des Pfarrers voraussetzt, also nicht verwechselt werden darf mit dem Diszi-plinarrecht. Ähnlich wie bei der Ehescheidung hebt sie auf den objektiven Tatbestand der Zerrüttung ab, bei dem der subjektive Anteil der Beteiligten an dem eingetreten Zustand offen bleiben kann. Grundsätzliche Einwände gegen die Möglichkeit einer solchen Versetzung sind daher nicht zu erheben. Der Verwaltungsgerichtshof der Evangelischen Kirche der Union (EKU) hat in einem Urteil vom 12.11.1999 zur Frage der Abberufung mangels gedeihlichen Wirkens festgestellt:
" So ist das Abberufungsverfahren beispielsweise kein Instrument der Personal- und Stellenbewirtschaftung. Es ist auch nicht dazu geschaffen, ein frühere Auswahlentscheidung zu revidieren und sich eines schwachen oder schwierigen Pfarrers zu entledigen, um so das Feld für einen vermeintlich besseren oder genehmeren Nachfolger zu ebnen." (Amtsblatt der EKD, Rechtsprechungsbeilage 2001, S. 20).

Das Verfahren der Versetzung

Damit ist zugleich die von Frau Ull-mann gestellte Frage beantwortet, wer den Kirchenvorstand kontrolliert. Das Versetzungsverfahren wegen nicht gedeihlichen Wirkens folgt strengen juristischen Regeln und ist in seinem Ergebnis von unabhängigen kirchlichen Verwaltungsgerichten überprüfbar. Der zitierte Verwaltungsgerichtshof kann in zweiter Instanz in Verfahren aus den Mitgliedskirchen der heutigen Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) angerufen werden, die aus der ehemaligen EKU und der Arnoldshai-ner Konferenz hervorgegangen ist. Ein entsprechender gerichtlicher Rechtsschutz besteht für die in der VELKD zusammengeschlossenen lutherischen Kirchen. Diese Gerichte sind in der Regel neben theologischen Beisitzern mit hochrangigen Richtern der staatlichen Justiz besetzt, sodass schon deshalb garantiert ist, dass bei kirchlichen Verfahren trotz aller Besonderheiten des kirchlichen Rechts rechtstaatliche Anforderungen nicht vernachlässigt werden. Die Rechtsprechung der kirchlichen Gerichte lässt ein bloßes Zerwürfnis zwischen dem Pfarrer und seinem Kirchenvorstand nicht genügen, um eine Abberufung wegen "Nichtgedeihlichen Wirkens" zu rechtfertigen. Der Tatbestand ist vielmehr erst dann erfüllt, wenn größere Teile der Gemeinde von dem Konflikt erfasst sind und es zum Beispiel zu erheblichen Spaltungen gekommen ist. Das wiederum muss durch nachweisbare Tatsachen belegt sein. Bloße Behauptungen oder Anschuldigungen einzelner Gegner genügen also nicht.

Hinzukommt, dass die Entscheidung über eine Versetzung nicht etwa von der "Kirchenbürokratie" getroffen werden, sondern von einem dazu legitimierten kirchenleitenden Organ. Das ist zum Beispiel in Baden der Landeskirchenrat, der mehrheitlich mit aus der Mitte der Synode gewählten Mitgliedern besetzt ist. Schon hier würde ein Antrag auf Versetzung mit Sicherheit scheitern, der nicht in tatsächlicher und jurischer Hinsicht sauber begründet worden ist. Hinzu kommt ein Weiteres: Wird festgestellt, dass ein Pfarrer oder eine Pfarrerin in ihrer bisherigen Gemeinde auf Grund unüberwindbarer Schwierigkeiten nicht mehr tragbar ist, dann ist die im Gesetz vorgesehene normale Rechtsfolge nicht etwa die Amtsenthebung oder die Entfernung aus dem Dienst, die dem Disziplinarrecht vorbehalten sind, sondern der weitere Dienst in einer anderen Gemeinde. Schon von daher ist es unsinnig, diesen Tatbestand mit einer sozialen und wirtschaftlichen Verelendung des Pfarrers und seiner Familie in Verbindung zu bringen. Selbst dann, wenn sich eine Versetzung auf eine andere Pfarrstelle als nicht durchführbar erweist, kann es im schlimmsten Fall zum so genannten "Wartestand" oder zur späteren Versetzung in den Ruhestand kommen, die mit entsprechenden Bezügen verbunden sind. Zumindest in Baden wird in solchen Fällen in der Regel während des Wartestandes ein voller Dienstauftrag er- teilt, sodass häufig gar keine finanziellen Nachteile entstehen. Eine Bewerbung auf eine andere Pfarrstelle ist jederzeit möglich, sodass auch insoweit die Rechte der Betroffenen nicht geschmälert sind. Sie haben daher durchaus die Chance, auch aus dem Wartestand heraus wieder einen aktiven Dienst aufzunehmen. In nicht wenigen Fällen ist das auch geschehen.

Es gibt die Instrumente der Gemeindeberatung und der Mediation, die längst in der Kirche eingeführt sind. Der Kirchenjurist sieht sich aber häufig in der Situation, dass er mit solchen Fällen erst zu einem Zeitpunkt befasst wird, wenn das Kind schon "in den Brunnen gefallen" ist, das heißt, wenn die Fronten schon so verhärtet sind, dass andere Lösungen kaum noch möglich sind.

Die Eskalation von Konflikten

Es soll nun allerdings nicht der Eindruck erweckt werden, dass diese Versetzungsverfahren keine Probleme aufwerfen. Gerade weil sie den Nachweis gerichtsfester Tatsachen voraussetzen und "hintenrum" gar nichts geht, besteht einer ihrer wesentlichen Nachteile darin, dass häufig "schmutzige Wäsche" gewaschen wird. Vor Ort besteht oft auch die Tendenz zur Flucht in die Öffentlichkeit, mit allen negativen Folgen,
die das für die Betroffenen und das Ansehen der Kirche hat. Hat es erst einmal Presseberichte gegeben, sind die Chancen zu einer Lösung, bei der es keine Sieger und Verlierer gibt, weitgehend vertan. Auch die Vermittlung in eine neue Gemeinde wird verständlicher Weise erheblich erschwert. Die Anwendung der Bestimmung über das "Nichtgedeihliche Wirken" ist deshalb eine "ultima ratio", die immer nur dann in Betracht kommt, wenn andere Möglichkeiten der Konfliktlösung erschöpft sind. Sie setzt, so hat es auch der Verwaltungsgerichtshof der EKU in seinem erwähnten Urteil entschieden, den vorausgegangenen Einsatz oder aber die voraussehbare Wirkungslosigkeit der Mittel der Dienstaufsicht voraus. Im Übrigen gibt es die Instrumente der Gemeindeberatung und der Mediation, die längst in der Kirche eingeführt sind. Niemand wird behaupten wollen - am wenigsten die Kirchenjuristen - die erzwungene Versetzung einer Pfarrerin oder eines Pfarrers sei ein bequemer Weg zur Lösung von Konflikten.

Der Kirchenjurist sieht sich aber häufig in der Situation, dass er mit solchen Fällen erst zu einem Zeitpunkt befasst wird, wenn das Kind schon "in den Brunnen gefallen" ist, das heißt, wenn die Fronten schon so verhärtet sind, dass andere Lösungen kaum noch möglich sind. Das Versagen einer rechtzeitigen Wahrnehmung der Dienstaufsicht ist dabei ebenso zu beklagen, wie die Unfähigkeit der Beteiligten vor Ort zum Konfliktmanagement. Auf Seiten der Pfarrerinnen und Pfarrer spielt dabei insbesondere die innere Einstellung eine Rolle, wie sie auch den Beitrag von Frau Ullmann kennzeichnet. Wer in seinen Kritikern nur "Pfarrerhasser" sehen kann und glaubt, dass seine Vorgesetzten von vornherein auf der Seite von "Informanten" stehen, die hinter seinem Rücken über seine tatsächlichen oder vermeintlichen Fehler berichten, der kann nicht frei sein zur Wahrnehmung der eigen Anteile am Konflikt. Wer eine Kirchenleitung als Feindbild hat, die nichts anderes im Sinn hat als mit Hilfe ihrer Juristen das Kirchenrecht möglichst zu seinen Lasten zu verbiegen, der kann sich nur als Opfer fühlen.

Die Rolle des Kirchenrechts

Das Kirchenrecht, darin wiederum ist Frau Ullmann Recht zu geben, hängt mit dem theologisch begründeten Auftrag der Kirche zusammen. Gerade deshalb kann es nicht einseitig die Interessen der Pfarrerinnen und Pfarrer gegen die berechtigten Interessen der Gemeinde schützen und verteidigen. Wohl wahr: Pfarrerinnen und Pfarrer haben Anspruch auf Schutz und Fürsorge durch ihren kirchlichen Dienstherrn. Vor unberechtigten Vorwürfen und Angriffen sind sie in Schutz zu nehmen. Aber heißt das zugleich, die Gemeindeglieder mögen sich gefälligst darauf beschränken, mit ihrer Kirchensteuer die Pfarrstellen zu finanzieren, aber bitte schön damit nicht irgend welche Erwartungen an die Amtsführung der Pfarrerinnen und Pfarrer verbinden? Welches Kirchenbild steht dahinter, wenn es der Kirchenleitung zum Vorwurf gemacht wird, auch auf "das Wohlmeinen der Kirchensteuerzahler" Rücksicht zu nehmen? Ist es nicht so, dass nach der vierten These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 Pfarrerinnen und Pfarrer ein Amt wahrnehmen, das in dem der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienst seine Grundlage hat? Das verbietet jede Arroganz der hauptamtlichen kirchlichen Mitarbeiter gegenüber dem Kirchensteuerzahler. Sie haben der Gemeinde zu dienen, nicht umgekehrt! Das Kirchenrecht

kann daher nicht auf dem einen Auge blind sein. Es hat sowohl Pfarrerinnen und Pfarrer in der Freiheit ihrer Verkündigung und der Integrität ihrer Person gegen unberechtigte Angriffe aus der Gemeinde zu schützen als auch ernst zu nehmen, dass deren Dienst auf die Gemeinde bezogen und auf ihre Mitverantwortung angewiesen ist. Ob dieser notwendige Ausgleich in jedem Konfliktfall tatsächlich gelingt, mag dahinstehen. Jeder dieser Fälle hat seine eigene Geschichte. Es ehrt Frau Ullmann, dass sie sich für Pfarrerinnen und Pfarrer einsetzt, die von Abberufungsverfahren betroffen sind. Niemand bestreitet, dass diese Verfahren sehr unangenehme Erfahrungen mit sich bringen. Und dennoch muss Frau Ullmann in ihrer generellen Darstellung und Wertung solcher Konflikte entschieden widersprochen werden.

Diese sind nicht nur einseitig und sachlich unzutreffend, sondern sie verraten ein Kirchenbild, das mit den theologischen Grundlagen einer Kirche unvereinbar ist, die ihre Ämter aus dem Priestertum aller Gläubigen begründet und die es mit der Mitverantwortung der Gemeinde für den Dienst der hauptamtlich tätigen kirchlichen Mitarbeiter ernst nimmt.

Ein Leserbrief
auf die Erwiderung von Prof. Jörg Winter

in: evangelische aspekte 2005, Heft 2, S. 43 f.


Auf hoher See und vor Gericht befindet man sich in Gottes Hand

von Dekan Ulrich Finke, Fürstenfeldbruck

Erwiderung auf "Hintenrum geht gar nichts" von Oberkirchenrat Prof. Jörg Winter, evangelische aspekte 1/2005
Noch vor kurzem hätte ich Prof. Jörg Winters Ausführungen kräftig Beifall gezollt. Dann aber erlebte ich einen Fall, bei dem mir der Atem stockte: Ein hochqualifizierter Pfarrer aus meinem ehemaligen Dekanat war kaum auf einer neuen Stelle angekommen, da fing eine Mehrheitsgruppe im Kirchenvorstand an, ihn zu mobben. Die Kirchenleitung recherchierte nicht, statt dessen kam der "Kirchenfilz" (man kennt sich...) zum Zuge. Beflissen wurde auf Antrag des Kirchenvorstands das Ungedeihlichkeitsverfahren eingeleitet. Dieses scheiterte schließlich am entschlossenen Widerstand der Gemeinde, die den Pfarrer zunehmend schätzte. (...) Der beklagte Pfarrer musste sich sogar durch einen Anwalt die Anhörungsprotokolle aus dem Ungedeihlichkeitsverfahren erkämpfen, um Stellung nehmen zu können. Anhörungspflicht? Fürsorgepflicht? Plötzlich waren sie Schall und Rauch.

Ich behaupte keineswegs, dass das die gängige Praxis ist. Ich musste bis zum Beginn meines Ruhestands warten, um so einen Fall aus unmittelbarer Nähe erleben zu können. Aber solche Fälle kommen vor. Sie kommen leider gar nicht so selten vor. (...) Besonders in der Mitteldeutschen Kirche scheint es angesichts der Nachgiebigkeit der Kirchenleitungen gegen Kirchenvorstände gehäuft vorsorgliche Absetzbewegungen schon nach kurzer Verweildauer in einer Gemeinde zu geben, dazu eine Fülle von Abberufungen und etliche Verweigerungen einer Übernahme nach der Probezeit trotz guter Leistungen. In den letzten zehn Jahren hat es dort mindestens 19 solcher Fälle gegeben (viele ziehen sich über mehrere Jahre hin), so dass sich sogar ein eigener Konvent von Abberufenen zusammengefunden hat. Einige Betroffene aus verschiedenen Landeskirchen habe ich inzwischen persönlich kennen gelernt. Sie gehören eher zu den Hochqualifizierten als zu den Nieten. Das sind dann natürlich Leute, die Profil zeigen und sich nicht gern verbiegen.

Sind wir wieder so weit, dass angepasstes Funktionieren die primäre Leistung ist, die wir von einem Mitarbeiter verlangen? Kirchenleitungen, die Kirchenvorständen zu Diensten sind, ohne ernsthaft zu prüfen, was wirklich los ist, gehen den bequemsten Weg - zu Lasten des Mitarbeiters. Dies scheint bei etlichen - zu vielen - Ungedeihlichkeitsverfahren leider der Fall zu sein. Bei diesem Vorgang kann man weder von "übertriebener Empfindlichkeit gegen Kritik" reden, noch vom "Zerrüttungsprinzip". (...) Ich habe gestandene Männer (und ihre Frauen) erlebt, die mit den Tränen kämpfen mussten, als sie davon erzählten, und hörte von Pfarrerskindern, die von einer Kirche dieser Art die Schnauze voll hatten und austraten. (...)

Frau Ullmann, die Zielscheibe von Winters Kritik, hat anscheinend das "Pech", dass bei ihr die Negativfälle zusammenkommen, weil sie diese dankenswerterweise archiviert. Mag sein, dass da auch etliche dabei sind, deren Selbsteinschätzung zu wünschen übrig lässt. Zum Ausgleich darf man aber eine große Dunkelziffer von Leidensgenossen dazuzählen, die Frau Ullmann und den Verein DAVID, dem sie vorsteht, nicht kennen. (...) Die bayerische Landeskirche hat (...) - angestoßen vom eingangs skizzierten Fall - beachtliche Schritte unternommen, ihr Konfliktmanagement zu verbessern: Sensibilisierung der Dekane für Mobbing, Ausbildung von Konfliktberatern, Bildung einer Arbeitsgruppe für das Ungedeihlichkeitsverfahren und so weiter.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich war lange genug Dekan, um zu wissen, dass es disziplinarische Möglichkeiten auch gegen Pfarrerinnen und Pfarrer geben muss, möglichst sogar griffigere als dieses schwammige, willküranfällige Ungedeihlichkeitsverfahren. Auf die Vorgehensweise kommt es an. Wenn sie schon nicht geschwisterlichen Maßstäben genügt, soll sie wenigstens rechtsstaatlichen genügen. Und: Das schönste Kirchenrecht nützt nichts, wenn es nicht mit einem entsprechenden Rechtsbewusstsein zur Anwendung kommt. Prof. Winters Behauptung, dass das Ungedeihlichkeitsverfahren "strengen juristischen Regeln" folge, kann ich nicht nachvollziehen. In § 86 und 87 des Pfarrergesetzes (PfG) heißt es nur, dass entsprechende Erhebungen durch den/die Dekan/Dekanin beziehungsweise Oberkirchenrat/-rätin im Kirchenkreis durchzuführen seien. Wie, das bleibt deren "Charisma" überlassen.

Ich habe nicht den Eindruck, dass in den Kirchenleitungen eine Traditionsübergabe an Neulinge im Umgang mit Konflikten stattfindet, schlimmer noch: dass trotz langjähriger "Erfahrung" sich kein verbindliches Regelwerk für ein Konfliktmanagement herausgebildet hat. Es ist keine Recherche durch ein unabhängiges Team vorgesehen, es besteht kein Transparenzgebot (auch öffentliche Kontrolle existiert kaum), Kirchenvorsteher können sich gegen Fragen der Gemeinde hinter ihrem Schweigegebot verschanzen (das eigentlich dem Schutz des Beklagten dienen sollte), es hängt vom Anstand der untersuchenden Person ab, ob sie vertrauliches Anschwärzen genüsslich annimmt oder zurückweist, es bestehen keine eindeutigen Kriterien für "Ungedeihlichkeit". Weltliche Juristen mokieren sich daher über diesen konturenlosen Begriff, den man nicht einmal im Duden findet. Ich bezweifle auch, dass viele vom Berufungs- und Instanzenweg, den Prof. Winter auslobt, Gebrauch machen. Auch hier gilt der alte, leider sarkastisch gemeinte Juristenspruch, auf hoher See und vor Gericht befände man sich in Gottes Hand.
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