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Das Ende der charismatischen Bewegung


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#1
Rolf

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Günter J. Matthia: Das Ende der charismatischen Bewegung
Quelle:

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Teil 1






Das Ende der charismatischen Bewegung






Die charismatische Bewegung neigt sich dem Ende zu, zumindest soweit sie sich als
Bewegung versteht, für die als kollektives Merkmal die Geistestaufe gilt.i
Ein interessanter Satz, wenn er aus der Feder eines der leitenden Pastoren der charismatischen
Bewegung in Deutschland kommt. Da hat offenbar jemand weiter und anders gedacht als üblich. Die
klassische charismatische Gemeinde von heute sieht für den Autor so aus:
Ihre Gottesdienste sind mit charismatischen Stilmitteln überladen, überwiegend
unprofessionell bis dilettantisch oder gar kitschig. Die Anbetung – ihre Domäne – weist in
vielen Gemeinden erhebliche Qualitätsmängel auf, ist zu laut oder zu lang oder handwerklich
einfach mangelhaft. Alle Beiträge, Predigten eingeschlossen, leiden unter Oberflächlichkeit,
mangelnde Performance und Attraktivität und weisen eine sehr fromme Sprache auf. Es fehlt
der Bezug zu den wirklichen Nöten der Menschen. Die Bekehrungsrate ist gering und geht hin
bis zu Null. Hinzu kommt, dass es an Vollmacht und geistlicher Salbung mangelt. ii
Immerhin ist Wolfhard Margies, der Verfasser dieser Zeilen, einer der »G6« der charismatischen
Weltiii - oder muss man sagen der früheren charismatischen Welt? Andere haben schon lange
beobachtet, dass in vielen Gemeinden das Feuer abhanden gekommen ist, auch ich empfinde seit
mehreren Jahren, dass die Bewegung zu Ende ist, nicht geht, wie regelmäßige Leser aus vielen
meiner Texte wissen. Ein interessanter und längst fälliger Prozess scheint in diesen Tagen zu
beginnen. Wenn Abgestorbenes schließlich als Leichnam wahrgenommen wird, entsteht endlich Platz
für Neues.

Wenn etwas zu Ende geht oder ist, dann heißt das keineswegs, dass es schlecht oder falsch gewesen
sei. Im Gegenteil. Es kann ungeheuer wertvoll, bereichernd, unvergesslich sein und sogar bleiben.
Zum Beispiel ein wunderbarer Konzertabend - der bleibt noch lange in Erinnerung, lässt sich
womöglich als Tonkonserve nachempfinden, hat das Leben bereichert, schöne Stunden geschenkt,
war alles andere als vergeudete Zeit oder Mühe, weder für Musiker, noch für Zuhörer. Oder eine
Lebensphase: Eine mit Abenteuern, Erfolgen und auch Niederlagen, aus denen etwas zu lernen war,
gefüllte Kindheit wird die Zukunft des Menschen prägen, hat Erfahrungen, Erkenntnisse und vieles
mehr gebracht, was auch dann, wenn die Erlebnisse selbst vergessen sind, nachwirken kann und
wird.

Natürlich kann ein Konzert auch hundsmiserabel sein, eine Kindheit zur Qual werden. Aber die bloße
Tatsache, dass etwas zu Ende ist, bedeutet keinerlei Werturteil. Das Prinzip gilt auch für
Glaubensbewegungen und -strömungen wie in diesem Fall die charismatische Bewegung. Die Rede
ist hier übrigens ausschließlich von Deutschland. In anderen Ländern und Kontinenten sieht vieles
völlig anders aus als hier.

Ich gehöre einer ehemals großen, inzwischen eher durchschnittlichen bis kleinen charismatischen
Gemeinde an. Ich verdanke den Predigten und der Gemeinschaft mit anderen Gläubigen eine ganze
Menge, was ich nicht missen möchte. Das heißt nicht, dass ich alles und jedes in dieser lokalen
Gemeinde gut und richtig finde, in etlichen Fragen habe ich von der Gemeindeleitung abweichende
Überzeugungen. Doch damit kann ich gut leben, denn es verlangt niemand von mir, dass ich sozusagen in blindem Gehorsam fremde Meinungen zu meinen mache. Ich habe es gelegentlich, zum
Beispiel bei Gesprächen im Hauskreis, wenn ich meine von der »offiziellen Linie« abweichenden
Vorstellungen und Überzeugungen äußere, mit Widerspruch zu tun, aber das ist völlig in Ordnung
und richtig so. Meine Standpunkte sollen für andere Menschen keineswegs verbindlich sein. Ich mag
und unterstütze »meine« Gemeinde, den Pastor, die Mitarbeiter und die Gläubigen, mit denen ich es
dort zu tun habe. Trotz manch abweichendem Standpunkt.

Etliche Jahre zuvor war ich Mitglied und Mitarbeiter in einer evangelikalen Gemeinde, in der die
öffentliche Ausübung der Gaben des Heiligen Geistes nicht opportun war. Als Leiter eines
Gebetskreises und einer Anbetungsgruppe kam es gelegentlich zu Konflikten mit
Gemeindemitgliedern, weil ich, wie man einmal hinter meinem Rücken dem Pastor mitteilte, »bei
der Gebetsgemeinschaft die Lippen bewegt« hatte. Stimmt. Ich hatte leise, für die anderen unhörbar,
in Sprachen gebetet. Welch ein Fauxpas! Der Pastor nahm es gelassen, denn er war ein Sympathisant
der Geistesgaben. Wie auch immer: In den Jahren in dieser Gemeinde bin ich geistlich nach einer
tiefen Krise gesund geworden, zu Kräften gekommen, habe neuen Lebensmut und unerschütterliche
Glaubensgrundlagen gefunden. Ich würde diese Zeit nicht missen wollen. Trotz manch
abweichendem Standpunkt.

Ich schicke dies nur voraus, damit niemand womöglich meine Gedanken über die charismatische
Bewegung in Deutschland so versteht, als sei ich »dagegen« – das sei ferne! Ich bin auch nicht
»gegen« evangelikale Gemeinden, oder katholische, oder evangelische, oder was es sonst noch so
alles in Gottes buntem Zoo gibt. Ich bin vielmehr »dafür« – für das Reich Gottes, in welcher Gestalt es
auch daherkommen mag. Auch in charismatischem oder pfingstlichem Gewand.
Ein Leser schrieb mir kürzlich zum Thema charismatische Gemeinden:
»Es scheint ein strukturelles Problem der charismatischen Gemeinden zu geben. Ich kenne
mindestens vier von Berlin bis Bayern, die sich seit einiger Zeit zerlegen, persönlich, in einer
war ich selbst drin. Ich selbst habe die ‚typisch charismatischen’ Dinge weder geglaubt, noch
praktiziert, was mir keinen Nachteil gebracht hat, insofern hatte man selbst da Freiheit, ‚das
Gute stehen zu lassen’. Ich selbst wurde dennoch vor dem geistlichen Hintergrund einer
solchen Gemeinde bekehrt. Also kann es so schlecht nicht gewesen sein. Trotzdem wurden
etliche Gläubige auf das falsche Gleis gesetzt, manche durch in sie gelegte und niemals
erfüllte Wünsche und Visionen auch auf das Abstellgleis. Wie wollen die Leiter der nun von
ihnen selbst für tot erklärten Bewegung diese wieder zurückholen? Eine schwere Last, die sie
zu tragen haben.«iv
Ich bin überzeugt, dass manche Pastoren und Leiter tatsächlich versuchen werden, einen
Wiederbelebungsversuch zu starten. Obwohl so manche Anstrengung, irgendwie wieder Leben in die
Gemeinden zu bringen, in den letzten Jahren keinen Erfolg gebracht hat, werden einige nicht
aufgebe, weil sie meinen, dass das, was 100 Jahre lang richtig war, auch in den nächsten 100 Jahren
richtig sein und bleiben muss.

Gerade Menschen, die erst in den letzten Jahren ihren Weg zum Glauben gefunden haben,
empfinden das Regelwerk in charismatischen Gemeinden als beklemmend und einengend, als
Leistungsanforderung: »Sei gesegnet, also sprich: sei erfolgreich, oder die Lage ist schlimm. Be
blessed or perish.«v So schildert es einer, der etliche Jahre in der gleichen Gemeinde war, in der ich
noch immer (wie gesagt gerne) bin. Oder, etwas platt formuliert von jemandem in unserem
Hauskreis, der zwar diesen noch, aber die Gemeindegottesdienste schon seit einem Jahr nicht mehr
besucht: »Wen ich all das, was da gepredigt wird, auch heute sehen würde, wäre das prima. Aber die
Pastoren reden von Ereignissen, die 80 oder 90 Jahre vorbei sind, als wäre das Erleben von damals
heute noch Wirklichkeit.«

Die Pfingstbewegung, aus der die charismatische Bewegung erwuchs, ist ein rundes Jahrhundert alt.
Was damals neu und umstritten war, regt heute kaum noch jemanden auf: Sprachenrede,
übernatürliche Heilungen, Prophetien und andere Gaben und Wirkungen des Heiligen Geistes
wurden neu entdeckt – alles Phänomene, von denen schon das Neue Testament berichtet, also
keineswegs Erfindungen oder Errungenschaften der Pfingstler, sondern eine Rückkehr zu dem, was in
der ersten Gemeinde den biblischen Berichten zufolge Alltag war. Der Heilige Geist wurde eingeladen
und er kam. Das wurde sichtbar. Die Heilungen und weitere Wunder aus jener Zeit sind medizinisch
untersucht und als echt verbürgt worden. Das alles regte manche eher konservativ geprägte Gläubige
auf, aber es brachte vor allem eins zustande: Menschen wurden errettet, haufenweise. Kumpels aus
dem Bergbau, Matrosen von der Reeperbahn, jede Menge Menschen aus gesellschaftlichen
Schichten, um die sich die Kirche kaum noch bemühte.
Die Gemeinden wuchsen an vielen Orten in atemberaubendem Tempo. Vom Heiligen Geist mit Feuer
entfachte Gläubige verursachten in ihren jeweiligen Gemeinden und Kirchen einen
atemberaubenden Aufbruch.

Doch diese anfängliche Blüte, von der auch die etablierten Kirchengemeinden erfasst wurden, hielt in
Deutschland nicht lange an. Es kam zu einer folgenschweren Spaltung. Vor ziemlich genau 100 Jahren
wurde ein fatales Dokument verabschiedet und veröffentlicht, das eine tiefe Wunde in die deutsche
Christenheit riss, die sogenannte »Berliner Erklärung«. Dieser Riss ist bis heute nicht wirklich verheilt.
Unter anderem hieß es in dem Dokument:
Die sogen. Pfingstbewegung ist nicht von oben, sondern von unten; sie hat viele
Erscheinungen mit dem Spiritismus gemein. Es wirken in ihr Dämonen, welche, vom Satan
mit List geleitet, Lüge und Wahrheit vermengen, um die Kinder Gottes zu verführen. In vielen
Fällen haben sich die sogen. „Geistbegabten” nachträglich als besessen erwiesen. ... Der Geist
dieser Bewegung bringt geistige und körperliche Machtwirkungen hervor; dennoch ist es ein
falscher Geist. Er hat sich als solcher entlarvt. Die hässlichen Erscheinungen wie Hinstürzen,
Gesichtszuckungen, Zittern, Schreien, widerliches, lautes Lachen usw. treten auch diesmal in
Versammlungen auf. Wir lassen dahingestellt, wie viel davon dämonisch, wie viel hysterisch
oder seelisch ist - gottgewirkt sind solche Erscheinungen nicht.vi

Zweifellos hatten die Unterzeichnenden so manches gesehen, was ihre Schlüsse nahelegte. Es gab
Exzesse, es gab Irrwege, es gab Fehler und Scheitern innerhalb der Pfingstbewegung. Manch
unrühmliche Episode wurde so gedeutet, dass der Teufel dahintersteckte. Davor wollte man die
Gläubigen bewahren und schüttete das Kind mit dem Bade aus, anstatt genauer hinzuschauen.
Die Praxis zeigt inzwischen fast überall, dass eine Zusammenarbeit der Konfessionen, auch mit
charismatischen Gemeinden, möglich und üblich ist. Offiziell wurde diese »Berliner Erklärung« der
evangelischen Gemeinschaftsbewegung nie widerrufen. Aber man akzeptiert inzwischen weithin,
dass der charismatische oder pfingstliche Mitchrist einen anderen Frömmigkeitsstil pflegt, dass er
andere Betonungen setzt. Man nimmt Rücksicht auf einander. Kaum jemand bezeichnet Pfingstler
oder Charismatiker noch als Menschen, in denen der »Geist von unten« wirkt. Inzwischen ist man
sogar in der Lage, zwischen »Bewegung« und dem Scheitern von Personen zu trennen. Manch einer
empfindet Benny Hinn als gespenstisch, Todd Bentley als Poltergeist... - verurteilt aber deshalb nicht
gleich alles in Bausch und Bogen, was sich »charismatisch« nennt.
So nennen sich nun allerdings immer weniger Christen. Fast unbemerkt hat das Sterben der
charismatischen Bewegung begonnen und stattgefunden. Es wäre in den letzten Jahren oder
Jahrzehnten abzulesen gewesen an nüchternen Beobachtungen:
• Kein Wachstum der Gemeinden mehr durch Menschen, die Jesus kennen lernen, sondern
allenfalls durch den Transfer von Mitgliedern aus anderen Kirchen oder Gemeinschaften.
• Evangelistische Aktionen erreichten zunehmend nur ein Publikum, das bereits fromm war;
wenn sich mal ein Ungläubiger dazu gesellte, ging er anschließend unbeeindruckt oder
kopfschüttelnd seiner Wege. Kaum eine Gemeinde veranstaltet heute noch Evangelisationen,
weil sie sowieso erfolglos wären.

• Die Gemeindemitglieder wurden immer weniger »nach außen« aktiv, sondern sie kuschelten
sich aneinander bei Lobpreisveranstaltungen, Konferenzen, Freizeiten, Gemeindetagen und
anderen Versammlungen, in denen »weltliche« Menschen weder erwünscht noch
anzutreffen waren.
• Die Anbetung wurde zum Zentrum des Glaubenslebens, neben dem weder soziale, noch
politische oder gesellschaftliche Anliegen noch Platz fanden, ganz zu schweigen von der
Frage, wie man denn wohl die Nachbarn, Kollegen, Freunde für den Glauben gewinnen
konnte.

Das, was an und für sich tatsächlich wichtig und entscheidend ist, nämlich die persönliche Beziehung
zu Gott, wurde zum alleinigen Ziel des Lebens, das Mittel wurde zum Zweck. Jesus hatte den Jüngern
einst den Heiligen Geist angekündigt, der sie für ihren tatsächlichen Auftrag, nämlich dafür zu sorgen,
dass das Reich Gottes kommt und der Wille des Vaters geschieht, ausrüsten würde. Sie sollten mit
Kraft bekleidet werden, um Kranke zu heilen, Gefangene zu befreien, die gute Nachricht vom Erlöser
Jesus Christus zu verbreiten. Das Ziel waren die Verlorenen, nicht die Gemeinschaft der Gläubigen:

»...ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet
meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.«
Die Gläubigen profitieren natürlich insofern, als der Heilige Geist das ganze Leben des Menschen
positiv verändert. Er schenkt Freude, gibt Frieden, erfüllt mit Hoffnung und tröstet denjenigen, der
Trost benötigt. Er erklärt dem menschlichen Herzen, was auf dem Herzen Gottes liegt, erinnert an die
Worte Jesu und schließt auf, was unverständlich ist. Ein Leben mit dem Heiligen Geist hat eine ganz
andere Qualität als ein Leben ohne ihn. Zweifellos ist der Heilige Geist wohltuend und gut für den
Menschen, aber das ist nicht sein einziges Anliegen. Ohne Frage sehnt sich der Heilige Geist nach der
Gemeinschaft mit uns, aber nicht ausschließlich zu unserer eigenen Erbauung. Die »Kraft aus der
Höhe« hatte in der Apostelgeschichte und hat noch heute ein Ziel und einen Grund: Sie rüstet dazu
aus, ein Zeuge Jesu zu sein, und zwar ein überzeugender Zeuge. Auch durch Zeichen und Wunder, die
mit der Predigt des Evangeliums (nicht im Gemeindegottesdienst, sondern dort, wo die gottfernen
Menschen sind) einhergehen.

In weiten Teilen der charismatischen Bewegung ist längst die Gemeinde (neben dem individuellen
Ego) zum Zentrum aller Aktivitäten und Anstrengungen geworden. Man erwartet »Erweckung«,
irgend etwas, was vom Himmel fällt und die leeren Reihen in den Sälen füllt. Man befindet sich in der
sicheren Burg und wartet darauf, dass die Gottlosen hereingeströmt kommen, um sich den
Gläubigen anzuschließen. Einstweilen beschäftigt man sich mit »Soaking«, »Segnungstunneln«, noch
mehr »Worship-Events« und die Verlorenen strömen immer noch nicht herbei. Man ist dennoch
zufrieden damit, den Heiligen Geist empfangen zu haben und hält die Ausrüstung zum Dienst an der
Welt für das eigentliche Ziel und die Erfüllung des Glaubenslebens.
Dabei kommt es jedoch immer mehr zu Irritationen und Frustrationen.
Einerseits ist da der hohe Anspruch: Kranke werden geheilt, Prophetie gibt klare Wegweisung für
persönliche und gemeindliche Belange, Gebet verändert Umstände, genug Glaube ist
gleichbedeutend mit Wohlstand und vieles mehr.

Andererseits sieht die Praxis ganz anders aus: Kranke bleiben krank und sterben, Prophetien
verheißen das Gegenteil dessen, was dann eintritt, Umstände bleiben wie sie sind, trotz Gebet, und
auch die Finanzen kommen nicht herabgeregnet, so sehr man auch zu glauben, zu proklamieren und
zu bekennen sich anstrengt.

Immer mehr enttäuschte Christen wandern ab, in die Welt oder zu »gemäßigten« Gemeinden. Steve
Taylor, ein amerikanischer Musiker aus dem christlichen Lager, hat es mal in einem Lied so
formuliert: Since I gave up hope I feel a lot better.
Die Folge: Auf Stagnation beim Gemeindewachstum folgt seit Jahren immer häufiger ein Schrumpfen
und schließlich ein Eingehen. Die Geburtenrate unter den Gläubigen reicht nicht aus, um die
leerwerdenden Plätze mit jungen Leuten aus den eigenen Reihen zu füllen.

Zweierlei möchte ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Erstens betrifft das nicht nur
charismatische Gemeinden. Von Ausnahmen abgesehen schrumpfen die Ortsgemeinden aller
Konfessionen. Zweitens ist das zugegeben sehr verallgemeinert. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Doch grundsätzlich ist zu beobachten, dass immer mehr charismatische Gemeinden gezwungen sind,
aufzugeben, wie sie die Finanzen nicht mehr zusammenbekommen, weil die Gläubigen abwandern,
weil es zu Spaltungen kommt…
Wenn etwas zu Ende geht, heißt das nicht automatisch, dass alles verloren ist, was damit verbunden
war.

Die charismatische Bewegung hat vieles wieder neu ins Bewusstsein gerückt, was in Vergessenheit
geraten war. Die wohltuende Atmosphäre einer ausgedehnten Anbetungszeit zum Beispiel, oder das
Bewusstsein, dass der Heilige Geist nicht für einige Auserwählte in der Vergangenheit da war,
sondern jeden Gläubigen erfüllen möchte. Auch die Ermutigung, dass sich jeder selbst mit der Bibel
beschäftigen kann und sollte, anstatt sich auf die Interpretationen der »professionellen« Verkündiger
zu verlassen wurde in der charismatischen Bewegung zumindest in den 70ger und 80ger Jahren
vielerorts stark betont. Natürlich sind das keine Entdeckungen oder Erfindungen der charismatischen
Bewegung, aber in ihr wurden diese und andere Dinge wiederbelebt.
Solche Erkenntnisse und Errungenschaften sind inzwischen weit über die charismatische Bewegung
hinaus verbreitet. Ich habe schon Lobpreis- und Anbetungszeiten in katholischen Kirchen miterlebt,
die einiges in den Schatten stellen, was in charismatischen Gemeinden vorzufinden ist. In vielen
Konfessionen werden die Gläubigen heute ermutigt, den Heiligen Geist einzuladen. Das geht nicht
immer mit der bei den Charismatikern so beliebten »Zungenrede« einher, aber selbst das kommt in
diversen Kirchen und Gemeinden vor. Auch die persönliche Beschäftigung mit den biblischen Texten
ist längst keine Domäne der Pfingstgemeinden und charismatischen Gruppen mehr.

Dort wiederum ist manches, was einst wiederentdeckt wurde, heute sogar weitgehend
verschwunden. Beispielsweise die Lektüre der Bibel. Leider begnügen sich viele Gläubige damit,
einen oder zwei Verse pro Tag zu lesen, in der Annahme, dass sie damit »Wort Gottes« in sich
aufnehmen würden. Es herrscht oft eine erschreckende Unkenntnis der biblischen Zusammenhänge
und der eine oder andere Satz aus der Bibel wird als Grundlage für haarsträubende Lehrmeinungen
und Überzeugungen missverstanden. »Aber es steht doch irgendwo, dass…« - »Die Bibel ist ganz klar
gegen…« - »Schwule kommen in die Hölle…« »Man muss den Zehnten geben, sonst…«

Auf die Frage, wo das denn stünde, wer das in welchem Zusammenhang geschrieben habe, warum
das Zitierte eigentlich gelten solle wenn das im nächsten Satz Gesagte keine Bedeutung zu haben
scheint, herrscht meist ratloses Schweigen. Allenfalls verweist man darauf, dass der Pastor das doch
neulich in der Predigt gesagt habe...
Wenn ich dagegen mit katholischen, evangelikalen oder lutherischen Gläubigen spreche, offenbart
sich häufig eine weit bessere Bibelkenntnis als bei vielen Charismatikern.

Gerade in charismatischen Gemeinden jedoch macht die Unkenntnis des Einzelnen über das, was
wirklich in der Bibel steht, Tür und Tor für allerlei absonderliche Lehren und Irrlehren weit auf. Das
vielerorts gepredigte Wohlstandsevangelium dient dazu, die Gemeindekasse zu füllen, denn man
suggeriert den Gläubigen, dass sie nur immer mehr spenden müssen, um selbst reich zu werden.
Zweifellos gibt es in der Bibel Beispiele, dass Menschen den Segen Gottes auf materielle Weise erlebt
haben. Es gibt aber auch diejenigen Gläubigen in der Bibel, denen es wirtschaftlich miserabel geht -
und daran ändert auch ihr Spendenverhalten nichts. Zweifellos gibt es in der Bibel und bis heute auch
Beispiele für übernatürliche Heilungen, und es ist nichts verkehrt daran, Gott als den großen Arzt zu
verkünden. Aber nicht alle wurden und werden geheilt. Paulus ließ einen Gefährten sterbenskrank
zurück, anstatt ihn zu heilen, seinem Freund Timotheus gab er den Rat, Wein statt immer nur Wasser
zu trinken, damit seine Magenbeschwerden nachlassen. Bei den charismatischen Gemeinden fehlt
dieser Aspekt meist völlig in der Verkündigung, was zum Teil dazu führt, dass Menschen medizinische
Hilfe ablehnen, weil sie »Unglaube« wäre.

Wenn man genau hinschaut, dann hat sich einst exklusiv charismatisches und pfingstliches Erleben
längst in der gesamten Gemeinde Jesu Christi ausgebreitet – manchmal zum großen Erstaunen der
»Eingefleischten«. Reinhard Bonnke berichtete einmal, wie er in einer katholischen Kirche für die
Kranken gebetet hat und regelrecht entsetzt war, dass der katholische Priester, der nicht in Zungen
sprechen konnte und von Geistestaufe keine Ahnung hatte, das gleiche tat, weil so viele Kranke da
waren – mit dem Ergebnis, dass unter »katholischem« Gebet blinde Augen sehen konnten und taube
Ohren geöffnet wurden.vii Bonnke ist längst dazu übergegangen, alle Konfessionen und
Denominationen einzuladen und zu beteiligen, wenn er irgendwo Dienst tut.

Das Feuer des Heiligen Geistes, seine Gaben, seine Wirkungen lassen sich nicht eingrenzen, fesseln,
im Zaum halten. Er weht, wo er will, und nicht da, wo er dem Namen nach zu finden sein müsste. So
ist die charismatische Bewegung schon längst nicht mehr im Exklusivbesitz der Kraft des Heiligen
Geistes, wenn sie es denn jemals überhaupt war. Sie hat insofern ihre Aufgabe erfüllt, jedoch keine
neue gefunden. Und hat vielerorts verschlafen, dass Gott sein Wirken nicht auf einen kleinen Teil
seines Leibes beschränkt. Charismatische Gemeinden haben sich zunehmend um sich selbst gedreht,
und dabei die anderen Christen, die oft als »unvollkommen« betrachtet werden, weil ihnen ja die
Zungenrede fehlt oder keine Propheten ans Mikrophon gelassen werden, aus dem Blick verloren.
Genau wie die Welt ringsherum.

Die Daseinsberechtigung mancher Gemeinde wird so definiert, dass sie für die gläubig gewordenen
Menschen Auferbauung, Lehre und Gemeinschaft bereitstellt. Punkt. Nichts sonst. Man schaut »God-
TV«, hört Anbetungs-CDs, liest fromme Bücher (und warnt vor solch »schrecklichen Irrlehren« wie sie
William P. Young in einen Roman verpackt hat). Gegen Harry Potter wird geistlicher Kampf
veranstaltet und U2 ist viel zu »weltlich«, als dass man die CDs am Büchertisch anbieten könnte.
Die Probleme der Stadt, in der man sich befindet, das Elend in den Familien ringsherum, rufen
allenfalls ein Seufzen hervor: »Herr, hilf!« Und dann überlegt man, wie man wohl die Gelder für das Pastorengehalt oder die Gemeinderäume zusammenbekommen könnte und wer das Gemeindefest
organisiert.

Fortsetzung folgt
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#2
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Günter J. Matthia: Das Ende der charismatischen Bewegung
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Teil 2






Das Ende der charismatischen Bewegung






Bei Storch, Pastor der Jesus-Freaks Remscheid, las ich kürzlich folgende Sätze bezüglich der Heilung
des blinden Bartimäus:

Die Zuhörer kommen ganz schön schlecht weg. Sie stehen dem Wunder völlig im Wege. Es ist
ihnen wichtiger, eine Predigt von Jesus zu hören, als dass ein Mensch geheilt wird. Sie wollen
einen ruhigen Gottesdienst haben und einen Störenfried zum Schweigen bringen. Nur dumm,
dass Jesus sich gerade für ihn interessiert.
Leider ist das noch heute so. Wir feiern Gottesdienste, die Gottes Wirken beschränken.
Diejenigen, die Jesus wirklich brauchen, wollen wir lieber nicht dabei haben, weil sie stören
könnten. Es ist eben leichter, eine Predigt über Jesus zu hören, als ihn wirken zu lassen.
Daraus entsteht eine schlimme Kultur, in der man viel mehr über Jesus hört, als man von ihm
sieht. Wie wäre es wohl, wenn wir mehr Wert darauf legen würden, denen das Evangelium
zu bringen, die es brauchen, als nette Gottesdienste ohne Störungen zu feiern?viii
Nicht in allen, aber in vielen charismatischen Gemeinden geht es vorwiegend oder gar ausschließlich
nur noch um eins: Wie bekomme ich mehr von Gott? Wie wird mein Leben angenehmer? Wie
können meine Probleme gelöst werden? Was kann der Heilige Geist für mich tun? Ich will noch mehr
»soaken« und noch mehr Prophetien hören. Der Pastor soll mir die Hände auflegen, damit meine
Krankheit verschwindet...

Symptomatisch fand ich ein Gespräch im Hauskreis vor einigen Monaten, als uns eine Missionarin
berichtete, wie die Gläubigen in einem anderen Land »Edelsteine« und Goldstaub und ähnliches von
Gott geschenkt bekommen. Sie hatte sogar einige dieser Steine dabei. Ich fragte (womöglich etwas
blauäugig): »Und was macht ihr dann mit den Steinen? Nehmen die Juwelenhändler die an? Wie viel
sind sie wert?«

»Wir behalten sie, freuen uns daran. Gott zeigt uns dadurch, wie sehr er uns liebt.«
Und das in einem Land, in dem Menschen Hunger leiden, kein sauberes Trinkwasser bekommen und
kaum vernünftige Kleidung besitzen. Ich war - egal ob diese Steine nun »echt« sind oder nicht -
einigermaßen schockiert.
Jesus hat vermutlich die Handvoll Brote und Fische nur aus dem Grund vermehrt, damit seine Jünger
sich freuen und von Gott beschenkt wissen. Die biblischen Berichte müssen sich diesbezüglich irren,
sicher hat er die Nahrung nicht an die hungernden Menschen ausgeteilt, oder?

Selbstverständlich, das hatte ich bereits weiter oben geschrieben, ist es legitim und richtig, sich von
Gott beschenken, wohltuen zu lassen. Diesbezüglich verweise ich auf das bereits Geschriebene. Auch dazu ist der Heilige Geist da. Doch ist das wirklich alles, worum es im Reich Gottes geht? Ich, mir,
mein, mich, uns...
Es gibt aber auch Gemeinden in Deutschland, charismatisch oder nicht, die sich ihrer Umgebung
zuwenden, die sich der Probleme in ihrer Nachbarschaft annehmen, ohne dabei das Ziel im Auge zu
haben, endlich wieder die eigenen Reihen zu füllen. Statt dessen wollen sie Not lindern, ungeachtet
des Glaubens, der Herkunft oder des sozialen Status der Notleidenden. Sie wollen helfen, ob nun
jemand Moslem, Atheist, ein Freund des Dalai Lama oder gar ein Sympathisant des Teufels ist. Solche
Gemeinden geraten dann flugs in den Verdacht, mit »emergentem Gedankengut« infiziert zu sein,
selbst wenn ihre Mitglieder gar nicht wissen, was das eigentlich sein soll.
»Missional«, »emergent«... - ein Gespenst geht um in Deutschland. Gegen Gespenster muss man
energisch vorgehen, damit sie verschwinden. Man muss über sie aufklären und ihnen den Schleier
vom Gesicht reißen, damit sie nicht womöglich noch die charismatischen Gläubigen verschlingen!

Doch bevor wir uns diese Gespenster anschauen, bleiben wir noch kurz bei der charismatischen
Bewegung, denn ihr Selbstverständnis ist nicht unerheblich für das, was nach ihrem Ende bleiben
oder verschwinden könnte.
Insgesamt wird der charismatische Aufbruch als Gottes Antwort auf die Entchristlichung
unserer Zeit begriffen. Christen, die durch das Wirken des Heiligen Geistes verändert wurden,
leben in der Gewissheit, dass Gott unsere Gesellschaft verändern wird, und beten um die
Erweckung unseres Volkes.
Durch die 'Erfüllung mit dem Heiligen Geist' werden die Menschen befähigt über ihren
Glauben zu sprechen und Christus als ihren Herrn zu bezeugen. Der Glaube bekommt eine
missionarische Kraft.
Die neutestamentlichen Charismen treten wieder auf. Sie werden als 'Dienstgaben' in die
Gemeinden eingebracht. Dies gilt sowohl für die 'auffälligeren' Charismen, wie das
Sprachengebet, prophetisches Reden und Heilungsgaben, als auch für die diakonischen
Gaben, die Gabe des Lehrens und Leitens und das Charisma der Unterscheidung.ix
So definiert (ausschnittweise) die »Geistliche Gemeindeerneuerung in der Evangelischen Kirche« die
charismatische Bewegung. Die »charismatische Erneuerung in der katholischen Kirche« versteht sich
so:

Seit dem Ende der 60er Jahre gibt es in der Katholischen Kirche - wie auch in anderen
christlichen Kirchen - einen neuen geistlichen Aufbruch. Menschen erfahren diesen als ein
Geschenk des Heiligen Geistes, als ein neues persönliches Pfingsten.
Menschen erfahren, dass ...
• Gott sie persönlich kennt und liebt,
• Gott Kraft schenkt für die Bewältigung des Alltags,
• Gott erfahrbar durch Gebet und Sakramente handelt,
• Gottes Geist sie beschenkt mit Fähigkeiten und Gaben, um Jesus Christus zu
verkünden, die Einheit der Christen zu fördern und eine Zivilisation der Gerechtigkeit
und der Liebe mit aufzubauen.

Viele Christen, die für ihr Leben und für die Kirche eine grundlegende Erneuerung aus dem
Geist Gottes ersehnen, haben in der Charismatischen Erneuerung Heimat und Perspektive
gefunden.
Das griechische Wort 'charisma' bedeutet 'Geschenk'. Charismatische Erneuerung meint also
zunächst einmal eine von Gott geschenkte Erneuerung. Charismen sind aber auch
persönliche Gaben des Geistes. So benennen der 1. Korintherbrief (Kap. 12-14) und der
Römerbrief (Kap. 12) eine Vielzahl von Gaben, die der Heilige Geist schenkt: Erkenntnis
vermitteln, prophetisch reden, heilen, trösten, ermahnen, lehren, Barmherzigkeit üben und
vieles mehr. Solche Gaben werden auch heute gegeben zum persönlichen Wachstum und
zum Dienst am anderen.x

Schon aus diesen beiden Definitionen wird deutlich, dass es die charismatische Bewegung als Form
oder Organisation nicht gibt. Die »Geistliche Gemeindeerneuerung im Bund Evangelisch-
Freikirchlicher Gemeinden« nennt fünf Kernpunkte ihres Selbstverständnisses:
• Erneuerung aus dem Wort Gottes
• Erneuerung aus dem Geist Gottes
• Erneuerung durch geheiligte Nachfolge
• Erneuerung durch die Priorität der Evangelisation
• Erneuerung durch erneuerte Führungskräfte
Bezüglich der Geistesgaben heißt es kurz und nüchtern:
Wir beklagen, dass in vielen Gemeinden Unsicherheiten, lehrmäßige Defizite und mangelnde
Praxiserfahrungen in Bezug auf das Wirken des Heiligen Geistes bestehen. Deshalb wollen wir
dazu helfen, dass wir zu einer bibelgemäßen Lehre und Praxis diesbezüglich heranreifen. Das
beinhaltet auch das Streben nach einer gesunden Praxis aller in der Bibel erwähnten und
vom Geist Gottes gewirkten Gaben im Gemeindeleben und in der missionarischen Existenz.xi
Die Bandbreite ließe sich schier endlos erweitern, wenn man nun noch hinzunehmen würde, was
unzählige kleinere oder größere Gemeinden und Kirchen, die sich als charismatisch verstehen, über
sich selbst schreiben. Die lutherischen Charismatiker betonen, wie oben erkennbar ist, das
persönliche Erleben und Profitieren vom Heiligen Geist - was dann eine »missionarische Kraft« im
Gläubigen bewirkt. Die Katholiken richten den Blick daneben auch auf den Dienst an den anderen
Menschen, auf die »Zivilisation der Gerechtigkeit«, was nicht verwundert, denn die katholische Kirche ist weltweit der größte soziale Dienst, den es gibt, von Krankenhäusern über Kindergärten bis
zu Katastrophenhilfe. Die freikirchlichen Gemeinden wiederum haben in erster Linie »Lehre und
Praxis« im Blick.

Es wäre, diese wenigen Beispiele machen das bereits deutlich, ausgesprochen unfair, wenn man »die
Charismatiker« in einen Topf werfen und auf irgend eine Weise pauschal beurteilen wollte. Auch die
Pfingstbewegung hat ein solch vielfältiges Erscheinungsbild, dass sie, obwohl sie (anders als die
charismatische Bewegung) in einem Dachverband organisiert ist, von Ort zu Ort sehr unterschiedlich
aussieht.

Es gibt, das dürfte deutlich geworden sein, keine »charismatische Theologie«, sondern sehr
unterschiedliche Ansätze, die allerdings eines einschließen: Der Heilige Geist ist real und seine
Gaben, die Charismen, gibt es auch heute noch. Wenn es ein kollektives Merkmal gibt, dann ist es die
Taufe im Heiligen Geist, oder die Erfüllung mit dem Heiligen Geist oder wie immer es auch in den
vielen verschiedenen charismatischen Gemeinden und Kirchen formuliert werden mag.

Wenn es der Sinn der charismatischen Bewegung war, dieses Bewusstsein wieder ins Blickfeld der
Christenheit zu rücken, dann wurde das in vielen Bereichen erreicht. Auch Gruppen und
Bewegungen, die sich überhaupt nicht als charismatisch bezeichnen, erleben das Wirken des Heiligen
Geistes und freuen sich darüber, zum Beispiel die »Jesus Freaks« oder örtliche Baptisten- und
Methodistengemeinden, die ich in Berlin kennen gelernt habe. Niemand trägt dort ein Plakat vor sich
her, auf dem »charismatisch« steht, aber der Heilige Geist wirkt und darf wirken.

Ein Leser schrieb mir: »Ich habe sehr viel von der Bewegung profitiert, suche aber neues. Das neue
wird mit Evangelisation zusammenhängen. Gemeinde dreht sich um sich selbst, wenn wir nicht
evangelisieren. Da muss eine Richtungsänderung kommen.«xii Ein anderer meinte: »So kenne ich
pietistisch geprägte Landeskirchliche Gemeinschaften, die zum Gnadauer Verband gehören, und die
längst Liedgut in ihren Gottesdiensten haben, das mal als 'charismatisch' verschrien war.

Andererseits mag es sog. charismatische Gemeinden geben, in denen das Wirken des Geistes nach
einigen Jahrzehnten auch 'gesetzlich geregelt' wird und von ihrem Stil eher einer anticharismatischen
Gemeinde gleichen. Und selbst unter den eingefleischten Charismatikern gibt es eine so große
Bandbreite von theologischen Erkenntnissen (von der Zungenrede als Muss bis zur Zungenrede als
bejahte, aber eher unwesentliche Gabe), dass mir eine Kategorisierung zunehmend schwer fällt.
Letztlich sehe ich es bei mir selbst: Durch die Josua-Gemeinde charismatisch geprägt, etwas zurecht
gestutzt durch Jahre in einer LKG, jetzt in einer FeG in Gründung mit leicht charismatischen
Einschlag... wobei das auch nur heißt: es gibt eine Lobpreiszeit, öffentliches Gebet bei den
Gottesdienstfeiern ist gewollt, es soll und darf Berichte von Heilungen und Bekehrungen geben, die
Gaben des Geistes sind gewollt... aber ist das allein charismatisch? Oder gar biblisch?«xiii

Ergo: Wozu braucht man noch eine Bewegung, wenn bewegt wurde, was zu bewegen war? Als
nostalgische Erinnerung? Könnte es sein, dass ein Heiliger Geist, der gegeben wurde, damit dich die
Gläubigen der verlorenen Welt zuwenden können, sich dort zurückzieht, wo man ihn nur noch für sich selbst, seine eigenen Belange haben will?

Wenn dem so wäre, dann müsste das Aussterben
solcher Gemeinden unweigerlich daraus folgen – und es wäre kein sonderlich großer Verlust.
Wie bereits mehrfach gesagt, ist dies alles sehr verallgemeinernd dargestellt, notgedrungen. Mir ist
bewusst, dass es an manchen Orten sehr spezielle Konstellationen und Situationen gibt, die vom
allgemeinen Bild abweichen. Es wäre unmöglich, ihnen allen gerecht zu werden. Nicht alle
charismatischen Gemeinden erleben in den letzten Jahren einen Niedergang, und die Gründe sind
vielfältig. Interessanterweise sind die Gemeinden am wenigsten vom Schrumpfen betroffen, die sich
mit diversen Diensten und Aktivitäten ihrer Umgebung zuwenden, statt darauf zu warten, dass die
Umgebung zu ihnen kommt. Und in anderen Ländern sieht vieles anders aus.

Manches wird bleiben, was die Charismatische Bewegung auszeichnete. Zum Beispiel der Heilige
Geist, der ist nämlich nicht von der Bewegung abhängig, sondern sie von ihm. Wenn es bei aller
Unterschiedlichkeit ein gemeinsames Merkmal gibt, wie gesagt, dann sind es die Gaben des Heiligen
Geistes. Zu diesen zählen:
• Freiheit
• Mitteilung von Weisheit
• Vermittlung von Erkenntnis
• Glaubenskraft
• Krankheiten heilen
• Wunderkräfte
• Prophetisches Reden
• Unterscheidung der Geister
• Zungenrede und deren Deutung
Bei den verschiedensten Geistesgaben nennt der Apostel Paulus die Notwendigkeit der Liebe (Agape)
als wichtigste Bedingung für den Gebrauch der Geistesgaben. Das deutet darauf hin, dass sie kein
Selbstzweck sein können. Sie wurden und werden der Gemeinde auch zu »internen Zwecken«
gegeben, aber wenn die Liebe nur nach innen, auf Gleichgesinnte gerichtet ist, dann hat sie recht
wenig mit der Liebe zu tun, die den Evangelien zufolge Jesus gezeigt und gelebt hat.

Als besonders erstrebenswert beschreibt Paulus die Gabe der Prophetie: »Jagt der Liebe nach! Strebt
aber auch nach den Geistesgaben, vor allem nach der prophetischen Rede!« Auch diese Gabe soll
nicht nur der Erbauung der Gemeinde dienen, sondern: »Wenn aber alle weissagen und irgendein
Ungläubiger oder Unkundiger kommt herein, so wird er von allen überführt, von allen beurteilt; das
Verborgene seines Herzens wird offenbar, und so wird er auf sein Angesicht fallen und wird Gott
anbeten und verkündigen, dass Gott wirklich unter euch ist.«xiv
Wenn man beobachtet, dass in charismatischen Gemeinden zwar gelehrt und gepredigt wird, dass
Wunderkräfte und Heilung von Krankheit zur Verfügung steht, sich dies aber nicht in der Praxis zeigt,
dann kann man sich fragen, ob dies nicht womöglich daran liegt, dass ein erheblicher Bestandteil der Zielrichtung der Wirkungen des Heiligen Geistes verloren gegangen ist. Es ist sehr viel von Vollmacht
die Rede und kaum etwas davon zu sehen. Es wird allerhand proklamiert und vom Teufel gefordert,
es wird geistlicher Kampf geführt, aber womöglich geht all das in die falsche Richtung. Viel zu selten
ist das Ziel solcher Glaubensschritte, dass Menschen errettet werden, es geht vielmehr darum, die
eigenen Probleme loszuwerden, von Angriffen auf sich selbst bewahrt zu bleiben, letzten Endes ein
beschauliches Leben in Frieden und Wohlstand zu führen.
Welch ein Kontrast zum Leben Jesu und der Gemeinde in der Apostelgeschichte. Welch eine
Anmaßung, dass man vor Verfolgung bewahrt bleiben sollte, keine Not kennen muss, angesichts
solcher Sätze: »Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen; wenn sie mein Wort
gehalten haben, werden sie auch das eure halten.«xv »Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des
Himmels Nester; aber der Sohn des Menschen hat nicht, wo er sein Haupt hinlegt.«xvi »Bis zur
jetzigen Stunde leiden wir sowohl Hunger als auch Durst und sind nackt und werden mit Fäusten
geschlagen und haben keine bestimmte Wohnung.«xvii

Aber anstatt die Diskrepanz zwischen der Bibel und dem eigenen Wunschdenken über ein
charismatisches »Leben in der (materiellen und gesundheitlichen) Fülle« überhaupt zu beachten,
haben viele charismatische Gemeinden recht abenteuerliche Vorstellungen entwickelt, die bis zu
Rezeptbüchern für finanziellen Erfolg reichen. Auch jetzt, wo das Abbröckeln und Aussterben etlicher
Gemeinden auf der Hand liegt, greift man lieber zu weiteren Rezepten und Spekulationen über eine
kurz bevorstehende Erweckung, die dann alle persönlichen und gemeindebezogenen Probleme
einfach so hinweg wäscht.

Eine Leserin schrieb mir diesbezüglich: »Die Frage ist doch, treibt uns die Liebe Gottes, wohnt in uns
das Erbarmen, das Gott mit uns Menschen hat, würden wir wirklich unser Leben, oder wenigstens
unsere Bequemlichkeit, die Teilnahme am kuschligen Sonntagsgottesdienst oder Hauskreis, das Geld,
das als sog. 'Zehnter' (was es ja nicht ist, das waren Naturalien...) in die Gemeinde wandern soll,
damit wir so schön 'gesegnet' werden, unsere 'Lobpreis- und Anbetungszeit', in der wir andere auf
CD singen lassen und wir ein bisschen mitsummen und die Augen schließen und uns 'wohlfühlen' -
usw, würden wir das hingeben, aufgeben, weglassen, 'nur' um einem anderen Menschen im Leben zu
begleiten, dem Penner oder 'motz'-Verkäufer zwei Euro geben, mit ihm reden, dem Obdachlosen im
Winter wenigstens den Kältebus per Telefon rufen, dass er im Warmen schlafen kann, ja, den
Arbeitslosen beim Ämtergang begleiten, Asylbewerber dito oder auch einfach Zeit mit türkischen
Kindern oder Müttern verbringen, auch wenn die 'Bekehrung' nicht absehbar ist? Oder sehen wir ein
erwartetes 'Gemeindewachstum' - ach nein, das heißt ja 'Erweckung' - als Bestätigung nach außen,
dass wir richtig liegen? Genau das ist es ja: Sie kommt nicht, die Erweckung - weil wir nämlich falsch
liegen mit unserer Kuscheligkeit! Unser Gemeindehaus soll schöner werden - Lasst uns Hütten
bauen.... Das habe ich schon anderswo gelesen... Es wird Zeit, dass wir die tollen Häuser verlassen,
die wir vermeintlich Gott gebaut haben, und endlich Jesus folgen!«xviii

Diejenigen, die womöglich unbequeme Fragen stellen, die neue Wege ausprobieren, die nicht mehr
zufrieden sind mit Vertröstungen auf ein besseres, erweckliches Morgen, die sich statt dessen hier
und jetzt den Menschen zuwenden und ihre Probleme nicht mit einem »Herr hilf!« abtun, werden
misstrauisch beäugt und - man mag es angesichts der »Berliner Erklärung« kaum glauben,
ausgerechnet von Charismatikern verdächtigt, einem »Geist von unten« verfallen zu sein. Das
emergente Gespenst ist mit seinen missionalen Schlingen nach Deutschland gekommen. Rette sich
(und seine charismatischen Schäfchen), wer kann!

Der bereits zitierte Senior-Pastor einer Freikirche in Berlin und Vertreter des »D-Netz«, Wolfhard
Margies, hat kürzlich eine Serie von Ausarbeitungen veröffentlicht, in denen er der Frage nachgeht,
wie die Zukunft der pfingstlich-charismatisch geprägten Gemeinden aussehen könnte. Das D-Netz
schreibt über sich selbst:
Wichtig ist uns auch, Entwicklungen in unserem Land rechtzeitig zu erkennen, zu deuten und
Führung des Heiligen Geistes - wie damals zur Zeit der ersten Christen - rechtzeitig und
effektiv weiterzuleiten.xix

Ein hoher Anspruch, aber das macht ja nichts, denn Gott ist der selbe wie damals zur Zeit der ersten
Christen. Warum sollte es also nicht solche Ereignisse beziehungsweise Propheten geben, wie das
Neue Testament sie schildert? Wolfhard Margies hat sich jedenfalls die Situation genau angesehen
und kommt zu dem Schluss:
Das Kernübel in dieser jetzigen Situation liegt darin, dass wir charismatisch und pfingstlich
orientierten Gläubigen und Leiter sehr wohl den Heiligen Geist kennen, respektieren und
auch lieben. Wir wollen ihm gern einen Platz in unserer Verkündigung, Gebeten und Worten
einräumen. Aber sein Platz ist tatsächlich auch weitgehend nur dort, das heißt in unseren
Worten und in unserer prinzipiellen Bejahung. Der entscheidende Mangel liegt darin, dass
wir die Beziehung zum Heiligen Geist als Person kaum kennen, nicht pflegen und vermutlich
gar nicht wissen, wie das aussieht, wie sich das anfühlt und wie man das einrichten kann.xx

Er schildert in diesem Teil der Abhandlungen seine Sicht einer persönliche Beziehung zum Heiligen
Geist und kommt dann zu dem Schluss:
Hand in Hand mit dieser veränderten Grundeinstellung und Ausstattung geht die Vermittlung
von Gaben, Kraft, Wunder, Zeichen und Heilung einher, welche die Menschen in Scharen in
die Häuser und Gemeinden der Gläubigen ziehen wird.xxi
Und da haben wir den Salat. Das ist, trotz der Erkenntnis, dass die charismatische Bewegung am Ende
ist, nach wie vor der alte Ansatz: In der Gemeinde passiert etwas, und dann strömen die Menschen
herbei, füllen die Gemeinden. Am Lagerdenken - hier die sichere Burg der Gläubigen, dort die böse
Welt - hat sich trotz der richtigen Beschreibung der Missstände in der charismatischen Bewegung
und der Feststellung, dass der Heilige Geist inzwischen abwesend ist, nichts geändert. Die Erkenntnis
führt bei den D-Netz Verantwortlichen offenbar nicht dazu, das Modell selbst zu hinterfragen. Das
tun andere, und sie ernten Misstrauen. Und nicht nur Misstrauen, wie wir gleich sehen:

Im letzten Kapitel seiner umfangreichen Ausarbeitungen schreibt der Autor dann auch etwas über,
wie er es ausdrückt, die Emerging Church.
Die Charismatiker verfehlen die Menschen der heutigen Gesellschaft und ihre Bedürfnisse.
Und wenn sie diese doch ansprechen, dann legen sie diesen zuvor so viele Steine in den Weg
in Gestalt ihrer eigentümlichen und für Neue nicht verstehbarer Frömmigkeitskulisse, dass
die ungläubigen Besucher dahinter nicht mehr das Eigentliche erkennen können. Die
Gottesdienste erscheinen wie eine Vorstellung für Eingeweihte, die Sprache ist vielleicht
modern aber enthält auch viele fachchinesische Frömmigkeitselemente, die für
Uneingeweihte nicht verständlich sind und von denen sie den Eindruck haben, dass sie mit
ihrem Leben und ihren Problemen nichts zu tun haben. Wie ist unseren Gemeinden noch zu
helfen?

Sind nicht die Ansätze der modernen Emerging-Church-Bewegung an dieser Stelle hilfreich
oder sogar die entscheidende Antwort?xxii


Fortsetzung folgt
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#3
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Günter J. Matthia: Das Ende der charismatischen Bewegung
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Teil 3






Das Ende der charismatischen Bewegung





Hier liegt nun ein erstes Missverständnis vor, denn Wolfhard Margies schreibt zwar richtig, dass »die
neue Bewegung ... sich viele Namen gegeben hat ... verschiedenartig in der Ausprägung ihres
Selbstverständnisses ist und schillernd vielfarbig in ihrer Gestalt erscheint«, unterscheidet dann aber
bei seinen weiteren Ausführungen nicht.

Es herrscht tatsächlich eine gewisse Begriffsverwirrung. Das englische Wort emerging kann im
Deutschen mit aufkommend, entstehend, auftauchend, erscheinend, neu entstehend oder auch
einfach jung übersetzt werden. Der Begriff hat sich eingebürgert, aber man spricht oft auch von
missional und meint das Gleiche, obwohl es nicht das Gleiche ist. Eine sehr gelungene Definition des
Unterschiedes zwischen missionarisch und missional findet man beim Sämann:
...schließt »missional« für mich den Kern ... von missionarisch ein, geht aber weit darüber
hinaus. Nicht nur Buße und Bekehrung, sondern darüber hinaus auch Nachfolge,
Jüngerschaft, Reich Gottes, soziale Gerechtigkeit, positiv verstandene
Gesellschaftstransformation, Verantwortung gegenüber der Tier- und Pflanzenwelt usw.

Dazu sind wir gesandt. Das will ich (zu) leben (versuchen). Und damit wird »missional« mehr
als eine Strategie, mehr als ein Eigenschaftswort. Missional heißt für mich, dem »von Gott
Gesandt-Sein« in allen Belangen Rechnung zu tragen, in jeder Hinsicht nach dem zu streben,
was auf dem Herzen Gottes ist. So zu leben, wie Jesus leben würde, wenn er mein Leben
leben würde. Somit wird missional zum Lebensstil...xxiii
Alles muss benannt und definiert werden, dazu neigen vor allem wir Deutschen. Nur bei dem, worum
es hier geht, hat selbst ein herausragender Rhetoriker gewisse Definitionsprobleme. Das liegt an der Sache selbst, wie in den folgenden Abschnitten deutlich werden sollte. Was »emerging« einschließt,
ist so vielfältig, dass es sich einer schlichten Definition von vorne herein verweigert.

Man kann die »Emerging Church« in Amerika auf gar keinen Fall mit dem in einen Topf werfen, was
sich in Deutschland sehr bewusst als »emergenter Dialog« definiert. Hierzulande geht es den
Teilnehmern am emergenten Gespräch meines Wissens nirgends darum, »Gemeinde« oder »Kirche«
werden zu wollen. Es beabsichtigt auch niemand, eine neue »Bewegung« ins Leben zu rufen,
irgendwelche Leitungsfunktionen zu definieren und zu besetzen... insofern kann und will der
emergente Dialog überhaupt nicht Nachfolger der charismatischen Bewegung werden oder sein.

Es geht vielmehr um einen Dialog von Menschen aus sehr verschiedenen Hintergründen, die auch
keineswegs beabsichtigen, ihre jeweilige Tradition abzustreifen. Bei emergenten Gesprächen in
Berlin beispielsweise saß ich als Mitglied einer charismatischen Gemeinde schon mit einer Pfarrerin
der evangelischen Landeskirche, dem Herausgeber einer Jugendzeitschrift aus pfingstlichtraditionellem
Hintergrund, Musikern aus der iranischen Gemeinde in Berlin, einem Vertreter der
Hauskirchenbewegung, einem Pastor der evangelikalen Gemeindebewegung, einem freikirchlichen
Theologen und etlichen anderen (neben mir) eher im kreativ-kunstschaffenden Bereich
angesiedelten Menschen zusammen. Was tun wir?

Wir reden. Wir diskutieren. Wir hören zu. Wir hinterfragen. Es ist - nomen est omen - ein Dialog.
Insofern ist die Einschätzung beziehungsweise der Vorwurf von vielen Seiten, dass die Praxis von der
Theorie recht weit entfernt sei, durchaus richtig. Keiner der Gesprächsteilnehmer beabsichtigt
nämlich, eine »emergente Gemeinde«, eine neue Konfession ins Leben zu rufen. Wir suchen
vielmehr im Austausch miteinander das, was man im Gespräch am besten finden kann: Die
Erfahrungen und Einschätzungen der anderen hören und womöglich darin Relevantes für das eigene
Leben und Denken finden. Und zwar das eigene Leben im jeweiligen gemeindlichen und persönlichen
Umfeld.

Es geht – zumindest in Berlin und soweit ich es weiß generell in Deutschland – eben nicht um eine
emergente Gemeinde oder Bewegung – anders als in Amerika. Was dort geschieht und diskutiert
wird, beobachtet man aufmerksam, nimmt Impulse auf, verwirft andere, aber man versteht sich
nicht als »Ableger« der amerikanischen Bewegung, so wie das bei den pfingstlichen und
charismatischen Aufbrüchen der Vergangenheit oft hierzulande der Fall war. Niemand reist nach
Toronto, in die Azusa-Street, nach Lakeland oder sonst irgendwohin, um »das Feuer mitzubringen«
und es dann in einer absonderlich anmutenden »Impartation«-Veranstaltung an die heimische
Gemeinde weiterzureichen.

Also ist in dem Aufsatz von Wolfhard Margies bereits die Annahme, dass es eine »emergente
Gemeinde« oder »Bewegung« gibt, von der Sache her nicht zutreffend. In einem offenen Schreiben
an Helmut Matthies (Idea) wurde das vor längerer Zeit so formuliert:
[Ob der emergente Dialog] wirklich eine ‚Bewegung’ wird, halten wir noch nicht für
ausgemacht. Die Kirchen in Deutschland wird Gott reformieren – oder auch nicht. Aber
vielleicht hat er, wenn er es tut, dafür mehr als nur ein einziges Modell im Sinn.xxiv

Es bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass es - wie ich in diesem Text ausführlich erläutert habe, die
charismatische Bewegung nicht gibt und genauso wenig gibt es die emergente Bewegung. Die gibt es
sogar noch viel weniger, weil sich der Dialog ganz bewusst nicht in Formen und Verfassungen
organisieren will. Es gibt - ganz bewusst - auch kein »wir hier oben, ihr da unten«, sondern jeder und
jede darf und soll mitreden, mitfragen, mitdenken. Dazu muss man kein Pastor sein, keine
Ältestenwürde haben, nicht einmal eine Bibelschule besucht haben. Es existiert gar kein Verein und
kein Werk, es werden keine Spenden gesammelt und keine aufwendigen Kongresse veranstaltet, die
große Summen verschlingen - ganz anders als in den charismatischen Gemeinden und Kirchen. Die
haben in der Regel eine niedergeschriebene Verfassung, Statuten, Strukturen, Gebäude, Angestellte,
Finanzbedarf, vor allem aber eine festgeschriebene Theologie.
Wolfhard Margies schreibt in seinem Text unverblümt zur Theologie der Emergenten, dass der
Heilige Geist nicht beteiligt sein kann:

Ihre Ausstattung ist aber einfach nicht ausreichend, ihre Theologie ist zu nicht geringen
Teilen ausgehöhlt und derangiert, was allerdings nicht für alle Erscheinungsformen der
Emerging-Church zutrifft. Weil die Jünger der Emerging-Church letztlich alles selbst machen,
kann ihnen der Heilige Geist nicht helfen. Er hilft nur denen, die ihre Hilflosigkeit eingesehen
haben.xxv

Dieser Eindruck mag womöglich daraus resultieren, dass die »emergente Theologie« im Gegensatz
zur charismatischen Theologie nicht »fertig« ist und auch nicht fertig sein will. Man kann sie
nirgendwo nachlesen. Sie ist nicht in Stein gemeißelt oder auf Papier gedruckt. Niemand sagt:
»Bitteschön, hier ist unsere emergente Theologie zum Nachschlagen für alle Fälle und Unfälle des
Lebens.« Warum gibt es so etwas nicht?

Viele Emergente sind von einem Christentum entmutigt, das alle Antworten bereits kennt. Die
Hoffnung, der Dienst und die Diskussion der Emergenten zielt auf eine Neubelegung christlicher
Theologie ab – nicht im Elfenbeinturm, nicht einmal auf Kanzeln und in Kirchenbänken, sondern auf
der Straße oder am Stammtisch oder im Internet oder wo auch immer. Der emergente Dialog ist von
der Grundüberzeugung geleitet, dass Theologie und Praxis untrennbar verbunden sind und einander
beständig befruchten - also kann es gar keine fertige Version von Theologie geben.
Theologie ist das Reden über die Verbindung zwischen göttlichem und menschlichem
Handeln. Fast alles, was Menschen tun, ist theologisch, da es reflektiert, was wir über Gott
glauben – wer Gott ist, was Gott von uns möchte, inwiefern er in der Welt am Wirken ist.xxvi

So heißt es in einem der Bücher, die zum Quer- und Umdenken anregen, »The New Christians«. Eine
ausführliche Darstellung findet sich unter den Beiträgen beim Sämann.xxvii
Wenn Emergente ständig Fragen stellen, dann ist das kein Zeichen von Trotz, sondern von Integrität.
Je mehr sie die Bibel lesen, desto komplexer erscheint sie ihnen. Sie nehmen den ganzen Text an und
nicht nur ihre Lieblingsstellen. Das mag einer der entscheidenden Unterschiede zur charismatischen
Tradition sein, bei der doch in sehr vielen Predigten und Schriften immer wieder zu beobachten ist,
dass ein Vers hier, zwei Verse dort aus ihrem biblischen Kontext herausgelöst werden, um damit eine
Lehre, ein Dogma zu begründen und zu entwickeln. Mit diesem Vorgehen wurden ja historisch so
allerlei Merkwürdigkeiten zementiert, von der Pflicht christlicher Frauen, lange Haare zu tragen bis
zum selbst von charismatischen Leitungspersonen bemängelten Überbewerten des
Pfingsterlebnisses als alleinig ausschlaggebende Komponente. Unter anderem resultiert das gesamte
Gefüge einer typischen charismatischen Ortsgemeinde, von der Liturgie (die zwar nicht so genannt
wird, aber felsenfest Jahr für Jahr in jedem Gottesdienst stattfindet) bis zur Leitungsstruktur und
Finanzierung, aus dem Auseinanderpflücken und neu Zusammensetzen biblischer Texte.

Ein starker Kontrast zur charismatischen Denkweise zeigt sich also bereits darin: Emergente
Theologie ist keine kirchliche Dogmatik und keine Glaubenslehre, sondern Phantasie für das Reich
Gottes in der Welt und für die Welt. Es geht um Gottes Reich und daher immer und überall um
öffentliche Theologie, aber niemals und nirgendwo um religiöse Ideologie der bürgerlichen und
politischen Gesellschaft, auch nicht der sogenannten »christlichen« Gesellschaft.

Die Teilnehmer am emergenten Dialog, die ich kenne oder lese, erkennen und akzeptieren die
Tatsache, das wir nicht alles, beziehungsweise sogar recht wenig wissen können. Darum reden wir
über alles, was wir denken. Ob es nun falsch oder richtig oder irgendwo dazwischen ist, zu dieser
Erkenntnis soll dann der Dialog dienen. Wolfhard Margies meint zwar, dass der Heilige Geist uns
dabei nicht zur Verfügung steht, weil wir alles selbst machen, aber das sehe ich ganz und gar anders.

In dem erwähnten Brief an Helmut Matthies ging es auch um das Thema Theologie:
Vielleicht hat es uns in Deutschland ja auch nie an Erkenntnis gemangelt. Wohl aber hat es
uns an zwei Dingen gefehlt: Erstens an dem Mut, Erkanntes konsequent umzusetzen und
dabei alte Zöpfe auch einmal abzuschneiden und ausgetretene Pfade zu verlassen; zweitens
an der menschlichen Größe, anderen experimentelle Spielräume einzuräumen, Fehler und
Scheitern zu tolerieren und den Nachwuchs oder die Pioniere auch dann zu fördern und zu
unterstützen, wenn sie unsere eigenen Vorlieben dabei nicht so bedienen, wie wir es gerne
hätten. Auch in diesem (nicht dogmatischen) Sinne gilt doch das reformatorische ‚ecclesia
semper reformanda’. Und da stehen wir Deutsche erst ganz am Anfang, meinen wir.xxviii

Nicht nur mir geht es so: Bei jedem Text, jedem Artikel, den ich schreibe, habe ich das Gefühl des
Vorläufigen, des Bruchstückhaften und Unfertigen. Schon Tage, Wochen später würde ich den
Schwerpunkt anders setzen, Gedanken anders einbringen oder ergänzen. Manches würde ich einige Monate später gar nicht oder ganz anders schreiben. Das betrifft sowohl meine Erzählungen und
Kurzgeschichten als auch solche Texte wie diesen hier. So kann man sich den emergenten Dialog
vorstellen: Nie ganz und gar fertig. Es wird keinen Beschluss geben, der ein »Grundgesetz«
verabschiedet, das fortan Richtschnur und Maßstab der emergenten Dialoge ist.

»Unsere Erkenntnis ist Stückwerk« erkannte schon Paulus. Wie recht er hat. Theologie, so wie ich sie
verstehe, atmet, ist nicht in Stein gemeißelt. Sie ist ein lebendiger Organismus. Daher kann und will
der emergente Dialog sie nicht als »fertig« definieren – was uns natürlich angreifbar macht für
diejenigen, die Theologie ganz anders begreifen, zum Beispiel viele Charismatiker, aber nicht nur
diese.

Es ist in gewisser Weise faszinierend, dass viele Menschen einen emergenten Dialog begonnen
haben, um in erster Linie den eigenen Glauben zu retten - also ein reiner Selbstzweck - und dann
erleben, wie auf einmal die Ungläubigen erreicht und verändert und mit Glauben angesteckt werden
– etwas frommer ausgedrückt: Sie kommen in das Reich Gottes hinein.
Den eigenen Glauben retten - wieso? Weil manch einer an dem verzweifelt, was seine Gemeinde
oder Kirche lehrt oder tut, so sehr daran verzweifelt, dass der Glaube als solcher in Gefahr gerät. Das
betrifft Menschen aus allen Konfessionen und Denominationen, aber hier geht es ja um das Ende der
charismatischen Bewegung, daher ein Beispiel aus diesem Bereich. Das mehrfach erwähnte D-Netz
beispielsweise hat auf seiner Internetseite noch Mitte August 2009 folgende Zeilen stehen:

Ein Großer im Reiche Gottes, den Gott in den letzten Monaten und Jahren sehr mit
Vollmacht, Salbung, evangelistischem Feuer und Heilungskraft ausgestattet hat, ist gefallen.
Das ist schockierend und tragisch. Gefallensein, das meint in diesem Fall nach allem, was wir
wissen, dass Todd´s Ehe in eine Krise geraten ist und dass er sich seelisch an eine
Mitarbeiterin seines Teams gebunden haben soll. Es kam, wie uns versichert wurde, zu
keinen sexuellen Kontakten, aber auch seelische Untreue ist Sünde, zumal bei jemandem, der
Heiligung und Intimität mit Gott so stark hervorgehoben hat und, wie wir auch glauben,
ausgelebt hat.xxix

Und das, obwohl seit langen Monaten bekannt ist, dass Todd Bentley durchaus mit besagter
Mitarbeiterin geschlafen hat, inzwischen geschieden wurde, mit einer neuen Frau ausgestattet nach
Amerika umgesiedelt ist und dass kein einziges seiner Heilungswunder belegt werden konnte. Aber -
und daran verzweifelt mancher Gläubige - es ist eben so, dass die charismatische Bewegung damals
mit fliegenden Fahnen nach Lakeland gepilgert ist und das Medienereignis dort als Wirken des
Heiligen Geistes lauthals von den Kanzeln verkündet hat - und nun kann man nicht zurück, sondern
muss beschwichtigen und erklären, Tatsachen ausblenden und am besten totschweigen, was
offensichtlich ist.

Todd Bentley ist nur ein Beispiel von vielen, ein prominentes eben. Andere Menschen erleben in und
durch charismatische Gemeinden persönliche Tragödien, weil die Versprechungen von der Kanzel sich als leere Worthülsen entpuppen. Man kann in charismatischen Gemeinden recht schnell
verzweifeln, wenn man offene Augen hat.
Mancher denkt einfach nicht mit oder weiter, und hält es ganz gut aus dort: Wenn sogar Propheten
aus Amerika angeflogen kommen und den großen finanziellen Durchbruch mit Millionenbeträgen
voraussagen, dann muss es ja wohl stimmen - selbst wenn die Schulden überhand nehmen. Wenn
mir bereits drei Brüder die Hände aufgelegt und dabei in Zungen gebetet haben, dann muss meine
Krankheit ja jetzt weichen. Wenn der Herr sagt, dass die Erweckung bevorsteht, dann macht es
nichts, dass er seit 20 Jahren das gleiche sagt und von Erweckung noch immer keine Spur zu finden
ist. Was sind schon 20 Jahre...

Manch einer zerbricht in charismatischen Gemeinden und wird zum öffentlichen »Verkläger der
Brüder«, es gibt haufenweise Internetforen und Schriften von Ex-Charismatikern, in denen der blanke
Hass lodert. Traurig, aber wahr. Oft genug verständlich, wenn jemand Hab und Gut geopfert hat und
hinterher stellt sich heraus, dass es gar nicht Gott war, der dazu aufforderte, sondern der Pastor.

Oder jemand, der schlimmer krank ist als einen Schnupfen zum Herbst zu bekommen, dem
versprochen wurde, er müsse nur glauben – was er nach bestem Wissen und Gewissen tat. Krank war
und blieb er. Aus solchen Frustrationen entsteht schnell Hass. Da wird das Kind mit dem Bad
ausgeschüttet, pauschaliert und verurteilt. Es ist ein Graus.
Manch einer wandert auch aus charismatischen Gemeinden in »gemäßigte« Kirchen ab, oder er
verliert seinen Glauben endgültig. Man hat ihm Wohlstand und Gesundheit versprochen, er ist arm
und krank geblieben, also - so die Schlussfolgerung - existiert dieser Gott gar nicht, von dem man ihm
erzählt hat.

Aber manch einer fängt auch an, Fragen zu stellen: Ist Gott wirklich so, wie er gepredigt wird? Wieso
lese ich in der Bibel ganz andere Dinge, ganz andere Zusammenhänge? Wie kommt es, dass die
Gemeinde dermaßen weltfremd ist? Ist das gut so oder ein Mangel? Muss das sein, dass Christsein in
den Formen abläuft, die seit vielen hundert Jahren bestehen? Muss ein Gottesdienst eine
einstündige Predigt enthalten? Muss Gemeinde ein Frontalprogramm sein? Muss der Glaube für alle
Ungläubigen so unattraktiv und lächerlich aussehen?

Solche (und viele andere) Fragen stellen Emergente. Menschen, die im Rahmen eines emergenten
Dialoges Fragen aufwerfen, Antworten erwägen und darüber reden wollen. Nicht als Konkurrenz,
sondern als Teil ihrer jeweiligen Heimatgemeinde, wenn sie eine haben. Nicht, um die Macht zu
übernehmen und Strukturen zu stürzen, sondern um in erster Linie im persönlichen Leben weniger
Unfruchtbarkeit, Widersprüche, Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit und statt dessen
mehr Reich Gottes zu erleben.

Dass wir dabei Strukturen und Machtgefüge in Frage stellen, an Traditionen und Konventionen
rütteln und nicht davor zurückscheuen, auch »heilige Kühe« gedanklich zu schlachten, mag man uns
– dem emergenten Dialog als solchem – getrost vorwerfen. Nichts anderes hat seinerzeit Martin Luther getan. Er wollte nicht seine Kirche abschaffen, sondern das Christenleben zu dem
zurückbringen, was es in der Apostelgeschichte einst gewesen war. Auch die Pfingts- und dann die
charismatische Bewegung wollten ja überwiegend die bestehenden Kirchen mit neuem Leben aus
dem Feuer des Heiligen Geistes entzünden, statt neue Gemeinden zu gründen. Dass dies meist nicht
möglich war, kann man nur bedauern.

Wolfhard Margies zieht in seinem Papier einige aus meiner Sicht gefährliche Rückschlüsse.
Unsere Brüder und Schwestern des neuen Stream sind nämlich den Trends weitgehend
entgegengekommen und haben im Rahmen ihres Begehrens, relevant zu sein und nicht an
den Belangen der Gesellschaft vorbei zu steuern, ohne dass sie es bemerkten, manche
Anteile der Ideologie angenommen, der sie begegnen wollen. Diese Happen fremder
Philosophie, die sie verschluckt haben, sind größer als sie es wahr haben wollen. ... Aber in
diesem Vorgehen ist zu einem großen Teil der Geist des Relativismus schon enthalten. Die
Emerging-Church-Bewegung will den modernen oder postmodernen Menschen erreichen,
indem sie ihm letztlich in seinem Geist begegnet. ... So kam es zu einem langsamen aber
immer rasanter werdenden Bergrutsch der christlichen Ethik: Neue Freiheiten in der
Sexualität unter Einschluss der Enttabuisierung der Homosexualität, neues Denken was Ehe,
Familie, Scheidung und Kindererziehung anlangt. In der Gemeinde hält die Postmoderne in
großer Breite Einzug. Gottesdienste werden verändert oder abgeschafft, Ordnungen außer
Kraft gesetzt, Verbindlichkeit, Pünktlichkeit, Hingabe an gemeinsame Ziele und Strukturen
unterliegen den Forderungen der jeweiligen örtlichen Spielform der neuen Frömmigkeit.xxx

Wenn man genau hinschaut, dann heißt das nichts anderes als »Die Emerging Church vermischt das
Evangelium mit fremder Philosophie, will den Menschen in einem Geist begegnen, der nicht der Geist
Gottes ist.«

Genau das hat man der Pfingstbewegung und der charismatischen Bewegung vorgeworfen. Ein
»Geist von unten« sei dort wirksam, hieß es in der »Berliner Erklärung«. Und nun wird dieser Vorwurf
ausgerechnet aus dem Lager laut, das einst Opfer solcher Unterstellungen war.

Niemand bestreitet ernsthaft, dass es in der charismatischen Bewegung und in der Pfingstbewegung
Irrwege, Fehlentwicklungen und Versagen gab. Muss man sie deshalb als Ganzes als Satanswerk
verurteilen?

Niemand bestreitet ernsthaft, dass es im emergenten Dialog Irrtümer, Sackgasen, Fehlentwicklungen
und Missverständnisse gibt. Muss man deshalb von »Happen fremder Philosophie« reden, die
verschluckt wurden, oder von einem Geist, der nicht der Geist Gottes ist?
Womöglich hat Wolfhard Margies das nicht so gemeint. Womöglich war ihm die fatale Parallele gar
nicht bewusst. Da ich ihn seit vielen Jahren kenne, kann ich mir nur vorstellen, dass dies ein
unabsichtlicher Fauxpas war, dass er in Sachen emergentes Denken einfach die falschen Informationen zur Verfügung hatte. Ich habe ihn diesbezüglich angeschrieben, eine Antwort steht
noch aus. Ich kann eigentlich, gerade weil ich ihn so lange kenne, nur davon ausgehen, dass er
unzureichende Informationen hatte, als er diese Sätze schrieb.


Fortsetzung folgt
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#4
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Günter J. Matthia: Das Ende der charismatischen Bewegung
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Teil 4






Das Ende der charismatischen Bewegung





Ich würde mir sehr wünschen, dass es in Deutschland nicht (wie seinerzeit vor ziemlich genau 100
Jahren durch die unselige »Berliner Erklärung«) zu einem Gegeneinander kommt, sondern zu einem
auf einander Hören, von einander Lernen und miteinander das Reich Gottes bauen. Es gibt viel zu
viele Menschen, die verloren gehen, also sollten wir unsere Energie – charismatisch, emergent oder
sonst ein Etikett – gemeinsam darauf konzentrieren, wie sie in das Reich Gottes hineinkommen
können. Eine meiner Leserinnen meinte kürzlich: »Der emergente Dialog ist interessant und vielleicht
hat er auch das Potenzial für eine tragfähige Brücke: Von starren, religiösen Glaubenssystemen zu
einem echten, ehrlichen Lebensstil à la Jesus.«xxxi Ich meine, dass die Brücke gelingen kann, wenn
Christen aller Konfessionen und Ausrichtungen zusammenarbeiten, von einander und miteinander
lernen, ihre Erfahrungen teilen und dem jeweils anderen zur Verfügung stellen, anstatt sich
abzugrenzen und Mauern zu errichten.

Gerade die Errungenschaften der charismatischen Bewegung können in der Zukunft eine wichtige
Rolle spielen, da sie Gott den Menschen erfahrbar und nahbar gemacht hat, Glauben auf sehr
persönliche, emotional Weise wieder ins Bewusstsein gerückt hat. Dass die Gefühle und seelischen
Erhebungen, die in charismatischen Gemeinden möglich wurden, in vielen Fällen zu einem
Abschotten von der Welt und Ausblenden des Missionsbefehls aus dem Gesamtbild geführt haben,
kann ja revidiert werden. Was man als missional oder emergent bezeichnet, ist einer der Wege, die
dazu denkbar sind, keineswegs der einzige. So verschieden die Menschen sind, so verschieden dürfen
und sollten auch die Ortsgemeinden sein, in denen sie sich treffen.
Fehler machen wir, die wir emergent diskutieren, ganz bestimmt. Fehler machen diejenigen, die sich
traditionell charismatisch begreifen, genauso sicher. Fehler machen auch Katholiken, Lutheraner,
Baptisten, freie Gemeinden, Hauskirchen.

Tröstlich scheint mir dabei der Blick in das Neue Testament: Da ist der große Apostel Petrus, der von
Paulus gerügt wird, weil er jüdische Frömmigkeit heuchelt, wo es ihm opportun erscheint. Da ist
Barnabas, der keine Lust hat, nach Korinth zu reisen. Da ist Paulus, der bei Nacht und Nebel über die
Stadtmauer fliehen muss, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war…
Da sind lauter Menschen, die menschlich sind, die voneinander abweichende Meinungen und Lehren
vertreten, die sich auch mal im Streit trennen - und dennoch baut Gott sein Reich mit ihnen.

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass eine Reformation der kirchlichen Landschaft gelingt, ohne dass
der eine den anderen erneut verteufelt. Die Kirchen in Deutschland wird Gott reformieren – oder
auch nicht. Aber vielleicht hat er, wenn er es tut, dafür mehr als nur ein einziges Modell im Sinn?


Quellenverzeichnis

i Wolfhard Margies: »Gedanken zur charismatischen Bewegung« - Nach dem Einloggen unter www.gadw.info
als Download erhältlich
ii ebenda
iii Leitungskreis des »D-Netz«, siehe

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org/index.php?option=com_content&task=view&id=22&Itemid=40
iv Komentar zu diesem Artikel:

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html
v ebenda
vi »Berliner Erklärung« im Wortlaut:

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vii Reinhard Bonnke: Living a Life of Fire
viii Storch: Schreien, siehe

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ix

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x

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xi

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xii Siehe Kommentare:

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06.html
xiii ebenda
xiv Zusammenhänge siehe 1. Korinther 14
xv Johannes 15, 20
xvi Lukas 9, 58
xvii 1. Korinther 4, 11
xviii Siehe Kommentar zu

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08.html
xix

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xx

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xxi ebenda
xxii Wolfhard Margies: »Gedanken zur charismatischen Bewegung« - Nach dem Einloggen unter www.gadw.info
als Download erhältlich
xxiii Missional und missionarisch - was ist der Unterschied?

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xxiv Offener Brief an Helmut Matthies,

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idea/
xxv Wolfhard Margies: »Gedanken zur charismatischen Bewegung« - Nach dem Einloggen unter www.gadw.info
als Download erhältlich
xxvi

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xxvii

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xxviii Offener Brief an Helmut Matthies,

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idea/
xxix Verlautbarung zum Thema Lakeland/Todd Bentley

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org/images/downloads/verlautbarung%20zu%20todd%20bentley%20von%20wolfhard%20margies.pdf
xxx Wolfhard Margies: »Gedanken zur charismatischen Bewegung« - Nach dem Einloggen unter www.gadw.info
als Download erhältlich
xxxi Siehe Kommentare zu

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html


Ende
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#5
Scaevola

Scaevola

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ein sehr guter text. danke, Rolf, dass du ihn reingestellt hast.

der autor spricht sehr viele sachen an, die auch ich mir schon oft aufgefallen sind. nicht nur bei charismatikern, sondern auch bei pfingstlern, meiner geistlichen heimat. allerdings sind bei uns die extreme nicht ganz so ausgeprägt, liegt vielleicht auch am alter (über 100 jahre). und nachdem was der autor so als "emergente" bezeichent, dürfte wohl auch ich einer sein. habe zwar schon von dem konzept gehört, aber jetzt zum ersten mal eine so detaillierte beschreibung gelesen.

danke!
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#6
Rolf

Rolf

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Neigt sich charismatische Bewegung dem Ende zu?





Wolfhart Margies: Der Bewegung fehlt es an missionarischer Kraft

Berlin – Die charismatische Bewegung neigt sich ihrem Ende zu. Diese
Ansicht vertritt einer ihrer führenden Repräsentanten, Pastor Wolfhart
Margies (Berlin). Nach seinen Worten stagniert die Mitgliederentwicklung
der Bewegung. Außerdem fehle es ihr an missionarischer Kraft, schreibt
er im Thesenpapier „Gedanken zur charismatischen Bewegung und zur
Emerging Church“, das Margies charismatischen Leitungspersonen vorgelegt
hat. Margies leitet eine der größten freien charismatischen Gemeinden
Deutschlands - die 1981 aus der Trennung von einer Berliner
Baptistengemeinde hervorgegangene „Gemeinde auf dem Weg“. Sie hat nach
eigenen Angaben 664 Mitglieder; zu ihren beiden Sonntagsgottesdiensten
kommen insgesamt etwa 750 Besucher. Margies zufolge lebt die
charismatische Bewegung „schon seit langem aus fremdem Gut“. Die meisten
Mitglieder hätten sich nicht in den eigenen Reihen, sondern in
evangelikalen Gemeinden bekehrt, um später zu den charismatischen
Gemeinden zu wechseln.

Die missionarische Wirksamkeit charismatischer Gemeinden sei
„erstaunlich gering“. Die klassische charismatische Gemeinde tue sich
schwer damit, für Nichtchristen attraktiv zu sein und ihnen eine
bleibende Heimat zu bieten: „Ihre Gottesdienste sind mit charismatischen
Stilmitteln überladen, überwiegend unprofessionell bis dilettantisch
oder gar kitschig. Die Anbetung – ihre Domäne – weist in vielen
Gemeinden erhebliche Qualitätsmängel auf, ist zu laut oder zu lang oder
handwerklich einfach mangelhaft.“ Alle Beiträge, Predigten
eingeschlossen, litten unter Oberflächlichkeit, mangelnder Attraktivität
und wiesen eine „sehr fromme Sprache“ auf. Es fehle der Bezug zu den
wirklichen Nöten der Menschen. „Die Bekehrungsrate ist gering und geht
hin bis zu Null“, so Margies. Außerdem fehle es an geistlicher Vollmacht.

Laut Margies schuf die charismatische Bewegung eine „unscharfe, ja
eigentlich verkehrte Theologie, indem sie einen Teilaspekt biblischer
Lehre, die Taufe im Geist, zum Ganzen erklärte“. Bei den wenigen
wachsenden charismatischen Gemeinden sei das charismatische Element
weniger ausgeprägt oder fehle ganz. Bei diesen Gemeinden gebe es weniger
öffentliches Gebet in fremden Sprachen und weniger oder gar keine
Heilungen und Wunder.

Kritik übte Margies auch an der evangelikalen Bewegung. Diese habe durch
Liberalisierung, Anpassung und Erosion der Lehre ebenfalls
missionarische Kraft verloren. Auch die aus den USA kommende Bewegung
„Emerging Church“ weise keinen Weg aus der Krise. Zwar sei es ihr
gelungen, die Fragen, Bedürfnisse und Nöte postmoderner Menschen zu
erfassen. Sie habe auch veraltete christliche Ausdrucksformen in Frage
gestellt. Jedoch sei ihre Theologie „zu nicht geringen Teilen
ausgehöhlt“ und weise einen „immer rasanter werdenden Bergrutsch der
christlichen Ethik“ auf. Es komme zu „neuen Freiheiten in der Sexualität
unter Einschluss der Enttabuisierung der Homosexualität“ und zu einem
neuen Denken im Blick auf Ehe, Familie, Scheidung und Kindererziehung.
In Gemeinden halte die Postmoderne in großer Breite Einzug.
„Gottesdienste werden verändert oder abgeschafft, Ordnungen außer Kraft
gesetzt, Verbindlichkeit, Pünktlichkeit, Hingabe an gemeinsame Ziele und
Strukturen unterliegen den Forderungen der jeweiligen örtlichen
Spielform der neuen Frömmigkeit.“

Margies erwartet eine neue Bewegung „mit klarem Konzept und präziser
Lehre“. Dieser neue Aufbruch sei gekennzeichnet durch die „Autorisierung
und Salbung zu Wundern, Zeichen, Heilungen und eine Kraftausstattung zu
einem Befreiungsdienst“. Wie beim ersten Pfingstereignis sollten
Christen dafür „in den Stand des aktiven Wartens“ treten. Gegenüber dem
Nachrichtendienst idea sagte Margies, der Heilige Geist dürfe nicht als
Lieferant von spektakulären Heilungen, Zeichen und Wundern missbraucht
werden. Vielmehr wolle der Heilige Geist Christen mit Liebe, Erbarmen
und der Erfahrung von Herrlichkeit füllen, um sie zu glaubhaften Zeugen
Jesu zu machen. Dann könnten durch Christen auch Zeichen und Wunder
geschehen, ohne dass sie deswegen überheblich würden.
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#7
Hoffnungsstrahl

Hoffnungsstrahl

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Zitat:
Margies erwartet eine neue Bewegung „mit klarem Konzept und präziser
Lehre“. Dieser neue Aufbruch sei gekennzeichnet durch die „Autorisierung
und Salbung zu Wundern, Zeichen, Heilungen und eine Kraftausstattung zu
einem Befreiungsdienst“. Wie beim ersten Pfingstereignis sollten
Christen dafür „in den Stand des aktiven Wartens“ treten. Gegenüber dem
Nachrichtendienst idea sagte Margies, der Heilige Geist dürfe nicht als
Lieferant von spektakulären Heilungen, Zeichen und Wundern missbraucht
werden. Vielmehr wolle der Heilige Geist Christen mit Liebe, Erbarmen
und der Erfahrung von Herrlichkeit füllen, um sie zu glaubhaften Zeugen
Jesu zu machen. Dann könnten durch Christen auch Zeichen und Wunder
geschehen, ohne dass sie deswegen überheblich würden.

Zitatende


Die Zeichen und Wunder, auf die Herr Margies da wartet, werden ganz sicher kommen, denn Gottes Wort hat sie schon angekündigt:

2. Thess. 2, 7-10
Denn das Geheimnis der Gesetzlosigkeit ist schon am Wirken, nur muß der, welcher jetzt zurückhält, erst aus dem Weg sein; und dann wird der Gesetzlose geoffenbart werden, den der Herr verzehren wird durch den Hauch seines Mundes, und den er durch die Erscheinung seiner Wiederkunft beseitigen wird, ihn, dessen Kommen aufgrund der Wirkung des Satans erfolgt, unter Entfaltung aller betrügerischen Kräfte, Zeichen und Wunder und aller Verführung der Ungerechtigkeit bei denen, die verlorengehen, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, durch die sie hätten gerettet werden können.

Off. 13, 13-14
Und es tut große Zeichen, so daß es sogar Feuer vom Himmel auf die Erde herabfallen läßt vor den Menschen. Und es verführt die, welche auf der Erde wohnen, durch die Zeichen, die vor dem Tier zu tun ihm gegeben sind, und es sagt denen, die auf der Erde wohnen, daß sie dem Tier, das die Wunde von dem Schwert hat und am Leben geblieben ist, ein Bild machen sollen.

Offb 16,14
Es sind nämlich dämonische Geister, die Zeichen tun und ausgehen zu den Königen der Erde und des ganzen Erdkreises, um sie zum Kampf zu versammeln an jenem großen Tag Gottes, des Allmächtigen.
  • 0

#8
Rolf

Rolf

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Margies erwartet eine neue Bewegung „mit klarem Konzept und präziser Lehre“.



Dasist in der Tat mal was ganz Neues. ausgerechnet Margies spricht von präziser Lehre. Was er damit wohl meint?

Vielleicht seinen Vortrag von den in nächster Zeit massenhaft auftretenden Pfingstereignissen, die dann seine Gemeinde so stark machen, dass das Endzeitgeschehen aufgehalten wird?

Was will ausgerechnet dieser Mann, der massenhaft Irrlehren verbreitet hat, denn präzise hören?

Herzliche Grüße

Rolf
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