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Doppelt berufen?


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#1
Rolf

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Doppelt berufen?





Über den Autor
Als Badnerin aus der südlichsten Ecke Deutschlands ist sie nach einem zweijährigen Aufenthalt mit dem Janz Team in Paraguay jetzt als Volontär bei ERF Online gelandet. Sie hat an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel Theologie studiert. Sie liebt ihren Schwarztee und regelmäßige Auszeiten, in denen sie vor Gott und sich selbst wieder zur Ruhe finden kann.


Frage von CS:
"Die Berufungsgeschichte der ersten Jünger, insbesondere von Simon-Petrus und Andreas, wird im Johannes-Evangelium nach meinem Eindruck ganz anders erzählt, als in den anderen drei synoptischen Evangelien. Liegt hier nicht ein Widerspruch vor? Wie sehen Sie das? "
Wer machte den ersten Schritt?
Deine Frage dreht sich um die Darstellung der „Berufungsgeschichte“ von Andreas und Simon-Petrus im Johannesevangelium im Vergleich mit den synoptischen Evangelien. Um den Vergleich der Texte zu vereinfachen, möchte ich sie am Anfang noch einmal nebeneinanderstellen. Für die synoptischen Evangelien habe ich dafür den Bericht aus dem Matthäusevangelium genommen.

So berichtet der Evangelist Johannes:

Am nächsten Tag stand Johannes [der Täufer] an der gleichen Stelle und zwei seiner Jünger waren bei ihm. Als Jesus vorüberging, blickte Johannes ihn an und rief aus: »Seht hin! Dieser ist das Lamm Gottes!« Da wandten sich seine beiden Jünger um und folgten Jesus. Jesus schaute sich um und sah, dass sie ihm folgten. »Was wollt ihr?«, fragte er sie. Sie antworteten: »Rabbi« (das bedeutet: Meister), »wo wohnst du?« »Kommt mit, dann werdet ihr es sehen«, sagte er. Es war etwa vier Uhr nachmittags, als sie mit ihm dorthin gingen, und sie blieben für den Rest des Tages dort. Andreas, der Bruder von Simon Petrus, war einer der beiden Männer, die Jesus gefolgt waren, weil sie gehört hatten, was Johannes über ihn sagte. Sofort suchte er seinen Bruder Simon auf und erzählte ihm: »Wir haben den Messias gefunden« (das bedeutet: den Christus). Dann nahm Andreas Simon mit zu Jesus. Jesus sah ihn aufmerksam an und sagte: »Du bist Simon, der Sohn des Johannes - doch du wirst Kephas genannt werden« (das bedeutet: Petrus).
Johannes 1,35-42



Und so stellt der Evangelist Matthäus die Ereignisse dar:

Eines Tages, als Jesus am Ufer des Sees Genezareth entlangging, sah er zwei Brüder, die ihre Netze auswarfen. Simon, der später Petrus genannt wurde, und Andreas waren von Beruf Fischer. Jesus rief ihnen zu: »Kommt mit und folgt mir nach. Ich will euch zeigen, wie man Menschen fischt!« Sofort ließen sie ihre Netze liegen und gingen mit ihm. Etwas weiter am Ufer entlang sah er zwei andere Brüder, Jakobus und Johannes, die mit ihrem Vater Zebedäus in einem Boot saßen und ihre Netze flickten. Auch sie rief er zu sich. Ohne Zögern folgten sie ihm und ließen das Boot und ihren Vater zurück.
Matthäus 4,18-22

Die Unterschiede scheinen beim ersten Lesen der Texte offensichtlich zu sein: Bei Johannes schleppt Andreas seinen Bruder Simon–Petrus zu Jesus. Im Matthäusevangelium ist es dagegen Jesus, der ganz offensiv auf die beiden Brüder zugeht und sie in seine Nachfolge ruft. Wie passt das zusammen?

Ein folgenreicher Nachmittag

Ich würde diese Unterschiede so erklären:

Johannes berichtet von der ersten Begegnung zwischen Jesus, Andreas und Simon-Petrus. Matthäus schreibt im Gegensatz dazu über die konkrete Berufung zur Nachfolge. Um den Unterschied zu den anderen Evangelien zu verstehen, ist es wichtig zu beachten, dass Johannes mit keinem Wort etwas davon erwähnt, dass Simon-Petrus und Andreas schon hier ihren Beruf als Fischer aufgegeben haben und Jesus völlig nachgefolgt sind.

Schaut man sich die Ereignisse bei dem Evangelisten Johannes einmal näher an, könnte der zeitliche Ablauf der ganzen Geschichte so ausgesehen haben:

Johannes der Täufer tauft in Betanien am Jordan (Johannes 1,28), einen Ort, den man heute nicht mehr genau lokalisieren kann. Es handelt sich aber nicht um das Betanien nahe Jerusalem. In dieser Gegend trifft Jesus vermutlich auf ihn (Johannes 1,29). Am nächsten Tag findet dann die Begegnung mit Andreas und Simon statt (V.35ff).

Anscheinend war Andreas zuvor bei Johannes dem Täufer gewesen und wird von diesem nun auf Jesus hingewiesen. Neugierig geworden, will er diesen Jesus kennenlernen. Gemeinsam mit dem anderen Jünger verbringt er den restlichen Nachmittag mit Jesus (Johannes 1,39). Begeistert von diesem Jesus berichtet Andreas nun seinem Bruder von ihm und es kommt zu einem Treffen. Petrus wird Jesu quasi vorgestellt und überraschenderweise spricht Jesus Petrus schon hier auf seine zukünftige Aufgabe an.

In Johannes 1,43 wird dann berichtet, dass Jesus am nächsten Tag nach Galiläa aufbrechen möchte. Wir wissen nun nicht, wie es in der Zwischenzeit mit Andreas und Simon-Petrus weitergegangen ist. Vielleicht sind die Brüder einige Tage mit Jesus mitgezogen und dann noch einmal zurück an ihren Wohnort gekehrt, um ihren Beruf weiter auszuüben. Vielleicht haben sie ihn anfänglich auch gar nicht weiter begleitet, sondern es bei dieser einen Begegnung belassen. Der Evangelist Johannes nennt zu diesem Zeitpunkt bezeichnenderweise noch keine Namen der Jünger, die Jesus begleitet haben. Es können also gut auch andere Personen gewesen sein.

Am dritten Tag kommt Jesus schließlich in Kanaa, im Bergland von Galiläa an (Johannes 2,1), wo die berühmte Hochzeit stattfindet, bei der Jesus Wasser in Wein verwandelt. Nach den Feierlichkeiten reist Jesus nach Kapernaum weiter, welches am See Genezareth liegt (Johannes 2,12).



Die Begegnung am See

Und jetzt wird es spannend, wenn man den Bericht des Matthäus dazu nimmt. Er berichtet nämlich davon, dass Jesus Andreas und Simon-Petrus am See Genezareth beruft (Matthäus 4,18)!

Für den gesamten Ablauf könnte sich also folgendes Bild ergeben:
Andreas und Simon-Petrus treffen Jesus zum ersten Mal irgendwo am Jordan, der ja im See Genezareth mündet. Vielleicht sind sie dorthin gepilgert, um Johannes dem Täufer nachzufolgen. Jesus reist danach weiter nach Kanaa - ob mit oder ohne die beiden wissen wir nicht. Selbst wenn sie mitgegangen sind, wissen wir nicht, wie lange sie bei ihm geblieben sind. Früher oder später müssen sie sich aber wohl wieder von Jesus getrennt haben, um zu ihrer Arbeit als Fischer zurückzukehren.

Später kommt Jesus an den See Genezareth und trifft sie dort wieder. Erst zum jetzigen Zeitpunkt beruft er sie in die Nachfolge als Menschenfischer.

Damit löst sich der scheinbare Widerspruch zwischen den beiden Berichten auf, weil beide über ein anderes Erlebnis berichten.


Wenn Puzzlestücke fehlen

Mein ehemaliger Dozent, der Historiker Prof. Dr. Carsten Peter Thiede (seine Bücher könnten für Dich übrigens interessant sein), hat während seinen Vorlesungen sinngemäß zu uns Studenten gesagt, wie wichtig es sei, dass wir lernen, "historisch" zu denken. Er meinte damit, dass wir überlegen sollten, wie die Berichte der Bibel wohl in ihrer historischen und zeitlichen Abfolge passiert sein könnten.

Die biblischen Autoren nennen uns ja meistens nur einige chronologische und lokale Rahmendaten - entweder, weil die Gegebenheiten für die Leser ihrer Zeit klar waren oder weil sie den Schwerpunkt der Geschichte auf ein anderes Merkmal legten.

Wenn in der Darstellung der Ereignisse Schwierigkeiten auftauchen, müssen wir diese vorhandenen Daten nun nehmen und uns dann überlegen, wie sie zusammenpassen. Manchmal können wir die Lösung finden oder zumindest erahnen, manchmal fehlen uns entscheidende Puzzelstücke. Entweder, weil wir keine genaueren Angaben über sie haben oder weil uns entsprechende archäologischen Funde und Hintergrundwissen zur Zeitgeschichte (noch?) fehlen.

Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Berichte historisch falsch oder widersprüchlich sein müssen - wir haben einfach nur nicht genügend Informationen, um den genauen Ablauf einer Situation rekonstruieren zu können. Diese Tatsache gilt auch nicht nur im Bezug auf die Berichte in der Bibel, sondern lässt sich ganz allgemein auf das Arbeiten mit historischen Quellen übertragen.


Biographie mit Schwerpunkt

In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu beachten, dass gerade bei den Evangelien folgende Tatsachen eine Rolle spielen:

Wir haben vier Berichte von vier Autoren zum Leben Jesu.

Jeder dieser Autoren hat unterschiedliche Schwerpunkte in seiner Darstellung der Ereignisse gesetzt.

Keiner von ihnen hat meines Erachtens dabei eine völlig lückenlose, absolut chronologische Darstellung des Lebens Jesus aufgestellt (vgl. dazu Johannes 21,25). Jeder hat sich die Punkte herausgegriffen, die ihm am wichtigsten erschienen. Manchmal werden die Ereignisse auch leicht aus einer anderen Perspektive erzählt, wenn zum Beispiel mehrere Personen an einem Ereignis beteiligt waren.

Diese Vorgehensweise ist weder falsch noch unhistorisch. Eine ähnliche Ausgangslage würden wir auch vorfinden, wenn wir Biographien von anderen historischen Persönlichkeiten miteinander vergleichen würden.

Nehmen wir mal als Beispiel Martin Luther:
Es gibt einige Rahmendaten, die vermutlich jeder Biograph seit Luthers Lebzeiten erwähnt hat und der Vollständigkeit halber auch erwähnen müsste. Darunter stelle ich mir zum Beispiel die 95 Thesen oder den Reichstag zu Worms vor. Dennoch würden die Biographen auch unterschiedliche Schwerpunkte setzen: Der eine überspringt einige Dinge, die er für weniger wichtig erachtet und setzt bei anderen Ereignissen Akzente. Der andere greift der Geschichte einmal vor und baut später einen Rückblick ein.

Trotzdem kämen wir nicht auf die Idee zu sagen: Nur eine Biographie kann logischerweise richtig sein, die anderen sind falsch. Im Vergleich der Biographien untereinander müsste man versuchen zu rekonstruieren, wie die Ereignisse wahrscheinlich abgelaufen sind. Andere Quellen aus der Zeit Luthers würden dabei helfen. Und auch hier würden einige Punkte strittig bleiben, weil das genaue Hintergrundwissen fehlt und sich de Hergang nicht mehr zu 100% nachvollziehen lässt.

So ist es auch bei den Evangelien. Sie geben uns einen tiefen und zuverlässigen Einblick in das Leben und Wirken von Jesus. Dafür spricht, dass immerhin zwei der Biographen gleichzeitig Augenzeugen der Ereignisse (Matthäus und Johannes) waren und dass die anderen beiden Zugang zu solchen hatten (Markus und Lukas; vgl. Lukas 1,1-4). Trotzdem verraten sie uns auch nicht lückenlos alles bis ins letzte Detail.


Fazit

Mir hilft diese Sichtweise dabei geholfen, nicht jede unterschiedliche Darstellung in den Evangelien erklären können zu müssen - auch wenn ich zugegebenermaßen bei scheinbaren Widersprüchen gerne die fehlende Puzzlestücke kennen würde. Bei manchen gelingt es mit ein wenig Nachforschung oder neuen historischen Erkenntnissen, des Rätsels Lösung zu finden. Gute Kommentare oder Nachschlagewerke können dabei eine Hilfe sein. Bei anderen fehlt nach wie vor ein Teil des Bildes, ohne dass die Berichte deswegen aber meines Erachtens etwas von ihrer Glaubwürdigkeit verlieren.

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