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Wer kommt zu spät zum Leben?


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Rolf

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Wer kommt zu spät zum Leben?





Das Gleichnis von den zehn Freundinnen der Braut


Gottesdienst am Ewigkeitssonntag, den 23. November 2003, um 10.00 Uhr in der Pauluskirche zu Gießen


Liebe Gemeinde!

„Wachet auf! ruft uns die Stimme“, so hieß es im ersten Lied. Warum ruft sie uns um Mitternacht? Ist es nicht verrückt, bei Schlafenszeit zu einer Hochzeit zu gehen?

Ein Hochzeitsfest zur Zeit Jesu dauerte eine ganze Woche, und es konnte durchaus mitten in der Nacht beginnen. Der Bräutigam allein bestimmte den Termin; zu jeder Tages- oder Nachtzeit konnte die Stimme des Ausrufers ertönen: „Siehe, der Bräutigam kommt!“ Dann musste die Braut mit ihren Brautjungfern schnell dem Bräutigam entgegenziehen, denn wer zu spät beim Haus des Bräutigams ankam, durfte nicht mitfeiern, die ganze Woche nicht. Nicht einmal die Braut mit ihren Freundinnen wusste genau, ob die Hochzeit heute oder morgen abend oder erst in 14 Tagen stattfinden würde. Es war wie ein Spiel, ob es dem Bräutigam gelingen würde, die Braut mit ihrem Gefolge zu überraschen.

Mit so einem rauschenden Fest vergleicht die Bibel die ewige Erfüllung des Lebens nach dem Tod. Wie man sich schon lange vorher auf eine Hochzeit freut, so voller Vorfreude warteten Christen früher auf das ewige Leben. Aber wie bei einer Hochzeit auf einem Dorf in Israel weiß niemand, wann er sterben muss und wann die himmlische Hochzeitsfreude beginnt. Davon erzählt Jesus im Matthäusevangelium, Kapitel 25, ein Gleichnis, das von zehn Brautjungfern handelt.

Ach ja, wir müssen noch wissen: ohne Licht durften die jungen Frauen nachts nicht auf die Straße gehen. Darum sind im Gleichnis die Öl-Lampen so wichtig:

1 Das Himmelreich wird gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen.

2 Aber fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug.

3 Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit.

4 Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen.

5 Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein.

6 Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen!

7 Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig.

8 Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen.

9 Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst.

10 Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen.

11 Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf!

12 Er antwortete aber und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.

13 Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.



Liebe Gemeinde, zehn Mädchen wollen gemeinsam mit ihrer Freundin Hochzeit feiern – und fünf von ihnen kommen zu spät. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Nur Freundinnen, auf die die Braut sich verlassen kann, dürfen mitfeiern. Dieser Hochzeitsbrauch war wohl wie ein Test: sind die jungen Frauen ausdauernd genug und haben sie ans Reserve-Öl für die Nacht gedacht? Heutzutage würde ja wohl auch kein Mädchen, das zu einer Hochzeit eingeladen ist, erst dann anfangen, ihre Haare zu machen, wenn in der Kirche schon die Hochzeitsglocken läuten.

Jesus will natürlich nicht nur eine nette Anekdote über eine Hochzeit in Palästina erzählen. Er erzählt ein Gleichnis für das Reich Gottes mit der ernsten Pointe: „Wer nicht vorsorgt, kommt zu spät, wer zu spät kommt, verpasst die Festlichkeiten.“ Jesus warnt vor der Möglichkeit, dass man das Ziel, den Sinn, die Erfüllung seines ganzen Lebens verpassen könnte. So bekommt die Geschichte von dieser Hochzeit einen bedrohlichen Klang. Gerade heute am Totensonntag ist uns ja besonders bewusst, wie schnell der Tod einen Schlussstrich unter Hoffnungen und Pläne ziehen kann. Jeder Tag kann unser letzter sein, darum sagt Jesus: „Seid wachsam – ihr wisst weder Tag noch Stunde!“ Ich verschiebe einen Besuch, zögere ihn hinaus – und dann ist es zu spät dafür. Ich kann mich nicht überwinden zu einer Geste der Versöhnung – und ich verpasse die letzte Gelegenheit dazu. Eigentlich will ich mein Leben ändern, irgendwann – aber ist es dann vielleicht schon zu spät?

Ein dicker Wermutstropfen fällt also in die Vorfreude auf die Ewigkeit, der alles, worauf Christen hoffen, vergiften könnte. Es könnte ein „Zu spät“ geben, Unterlassungen, die nicht nachzuholen sind, Taten, die sich nicht ungeschehen machen lassen. Wir könnten ausgeschlossen sein von der Hochzeitsfreude im ewigen Leben. Eine furchtbare Vorstellung, die mir in meiner Kindheit schreckliche Angst gemacht hat, dass vor der verschlossenen Himmelstür ein Türsteher steht und sagt: „Du kommst hier nicht rein!“ Wer kann mit dieser Angst leben, dass das eigene Leben in ewiger Qual endet oder sinnlos in einem Abgrund verschwindet? Oder, schlimmer noch, dass geliebte Menschen nicht nur tot, sondern für immer verloren sind?

Will uns Jesus wirklich eine solche Heidenangst machen? Nein. Er ist der Sohn des barmherzigen Gottes und ist der Inbegriff einer Liebe, die niemanden aufgibt. Doch auch in seiner Botschaft gibt es die warnende Stimme: Setzt nicht die Erfüllung eures Lebens aufs Spiel, indem ihr Liebe und Vergebung nicht annehmt. Liebe kann man niemandem aufzwingen. Vergebung setzt Reue voraus. Mit tiefer Trauer nimmt Jesus wahr, dass sich manche Menschen seiner Frohen Botschaft verschließen und ihr Herz undurchdringlich und hart und böse werden lassen.

Dabei muss nicht einmal böser Wille im Spiel sein. Die fünf Jungfrauen, die Jesus „töricht“ nennt, sind ja nicht böse, sondern dumm, gedankenlos. Sie sorgen nicht genug vor, weil sie entweder denken: „Wird schon nicht so lange dauern, da reicht mein Öl noch!“ – oder „Das dauert bestimmt noch lange, da muss ich doch nicht jetzt schon Nachschub besorgen.“

Was bedeutet dieses Öl in unserem realen Leben? Dieses Etwas kann man sich nicht von anderen borgen. Vieles kann man teilen, viel füreinander tun, aber für manches trägt jeder einzelne die alleinige Verantwortung, einfach weil er ein Mensch ist. In Beerdigungsansprachen betone ich oft, dass wir dankbar sein können für die Liebe, die wir voneinander empfangen und einander gegeben haben; ich glaube, darin liegt das innerste Wesen von dem, was man Ver-Antwortung nennt: Ich erfahre Liebe und antworte darauf, indem ich selber Liebe weitergebe. Auch wenn das Leben oft wie ein aussichtloser Kampf um Liebe aussieht und viele Menschen allzu viel davon entbehren: niemand kann auf Dauer ohne Liebe leben. Und ich bin überzeugt: irgendwann im Leben begegnet jeder einem anderen Menschen, durch den ihm klar werden könnte: Liebe ist doch möglich, wenn ich mich auf sie einlasse.

Und genau an dem Punkt beginnt die Verantwortung, die mir niemand abnehmen kann: ob ich das Gute, das ich erfahre, annehme, ob ich dankbar lebe, ob ich Ja dazu sage, dass ich geliebt und etwas wert bin – oder ob ich das, was mir geschenkt ist, übersehe und abwerte und so tue, als hätte ich nie etwas bekommen und wäre niemandem verantwortlich. Im Bild des Gleichnisses: Eigentlich kann jedes Mädchen genug Öl haben, die Gefäße sind groß genug, um für eine Nacht zu reichen, sie müssen nur rechtzeitig nachgefüllt werden. Unsere Verantwortung ist zu überlegen: wie fülle ich die Tanks meiner Seele auf, wovon lebe ich eigentlich, wem kann ich vertrauen, wo kriege ich neue Kraft, wo finde ich die Liebe, die mich leben lässt? Und vor allem: wie finde ich den Mut, diese Liebe auch anzunehmen?

Wer Liebe annimmt, kann sie auch weitergeben. Alles, was ich tue oder nicht tue, kann von Liebe geprägt sein oder auch nicht. Und dafür kann mir niemand die Verantwortung abnehmen. Ich beeinflusse und präge meine Kinder durch die Art, wie ich mit ihnen umgehe. Ich bin als Pfarrer dafür verantwortlich, in welcher Weise ich Menschen mit dem Evangelium konfrontiere – ob ich es auf barmherzige Weise tue oder indem ich den Holzhammer benutze. Ich versuche, einen Streit aus der Welt zu schaffen oder ich spiele mit dem Feuer. Auch als Politiker, als Wähler oder Nichtwähler verantworte ich die Folgen dessen, was ich tue oder eben nicht tue.

Ich weiß nicht, ob es das wirklich gibt, dass ein Mensch sein Herz vollkommen abschließt für jede Form von Liebe und so hart wird, dass von ihm auch nicht das geringste Fünkchen Liebe nach außen dringen kann – wäre ein solcher Mensch nicht in der Situation der törichten Jungfrauen, deren Lampen erlöschen, weil sie die Gefäße der Liebe nicht aufgefüllt haben?

Tatsache ist: Um jede verpasste Gelegenheit, Liebe anzunehmen oder zu geben, ist es jammerschade. Jede genutzte Gelegenheit zur Liebe dagegen trägt dazu bei, dass unser Leben erfüllt bleibt. Wer Liebe an sich heranlässt, erlebt das volle Leben. Mal weint man mit den Traurigen, später lacht man mit ihnen, wenn sie Grund zur Freude haben. Mal muss man Enttäuschungen verkraften, ein andermal ist man von der Güte eines Menschen überrascht.

Heute füge ich hinzu: Das Schöne an der Liebe ist – sie hört an der Grenze des Todes nicht auf. Uns modernen Menschen ist die überschwengliche Jenseitshoffnung abhanden gekommen, die sich in vielen Bildern der Bibel und des Gesangbuchs widerspiegelt. Aber wir Menschen des 21. Jahrhunderts haben doch auch noch Sehnsüchte angesichts des Todes, sonst kämen heute nicht so viele Menschen in die Kirche, und unser Dienst als Pfarrer würde nicht gerade auf dem Friedhof besonders geschätzt.

Unsere Sehnsucht kann sich auf unterschiedliche Ziele richten: dass unser kleines Ich im Tode nicht ganz verloren geht, dass ich vielleicht doch irgendwann ein wenig Liebe spüre, dass die Menschen, die ich so sehr liebhabe, mit ihrem Tod nicht einfach für mich verloren sind. Heute steht dieser dritte Punkt im Mittelpunkt, denn mitten im Prozess Ihrer Trauer sind Sie hier mit der lebendigen Erinnerung an die Menschen, die Ihnen im vergangenen Jahr genommen wurden.

Jemand unter Ihnen schickte mir ein Gedicht von Kamens und Riemer: „Wir erinnern uns an sie“. Gemeint sind Verstorbene, die wir geliebt haben. Darin heißt es u. a.: „Wenn wir verwirrt sind und Stärke brauchen, erinnern wir uns an sie. Wenn wir uns verloren fühlen und uns das Herz blutet, erinnern wir uns an sie. Wenn wir Freude empfinden, die wir teilen möchten, erinnern wir uns an sie... Wenn wir Ziele haben, die sich auf die ihren gründen, erinnern wir uns an sie. So lange wir leben, werden auch sie leben, denn sie sind jetzt ein Teil von uns, da wir uns an sie erinnern.“

Ich wage zu behaupten: Wo es Menschen gibt, die sich in Liebe an einen anderen Menschen erinnern, da kann dieser Mensch nicht ewig verloren sein. Denn Gott ist barmherziger als wir Menschen, und er ist es, von dem wir im Psalm beten: „Du nimmst mich am Ende mit Ehren an!“ Der Richter, vor den wir in der Ewigkeit treten, trägt den Namen und das Gesicht Jesu Christi, und er beurteilt uns danach, ob wir in unserem Leben in der Lage waren, empfangene Liebe weiterzugeben. Wenn er uns nicht barmherzig beurteilen würde, wären wir verloren – aber er geht barmherzig mit uns um. Wie Jesus am Kreuz sogar denen vergab, die ihn töteten, so vergibt er allen, die umkehren, und sogar denen, die nicht wissen, was sie tun.

Die Brautjungfern im Gleichnis durften nicht ohne brennende Lampe ins Dunkel der Nacht gehen. Die Liebe ist das Öl für die Lampe unsere Lebens, die uns leuchtet auf dem Weg in den Himmel. Im Gleichnis ging es um Öl, das man beim Kaufmann rechtzeitig kaufen musste. In der Wirklichkeit geht es um Liebe, die man nicht kaufen kann. Es gibt sie umsonst. Wir müssen sie nur wahrnehmen, annehmen und aus ihr leben. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben.

Amen.
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