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Israel und der christliche Fundamentalismus in Deutschland 5


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Rolf

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Israel und der christliche Fundamentalismus in Deutschland (5):



Sind fundamentalistische Israel-Aktivisten gefährlich?


Von Dr. Martin Kloke


Sicherheitspolitisch: Pulverfass "Harmageddon"

Die große Mehrheit christlicher Fundamentalisten ist m. E. harmlos; dennoch gibt es eine Sicherheitsproblematik: Schon vor der Millenniumswende des Jahres 2.000 führten israelische Polizeikräfte Übungen zur Abwehr potenzieller Attentäter auf dem Tempelberg durch. Die Regierung rüstete u. a. den Etat einer anti-apokalyptischen Spezialeinheit auf knapp 12 Millionen Euro auf. In Spitzenzeiten sind allein 430 Personen für den Schutz des so genannten Tempelbezirks abgestellt. Alles soll getan werden, um die Sprengung der Heiligtümer auf dem Tempelberg zu verhüten, mithin drohende Blutbäder abzuwehren.
Alles nur Hysterie? Fakt ist: Bereits 1969 zündete der Australier Dennis M. Rohan die Al-Aksa-Moschee an; seinerzeit konnte der Brand erst nach Stunden gelöscht werden. Rohan hatte angenommen, Jesus werde zurückkehren, wenn der Tempelbezirk wieder "befreit" sei. Seither hat es etwa ein halbes Dutzend weiterer Versuche christlicher (und jüdischer) Extremisten gegeben, den Felsendom in die Luft zu sprengen.

Khairi Dajani, leitender Mitarbeiter der islamischen Tempelberg-Verwaltung (Al-Aksa-Moschee), erklärte auf Anfrage:
"Dies ist ein heiliger Ort. Er symbolisiert unsere Geschichte, unseren Glauben. Ein Anschlag würde bedeuten, dass sich Millionen von Muslimen in Europa, in Amerika, in Asien und in Afrika wie ein Mann erheben würden. Das hieße Jihad. Oh, mein Gott, ich darf daran gar nicht denken. Sollte der Fall dennoch eintreffen, die ganze Welt stünde Kopf. Nicht einmal der Präsident der Vereinigten Staaten kann sich ein Bild davon machen, was das bedeuten würde."(39)

Eine vergleichsweise harmlose Angelegenheit ist das so genannte "Jerusalem-Syndrom" – eine Form religiöser Hysterie, die bis dato unauffällige Pilger befällt, sobald sie nach Jerusalem kommen. In den Gassen der Jerusalemer Altstadt, wo jeder einzelne Steinquader "Heiligkeit" ausstrahlt, glauben einige Menschen die "Pforte zum Himmel" zu finden. So ist Ende 2002 eine achtköpfige (!) Familie in die Schlagzeilen geraten: Zunächst war sie sie im türkischen Adana und später noch einmal in Jordanien gesichtet worden – unterwegs in einem Fiat Panda nach Jerusalem. Den Eltern droht der Entzug des Sorgerechts, nachdem ihre Kinder bettelnd und verwahrlost aufgegriffen worden sind.(40) Die meisten Hysteriker sind allerdings, sobald sie Israel wieder verlassen, gesund. Wirklich gefährlich sind allein jene, die aus Enttäuschung über die ausgebliebene göttliche Parusie einen Amoklauf anzetteln könnten, um die endzeitliche Apokalypse doch noch zu erzwingen.

Religionspolitisch: "Judenmission" im Endzeitfieber

Nach den leidvollen jüdischen Erfahrungen mit christlichen Bekehrungsversuchen haben die Kirchen zunehmend Abstand gewonnen von dem Ansinnen, Juden missionieren zu wollen. Wegweisend im freikirchlichen Kontext ist die baptistische "Handreichung" zum christlich-jüdischen Verhältnis geworden. Dort wird ausdrücklich dazu aufgefordert, "das jüdische Glaubens- und Lebenszeugnis zu achten" – und in "Predigt und Unterricht […] das Selbstverständnis des Judentums hinreichend" zu berücksichtigen.(41) Sogar in dezidiert evangelikalen bzw. fundamentalistischen Kreisen ist die herkömmliche "Judenmission" in Verruf geraten. Gleichwohl bezeichnend ist die Wortakrobatik der Arbeitsgemeinschaft "Christen für Israel":

"Wir sind gegen die Judenmission im traditionellen kirchengeschichtlichen Sinn, die meist darin bestand, die Juden aus ihrem Judentum zu lösen und zu Christen, in der Regel zu guten Lutheranern oder Katholiken, zu machen. […] Wir sind aber für das Christuszeugnis an Israel. Dadurch wollen wir jedoch keinen Juden missionieren und zu einem Christen machen, da wir meinen, dass sowohl Deutsche als auch Christen wegen ihrer historischen Vergangenheit […] nicht besonders geeignet sind, Juden zu missionieren. Es geht uns vielmehr darum, dass ein Jude […] in Jesus seinen Messias erkennt und ein Nachfolger Jesu Christi wird."(42)

Dieses 'Herumeiern' – eine eher zögerliche Form christlichen Sendungsbewusstseins – war in fundamentalistischen Kreisen jahrzehntelang vorherrschend; noch heute lehnen viele von ihnen Mission an Juden ab (z. B. Ludwig Schneider). Das geschieht z. T. aus Überzeugung, aber auch aus Kalkül: Offene Missionsarbeit würde fundamentalistischen Organisationen die legale Arbeitsgrundlage in Israel entziehen.

Doch diese fragmentarische Sensibilität ist hierzulande wieder ins Wanken geraten – im Zuge der Zuwanderung osteuropäischer Juden nach Deutschland. In rechtskonservativen Kreisen der evangelischen Kirche wird wieder der antijudaistische Topos ausgegraben, wonach "die Synagoge" als "Symbolfigur" der Judenheit "bis zum heutigen Tage von einer Binde vor den Augen" gezeichnet sei – "als Zeichen ihrer geistlichen Blindheit".(43) Aus charismatischen und pfingstlerischen Kreisen – erinnert sei an den Verein "Christliche Freunde Israels" um Harald Eckert (Altensteig) – ist zu hören, dass deutsche Christen, die so viel Leid über die Juden gebracht haben, verpflichtet seien, gerade jetzt dem jüdischen Volk Gutes zu tun – d. h. offensiv mit dem Evangelium zu konfrontieren (in einem Rundbrief ist diesbezüglich von einer besonderen "Berufung Deutschlands" die Rede).(44)

Der "Evangeliumsdienst für Israel" in Baden-Württemberg, der auch in Teilen der württembergischen Landeskirche hoch angesehen ist, hat in den neunziger Jahren einen Missionar für die Zielgruppe "Juden" eingestellt. Zusammen mit befreundeten Organisationen bringt der "Evangeliumsdienst" die Zeitschrift "Menora" heraus; mit Hilfe von etwa 50.000 Exemplaren sollen weltweit Juden missioniert werden. 1998 verfassten rund 100 messianische Gläubige aus ganz Deutschland 13 "Glaubensartikel" in russischer Sprache. 1999 gründeten Hauskreise und Gemeinden die "Allianz messianischer Juden in Deutschland".(45)

Deutschlandweit versuchen fundamentalistische Gruppen, Juden zum christlichen Glauben zu führen: Ihre primären Adressaten sind Zuwanderer aus Osteuropa. Insbesondere jene, die ihre genuin jüdischen Wurzeln in den kommunistischen Herkunftsländern verloren haben, sind empänglich für missionarische Bemühungen – besonders, wenn die eifrigen Akteure nicht nur die christliche Botschaft feilbieten, sondern jüdischen Neubürgern mit Herzenswärme und praktischer Lebenshilfe begegnen. In Berlin wie auch in anderen deutschen Städten haben sich so genannte "messianische" Gruppen und Hauskreise gebildet. Längst finden auch Taufen statt. In der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Berlin-Lichterfelde-Ost treffen sich jeden Samstag Nachmittag etwa 80 Menschen, die jüdische Identität mit dem Glauben an die Messianität des Jesus von Nazareth zu verbinden suchen. "Beit Sar Shalom", wie die Gruppe sich nennt, ist der deutsche Zweig des internationalen jüdisch-messianischen Missionswerkes "Chosen People Ministries".(46)

Bedeutet die christliche "Judenmission" eine Gefahr für die Existenz des Judentums? Ist sie eine obszöne Zumutung, eine spirituelle Fortsetzung des Holocausts?, wie der frühere Stuttgarter Landesrabbiner Joel Berger argwöhnt? Oder ist die christliche Mission auch an Juden eine logische Konsequenz christlicher Identität, die ja auf Einladung und Inklusion prinzipiell aller Menschen drängt?

Einerseits: Wenn Menschen christlichen Glaubens missionarische Flyer in Synagogen verteilen, handelt es sich nicht nur um eine Verletzung der guten Sitten; das ist ein respektloser Angriff auf die religiösen Gefühle von Menschen, für die das Kreuz aus historischen Gründen noch immer ein Schreckenssymbol ist. Insofern tun christliche Kirchen gut daran, sich öffentlich von jenen fundamentalistischen Kreisen abzugrenzen, die noch immer oder schon wieder einer besonderen "Mission" gegenüber den Juden das Wort reden.

Andererseits: Die Gefahren sollten auch nicht überstrapaziert werden. In einer pluralistischen Gesellschaft ist die Religionsfreiheit ein hohes Gut. Jüdische wie nichtjüdische Menschen haben das Recht, ihre jeweiligen Gemeinschaften zu verlassen und ggf. eine andere zu wählen. Das Recht auf freie Konversion für jedermann (und jede Frau) ist ein Menschenrecht. Religionssoziologisch betrachtet leben wir alle – ob religiös oder nicht – jeden Tag neu unter dem "Zwang zur Häresie", denn wir müssen uns täglich neu entscheiden, wie wir das Leben gestalten, welche sinnstiftenden Akzente wir setzen oder auch uns und unseren Angehörigen verweigern. Das ist die Chance, aber auch die Bürde, die uns unsere postmodernen Patchwork-Identitäten aufgeben.

Im Übrigen bin ich fest davon überzeugt, dass sich die jüdische Seite in diesem pluralistischen Prozess auch mittelfristig behaupten kann. Vielleicht vermag der empirische Befund bestimmte, historisch bedingte und nachvollziehbare Ängste ein wenig entkräften: Ich kenne zwar keine Statistik darüber, wie viele christliche Deutsche seit 1945 zum Judentum übergetreten sind; aber ihre Zahl ist deutlich höher als die Zahl der Juden, die seither zum christlichen Glauben konvertiert sind. So weit mir bekannt, sind in den Konversionskursen des israelischen Oberrabbinats die Deutschen, gleich nach den Amerikanern, die zweitgrößte Gruppe. Selbst in den USA, wo die Bewegung "Jews for Jesus" noch ganz andere personelle und materielle Ressourcen aufbieten kann, nehmen sich die missionarischen Erfolge mehr als bescheiden aus. Existenzbedrohender sind hier wie dort auf lange Sicht die Verlockungen der neoliberalen Postmoderne, wie sie z. B. in der dramatisch wachsenden Zahl interreligiöser Eheschließungen zum Ausdruck kommt.

Anmerkungen:

(39) K. Dajani in der TV-Dokumentation "Die Invasion der Heiligen", Buch/Regie: S. Aust (1999) im Auftrag des Hessischen Rundfunks.
(40) Vgl. P. Bomans, Reise nach Jerusalem. Eine streng christliche Familie aus Süddeutschland irrt durch Syrien Richtung Israel und lässt ihre Kinder betteln, in: Der Tagesspiegel, 28.11.2002, 40; a.a.0., 26.07.2003, 28: "Wüstenfahrer"-Familie wieder in Süddeutschland).
(41) Vgl. Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland K.d.ö.R., Zum Verhältnis von Juden und Christen. Eine Handreichung für die Gemeinden des BEFG (Hamburg, 07.05.1997), in: Bundesrat 1997, Drucksache 015.
(42) CFI-Faltblatt, Wer wir sind. Was wir glauben. Was wir tun, Wetzlar o.J.
(43) B. Bonkhoff, Zum Israelsonntag am 11. August 1996, in: Informationsbrief der Bekenntnisbewegung "Kein anderes Evangelium" 176 (1996), 34f, hier: 34.
(44) H. Eckert: Unsere Vision und unser Auftrag, in: Rundbrief der Christlichen Freunde Israels (Altensteig), Dezember 2001 (www.christliche-freunde-israels.de).
(45) Vgl. idea-Spektrum, 37 (14.09.1994); Evangeliumsdienst für Israel (EDI). Gesandt zu Israel. Ein Brief für Freunde, 24 (Januar 1995), 4 und 10f; idea-Spektrum, 17 (26.4.1995), 27; Flyer "Schma Israel": Eine messianische Gemeinde stellt sich vor, Leinfelden-Echterdingen o. J. (2000).
(46) Vgl. den Flyer "Beit Sar Shalom Evangeliumsdienst e. V.": Mehr messianische Juden für Deutschland!, Berlin o. J. (2000).
hagalil.com 18-01-2006


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