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Israel und der christliche Fundamentalismus in Deutschland 4


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Rolf

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Israel und der christliche Fundamentalismus in Deutschland (4):



Land gegen Frieden?



Von Dr. Martin Kloke


Hardcore-Fundamentalisten sind nicht nur davon überzeugt, dass der Staat Israel endzeitlich eine weltgeschichtlich herausragende Rolle spielt: Ähnlich wie nationalreligiöse Strömungen im Zionismus beschwören sie ein Groß-Israel, das auf einer biblizistisch motivierten Aktualisierung der klassischen Landnahme-Verheißungen beruht.
Jeder weiß, dass bei der Wiederaufnahme des Friedensprozesses dem Staat Israel eine Reihe territorialer Konzessionen abverlangt werden. Die Formel "Land gegen Frieden und Sicherheit" ist inzwischen auch innerhalb der Regierung Sharon mehrheitsfähig geworden. Die Aufgabe biblischen Landes ist aber in der Lesart der neuprotestantischen Orthodoxie ein illegitimer Eingriff in den deterministisch vorgezeichneten göttlichen Heilsfahrplan. (27)

Sollte in nächster Zeit der erstarrte nahöstliche Verständigungsprozess wieder in Bewegung kommen, käme das Weltbild der Fundamentalisten erneut gehörig ins Wanken: kein Groß-Israel auf dem biblisch verheißenen Boden, sondern zwei koexistierende Staaten zwischen Jordan und Mittelmeer, keine konfrontative Zuspitzung, keine Aussicht auf einen Dritten Weltkrieg. Wenn demzufolge ein potenzieller Friedensprozess die eigene religiöse Identität bedroht, ist entschiedene Abwehr angesagt. Vielen Fundamentalisten ist bereits der israelische Rückzug aus Jericho unerträglich gewesen; erst recht aber wird die Übergabe weiter Teile der abrahamitischen Stadt Hebron an die palästinensischen Selbstverwaltungsbehörden als unheilvoll angesehen – eine Konzession noch der rechtskonservativen Netanjahu-Regierung, die nicht einmal die Regierungen Rabin/Peres durchzusetzen gewagt hatten. Dramatisch ernst wird es den Eiferern aber beim Thema "Jerusalem".

In einem Werbeschreiben für eine Wüstenseminarreise erklärte Ludwig Schneider auf dem Höhepunkt des Friedensprozesses an seine "liebe(n) Freunde":
"Jetzt ist Israel in weit größerer Gefahr als damals [im Golfkrieg, MK]. Nun soll Israel von innen her zerstört werden […]. Darum bitte ich Sie vor Gott, sich dieser Aktionsreise anzuschließen, um Teilhaber an Israels Errettung zu sein […]. Israels Bündnis mit den Widersachern der Verheißung ruft uns aus der Wüste heraus an die Front des Geschehens." (28)
Selbstredend gehören zu Schneiders Programm auch "Solidaritätsreisen" zu Siedlern der Westbank und der Golanhöhen – eigens konzipiert für die deutsche Sympathisanten-Szene.

Nach der Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin verschärfte sich die Tonlage noch einmal: Fritz May attackierte den "gefährlichen Ausverkauf der biblischen Heimat Israels", der "vom jüdischen Volkswillen weit entfernt" sei; denn: "Rabin und Peres", so glaubt der Pastor aus Wetzlar zu wissen, "sind nicht fromm, sondern gottlos."(29) Mays zeitweiliger "Israel-Korrespondent" Rainer Schmidt deutete den Mord als göttliche "Warnung für Israels Politiker".(30) Noch obszönere Worte fand Friedrich Vogel, "Missionsdirektor" der Freien Theologischen Fachschule im bergischen Breckerfeld:
"Gott hatte eingegriffen, bevor Rabin Monate später seine Hand an Jerusalem hatte legen können!" (31)
Den Gipfel deutsch-christlicher Einmischung in die israelische Innenpolitik leistete sich Schneider in einem Kommentar, dessen politisch-psychologische 'Botschaft' sogar im israelischen Parlament ein kleines Beben auslösen sollte. Stein des Anstoßes war folgendes Zitat:

"So wie Hitler das Attentat des Juden Herschel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten in Paris, Ernst von Rath, dazu benutzte, seine Reichskristallnacht gegen alle Juden zu legitimieren, so sehen jetzt nach dem Anschlag auf Rabin […] regierungstreue linke Gruppen ihren Kampf gegen die jüdischen Siedler legitimiert." (32)
"Schockiert" über den Vergleich und die pietätlose Berichterstattung des deutschsprachigen Blattes zeigte sich daraufhin Ran Cohen, zu jener Zeit Fraktionssprecher der Meretz-Partei in der Knesset. Im israelischen Rundfunk forderte Cohen die Justiz seines Landes zu strafrechtlichen Maßnahmen und zur "sofortige(n) Einstellung" von NAI auf. Doch abgesehen von einem kurzzeitigen Auslieferungsverbot sollte dieser Vorstoß keine weiteren Konsequenzen zeitigen.(33)

1995/96 feierte Jerusalem seinen 3.000. Geburtstag: Mitfeiernde waren auch 1.500 Unterstützer eines "christlichen Zionisten-Treffens". Unter den zugereisten Teilnehmern kamen allein 400 Aktivisten aus Deutschland, um ihre Unterstützung der radikalen israelischen Rechten zu bekräftigen. In der Abschlussresolution heißt es wörtlich:
"Deshalb verpflichten wir uns mit unserem Leben und den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zur Erreichung der hier ausgeführten Ziele und Zwecke." (34)

Vor diesem Hintergrund werden kritische bzw. abweichende Meinungen von radikalen Israel-"Freunden" unbarmherzig geahndet. Fritz May etwa stieß die Warnung aus:
"Wer gegen die israelische Siedlungspolitik ist, ist gegen Gott, gegen seinen erklärten Willen, gegen die Bibel. Der Teufel als Gegenspieler Gottes und seine 'Hilfstruppen' aus Atheisten, Arabern, Moslems, sozialistischen und gottlosen Israelis und 'Christen' werden deshalb alles tun, um Gottes endgeschichtlichen Willen und Plan mit Israel zu verhindern." (35)
Ludwig Schneider kanzelte Anhänger des Friedensprozesses als "Kinder der Nacht" ab – in Anlehnung an ein neutestamentliches Diktum. Wen wundert's, dass Schneider anschließend ob dieser Wortwahl auch in Deutschland nach seiner geistigen Nähe zu den Mördern Rabins befragt wurde. (36)

Es kann nicht deutlich genug betont werden: Die genannten Gruppen treibt nicht in erster Linie die Sorge um Israels Existenz und Sicherheit um; vorgeblich "göttliche" Prinzipien stehen auf dem Spiel – gemeint ist die Anbahnung apokalyptischer Strukturen im Nahen Osten. Ludwig Schneider formulierte das Ziel christlich-fundamentalistischer Israel-Solidarität so:

"1948 eroberte Israel das Land ohne Jerusalem und 1967 eroberte Israel Jerusalem ohne den Tempelplatz – beim nächsten Mal geht es um den Tempelplatz. Daher heißt dieser Krieg Heiliger Krieg. […] Zur Vollendung der Heilsgeschichte gehört der dritte Tempel […]. Es geht in Wahrheit also nicht um Politik, sondern um den Sieg Gottes." (37)
Hier stoßen wir in einer selten so offen geäußerten Weise auf den parallelen Nukleus einer christlich-fundamentalistischen Variante des populärislamischen "Jihad"! In der Zeitschrift NAI wurden auch schon einmal vorsorglich "die verheißenen Grenzen des zukünftigen Israel […] gemäß Hesekiel 47" eingezeichnet – ohne den Badeort Eilat, aber einschließlich zentraler Bestandteile Syriens (Damaskus!) und des größten Teils des Libanon. (38)

Unschwer lässt sich die Erleichterung antizipieren, mit der in fundamentalistischen Kreisen der tragische Niedergang des Friedensprozesses und die Regierungsübernahme von Ariel Sharon aufgenommen wurde. Gleichwohl klingen inzwischen erste Zeichen einer Enttäuschung über die tatsächliche oder vermeintliche "Altersmilde" Sharons an: Der auch in Deutschland viel geschmähte israelische Ministerpräsident scheint im Zusammenhang mit dem jüngsten Friedensplan der "Road Map", dem Israel trotz einiger Bedenken im Grundsatz zugestimmt hat, "schmerzhafte" territoriale Kompromisse eingehen zu wollen – sofern endlich der genozidale Terrorismus palästinensischer Gruppen auch von der neuen palästinensischen Führung als Problem erkannt und glaubwürdig einzudämmen versucht wird.

Anmerkungen:

(27) Vgl. idea-spektrum, 20 (19.05.1994), 11: Der Frieden ist nicht sicherer geworden. "Christen für Israel" gegen Gaza-Jericho-Abkommen; 16 (20.4.1995): Gegen die Rückgabe der Golan-Höhen. Theologe: "Israel darf nicht zurückgeben, was Gott geschenkt hat".
(28) NAI, 198 (Februar 1995), 26; 200 (April 1995), 26.
(29) F. May, Abschied vom Westjordanland. Gegen den Willen Gottes, 98 (November/Dezember 1995), 2.
(30) R. Schmidt, Die Schüsse von Tel Aviv, in: CFI, 99 (Dezember 1995/Januar 1996), 2.
(31) F. Vogel, Israel. Ein Mini-Mega-Staat im Aufbruch zur Weltmacht, a.a.O., 152.
(32) L. Schneider, Das böse Alibi, in: NAI, 207 (November 1995), 30.
(33) Vgl. Deutsche Welle Monitor-Dienst, 13.12.1995, 2; private Information.
(34) Resolution des Dritten Internationalen Kongresses Christlicher Zionisten, Jerusalem 1996 (Privatarchiv d. Verf.).
(35) So in CFI, 106 (Februar/März 1997), 8.
(36) Vgl. M. Morgenstern, Jerusalem zwischen Krieg und Frieden: Israel in der Uno, Jesus in Gethsemane, Ludwig Schneider in Unterriexingen. in: Neue Vaihinger Kreiszeitung, 20.02.1998.
(37) NAI, 253 (September 1999), 28.
(38) NAI, 254 (Oktober 1999), 28.
hagalil.com 09-01-2006


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