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Israel und der christliche Fundamentalismus in Deutschland 3


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Rolf

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Israel und der christliche Fundamentalismus in Deutschland (3):



Who is who?

Gruppen-Vernetzungen-Rivalitäten
Von Dr. Martin Kloke



Im Dunstkreis etablierter, aber kränkelnder Kirchen wuchert im heutigen Deutschland eine schier unübersichtliche Israel-Szene – ein Eldorado für Enthusiastiker ebenso wie für Neo-Apokalyptiker. Drei Hauptströmungen lassen sich ausmachen.

Charismatisch-pfingstlerische Strömungen

Die vitalsten fundamentalistischen Pro-Israel-Kräfte sind heutzutage dem charismatisch-pfingstlerischen Spektrum verbunden. Sieben "nationale Israel-Werke" haben sich Mitte Oktober 2002 zu einem "Beziehungs- und Aktionsforum" zusammengeschlossen. Sie waren schon bei den genannten christlichen Pro-Israel-Demonstrationen die treibenden Kräfte gewesen. Aus der Vielzahl charismatischer bzw. pfingstlerischer Israel-Initiativen möchte ich drei vorstellen:

a) die Darmstädter Marienschwesternschaft – eine traditionsreiche evangelikale Ordensgemeinschaft: Die Ordensfrauen verbinden glühende Endzeithoffnungen mit enthusiastischer Israelliebe. Sie betätigen sich publizistisch und sozialdiakonisch für Israel: Unter anderem unterhalten die Schwestern ein Altenheim für ehemalige KZ-Häftlinge.

B) In die aktuelle Tagespolitik, das unterscheidet sie von anderen fundamentalistischen Gruppen, mischen sie sich nicht ein. Schlichte christliche Überzeugungskraft ist ihnen wichtiger als die Verbreitung apokalyptischer Geschichtsszenarien.

c) Höchst politisiert tritt dagegen die Internationale Christliche Botschaft Jerusalem (ICEJ) auf: 1980 – nach einem entsprechenden Parlamentsbeschluss ("Jerusalem-Gesetz") – vollzog die israelische Regierung auch formell die Annexion Ost-Jerusalems. Die internationale Öffentlichkeit verweigerte ihre Zustimmung; noch heute befinden sich die meisten ausländischen Botschaften nicht in Jerusalem, sondern in Tel Aviv.


d) Genau in dieser Zeit gründeten christliche Fundamentalisten aus aller Welt in Jerusalem die "International Christian Embassy" – als Zeichen der Solidarität mit dem neuen Status Groß-Jerusalems als der "ewigen Hauptstadt Israels". Das offizielle Israel begrüßte diese Sympathiebekundungen. Zu den Aktivitäten der "Botschaft" gehören PR-Aktionen zugunsten Israels (Zeitschriften, Newsletters, Flyers usw.), christliche Zionistenkongresse, aber auch die Förderung und Vermittlung israelbezogener Projekte. Jährlicher Höhepunkt ist eine "christliche

Feier" während des jüdischen Laubhüttenfestes – nach eigenen Angaben inzwischen "die größte touristische Veranstaltung in Israel". Auch der deutsche Zweig, ansässig in Stuttgart, ist in seinen Äußerungen und Aktivitäten hoch politisiert. Das ICEJ-Netzwerk ist u. a. verlinkt mit der Website von Hal Lindsey, der zu den radikalsten christlich-fundamentalistischen Apokalyptikern in den USA gehört und in den 80er Jahren einer der religionspolitischen Berater von Ex-Präsident Ronald Reagan war.

c) Eine kaum weniger einflussreiche Israel-Arbeit verbindet sich mit dem Namen Ludwig Schneider. Dieser Mann wird in der einschlägigen Szene wie ein Guru verehrt. Die Gründung des Schneider'schen Lebenswerkes geht auf das Jahr 1974 zurück, als der charismatische Fundamentalist bei Düsseldorf einen Verein namens "Israel-Hilfe" gründete.
Respektable Immobilienkäufe führten jedoch bald zu einem Konkursverfahren – angeblich soll Schneider Spenden in fünf- bis sechsstelliger Größenordnung abgezweigt haben.
Daraufhin setzte sich der umtriebige Israel-Freund mit Frau und Kindern in das Land seiner Träume ab. Schneider ist 1978 mit einem Touristenvisum – und nicht über die Jewish Agency – nach Israel eingereist, obwohl er ansonsten gern kolportiert, er sei jüdischer Herkunft.(8)

In Jerusalem gründete Schneider ein evangelikales Pressezentrum. Dort gibt er allmonatlich das deutschsprachige Magazin "Nachrichten aus Israel" (NAI) heraus – mit politisch-religiösen Informationen, Reportagen und Kommentaren aus der Region. Das Hochglanzmagazin präsentiert sich in einer Mischung aus christlichem Philosemitismus und rechtszionistischem Antiarabismus.

Nach den Wahlniederlagen der Sozialdemokraten Shimon Peres (1996) und Ehud Barak (2001), denen der "Ausverkauf Israels" vorgeworfen worden war, gerierte sich das Blatt jeweils ausgesprochen triumphalistisch. (9)
Der geschäftstüchtige Pfingstler unterhält seit Jahren eine "Jerusalem-Hotline": Gegen eine Jahresgebühr kann der Anrufer von einem automatischen Anrufbeantworter ("Stimme aus Jerusalem") täglich israelbezogene Neuigkeiten "aus erster Hand" erfahren – "ihr direkter Draht nach Zion", wie es in Anzeigen zu den einminütigen Spots heißt.

Während Sinn suchende Säkularisten zu Yoga- und Ikebana-workshops in die Toskana pilgern, brechen moderne Fundamentalisten zu mystisch anmutenden Wüstenexpeditionen in Israel auf. Auch Schneider ist dabei – in einer Werbeannonce stellt er eine "ganzheitliche Konfrontation mit der Prophetie" in Aussicht:
"Einzug in die […] mitten in der Wüste Sin errichtete Zeltstadt. Viereinhalbtägiges Seminar in der Wüste: 'Prophetie der Endzeit' mit Ludwig Schneider […] und messianischen Juden. […] Am Lagerfeuer israelische Volkstänze und Lieder. Mit Jeeps quer durch die Wüste zum Gottesdienst am Mose-Altar vor dem Gottesberg 'Har Karkom'. In der Zeltstadt Seelsorgerdienste, Vorträge und Schattenzelte für Stillezeit und Gebetsgemeinschaften. […] Es ist wichtig, das politische Geschehen im Licht der Bibel und direkt vor Ort zu betrachten – mit innerer Verarbeitung in der Wüste – dort, wo auch Gott seine Propheten zur Abklärung hinschickte." (10)

Wer ist dieser Mann, der sich mal als "Pastor" ausgibt, dann wieder unter der Berufsbezeichnung "Journalist" oder gar als "Kriegsberichterstatter" firmiert, obwohl er nie Theologie oder Journalismus studiert hat. Ist er ein "Betrüger" und "Hochstapler", wie gelegentlich kolportiert wird oder einfach 'nur' ein pfiffiger Geschäftsmann, der erfolgreich eine Lücke auf dem religiösen Markt der Möglichkeiten ausfüllt? Kritischen Hinweisen und Recherchen in der Presse (11) begegnet Schneider mit der Klage, er sei das Opfer einer "Verleumdungskampagne" (12). Bis heute tritt Schneider bundesweit auf – mit beträchtlicher Resonanz und abertausenden von Zuhörern.

Im Juli 2002 hat Schneider seinem Sohn Aviel die Tagesgeschäfte übergeben. Um sich den Netzwerkcharakter der fundamentalistischen Israel-Szene klar zu machen: Schneiders Sohn Doron arbeitet seit geraumer Zeit an leitender Stelle in der "Internationalen Christlichen Botschaft" – dort ist er verantwortlich für die "Administration". Dennoch ist der Unternehmensgründer Ludwig Schneider bis heute Spiritus Rector der "Schneider-Mafia. (13)"

Traditionelle evangelikale Initiativen

Auch die meisten Pietisten sowie konservativen Landes- und Freikirchler sind heutzutage proisraelisch eingestellt. Entsprechende Israel-Organisationen bündeln und verstärken die milieuspezifischen Befindlichkeiten:
1980, als der jüdische Staat Ost-Jerusalem seinem Staatsgebiet angliederte, gründete im hessischen Wetzlar Fritz May, ein ehemaliger freikirchlicher Pastor, den Verein "Christen für Israel". Adressaten sind Israel-Freunde innerhalb der Evangelischen Allianz: Israel-Veranstaltungen, Israel-Reisen sowie eine emsige publizistische Arbeit spiegeln die Aktionsformen des Vereins wider.

In Israel unterstützt Fritz May diverse Hilfsprojekte: Hauptempfänger sind kleine "messianische" Gruppen im Lande, aber auch medizinische Einrichtungen – etwa für die religiöse Bar Ilan-Universität. Angesichts von Mays Breitenwirkung übt die Mischung aus publizistischer PR-Arbeit und Spenden-Akquise eine beträchtliche Wirkung aus – bis hinein in staatliche israelische Kreise. "Warum sollten wir gegen jemanden Vorbehalte haben, der so viel Gutes für Israel tut?" So verteidigte mir gegenüber ein israelischer Diplomat die guten Arbeitsbeziehungen zum Verein "Christen für Israel".
Dank seiner Sponsorenarbeit konnte Fritz May eine reiche Ruhmesernte einfahren: Der Jüdische Nationalfonds KKL ernannte den deutschen Theologen zum "Ehrenbürger des Negev" (May hat in 20 Jahren über den KKL mehr als 80.000 Bäume pflanzen lassen).

Das Jerusalemer Stadtparlament verlieh ihm als dritten Deutschen den Titel "Getreuer von Jerusalem" – die reputierlichste Auszeichnung der Stadt Jerusalem für ausländische Wohltäter.(14) Dann folgte noch die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die religiöse Bar-Ilan Universität: "in der 2000-jährigen Geschichte der Beziehungen zwischen Juden und Christen […] die höchste Auszeichnung einer jüdischen Universität […] für einen deutschen evangelischen Theologen", wie May stolz vermeldete.(15)

Was selbst seriöse deutsche Israel-Freunde und ihre israelischen Partner gerne übersehen, sind Mays fragwürdige politische Verbindungen. Solange es seine eschatologischen Erwartungen erlauben, schließen Mays Flirts auch das rechtsradikale politische Spektrum Israels ein: Nur vierzehn Tage vor den israelischen Parlamentswahlen – Anfang Mai 1999 – organisierte der evangelikale Israel-Sponsor wieder einmal eine deutschlandweite Tagung. Prominentester Redner in der Stadthalle des hessischen Städtchens Wetzlar war Elyakim Ha'etzni, führender Vertreter der nationalistischen Siedlerbewegung im Westjordanland. (16)

In seinem Geltungsdrang ist May auch vor apokalyptischen Versuchungen nicht gefeit. Kurz vor der Millenniumswende äußerte er die Erwartung,
"dass durch ein erneutes 'Zeichen Gottes' […] bald der verhasste 'Schandfleck Jerusalems', der Felsendom mit der El-Aksa-Moschee, zerstört wird und an alter biblischer Stätte auf dem Tempelberg endlich der Tempel wieder aufgebaut wird. Damit der Messias kommen kann." (17)

Politischer Arm der evangelikalen Rechten ist die schon erwähnte "Partei Bibeltreuer Christen" (PBC), die mit ihren Plakataktionen Zeichen für einen proisraelischen Stimmungswandel setzen möchte: Doch ihr moralischer Rigorismus gegen den allgemeinen "Sittenverfall", ihre puritanischen Kampagnen gegen Homosexualität und Feminismus (um nur zwei der zahlreichen Reizwörter zu nennen), verschreckt selbst viele ihrer potenziellen Anhänger. Immerhin: Bei der zurückliegenden Bundestagswahl konnte die PBC ihren Stimmenanteil von 71.989 auf 101.553 aller Zweitstimmen steigern.

Nicht alle theologisch konservativen Christen sind mit der kritiklosen Begeisterung für Israel einverstanden. Wie in anderen gesellschaftlichen Milieus auch, erhitzt das Thema "Israel" die Gemüter und polarisiert die Menschen: Ein Beispiel dafür ist der in evangelikalen Kreisen hoch angesehene Pfarrer Jürgen Blunck. In einem Gastkommentar für die Nachrichtenagentur "ideaspektrum" bezeichnete sich Blunck 2002, auf dem Höhepunkt der 2. Intifada, als "Freund Israels"; freilich müsse er, gleich dem Propheten Jeremia, die israelische Politik verurteilen – auch auf die Gefahr, dafür als "Verräter" gebrandmarkt zu werden. Doch statt sich auf eine sachbezogene Kritik zu beschränken, ereiferte sich Blunck über den angeblichen "Staats-Terrorismus" Israels und verharmloste den organisierten Terror der islamistischen "Hamas" und der säkularen "Al Aksa-Brigaden" Yassir Arafats als "Individual-Terrorismus". Israel unter Sharon handele "stolz und hart". Und als ob Israel ein Gottesstaat wie der Iran wäre (und nicht der einzige demokratische Rechtsstaat im Nahen Osten), fuhr Blunck fort:

"Was für ein Bild von Gott präsentiert Israel durch sein Handeln der Welt? Das Bild eines rachsüchtigen, brutalen, internationales Recht verachtenden Gottes! Nein, so habe ich Gott durch Jesus nicht kennen gelernt. Jesus ist anders". (18)
Man kann sich den Aufschrei und die Empörung in der evangelikalen und fundamentalistischen Israel-Szene vorstellen: Wochenlang beherrschten Leserbriefe und Gegenartikel das ideaspektrum. Der Skandal schlug über "idea" hinaus Wellen, weil er einmal mehr zeigte, wie schwer es hierzulande vielen auch wohlmeinenden Zeitgenossen noch immer fällt, Kritik an Israel zu üben, ohne auf der Klaviatur judenfeindlicher bzw. antisemitischer Ressentiments zu spielen.

Antizionistische und antisemitische Zirkel

Auch und gerade in christlich-fundamentalistischen Kreisen hat der millionenfache deutsche Massenmord an den europäischen Juden eine Metanoia eingeleitet. Unter dem Schock von Auschwitz haben einige unter ihnen allerdings das Pendel so weit ausschlagen lassen, dass sie die Balance verloren haben – sie betreiben einen Israel-Kult, der eine verblüffende Geistesverwandtschaft mit den weltherrschaftlichen Topoi des traditionellen Antisemitismus erkennen lässt. So heißt es im Israel-Buch (Vorwort) eines Wuppertaler Missionsdirektors:

"Israel ist als Land, als Volk und als heutiger Staat Gottes erwähltes Eigentum und bricht nun nach drei Jahrtausenden vor unseren Augen auf, um die Weltherrschaft anzutreten!" (19)
Sind "wahre" Sachwalter christlicher Israel-Solidarität also diejenigen, deren Engagement besonders 'eindeutig', radikal philosemitisch und laut zu vernehmen ist? Wie stabil ist die Israel-Liebe von Organisationen, die mit Emphase und noch mehr Geld ungeniert Einfluss auf Israels Politik gegenüber den Palästinensern zu nehmen suchen?
Aus der Antisemitismus-Forschung ebenso wie aus der Sozialpsychologie wissen wir, wie rasch und unvermittelt Philosemitismus in Antisemitismus umschlagen kann. Der Mechanismus ist stets nach dem gleichen Muster gestrickt: Überschwengliche Zuneigung gebiert Enttäuschung über unerwartetes "Fehlverhalten"; ein plötzlicher Umschlag von Liebe in Hass ist die Folge.

Das schon zitierte "idea-spektrum" stellte schon vor einigen Jahren Spekulationen an, ob nicht die pro-israelische Stimmung unter Christen angesichts "jüdische® Kritik am christlichen Glauben" "gekippt" werde. Anlass war ein kritischer Zeitungsartikel Michel Friedmans – "ausgerechnet in der Karwoche", wie es vorwurfsvoll im Editorial der Wochenzeitschrift hieß (20). Das alles – damals kaum beachtet – hört sich aus heutiger Sicht wie ein Vorspiel zu den Möllemann'schen Eskapaden an.

In einem Informationsbrief der rechtskonservativen "Bekenntnisbewegung 'Kein anderes Evangelium'" habe ich folgenden Appell gelesen:
"Wir müssen erkennen, dass der Geist der orthodoxen Juden wie der Geist des Islams gleichermaßen gegen den gekreuzigten Gottessohn kämpfen. Wir sollten von einem gut gemeinten Philosemitismus Abschied nehmen und Israel so lieben, wie es in Wirklichkeit ist". (21)
Aber wie "ist" Israel "in Wirklichkeit"? – Auch im evangelikalen Spektrum des deutschen Protestantismus ist der israelbezogene Spielraum größer, das "Ende der Schonzeit" eingeläutet geworden. Gewiss gibt es keinen Grund zu Alarmismus oder gar Panik; es gibt keine empirisch wahrnehmbaren Indizien für eine gesellschaftlich relevante Judenfeindschaft unter christlichen Fundamentalisten. (Das Problem der "Mission" sei hier zunächst einmal ausgeklammert.) Was aber sehr wohl registriert werden muss, sind ausgesprochen unappetitliche Erscheinungen in winzigen subkulturellen Segmenten:

So verurteilte 1995 das Fürther Amtsgericht den Nürnberger "Straßenprediger" Norbert Homuth zu vier Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung und einer Geldbuße von 1000 Mark – wegen "Volksverhetzung". In einer Flugschrift hatte Homuth u. a. Folgendes behauptet:

"Erstens verfolgen sie [die Juden, MK] zu allen Zeiten die Boten Gottes, die zu ihnen gesandt sind, um ihnen Gottes Schelte zu überbringen, ja sie töteten sogar den höchsten Abgesandten Gottes, seinen Sohn. Bis heute hat sich das nicht geändert. Wenn es auch nur einer wagt, ihnen Gottes Wort vorzuhalten, und sie zur Buße zu rufen, hängen sie ihm einen Prozess an, schwingen die Auschwitz-Keule und ruhen nicht, bis sie ihn restlos fertig gemacht haben. Der zweite Grund liegt in ihrer menschenverachtenden Haltung den Nichtjuden gegenüber, womit sie praktisch den Antisemitismus selbst schüren." (22)
Vor dem Einzelrichter wies der Straßenprediger jeglichen Antisemitismus von sich – mit den stereotypen Worten philosemitischer Judenfeinde: "Ich liebe die Juden." (23)

Ein zweites Beispiel sind die von Dieter Braun betriebenen Aktivitäten des Morgenland-Verlages im süddeutschen Salem. In der gleichnamigen Zeitschrift wird vorexerziert, wozu eine fundamentalistisch motivierte Israel-Feindschaft fähig ist: In einem Beitrag über das "wahre und das falsche Israel" heißt es:
"Hinter diesen genannten geheimen Machenschaften verbirgt sich die internationale Verschwörung des babylonischen Logen-Judentums, das weltweit an den Schaltstellen der Macht sitzt […]. Wir erleben es heute, wie es das Weltjudentum wiederum versucht, biblische Prophetie zu erfüllen, und an der Spitze ihres Programms stehen die Aktivitäten der Zionisten. Doch auch das ist dem völligen Untergang geweiht, […]" (24)

Seit Ende der neunziger Jahre tobt sich Brauns Antisemitismus hemmungslos aus:
"Wer steht hinter der UNO und ihren angeschlossenen Gremien, vor allem dem Internationalen Währungsfonds? Wer kontrolliert das Geld in dieser Welt und die Massenmedien, die dieses Verderbens-Konzept des Antichristen als Heilsrezept für die Probleme der Welt propagieren und durch alle Länder peitschen? Es sind Angehörige jenes Volkes, von dem sich viele haben täuschen lassen, es als Volk Gottes anzusehen und anzuerkennen." (25)

Verwundert es da, dass die Morgenland-Gruppe die Schoah verharmlost oder auch implizit leugnet? In den letzten Jahren hat sich in der lose organisierten Gruppe eine nahtlose Verschmelzung protestantisch-fundamentalistischer und rechtsextremistisch-antisemitischer Einstellungen vollzogen. Nach meiner Kenntnis ist davon auszugehen, dass sich inzwischen auch der Verfasssungsschutz dieses Problems angenommen hat – das ist übrigens auch die Überzeugung, die in rechtsradikalen Winkelblättchen kolportiert wird. Die Braun-Organisation muss als ein Menetekel begriffen werden, wozu ein fundamentalistischer Antisemitismus noch heute fähig ist, wenn er aus dem Latenz-Stadium heraustritt.

Anmerkungen:

(8) Private Information.
(9) Vgl. NAI (Jerusalem), 214 (Juni 1996): Titel-Aufmacher und Kommentar, 2.
(10) NAI, 194/195 (Oktober/November 1994), 21.
(11) Vgl. M. Kloke, Gestörte Endzeit. Das Israel-Engagement christlicher Fundamentalisten, in: Evangelische Kommentare. Monatsschrift zum Zeitgeschehen in Kirche und Gesellschaft (Stuttgart), November 1995, 648ff.
(12) Vgl. das Editorial von NAI. 196 (Dezember 1995), 30: "In nicht-nur-eigener Sache. Man kann die Uhr danach stellen"; ders., Wenn die Wut kommt, in: NAI, 291 (November 2002), 44.
(13) So in einer ironischen Selbstbezeichnung, in: NAI, 290 (Oktober 2002), 44.
(14) Vgl. "Christen für Israel" CFI (Wetzlar), 116 (November/Dezember 1998, 6.
(15) CFI, 120 (Juni/August 1999), 8.
(16) Vgl. a.a.O., 10.
(17) F. May, Jerusalem vor dem großen Erdbeben, in: CFI, 122 (November/Dezember 1999), 8f.
(18) idea-spektrum. Nachrichten und Meinungen aus der evangelischen Welt (Wetzlar), 9 (27.02.2002), 3.
(19) B. Malgo im Vorwort zu F. Vogel, Israel. Ein Mini-Mega-Staat im Aufbruch zur Weltmacht, Beinwil am See (CH) 1998, 5.
(20) idea-spektrum, 16 (20.04.1995), 2.
(21) Informationsbrief der Bekenntnisbewegung "Kein anderes Evangelium" (Lüdenscheid), 186 (Februar 1998), 20.
(22) Glaubensnachrichten. Christlicher Informationsdienst (Erlangen), September 1994; idea-spektrum, 31/32 (10.8.1995), 10.
(23) Ebd.
(24) D. Braun, Christus und der Antichrist VIII. Das wahre und das falsche Israel, in: Morgenland. Biblische Prophetie in der Erfüllung (Salem), 5 (1994), 5f und 12.
(25) Morgenland, 5 (1998), 5.
hagalil.com 03-01-2006


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