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Spontanheilungen und Finanzastrologie:


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Rolf

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Spontanheilungen und Finanzastrologie:





Besuch bei der Esoterikmesse in München


Am 1. Mai war ich im Feindesland.

Es wird ja gerne mal auf dieser Seite gegen Homöopathie, Horoskope und
anderen Hokuspokus gewettert. Aber ich möchte meinen, dass sich hier noch
keiner so geballte Pseudowissenschaften angetan hat wie ich am Tag der
Arbeit. In München fand die Esoterikermesse statt, drei Tage lang. Das war
mir bekannt, weil ich seit gefühlten drei Monaten jeden Morgen unter dem
großen Werbeplakat durchgeradelt bin.

Nun habe ich die Erfahrung gemacht, dass esoterische Veranstaltungen ein
gefundenes Fressen für lustige Reportagen sind - mach braucht gar nichts
machen. Auch wenn ich im Nachhinein schon mal als eiskalter Nazi
bezeichnet wurde, aber das ist eine andere Geschichte. Gerüstet mit zwei
Schutzschildern vor Quacksalberei ("Das Universum in der Nussschale" als
Hörbuch auf dem iPod und einem Flachmann Weinbrand) ging ich also hin, zur
metaphysischen Crème de la Crème. Über 140 Aussteller! Über 100 Vorträge!
Handlesen! Jenseitskontakte! Garantierte Spontanheilungen! Professionelle
Astrologen, die ihr Handwerk nun wirklich von der Pieke auf gelernt haben!
Und mir mit Sicherheit endlich erklären können, wie das ganze Zeug
funktioniert.

Im Inneren des Löwenbräukellers, der eigentlich kein Keller sondern ein
mehrstöckiges Gebäude ist, erschlägt es mir den Atem. Alle 140 Aussteller
haben gleichzeitig ihre Räucherstäbchen angemacht. Nun riecht es ein
bißchen nach Weihrauch, ein bißchen nach lustigen Zigaretten und ein wenig
auch nach Tier. Jedenfalls nicht nach Luft. Ein wenig muss ich auch an Alf
denken, explodierte der Planet Melmac doch schließlich weil alle
gleichzeitig ihren Fön angeschaltet hatten. Oh Gott, die Räucherstäbchen,
sie wirken schon.

Als ich mich umschaue, muss ich mich schämen. Für mein Geschlecht und
meine Altersklasse. Die Besucher der Esoterikmesse sind fast
ausschließlich junge Frauen meines Alters - und gar nicht mal unbedingt
mit filzigen Dreadlocks ("Ja Mann, das ist viel natürlicher," erklärte mir
mal die überzeugte Trägerin einer solchen Matte) oder Kleidung aus Wolle,
die freiwillig vom Schaf gefallen ist etc. Die Messe ist zu meinem
Erstaunen richtig gut besucht, an manchen Ständen muss man anstehen um
überhaupt einen Blick auf die angebotenen Waren erhaschen zu können.

Was die Aussteller hier anbieten, lässt sich in zwei Kategorien fassen:
Nippes zum Dekorieren und an den Hals hängen oder aber Lebensberatung. So
gibt es etwa jede Menge kleiner Buddhas aus Amethyst, Rosenquarz und
Lapislazuli an langen Lederbändern - man darf die aber nicht danach
aussuchen, welche Farbe einem gefällt, schließlich hat jeder Stein eine
andere Wirkung, jaha, und da muss man sich vorher schon beraten lassen.
Bevor der Verkäufer mich nach etwaigen Wehwehchen ausfragen kann, erkläre
ich, dass ich gar kein Interesse, an langen Ketten mit Stein habe. "Ketten
mit langem, schweren Anhänger pendeln immer so am Hals, da seh ich aus wie
eine Standuhr" entschuldige ich mich für das Vergeuden seiner Zeit. "Oh,
Pendel haben wir auch," wirft er schnell ein, dreht sich um und sucht
irgendwas. Genug Zeit, zum nächsten Stand zu verschwinden.

Dort bietet ein älterer Herr goldene Plättchen zum an die Wand kleben
feil. Auf den etwa 3x10cm großen Schildern steht in schön geschwungener
Schrift "DER DARM" oder "DIE WEIBLICHKEIT". Wenn man sie nur regelmäßig
anschaue, erklärt mir der Verkäufer, seien auch diese gut für die
Gesundheit. Aha. Zu seiner eigenen Rettung fügt er aber hinzu, dass das
alles nur Psychologie sei: "Viele Leute beschäftigen sich sonst gar nicht
mit ihrem Körper. Man muss sie nur zum Nachdenken und zur Selbstreflektion
anregen, das wirkt manchmal schon Wunder." Soso. Selbstreflektion. Wunder
wirken. Ich weiß ja nicht.

Ins Büro hängen möchte ich mir dann aber doch weder den Darm noch die
Weiblichkeit. Und auch für den anderen Hokuspokus hier Geld ausgeben -
etwa das Lehrbuch "Katzen massieren" oder ein Foto meiner Aura. Nicht,
weil ich mich nicht jeden Tag wieder drüber beömmeln könnte - das wär kein
Problem. Sondern vielmehr, weil ich mich für die Rechnung an die
Buchhaltungsabteilung so schämen würde. "Kostenstelle: ScienceBlogs.
Betreff: Notwendige Rechercheausgaben, Familienpackung Räucherstäbchen für
inneren Frieden von Jessica Riccò."

Die großen Themen, die bei der Lebensberatung angeboten werden, sind
Gesundheit, Liebe, Geld und Diät. Zu letzterem Punkt belausche ich ein
Gespräch: Einer etwa 70-jährigen Frau wird geraten, ab sofort lieber keine
Spätzle mehr zu essen. Dann verschwinde nämlich auch ihr grauer Star. Das
mag Humbug sein, aber sofern Spätzle nun nicht ihre einzige Quelle für
Kohlenhydrate sind, ist auch kein großer Schaden zu erwarten. Richtig
sauer werde ich erst beim nächsten Stand. In einem kleinen Zelt sitzt eine
Frau und wartet auf Besuch. Vor dem Zelt steht auf einem Schild:
"Garantierte Heilung aller Krebserkrankungen und bei unerfülltem
Kinderwunsch. 30 Minuten 25 Euro."

So eine blöde Kuh.

Und leider nicht die Einzige ihrer Art. Es gibt eine ganze Reihe von
Ausstellern, die meine Hutschnur wirklich in die Höhe schiessen lassen.
Die sich auf lebensbedrohliche Krankheiten spezialisieren und für ein
bißchen Handlesen und Reiki leichtgläubigen Leuten das Geld aus der Tasche
ziehen. Da mag man nun sagen "Selber Schuld." Aber auf der Messe laufen
auch ein paar so ausgemergelte Gestalten rum, die sich vermutlich
tatsächlich an allerletzte Grashalme klammern. Und hier über den Tisch
gezogen werden.

Ebenfalls überteuert, wenn auch kein Alternativmediziner ist ein
sogenannter "Finanzastrologe". Der Finanzastrologe bietet allgemeine
Finanzberatung aber auch Beratung zur Unternehmensgründung und
Aktienanalysen, alles natürlich anhand der Sterne. Kostenpunkt: Zwischen
70 und 100 Euro. Da schwimmen sie hin, die Finanzen.

Mein Entertainment-Highlight an diesem Tag ist aber eindeutig die
Live-Rückführung. Eine Rückführung ist eine Vorführung bei der jemand in
sein früheres Leben zurückgebracht wird - aber nur in Gedanken natürlich,
nicht tatsächlich. Im Vortragssaal sitzen etwa vierzig Menschen und
schauen gespannt zu, wie der Meister vorne erklärt, was gleich passieren
wird. Immerhin inszeniert er keine zufällige Auswahl seines Opfers, nein,
es ist ganz offiziell seine "Assistentin", die sich auf den Boden legt und
zu schlimmem New-Wave-Gedudel auf den Weg rückwärts durch die Zeit macht.
Ihr Chef nimmt seine Armbanduhr ab, hockt sich neben sie und streicht
seinen nichtvorhandenen Bart. Nach zwanzig Sekunden stockt die CD. Als das
dauernde "Chchchchrtsch, chchchchrtsch" bis zur Schmerzgrenze ausgereizt
ist, steht der Zaubermeister doch noch auf, entnimmt die CD, streicht sie
sich über den Bauch, haucht nochmal drauf und das Spiel beginnt von neuem:
Frau tut, als würde sie nun schlafen (denn dort, wo ihr Geist sich
befindet, hört sie die kaputte CD gar nicht, nämlich!), er sitzt daneben,
nach zwanzig Sekunden fängt das Rattern wieder an.

An dieser Stelle kann ich nicht mehr. Ich war noch nie gut darin, Lachen
zurückzuhalten. Wer dies nicht glaubt, soll Marc fragen. Es tut mir fast
schon leid, denn immerhin nehmen die übrigen Anwesenden das Schauspiel
hier ernst. Aber ich muss so lachen, dass ich nach ein paar Minuten und
diversen bösen Blicken den Saal verlasse. Die Trance-Lady beginnt
tatsächlich noch zu sprechen: Sie sei im Mittelalter und ein Mann und sei
14 Jahre alt. Und ihr Vater möchte sie nun in eine Schlacht mitnehmen. Den
Rest verpasse ich aufgrund störenden Lachens.

Wieder draußen gönne ich mir eine weihrauchfreie Pause auf dem Balkon, in
der ich meine neue Flyersammlung auswerte. Das "Zentrum für Harmonie",
bietet eine "mediale Bewusstseinsschule, Schlanke Erde, Licht und
Webradio!" Oho! Webradio! Sind die auch schon so weit. "Wer war Bertha
Dudde?" teasert ein weiteres Heftchen gekonnt und unter Verwendung eines
urkomischen Namens die "Gottesbotin der Endzeit" an. Wer sich näher mit
Bertha Dudde beschäftigen möchte, darf mein 60-Seiten (!!!) starkes Heft
per Post kriegen. Wer zuerst kommt, malt zuerst.

"Solura" lädt mich ein auf "eine Reise in des Herzens Licht. In Liebe."
Auf ihrem Flyer steht auch, dass sie mich berühren möchte und auf der
Vorderseite starrt sie mich aus einem weißen Kleid und langen, stark
splissenden Haaren an. Der Flyer verrät wirklich überhaupt nichts darüber,
was Solura denn nun will. Ihre Reise zum Herz findet aber am 7. November
in der Hofkirche in München statt - vielleicht mag da ja jemand hingehen.
Meine Ration Übersinnlichkeit für dieses Jahr ist nämlich sehr, sehr
gesättigt.



Autor: Jessica Riccò
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