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Geist-Seele: Apfelteiler oder „Alles Banane?"


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#1
Hebräer83

Hebräer83

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Geist-Seele: Apfelteiler oder „Alles Banane?“

Gewöhnlicherweise wird unterstellt, daß die Bibel, v.a. aber das Neue Testament eine klare Abgrenzung der Begriffe Geist (pneuma) und Seele (psychä) kennt und sich daraus eine biblische Lehre des inneren Menschen ableiten läßt. Dabei erscheint die Seele als das eigensinnig-menschliche, der von Gott erneuerte Geist des Menschen dagegen geradezu als göttlicher Funke, dem man sogar Unfähigkeit zur Sünde unterstellt. Man formuliert einen scharfen unüberwindlichen Gegensatz insbesondere dann, wenn die Seele auch noch mit dem Fleisch identifiziert, bzw. gleichgesetzt wird.

Ich möchte in diesem – und noch folgenden Beiträgen - nur kurz auf einige Auffälligkeiten hinweisen, die diesem Bild widersprechen.

Insbesondere dem Johannes-Evangelium wird gewöhnlich attestiert in seiner Wortwahl sehr exakt zu sein: „Johannes spricht eine klare Sprache. Er grenzt scharf ab, bezeichnet genau, beschreibt Details und macht präzise Zeit und Ortsangaben“ (Manfred R. Haller).
Nach dem Lesen einiger Bibelstellen in verschiedenen Übersetzungen gewann ich allerdings den Eindruck, daß Klarheit gerade dort gesucht wurde, wo der Text sie nicht hergab und dafür andererseits ein wenig verschleiert wurde.

So ist es etwa mit dem Wort „tarasso“. Es kommt in 16 Versen des Neuen und in 116 Versen der Septuaginta (der griechischen Übertragung des Alten Testaments) vor.

So etwa in Psalm 6,4f.:

„Meine Seele ist tief bestürzt (etarachthä). Aber du, HERR, bis wann -? Kehre um, HERR, befreie meine Seele; rette mich um deiner Gnade willen.“


Dieser Psalm klingt sehr an an ein Wort aus Joh 10, 24:

„Bis wann hältst du unsere Seele hin? Wenn du der Christus bist, so sage es uns frei heraus.“


Dies ist eines von nur zwei Vorkommen der „Seele“ (psychä) im Johannesevangelium. Das andere steht in Joh 12,27. Also eine recht dünne Basis um zu untersuchen, was der Autor unter „Seele“ eigentlich versteht und klar ist auch: Er will darüber auch nichts lehren.

Interessant ist vielmehr die 5malige Verwendung des Tätigkeitswortes „tarasso“ in Bezug auf Menschen und zwar in Johannes 11:33, 12:27, 13:21, 14:1 und 14:27. Dabei kommt interessantes heraus. Ich zitiere die rev. Elberfelderübersetzung:

„Als nun Jesus sie weinen sah und die Juden weinen, die mit ihr gekommen waren, ergrimmte er im Geist und wurde erschüttert.“

„Jetzt ist meine Seele bestürzt. Und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde? Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen.“

„Als Jesus dies gesagt hatte, wurde er im Geist erschüttert und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer von euch wird mich überliefern.“

„Euer Herz werde nicht bestürzt. Ihr glaubt an Gott, glaubt auch an mich!“

„Frieden lasse ich euch, {meinen} Frieden gebe ich euch; nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch. Euer Herz werde nicht bestürzt, sei auch nicht furchtsam.“


Johannes verwendete dasselbe Tätigkeitswort, um an allen Stellen eine negative-konnotierte Emotion - Entsetzen über das Geschehen - auszudrücken. Bemerkenswerterweise, sofern die Formulierung aus 10:24 und 12:27 beide an Ps 6:4f. angelehnt seien, bezieht es sich 2mal auf die Seele, 2mal auf den Geist und 2mal auf das Herz.
Das mit „ergrimmen“ in Johannes 11:33 übersetzte Wort (embrimasmai), welches dort parallel zu „tarasso“ steht, steht auch in Vers 38 desselben Kapitels. Dort allerdings nicht mit dem Zusatz „im Geist“, sondern „in sich selbst“.

Da Johannes die Begriffe Geist, Seele und Herz mit demselben Wort für Unruhe belegt (die Vulgata des Hieronymus übersetzt an diesen Stellen mit „turbare“ (von dem sich im Deutschen „turbulent“ ableitet)), gewinnt man den Eindruck, daß er es nicht besonders darauf anlegt welchen der Begriffe er verwendet. Entscheidend ist: Es geschieht im Inneren.

Wenn man immer wieder anführt, daß Johannes nicht nur der Lieblingsjünger Jesu war, sondern auch der letzte lebende Apostel und er seine Schriften lange nach den Briefen des Paulus und des Petrus verfaßt hat, wundert es einen schon, wie "ungenau" Johannes die Orte der inneren Regung seines Herrn Jahrzehnte später wiedergibt.
Einen Grund für die Annahme einer scharfen Trennung von Geist und Seele oder auch Herz finden wir hier also nicht, so daß man auch in Frage stellen muß, daß er jemals daran gedacht hätte, daß sein Satz:
„Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist.“ (1. Joh 3,9),
in einem Geist-Seele-Gegensatz-Schema interpretiert werden würde.

Bemerkenswert ist dann aber, wie manche Übersetzung dasselbe Verb (tarasso) geradezu dogmatisch darauf hinbiegen möchte, daß es einen fundamentalen Unterschied zwischen Geist und Seele betont. Hier alle Versteile in der Hallerübersetzung:

„packte ihn durch den Geist ein (großer) Unwille. Bebend (vor Zorn)“

„meine Seele ist in diesem Augenblick (völlig) durcheinander

„wurde Jesus im Geist tief aufgewühlt“,

„Euer Herz soll sich nicht durcheinanderbringen lassen“

„Laßt euch nicht beunruhigen


Alle diese Übersetzungen sind grundsätzlich möglich. So übersetzt schon die Septuaginta: „die Berge erbeben“ (hebr.: jir’aschu-harim) in Ps 46,4 mit „tarasso“ und „ich war voll Unruhe“ (hebr.: niph’amti) in Ps 77,5 ebenso mit diesem Verb.
Was an der Hallerübersetzung aber auffällt ist, daß man Jesu „Geist“ die Eigenschaften des göttlichen Zorns und der Aufgebrachtheit zumißt, „Seele“ und „Herz“ aber nur „völlig durcheinander(gebracht)“ und „beunruhigt“ sein dürfen.

Ist das nicht tendenziös?

Daß in Jesu sowohl die „Fülle der Gottheit“ wohnte (Kol 2, 9), und er sich gleichzeitig „zu nichts machte“ und „den Menschen gleich geworden ist“ (Philipper 2, 6) hat die Alte Kirche in der Glaubensformel „ganz Gott und ganz Mensch“ zusammengefaßt. Jesus den zutiefst menschlichen Geist herauszuoperieren, käme dem gleich, Gott die von ihm selbst bezeugte Seele abzusprechen (Matth 12,18; Jes 42, 1 u.a.).
Uns vorzumachen Emotionen wie das „Aufseufzen im Geist“ (Mk 8,12) gäbe es schlicht nicht, und jede Form von Schwäche sei seelisch-fleischlich-menschlich bedingt, entfremdet uns von Jesu Menschlichkeit und Mitleid, die gerade seine Göttlichkeit ausmacht.
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