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"Was ist eigentlich „feministische Theologie“?


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#1
Rolf

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"Was ist eigentlich „feministische Theologie“?





Frage von DK:


"Was ist eigentlich „feministische Theologie“? Gibt es Unterschiede innerhalb dieser Bewegung und wie ist sie einzuschätzen?"


Entstehung und Ziele der feministischen Theologie

Eine umfassende Antwort auf diese Frage würde den Rahmen sprengen. Das liegt daran, dass die feministische Theologie sehr vielfältig ist und sich meines Erachtens im Laufe der Zeit auch verändert hat. Deswegen sollen in diesem Artikel nur einige grundsätzliche Anhaltspunkte genannt werden.

Entstanden ist die feministische Theologie etwa um 1960, zeitgleich mit der Befreiungstheologie und der sogenannten kontextuellen Theologie.

Vor allem letztere spielt für die feministische Theologie eine besondere Rolle. Kontextuelle Theologie fragt nicht mehr danach, ob ein biblischer Text wirklich so passiert ist oder wie er entstanden ist. Es geht also nicht mehr um wissenschaftliches Arbeiten am Bibeltext.

Der Schwerpunkt dieser Theologie liegt darin, den Text aus einem bestimmten Kontext heraus zu deuten. Also zum Beispiel zu fragen, was ein Text speziell aus der Sicht der Frauen zu sagen hat. Ob der Bibeltext dabei ursprünglich wirklich zuverlässig ist oder nicht, ist nach Ansicht dieser Theologie zweitrangig. Wichtig sind nur die Erfahrungen und die Lebenswelt der Frauen heute. Diese werden als Kontext (= Zusammenhang) verstanden, aus dem heraus eine biblische Geschichte oder eine Aussage gedeutet wird.

Aus diesem Verständnis heraus kommt auch ein Hauptvorwurf, den die feministische Theologie der „herkömmlichen“ Theologie gegenüber macht:
Alle bisherige Theologie sei durch bestimmte Denkmuster geprägt, die in der Regel männlich, patriarchalisch und westlich ausgerichtet seien. Ziel der feministischen Theologie ist es, den Bibeltext ohne diese – ihrer Meinung nach - althergebrachte Brille zu betrachten.

Es geht feministischen Theologen und Theologinnen nicht in allererster Linie um die Frage, welche Rollen oder Ämter eine Frau in der Gesellschaft oder in der Kirche einnehmen kann. Es geht viel mehr um ein ganz neues Verständnis von Gesellschaft und Menschsein überhaupt.

Demzufolge versucht die feministische Theologie auch, ihre Erkenntnisse in alle Bereiche der Theologie einzubringen. So gibt es eine spezifisch feministische Betrachtung der Kirchengeschichte, eine eigene feministische Dogmatik, ein eigenes Seelsorgekonzept und auch eine Predigtlehre, die speziell die Anliegen dieser Theologie aufgreift.



Unterschiede innerhalb der feministischen Theologie

Innerhalb der feministischen Theologie gibt es verschiedene Strömungen, die auch unterschiedlich radikal in ihren Ansichtsweisen sind.

Der Differenzfeminismus betont zum Beispiel, dass es grundlegende Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt. Sein Ziel ist es, das aufzuwerten, was das typisch Weibliche ist.

Die Anhänge der Gendertheorie gegen hingegen davon aus, dass es keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, wenn man vom biologischen Unterschied mal absieht. Wenn Frauen und Männer sich unterschiedlich verhalten, dann liegt das nur daran, dass sie von der Gesellschaft und ihrer Familie nach bestimmten Rollenvorstellungen erzogen worden sind.

Eine weitere Unterscheidung liegt in der Art und Weise, wie die Bibel verstanden wird.

Gemäßigte Gruppen akzeptieren die Texte der Bibel und ihre patriarchalischen Strukturen als Grundlage. Sie kritisieren aber die Art und Weise, wie die Texte über die Jahrhunderte hinweg ausgelegt worden sind: Diese Auslegungsgeschichte ist ihrer Meinung nach hauptsächlich durch eine männliche Sichtweise geprägt.

Radikalere Gruppen sagen, dass bereits die Art und Weise, wie der Bibeltext verfasst wurde, eine typisch männliche Sicht widerspiegelt. Bibeltexte, die nicht mit der feministischen Sichtweise übereinstimmen, werden deswegen auch nicht als Gottes Wort anerkannt.



Die "Schwäche" der Männer

Das Männerbild der Bewegung ist leider größtenteils negativ geprägt: Der Mann wird als unfähig angesehen, aus seinen Gefühlen heraus zu leben oder sich in eine Gruppe einzugliedern. Gleichzeitig ist sein Lebensstil nach Meinung der feministischen Theologie auf Leistung, Besitz und Aktion hin angelegt. Dabei ist diese Kombination aber nicht nur ein Problem für den einzelnen Mann. Die feministische Theologie spannt den Bogen weiter: Dieses typisch „männliche Verhalten“ führt ihrer Ansicht nach dazu, dass es zu Kriegen, Unterdrückung und ungerechten Verhältnissen in der Welt kommt.

Die männliche Vorherrschaft in der Gesellschaft und über die Frau wird deswegen auch als Grundform für alle Arten von Unterdrückung angesehen. Würde diese Unterdrückung beseitigt werden, dann würden auch alle anderen Formen von Unterdrückung – seien sie rassistischer oder wirtschaftlicher Art – wegfallen. Das Patriarchat (= Vorherrschaft des Mannes) mit all seinen Errungenschaften wird also als das eigentliche Grundproblem der Menschheit angesehen. Ehe und Familie werden dabei oft als Ausdruck des patriarchalischen Weltbildes angesehen und haben deswegen einen negativen Stellenwert.



Gott oder Göttin – beides ist möglich

Der Gott der Bibel, der als Vater, Richter, Herr oder König beschrieben wird, wird von der feministischen Theologie abgelehnt. Dieses Gottesbild wird häufig als eine Begründung für die männlichen Vorherrschaft gesehen und ist somit mitverantwortlich für alle Unterdrückung, die auf der Welt herrscht.

Die feministische Theologin Mary Daly schreibt zum Beispiel in ihrem Buch „Beyond God the Father“ (1973): „If god is male, then the male is god“ zu deutsch etwa: „Wenn Gott männlich ist, dann ist das Männliche Gott.“

Es geht der feministischen Theologie darum, ein anderes, ganzheitliches Gottesbild zu entdecken und Gott mit anderen – auch weiblichen Namen und Eigenschaften - zu beschreiben. So wird zum Beispiel der Heilige Geist oft als weibliches Element der Dreieinigkeit verstanden. Bilder und Vergleiche, die Gott mit weiblichen Eigenschaften in Verbindung bringen (z.B. Jesaja 49,15; Hosea 11,1-4) werden besonders betont.

Wie weit feministische Theologie dabei geht, zeigt folgendes Zitat aus dem Buch „Kreativ – emanzipierende Seelsorge“ von G. Schibler (1999):
„Eine Seelsorgerin, die sich einer kreativ – emanzipierenden Seelsorgepraxis verpflichtet fühlt, fördert die Vielheit der Gottesbilder und lässt unterschiedliche, auch an weiblichen Gottesvorstellungen orientierte Glaubenserfahrungen gelten. Die Vorstellung der Göttin ist in diesem Sinne deshalb nicht Häresie, sondern eine mögliche kreative Ausdrucksform für das Göttliche.“


Traummann Jesus

Jesus wird positiv als der erste androgyne Mann verstanden. Also als ein Mann, der sowohl männliche als auch weibliche Eigenschaften in sich vereint. Er hat durch sein Leben und seinen Tod die typisch männlich geprägte Welt auf den Kopf gestellt. Statt Leistung, Besitz und Aktion hat er Empfang, Duldung und Öffnung gelebt und gelehrt.

Das stellvertretende Sterben von Jesus am Kreuz wird dabei umgedeutet. Die Versöhnung zwischen Gott und Mensch durch ein Opfer ist nicht mehr nötig. Denn sobald die Menschheit androgyn lebt, kann sie sich mit sich selbst und ihrer Unwelt versöhnen.

Feministische Theologie geht also nicht davon aus, dass der Mensch grundsätzlich vor Gott schuldig ist und aus diesem Zustand befreit werden muss. Vielmehr sind es die (männlich geprägten) Umstände, die den Menschen und die Gesellschaft daran hindern, sich frei zu entfalten.



Versuch einer Beurteilung

Sie haben nach einer Einschätzung der feministischen Theologie gefragt. Ich denke, dass durch die Darstellung schon einige Unterschiede zum klassischen Bibelverständnis deutlich geworden sind:

Den größten Kritikpunkt würde ich darin sehen, dass Gott in der feministischen Theologie depersonalisiert wird: Er ist kein persönliches Gegenüber mehr, das mich liebt, vor dem ich mich aber auch verantworten muss. Gott wird vielmehr zu einem „Es“. Er ist nicht mehr greifbar und ich kann als Mensch auch keine persönliche Beziehung zu ihm aufbauen.

Gerechtigkeit und Heiligkeit werden größtenteils nicht mehr als Gottes Wesen wahrgenommen. Die Spannung zwischen Gottes Liebe und seiner Gerechtigkeit wird aufgehoben. Deswegen ist es auch nicht mehr nötig, dass Jesus aus Liebe am Kreuz für die Menschen stirbt, damit sie vor Gott gerecht werden können. Jesus ist nur noch das Vorbild für den neuen weiblich – männlichen Menschen, aber nicht mehr der Retter der Menschheit. Hier widerspricht die feministische Theologie meiner Meinung nach den wichtigsten biblischen Aussagen.

Schließlich würde ich noch das Männer- und Frauenbild der feministischen Theologie in Frage stellen. Leider wurden im Laufe der Geschichte Frauen oft aufgrund einer einseitigen Auslegung mancher Bibeltexte unterdrückt. Das ist tatsächlich kein Ruhmesblatt für den christlichen Glauben.

Trotzdem lassen sich meines Erachtens zwei Dinge festhalten:

1.Mose 1,26-31 berichtet darüber, dass Mann und Frau beide nach dem Bild Gottes geschaffen wurden. Beide spiegeln also ein Stückweit etwas von Gottes Wesen wider. Das überwiegend negative Männerbild, das die feministische Theologie zeichnet, stimmt mit dieser Aussage nicht überein.

Zum anderen kennt die Bibel eine positive Verschiedenartigkeit der Geschlechter. Mann und Frau sind in ihren Rollen nicht austauschbar. Es gibt etwas „typisch männliches“ und „typisch weibliches“, unabhängig von Gesellschaft und Erziehung. Ehe und Familie werden in der gesamten Bibel positiv bewertet.


Fazit

Das feministische Weltbild wirkt auf mich persönlich erschreckend und befremdend. Früher wurden oft die Frauen als das negative und bedrohliche Geschlecht dargestellt. Die feministische Bewegung dreht den Spieß meines Erachtens jetzt um und macht die Männer und ihre besonderen Wesensmerkmale zu den Buhmännern der Gesellschaft.

Beides entspricht meines Erachtens nicht dem, was Gott für Frauen und Männer vorgesehen hat. Er möchte, dass beide in ihrer Unterschiedlichkeit zusammenleben, sich ergänzen und das Leben des anderen bereichern. Deswegen glaube ich auch, dass es etwas Wunderschönes ist, wenn ein Mann oder eine Frau entdecken, was das Besondere ist, dass Gott jeweils in ihr Geschlecht hinein gelegt hat.

Ich vermute, dass viele Vertreter und Vertreterinnen der feministischen Theologie in diesem Bereich eher schlechte Erfahrungen gemacht haben und so auch zu ihren Ansichten gekommen sind. Vielleicht haben sie in ihrem Umfeld negativ dominierende Männer oder schwache, unterdrückte Frauen erlebt. Beides entspricht nicht dem Willen Gottes für das Zusammenleben von Mann und Frau, auch wenn es manchmal so dargestellt wird.

Ich teile die Schlussfolgerungen, die die feministische Theologie aus solchen Beobachtungen gezogen hat, auf gar keinen Fall. Aber ich kann verstehen, dass es zu einer Abwehrhaltung gegenüber gewissen biblischen Aussagen kommt, wenn man so etwas erlebt hat. Aus diesem Grund finde ich es auch wichtig, dass man die feministische Theologie nicht einfach nur kalt und herablassend als falsch oder unbiblisch verurteilt.

Mein Wunsch ist es eher zu zeigen, wie Gott sich Gleichwertigkeit und Unterschiedlichkeit von Mann und Frau gedacht hat – und warum ich das als positiv empfinde.

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