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Erfahrungen einer Jugendlichen im charismatischen freikirchl


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Rolf

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Erfahrungen einer Jugendlichen im charismatischen freikirchlich-baptistischen Raum




Mein Einstieg in die charismatische Bewegung war typisch: Ich verliebte mich heftig in einen jungen Mann, der bereits bekennender Christ war und mich damals mit seinen vermeintlichen spirituellen Fachkenntnissen mächtig beeindruckte. Außerdem beschäftigte sich meine beste Freundin damals von früh bis spät mit nichts anderem als mit Jesus, dem Teufel und mit Dämonen.
Ich war gerade sechzehn, und aktives Mitglied der No-Future-Generation, glaubte, daß mit dem Orwelljahr 1984 das Ende der Welt näherrücken würde und war auch sonst in düstere Depressionen verstrickt. So wurde ich durch die Gespräche mit besagtem jungen Mann zunächst sehr viel optimistischer; zumal er auch meine Liebe zu erwidern schien - was sich später jedoch als Akt reiner Nächstenliebe und als ein massiver Bekehrungsversuch herausstellte.

Durch ihn geriet ich in Kontakt zu einer baptistischen Teestube, die damals Anlaufpunkt verzweifelter und gelangweilter Teenager aus dem ganzen Umkreis war. Ich verlebte dort einige interessante Abende, war schwer verliebt und nur etwas irritiert durch die gelegentlichen Gebetskreise und die verzweifelt immer fröhliche Stimmung der dort anwesenden Christen. Aber ich lernte dort Menschen kennen, deren Schicksal mich mächtig beeindruckte - zu ihnen gehörte auch der Junge, in den ich mich verliebt hatte: Viele kamen aus Zereisens Verhältnissen, hatten eine harte Kindheit gehabt, kannten die Welt der Drogen, der 'finsteren Mächte' und hatten sich dann, nachdem sie Jesus ihr Leben geweiht hatten, nach und nach zu reifen Persönlichkeiten entwickelt.

Irgendwann wurde meine Neugier so groß, daß ich mich spontan zu einer 'Lebensübergabe' mit einem Christen aus der Teestube entschloß. Es war eigentlich ein recht klägliches Ritual, nach den Berichten meiner Vorgänger hatte ich so etwas wie einen 'spirituellen Orgasmus' erwartet. Aber immerhin - jetzt war ich 'bekehrt' und mein 'Bekehrer' schmückte sich damit stark vor den anderen, was mir sehr peinlich war.

Nun sollte ich in meinem 'neuen' Leben geschult werden, sollte an Gebetskreisen teilnehmen und mein Leben Schritt für Schritt verändern.

In der Liebe erlebte ich zwischenzeitlich eine starke Enttäuschung, da mein 'Auserwählter' bald eine Kindergärtnerin heiratete, die ihm, wie er sagte, "von Gott zugewiesen worden" sei. Ich verließ die Teestube, und knüpfte Kontakt zur charismatischen Bewegung in der nächstgelegenen Großstadt. Regelmäßige Lobpreisgottesdienste wurden dort in einer evangelischen Kirche veranstaltet, und meine ersten Besuche beeindruckten mich tief.

Sie feierten regelrechte 'Parties' zu Ehren Gottes, es wurde geklatscht und in rockigen Tönen gesungen, und solche Sprüche wie "Gottes Geist hat fast zweitausend Jahre hinter kalten Altären geschlafen, und wir erwecken ihn wieder zu neuem Leben" schlugen bei mir ein wie eine Bombe.

Meine Gebete wurden immer feuriger, zuhause las ich in der Bibel und betete regelmäßig. Ich begann, zunächst zaghaft, an die Existenz göttlicher und diabolischer Mächte zu glauben, und schließlich auch sie zu spüren.

Kongresse und charismatische Massenveranstaltungen stärkten mich in meinem Weltbild.

Schließlich, nach heftigem Gebet um ein göttliches Zeichen meiner Wiedergeburt, erhielt ich auch das 'Sprachengebet' und konnte nun in Zungen reden und singen.

In unserem Gebets- und Bibelkreis wurde jedoch von unserem Leiter zunehmend mit Teufels- und Dämonenängsten agiert. Für schlechte Gefühle, so sollten wir lernen, seien Dämonen verantwortlich, böse Diener Luzifers, die nur im Sinn hätten, Christen von ihrem Weg im Herrn abzubringen, und sie zur Sünde zu versuchen.

Jegliche fröhliche Unbeschwertheit der ersten Tage war bald verloren gegangen; Christsein war zu einem gigantischen Regelwerk verkommen, in welchem der Teufel bald, mehr Macht zu besitzen schien als Gott selbst.

Ich machte zu dieser Zeit aktiv bei Straßenevangelisationen mit, wir versuchten mit allen möglichen Mitteln, Aufmerksamkeit zu erregen, und die Menschen hinterher in packende Gespräche zu verwickeln, im Grunde stand auf jede 'gerettete Seele' in der charismatischen Gruppe hohes Ansehen, und man konkurrierte untereinander um jeden einzelnen Bekehrten.

Mittlerweile hatte mich die starke Betonung Satans jedoch stark eingeschüchtert und ich hatte schlichtweg Angst vor diabolischen Mächten. Ich bin mir sicher, daß sich das für einen Außenstehenden absurd und unvorstellbar anhört. Aber ich erlebte eine um die andere Nacht in Angst, mit sehr wenig Schlaf, wurde von scheinbaren finsteren Mächten heimgesucht, schrie in Todesängsten nach Jesus, und meinte tatsächlich zu spüren, wie eine starke positive Macht in mein Zimmer einströmte und das Negative verdrängte, wie das Negative doch wieder Oberhand gewann und Jesus am Ende siegte.

Ich wurde zunehmend in traumatische Ängste bis hin zum Verfolgungswahn verwickelt, und fand innerhalb der charismatischen Bewegung keinen Ansprechpartner, der mir helfen konnte. Die meisten waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt oder hielten, da sie das gleiche erlebten, meine Erscheinungen für normal. Andere gaben Erklärungen darüber ab, daß ich als potentielle Leiterin innerhalb der charismatischen Gruppe einfach besondere Zielscheibe für Dämonen war.

Diese Situation verstärkte mein Unbehagen und Mißtrauen innerhalb der charismatischen Gruppe. Ich schaffte schließlich den Absprung, als andere sich gleichzeitig zum Ausstieg entschlossen. Die nun folgenden Monate in einem geistigen und intellektuellen Vakuum, ohne jede Anlaufstelle für Fragen und Beratung, waren ein Alptraum.
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