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Erfahrungen mit der charismatischen Bewegung in der evangeli


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Rolf

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Erfahrungen in der charismatischen Bewegung in der evangelischen Landeskirche




Wir waren siebzehn, arbeiteten im Betriebspraktikum in einer Gärtnerei und stritten uns tagein tagaus, bis wir nur noch schrien.
Ich konnte meine Freundin einfach nicht verstehen, was sie in neuester Zeit hatte mit ihrem 'Jesus'. Tiefgläubig war ich schon immer gewesen, nur ging es mir nicht in den Kopf hinein: Warum erachtete meine Freundin bestimmte Dinge auf einmal als 'gefährlich', die sie vorher wahnsinnig interessiert hatten? Und was waren das für moralische Forderungen, die ihr in letzter Zeit auf einmal ein schlechtes Gewissen machten, wenn wir z.B. über Magie redeten? Für mich begann gerade das Leben erst so richtig; für mich galt es, soviel als möglich zu erfahren, 'draußen in der Welt'. Und auf einmal sollte ich versuchen, 'heilig' zu werden in meinem Lebenswandel? Hatte sie nicht Hesse gelesen? Wollte man frei von 'Begierden' sein, mußte man erst durch sie hindurch gehen.

Und doch nagte es schon an mir: Der Gedanke, daß ich womöglich die 'Wahrheit' verpassen könnte, war mit unerträglich. Vielleicht war es alles gar nicht so kompliziert, wie ich dachte, und es gab wirklich ein 'Gut' und ein 'Böse', mehr nicht. Wenn Gott mich rief, und ich die Ohren zuhielt, das wäre das Schlimmste für mich.

Wir stritten uns über Wochen hinweg und ich befürchtete schon das Ende unserer Freundschaft, als Sonja mir eines Tages vorschlug, einmal mit zu dieser Frau zu gehen, bei der sie 'ihr Leben Jesus übergeben' hatte. Ich nahm den Vorschlag an. Es sollte ein letzter Versuch sein, mit diesem 'Jesus' zurechtzukommen, von dem meine Freundin immer sprach.

Bis heute ist mir dieser Tag, an dem ich mein 'Leben Jesus übergab', deutlich in Erinnerung geblieben. Alles ging ganz sehr schnell vor sich. Sonja hatte mich zu ihrer 'Seelsorgerin' begleitet und uns dann allein gelassen. Wir hatten uns ein wenig unterhalten und waren dann schon bald auf 'Jesus' zu sprechen gekommen. "Weißt du", sagte die Frau, "manchmal muß man einfach ins kalte Wasser springen". Genau das war es, was mich bewegte: Ich kam mir einfach feige vor. Sagte nicht Jesus, man müsse alles aufgeben, um ihm nachzufolgen? Und ich hatte doch allzuviel Sicherheit, gab doch nichts für Gott auf. Und wieder hatte ich Angst, die 'Wahrheit' zu verfehlen. Gab es denn nicht jenseits aller Vernunft eine göttliche Wahrheit? Ich war bereit, diese Vernunft aufzugeben.

Wir beteten gemeinsam und ich übergab im Gebet mein Leben Jesus. Etwas in mir hatte wirklich 'losgelassen', hatte das Vergangene ganz aufgegeben. Ich war neu, war wieder Kind, mußte neu wachsen. Ich fing an zu weinen - aus Schmerz, weil ich Abschied nehmen mußte von allem Vergangenem und aus Glück, weil ich unendliche Befreiung verspürte.

Mir wurde ein Beichtspiegel vorgelegt, den ich beantworten sollte. Ich trug alle meine Sünden vor und bat um Vergebung. Im Namen Jesu sprach die Frau mich los von aller Schuld. Weil ich 'okkult' belastet sei, sollte ich noch einmal vorbeikommen: In einer besonderen Zeremonie würde ich dann noch einmal diese speziellen Sünden beichten. Die schriftlich gebeichteten Sünden wurden dann in einer silbernen Schale verbrannt und ich von meiner Schuld losgesprochen, damit der 'Teufel kein Anrecht mehr auf mich hätte'. "Aber so etwas Wichtiges", sagte die Frau, "sollte lieber ein Mann machen, weil er vor Gott mehr Autorität besitzt". Ich verstand nicht, was diese Frau damit meinte. Aber verstehen war jetzt nicht mehr wichtig - ich mußte Gott nur vertrauen. Das allein zählte.

Wir waren inzwischen schon eine ganze Gruppe von 'Neubekehrten', die sich regelmäßig zum Bibellesen trafen. Man legte uns nahe, doch einen Leiter zu suchen, damit wir eine Anleitung hätten. Langsam gliederten wir uns in der Gemeinde ein: Wir besuchten die Lobpreisgottesdienste, hatten Bibel- und Gebetskreise, machten jeden Morgen 'Stille Zeit', in der wir füreinander beteten und versuchten 'geistig zu wachsen'. Alle Gedanken und Entscheidungen brachten wir im Gebet vor Gott. ER sendete uns den Heiligen Geist, damit wir in Sprachen reden konnten, Bilder oder Prophezeiungen hätten und wir von den täglichen Angriffen Satans widerständen. Was von 'Gott' und was von 'Satan' kam, wußten wir schon lange: Angst, Aggression, Zweifel am Glauben, Trauer, sexuelle Wünsche - das alles wurde weggebetet. Jesus sollte 'geistiger Müllabladeplatz' sein. "Jesus, ich geb' dir das jetzt ab", war eines der Standardgebete, die auch ich täglich sprach. Denn ich kam und kam einfach nicht von meiner Zigarettenabhängigkeit los. Immer wieder mußte ich mir eingestehen, dem Teufel nicht widerstanden zu haben.

Irgend etwas klappte nicht mit dem 'Heiligsein' und mit dem gottgefälligen Leben. Das Ganze kam mir immer verkrampfter und unechter vor. Zudem hatte ich große Probleme mit dem 'Missionsauftrag', der Pflicht für alle Christen sei. Es widerstrebte mir, ständig so viele Menschen als möglich anzusprechen und von Gott zu überzeugen, damit sie nicht in das 'ewige Verderben' gingen.

Ich bekam immer mehr Zweifel, auch an der charismatischen Hierarchie. Was manche Menschen angeblich vom 'Heiligen Geist' gesandt bekamen, wie unser Gebetsleiter, der nach seiner Überzeugung das Charisma der 'Prophetie' hatte, sah für mich immer mehr aus wie die reine Legitimation von Macht. Ich näherte mich wieder meiner Ausgangsfrage. Ich konnte nicht mehr glauben, daß Gott nur entgegen meiner Vernunft handelte. An diesen Gott jedoch, an den ich momentan glaubte, so gestand ich mir endlich ein, konnte meine Vernunft aber nur zweifeln.

Mit diesen Gedanken fuhr ich mit unserem Hauskreis auf Wochenendfahrt in ein christliches Zentrum, in dem wir einmal intensiv geschult werden sollten. In einem gemeinsamen Gebet fiel ein guter Freund von mir vor allen auf die Knie, schluchzte und beichtete, daß er manchmal sexuelle Wünsche hätte. Er weinte und weinte. Nie hatte ich eine solche demütigende Situation gesehen. Alles, was ich in den Monaten zuvor gedacht hatte, kam in mir hoch. Ich konnte und wollte nicht mehr. Ich glaubte ihnen einfach nicht mehr, wenn sie Sexualität und Aggression verteufelten. Für mich war das einfach nur menschlich. Und vor allem wollte ich nicht ständig meine Zweifel ausschalten, die wir alle Tag für Tag 'wegbeteten', sondern ihnen einfach nachgehen. Ich faßte den Entschluß, auszusteigen. Nur mich belügen wollte ich nicht mehr.
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