Vielfach wurde von anderen Christen Kritik geübt an der von Michael Hahn und der nach ihm benannten Gemeinschaft vertretenen Lehre der „Wiederbringung aller Dinge“ (Apokatastasis panton; „Allversöhnung“). Diese Lehre widerspricht Artikel 17 der Confessio Augustana, einer lutherischen Bekenntnisschrift. In dem Werk „Die Hahnsche Gemeinschaft – ihre Entstehung und seitherige Entwicklung“ aus dem Jahre 1877 wird sie in einer Weise erläutert, die auch heute noch so von der Hahnschen Gemeinschaft vertreten wird. Im Folgenden zitiere ich aus diesem Werk, das mir sehr geholfen hat zu einem tieferen Verständnis der Thematik:
Die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge ist eine Lehre, die besagt, daß alle vernünftigen Kreaturen, insbesondere also die abgefallenen Menschen und Engel, wenn auch großenteils erst nach überstandenen schweren Gerichten, schließlich freiwillig unter das Szepter Jesu Christi, des Königs aller Könige, sich beugen werden, daß, wie sie in Adam alle – ohne Ausnahme – sterben, so auch in Christo alle – ohne Ausnahme – lebendig gemacht werden sollen und sonach Gott zuletzt wirklich alles in allen sein werde. Hahn behauptet ausdrücklich: „Die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge gehört nicht unter das, was man Wahrscheinlichkeiten oder Vermutungen nennt; denn sehr viele Worte Gottes beweisen sie, und selbst mit denjenigen Worten der Heiligen Schrift, mit welchen man sie widerlegen will, kann man sie beweisen.“ Es ist irrig, die Ewigkeit sich einfach nur als eine endlose Zeit – etwa als eine unendlich lange Reihe von Jahren – zu denken, wie ja auch die Betrachtung des sichtbaren Himmels über unsern Häuptern nicht hinreicht, um uns von jenen himmlischen Regionen, die wir uns als die Wohnung Gottes und der himmlischen Geister denken, ein deutliches Bild machen zu können, darüber sind heutzutage wohl alle, welche über solche Fragen überhaupt nachzudenken gewohnt sind, einverstanden. Es ist doch jedenfalls anzunehmen, dass für die in der Schrift sogenannten Ewigkeiten oder Äonen ein ganz anderes Maß gilt als unser gegenwärtiges Zeitmaß. Daß man sich aber unter diesen Ewigkeiten – die Schrift redet nicht bloß von einer Ewigkeit – wenigstens irgendwie bestimmte Perioden zu denken hat, darauf weisen uns verschiedene Spuren hin. Der Ausdruck „Ewigkeit“ und „Ewigkeiten“ („Äon“ und „Äonen“) findet sich z.B. auch Matth. 24,3 („welches wird das Zeichen sein von deiner Zukunft und von dem Abschluß des Äons?“). Ebenso Matth. 28,20, Hebräer 1,2, Hebräer 9,26 und 1. Kor. 10,11. In diesen Stellen ist von der Vollendung gewisser großer Weltperioden die Rede, welche „Äonen“ genannt werden. Somit können auch die Äonen einen Abschluß finden, und darf man daher, wenn die Pein der Verdammten als eine ewige oder in die langen Ewigkeiten hinein sich erstreckende bezeichnet wird, hieraus wenigstens noch nicht den Schluß machen, daß dieselbe niemals ein Ende erreichen werde. Oder warum ist in der Heiligen Schrift da, wo von der Pein der Verlorenen die Rede ist, stets nur das Wort „ewig“ und nie das Wort „endlos“ oder „grenzenlos“ gebraucht? Solche Wörter hätten sich ja den Aposteln in der Sprache, in der sie schrieben, gleichfalls dargeboten (vgl. z.B. 1.Tim. 1,4). Auf die Einwendung aber, die man öfters zu hören bekommt, dass das Wort „ewig“ nicht das einemal, wenn von der ewigen Seligkeit der Frommen die Rede sei, einen andern Sinn haben könne als das anderemal, wenn von der ewigen Pein der Gottlosen die Rede sei, haben wir einfach zu erwidern, dass wir für unseren Glauben sehr gewichtige Gründe haben, wie wir sie für die Annahme einer endlosen Pein nirgends finden können. Denn der Zustand der Vollendung, d.h. hier der absoluten Vollkommenheit bringt es an und für sich schon mit sich, dass er keiner Veränderung mehr unterworfen ist (wie auch Gott selbst unveränderlich ist, Jak. 1,17), dass er somit ohne Aufhören fortdauert. In 1. Thess. 4,17 heißt es: „Wir werden bei dem Herrn sein allezeit.“ So bestimmt redet die Schrift da, wo es sich um den unseligen Zustand der Gottlosen handelt, niemals; es heisst nirgends: sie werden gequälet werden ohne Aufhören; wir lesen überall nur von Äonen, in welche die Qual sich hineinerstrecken wird. Besonders häufig aber beruft sich Michael Hahn auf die bestimmten Versicherungen, die uns in der Heiligen Schrift von der Liebe Gottes gegeben sind, welcher allen gütig ist und sich aller seiner Werke erbarmt. Ist es überhaupt denkbar, dass der Gott, der die Liebe ist, jemals Wesen sollte erschaffen haben, von welchen er vermöge seiner Allwissenheit voraussehen musste, dass sie niemals die Seligkeit erlangen, sondern ohne Aufhören Pein leiden werden? „Ich glaube nicht“, schreibt Hahn, „dass irgend ein Mensch schrecklicher wider Gott und Gottes Wahrheit, wider sein Licht und seines Herzens Sinn zeugen kann, als ein solcher, der keine allgemeine, alle angehende Erlösung glaubt und von unendlicher Verdammnis predigt; denn das heisst den lieben Gott als ein grosses, feindseliges, unbarmherziges Wesen vorstellen, welchen wir doch als den Allbarmherzigen kennen und als das liebreichste Wesen verehren. Mit welchem Recht darf man den Schluss ziehen, dass die Strafe für ein Vergehen, das von endlichen Geschöpfen begangen und selbst ein endliches, zeitliches war, eine ins Unendliche fortdauernde sein werde? „Hätte man nicht Ursache“, bemerkt Hahn, „wenn es unendliche Höllenstrafen gäbe, bei der Geburt eines jeden Adamskindes untröstlich zu weinen, wenn man bedenkt, wie wenige zur Wiedergeburt gelangen?“ Dass unsere kleinen Kinder, wenn sie die Taufe empfangen haben, wiedergeborene Menschen seien oder dass die Wiedergeburt überhaupt in der Christenheit etwas sehr häufig Vorkommendes sei, wird heutzutage doch wohl niemand mehr annehmen, der weiß, was es mit der Geburt aus dem Geist für eine Bewandtnis hat. Hahn schreibt: „Ich gestehe, meine ewige Seligkeit fühlte eine ewige Kränkung, wenn mein Mitmensch, der kurze Zeit gesündigt hat, unendlich gestraft würde!“ Was steht denn nun, wenn man nicht eben in Betreff des einen Wortes „Ewigkeit“ in einem Irrbegriff befangen ist, noch im Weg, anzunehmen, dass nach Ablauf gewisser Ewigkeiten (Äonen) oder unberechenbarer Perioden durch die erlittenen Gerichte wirklich den Forderungen der göttlichen Strafgerechtigkeit vollkommene Genüge geschaffen sein werde? Bei dieser Annahme kann es sich allerdings unter keinen Umständen um eine Vergebung, um einen Nachlaß der verdienten Strafe, wohl aber um eine nach vollständig verbüßter Strafe endlich eintretende Erlösung aus dem Kerker handeln, worauf vielleicht die Worte in Luk. 12,59 hinweisen: „Du wirst von dannen nicht herauskommen, bis du den allerletzten Scherf bezahlest.“ Dass freilich der Mensch nichts geben oder darlegen kann, damit er seine Seele wieder löse, dass er eben nur leiden kann, was die göttliche Gerechtigkeit ihm als angemessene Strafe für seine vielen Vergehungen zu leiden auflegt, und dass die Verdammten auch nach vollständig erlittener Strafe kein Recht auf die Seligkeit beanspruchen können, sondern schließlich gleichfalls sich dazu verstehen müssen, „aus Gnaden“ selig zu werden, ist selbstverständlich. Aber was hindert uns anzunehmen, dass sie durch ihre aufs höchste gesteigerten Leiden endlich erweicht, zur Reue bewegt, zum Glauben an das Evangelium gebracht und hiemit fähig werden noch desselben Gnadenteiles teilhaftig zu werden, das andere schon hienieden ergriffen haben? Wäre hiemit nicht ebensowohl der göttlichen Gerechtigkeit als der göttlichen Liebe Rechnung getragen? Wir dürfen demgemäß zuversichtlich glauben, dass die Predigt des Evangeliums auch noch den unseligen Geistern – aber erst nach überstandenen schweren Gerichten – zu gut kommen wird. Hahn schreibt: „Jesus, der da will, dass allen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, Er kann und wird erreichen, was Er will.“ Sollte er nicht im Stande sein, durch die Gerichte der Ewigkeiten das Böse in seinen Geschöpfen endlich radikal zu tilgen oder jedes Geschöpf schließlich dahin zu bringen, dass es sich unter seine gewaltige Hand beugt und seinen Willen in Demut mit dem Willen seines Schöpfers vereinigt? Man erwäge doch das recht tiefsinnige Wort von Meyers, „dass das Böse unmöglich gleich ewig mit Gott sein könne, welchem als dem absolut Ewigen der unendliche Sieg nicht bloß über alle, sondern auch in allen seinen Feinden gebühre!“ Oder wie will man bei der Annahme endloser Höllenstrafen der Vorstellung entgehen, daß in alle Ewigkeit zwei Prinzipien, ein gutes und ein böses, bestehen? Oder wird der so klar und bestimmt ausgesprochene Wille Gottes, dass allen Menschen geholfen werde, erfüllt, wenn es in alle Ewigkeit Menschen gibt, die dem Verderben preisgegeben sind? Hahn schreibt: „Dass Gott endlich werde alles – wohlgemerkt – in allen werden, sagt die Schrift. Wer etwas davon ausschließen kann, der tue es; ich mag es nicht tun“. Wenn nun von den Gegnern der Wiederbringungslehre in Betreff der Worte Matth. 5,26 („Bis du auch den letzten Heller bezahlest“) schon behauptet worden ist, es sei dies eine sprichwörtliche Redeweise, wobei man nicht jeden einzelnen Ausdruck so genau buchstäblich nehmen dürfe, als ob irgend einmal eine Zeit käme, da ein solches Bezahlen der ungeheuren Schuld wirklich möglich sein werde, – dürfen wir nicht mindestens mit demselben Recht von der Stelle Mark. 9,44 ff. sagen, es sei um ihres sprichwörtlichen Charakters willen nicht jeder Ausdruck streng buchstäblich nach dem Wortlaut zu nehmen? Die Seele hat, wenn sie einmal von den Mächten der Finsternis in Beschlag genommen ist, ihr Gleichgewicht und ihren eigentlichen Halt verloren; sie gleicht in diesem ihren gottverlassenen Zustande mit ihren ungestillten Begierden, ihrer Unruhe und ihren Gewissensbissen in der Tat einem bald ängstlich sich hin- und herwindenden, bald gierig nagenden und doch durch nichts zu sättigenden „Wurm, der nicht stirbt“. Das Quälende dieses Zustandes aber kann Ewigkeiten lang fortdauern; es dauert fort, solange die Seele eben „von der Hölle entzündet“ und ihren Einflüssen preisgegeben ist, solange sie ihren Ruhepunkt, ihren Gott nicht gefunden hat und Ihm nicht der erste Platz im Herzen eingeräumt wird. Michael Hahn sagt: „Die Seele des natürlichen Menschen ist, wenn wir ihn ohne die Geburt aus Gott betrachten, ein Feuerwurm. Ist die Seele ohne das Lichtleben und Wesen der Herrlichkeit Gottes, so ist sie in der Hölle und quält sich selber. Hat ihr Feuer das Wesen der Herrlichkeit aus Christo zur Nahrung, so ist das ihre Seligkeit und Allgenugsamkeit.“ Dass übrigens die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge für manche durchaus achtungswürdige Christen etwas Anstössiges hat, wissen wir wohl. Ihnen dürfte gelten, was der Herr Jesus einst zu seinen Jüngern sagte: ihr könnets jetzt nicht tragen. Auch sind wir allerdings der Ansicht, dass diese Lehre, mehr nur bruchstückhaft vorgetragen, in der Tat leicht Anlass zu gefährlichen Missverständnissen geben könnte.